Entscheidungsstichwort (Thema)

Körperschaftsteuer Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Abgrenzung von Milchgeldnachzahlungen und Warenrückvergütungen bei einer Molkereigenossenschaft.

 

Normenkette

KStG §§ 6, 23; EStG § 4 Abs. 4; KStDV § 35

 

Tatbestand

Gegenstand des Unternehmens der Bfin. ist die genossenschaftliche Milchverwertung. In den Jahren 1954 und 1955 hatte sie an ihre Milchlieferanten Geldleistungen als Betriebsausgaben abgesetzt, die sie in den Körperschaftsteuer-Erklärungen jeweils als Milchgeldnachzahlungen bezeichnete. Im Zuge der Veranlagung 1954 stellte das Finanzamt aktenmäßig fest, daß es sich auf Grund einer fernmündlichen Rücksprache mit der Bfin. bei den fraglichen Beträgen nicht um Warenrückvergütungen, sondern um (voll abzugsfähige) Milchgeldnachzahlungen handle; der Aktenvermerk sagt weiter, dies erscheine glaubhaft, da das Jahr 1954 mit Verlust abgeschlossen habe. Dementsprechend wurden die Beträge bei den Veranlagungen 1954 und 1955 als Betriebsausgaben anerkannt.

Die in den Jahren 1954 und 1955 eingetretenen Verluste sollten bei den Veranlagungen der Jahre 1956 bis 1958 ausgeglichen werden. Für die Jahre 1956 und 1957 ist dies bei den ursprünglichen Veranlagungen auch geschehen. Bei der u. a. für die Jahre 1956 bis 1958 durchgeführten Betriebsprüfung vertrat der Prüfer die Ansicht, soweit die streitigen Nachzahlungen an Mitglieder der Bfin. gezahlt worden seien, handele es sich nicht um Betriebsausgaben, sondern um Warenrückvergütungen im Sinne des § 35 Abs. 2 Satz 2 KStDV, die nur insoweit als Betriebsausgaben gelten könnten, als die dafür verwendeten Beträge im Mitgliedergeschäft erwirtschaftet worden seien. Er ermittelte den abzugsfähigen Höchstbetrag für die Jahre 1954 und 1955 mit 0 bzw. 3732 DM.

Das Finanzamt verminderte, den Feststellungen des Prüfers folgend, den Verlustvortrag für die Jahre 1954 und 1955, erließ für die Jahre 1956 und 1957 berichtigte Körperschaftsteuer-Bescheide und führte die erstmalige Veranlagung für 1958 durch. Dabei wurde der Verlustvortrag für 1954 und 1955 bereits im Jahre 1956 voll verbraucht.

Die Bfin. machte dagegen im wesentlichen geltend, die Berichtigungsveranlagungen für 1956 und 1957 seien mangels einer neuen Tatsache im Sinne des § 222 AO unzulässig. Das Finanzamt habe bereits bei der Veranlagung gewußt, daß sie Milchgeldnachzahlungen an Mitglieder und Nichtmitglieder in gleicher Höhe gewährt habe und daß diese Nachzahlungen abzugsfähig seien. Es handle sich bei den streitigen Leistungen an ihre Mitglieder nicht um Warenrückvergütungen, sondern um Kaufpreisnachzahlungen. Sie leide wegen ihrer ungünstigen Standortlage unter erheblich erschwerten Wettbewerbsverhältnissen. Daher habe sie während der einzelnen Jahre nicht die Milchpreise der umliegenden Molkereien bezahlen können, sondern sei gezwungen gewesen, die zunächst im allgemeinen in gleichbleibender Höhe gezahlten Milchpreise nach Abschluß des Geschäftsjahres für Mitglieder und Nichtmitglieder gleichmäßig aufzustocken.

Einspruch und Berufung der Bfin. hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht hielt die Berichtigungsveranlagungen 1956 und 1957 für zulässig, weil bei Durchführung der erstmaligen Veranlagungen für diese Jahre dem Finanzamt nicht bekannt gewesen sei, daß die monatlichen Milchgelder in einer der Marktlage entsprechenden variablen Höhe und nicht, wie behauptet, in gleichbleibenden Beträgen gezahlt worden, und daß die Nachzahlungen auf Grund eines durch die Generalversammlung genehmigten Vorstandsbeschlusses erfolgt seien. Das Finanzgericht beurteilte die streitigen Zahlungen ebenfalls als Warenrückvergütungen. Es seien nicht etwa Rechtsansprüche der Milchlieferanten erfüllt worden. Für den Charakter der Zahlungen als Warenrückvergütungen spreche auch, daß sie vom Vorstand und der Generalversammlung beschlossen worden seien und daß ohne Rücksicht auf die Marktverhältnisse ein Betrag von 0,60 DM pro kg gezahlt worden sei, so daß die vom Amt für landwirtschaftliche Marktordnung empfohlenen Preise teils unterschritten, teils überschritten worden seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb., mit der die Bfin. ihre bisherigen Einwendungen wiederholt, führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Finanzgericht.

Die Vorinstanz hat ihre Auffassung, die Nachzahlungen an die Mitglieder der Bfin. seien Warenrückvergütungen, bisher nicht in ausreichendem Masse begründet. Zwar sind Nachzahlungen einer Genossenschaft für Lieferungen oder Leistungen an ihre Genossen wie Warenrückvergütungen zu behandeln (ß 35 Abs. 1 Satz 2 KStDV in der seit 1955 geltenden Fassung). Wie der Senat im Urteil I 152/59 U vom 8. November 1960 (BStBl 1960 III S. 523, Slg. Bd. 71 S. 738) ausgeführt hat, ist die Warenrückvergütung an die Mitglieder eine dem Genossenschaftsrecht eigentümliche Form der überschußverteilung nach der Höhe des Warenbezugs. (Zum Begriff des überschusses siehe § 35 Abs. 2 Satz 5 KStDV). Eine andere Beurteilung muß jedoch dann Platz greifen, wenn für die Nachzahlung nicht so sehr der Gedanke der überschußverteilung, als vielmehr das Interesse, einen angemessenen Kaufpreis zu gewähren, im Vordergrund gestanden hat. Dieser Fall wird im Schrifttum als Milchgeldnachzahlung bezeichnet (vgl. Blümich-Klein-Steinbring, Kommentar zum Körperschaftsteuergesetz, 3. Aufl. 1956 S. 1083; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 23 Anm. 28b; Zülow-Henze-Schubert, Die Besteuerung der Genossenschaften, 4. Aufl. 1956 S. 120; Grieger, Deutsche Steuerzeitung, Ausgabe A 1954 S. 361, 367). Ist er gegeben, so sind die Nachzahlungen, auch soweit sie an die Mitglieder geleistet worden sind, als Betriebsausgaben voll abzugsfähig.

Da die Warenrückvergütungen an Mitglieder einer Genossenschaft - ungeachtet dessen, daß sie gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 KStDV in bestimmten Grenzen als Betriebsausgaben gelten - ihrer Natur nach Gewinnausschüttungen sind, kann für die Abgrenzung von Milchgeldnachzahlungen und Warenrückvergütungen von den Grundsätzen ausgegangen werden, wie sie für die verdeckte Gewinnausschüttung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 KStG gelten. Danach kommt es im Streitfall u. a. darauf an, ob die Nachzahlungen an Nichtmitglieder und Mitglieder zu denselben Bedingungen geleistet worden sind. Diese Frage ist für 1954 deshalb besonders bedeutsam, weil der Milcheinkauf in diesem Jahr zu 57,2 v. H. auf die Nichtmitglieder entfällt. Die Bfin. trägt vor, sie habe beiden Gruppen von Lieferanten gleiche Vergütungen gewährt. Davon geht auch der Prüfer in Tz. 21 des Betriebsprüfungsberichts aus. Dennoch könnte eine unterschiedliche Behandlung von Nichtmitgliedern und Mitgliedern dann gegeben sein, wenn die Nichtmitglieder über die gutgeschriebenen Nachzahlungen nicht frei verfügen durften (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 179/55 vom 11. Dezember 1956, Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe B 1957 S. 158). Wäre etwa vereinbart worden, daß die nachgezahlten Beträge den Nichtmitgliedern nur im Fall ihres Beitritts zur Genossenschaft im Wege der Verrechnung mit der von ihnen zu leistenden Einlage zugute kommen sollten, so würde dieser Umstand die Annahme einer Gewinnausschüttung im Wege der Warenrückvergütung stützen. Ob den Mitgliedern gegenüber den Nichtmitgliedern Vorteile eingeräumt worden sind, bedarf um so mehr einer überprüfung, als sich das Verhältnis des auf Nichtmitglieder und Mitglieder entfallenden Milcheinkaufs im Jahre 1955 gegenüber dem Vorjahr auffallend zugunsten der Mitglieder verändert hat. Der Anteil der Nichtmitglieder beträgt in 1955 nur noch 1,8 v. H.

Weiterhin ist von Bedeutung, ob das an die Mitglieder insgesamt gewährte Entgelt angemessen oder ungewöhnlich ist. In diesem Zusammenhang wäre noch eingehender zu untersuchen, wie hoch der durchschnittliche Marktpreis für Milch in den Jahren 1954 und 1955 gewesen ist. Mit dem auf diesem Wege errechneten Durchschnittspreis, der für die Jahre 1954 und 1955 jeweils getrennt ermittelt werden müßte, wäre der von der Bfin. unter Berücksichtigung der Nachzahlungen entrichtete jährliche Durchschnittspreis zu vergleichen. Es bestehen keine Bedenken, wenn zur Ermittlung des Marktpreises von den Empfehlungen des Amtes für landwirtschaftliche Marktordnung ausgegangen wird. Auf die in diesem Zusammenhang von der Bfin. im finanzgerichtlichen Verfahren gemachten Ausführungen (Schriftsatz vom 2. Juni 1961), die noch zu würdigen sind, wird hingewiesen.

Auf Grund der Tatsachenwürdigung, die das Finanzgericht nach der Zurückverweisung unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze vornehmen wird, ist auch abschließend zu beurteilen, ob die Berichtigungsveranlagungen für die Jahre 1956 und 1957 gemäß § 222 AO zulässig gewesen sind. Käme das Finanzgericht zu dem Ergebnis, daß die streitigen Nachzahlungen als Milchgeldnachzahlungen zu beurteilen und daher voll abzugsfähig wären, so müßten die Berichtigungsveranlagungen 1956 und 1957 aufgehoben werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 424116

BStBl III 1964, 211

BFHE 1964, 553

BFHE 78, 553

BB 1964, 463

DB 1964, 905

DStR 1964, 239

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