Leitsatz (amtlich)

1. Sonstige Bezüge aus Gesellschaftsanteilen - verdeckte Gewinnausschüttungen - können gegeben sein, wenn die Kapitalgesellschaft Ansprüche gegenüber einem Dritten aufgibt und es erst dadurch ermöglicht, daß zwischen dem Dritten und einem Gesellschafter ein für diesen vorteilhaftes Geschäft zustande kommt.

2. Auch in dem Verzicht einer Kapitalgesellschaft auf einen in Wahrheit nicht bestehenden, von dem Dritten aber im Wege des Vergleichs anerkannten Anspruch kann eine verdeckte Gewinnausschüttung liegen.

 

Normenkette

EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die Witwe und Alleinerbin des am 23. Juli 1972 verstorbenen Steuerpflichtigen; sie wurde für das Streitjahr 1968 mit ihrem Ehemann zur Einkommensteuer zusammenveranlagt.

Der Steuerpflichtige war von Anfang 1963 bis zum 27. April 1970 Gesellschafter der C-AG. Außerdem war er vom 19. Juni 1962 bis zum 31. Oktober 1969 Vorstandsmitglied und bis zum 30. April 1969 alleinvertretungsberechtigter Vorsitzender des Vorstands der C-AG.

1963 wurden auf Betreiben des Steuerpflichtigen von verschiedenen Personen Aktien der C-AG an die R-AG verkauft. Durch den Erwerb von Aktien der C-AG durch die R-AG sollte eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den beiden Gesellschaften hergestellt werden, welche jedoch nicht zustande kam. 1967 kam es zu einem Vergleich, nach dem dem Steuerpflichtigen und anderen von ihm zu benennenden Personen von der R-AG Aktien der C-AG von nominell 80 000 DM zum Kurswert von 0 DM übertragen wurden.

Nach einer Betriebsprüfung schätzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) den Wert der übertragenen Aktien auf 170 000 DM und sah in der Übertragung zum Teil- in Höhe von 100 000 DM - eine verdeckte Gewinnausschüttung zugunsten des Steuerpflichtigen. Das FA nahm an, es seien Vertragsverbindungen zwischen der R-AG und der C-AG, nicht aber Vertragsverbindungen zwischen der R-AG und dem Steuerpflichtigen gelöst worden; dieser habe aufgrund des Vergleichs zwischen der R-AG und der C-AG einen persönlichen wirtschaftlichen Vorteil erlangt. Dementsprechend erging ein Einkommensteuerbescheid für 1968, in welchem dem Steuerpflichtigen eine verdeckte Gewinnausschüttung von 100 00 DM bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zugerechnet wurde.

Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt und führte dazu im wesentlichen aus:

Der Steuerpflichtige habe im Zusammenhang mit der Übertragung von nominell 80 000 DM Aktien der C-AG keine als verdeckte Gewinnausschüttungen anzusehenden Vorteile erhalten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, daß die C-AG aufgrund der mit der R-AG getroffenen Vereinbarungen keine Ansprüche erworben habe, die zu einer Geldleistung der R-AG ihr gegenüber geführt hätten.

Rechtsgrundlage der vertraglichen Vereinbarungen zwischen der C-AG und der R-AG seien der Vorvertrag vom 2. April 1963 mit Ergänzungen oder Änderungen in den Verträgen und der Zusatzvereinbarung vom 6. Dezember 1963 gewesen. Dabei sei - entgegen der Meinung der Klägerin - die C-AG selbst Vertragspartnerin gewesen, so daß sie theoretisch auch Ansprüche habe erwerben können, die zu Schadensersatzansprüchen hätten führen können. Indessen stehe zur Überzeugung des FG fest, daß die C-AG keinen der in Betracht kommenden Ansprüche gehabt habe.

Die C-AG habe keinen Anspruch auf Abschluß eines Organschafts- und Ergebnisabführungsvertrags gehabt. Ein dahingehender Anspruch aus dem Vorvertrag sei bereits im Zusatzvertrag relativiert worden und in Durchführung eines späteren Vergleichs vom 15. Januar 1966 verlorengegangen, weil danach die R-AG nicht mehr über die Aktienmehrheit bei der C-AG verfügt habe. Im übrigen sei nicht erkennbar, daß die C-AG durch das Nichtzustandekommen eines solchen Vertrags einen vermögenswerten Schaden erlitten habe.

Die C-AG habe auch keinen Anspruch auf Übernahme eines Vorstandsmitglieds der R-AG in den Vorstand der C-AG gehabt. Für einen möglicherweise zunächst bestehenden Anspruch sei nach dem Teilvergleich vom 15. Januar 1966 die Grundlage entfallen. Nach dem Nichtzustandekommen eines Organschaftsverhältnisses habe kein Anlaß für die Übernahme eines Vorstandsmitglieds mehr bestanden. Im übrigen sei auch hier ein konkreter Schaden nicht zu ersehen.

Der C-AG habe kein Anspruch auf Gestellung einer Führungskraft seitens der R-AG zugestanden. Die R-AG habe lediglich bei Beschaffung einer Führungskraft behilflich sein sollen. Ein konkreter Schaden sei ebenfalls nicht erkennbar, da die C-AG die Bezahlung einer solchen Kraft sowieso habe übernehmen müssen.

Die C-AG habe keinen Anspruch auf Übernahme von Mitarbeitern durch die R-AG gehabt. Es sei lediglich mündlich verabredet worden, daß jede Gesellschaft im Bedarfsfall bei der anderen Personal anfordern könne.

Ein Schadensersatzanspruch der C-AG wegen Entzugs von Mandanten und Verletzung einer vereinbarten Geheimhaltungspflicht sei nicht erkennbar. Derartige Vertragsverletzungen seien von der R-AG stets bestritten worden und der Steuerpflichtige habe keinen präzisen Schaden darlegen können.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1967 und bringt dazu vor:

Dafür, ob der Steuerpflichtige im Zusammenhang mit der Rückübertragung der Aktien an der C-AG durch einen teilweisen Verzicht der C-AG auf den ihr zustehen den Anteil an diesen Vermögenswerten einen als verdeckte Gewinnausschüttung zu behandelnden Vorteil erlangt hat, habe das FG zu Unrecht bloß auf die letztlich unbewiesen gebliebene Frage der gerichtlichen Durchsetzbarkeit der durch den Vergleich gegenstandslos gewordenen ursprünglichen Verträge zwischen der C-AG und der R-AG abgestellt. Statt dessen müsse bei der Rechtsfindung von dem Vergleichsangebot der R-AG, wie es der Rückgabe zugrunde gelegen habe, ausgegangen werden, weil dieses Vergleichsangebot und die anschließenden Verhandlungen für das Verständnis des Vergleichs von entscheidender Bedeutung seien. Danach sei eine Zuwendung an die C-AG und deren Aktionäre gewollt gewesen, um die sich aus der Vertragslösung entstandenen und entstehenden Ansprüche abzugelten, insbesondere auch unbestrittene Ansprüche der C-AG, wie sich aus einem Schreiben der R-AG vom 15. November 1967 ergebe, in welchem es heiße: "... damit sind alle gegenseitigen Ansprüche zwischen unserer Gesellschaft, deren Aktionären und deren Organen einerseits und Herrn . . . (=Steuerpflichtiger), der C-AG sowie deren früheren und späteren Aktionären und Organen andererseits, gleich auf welchem Rechtsgrund solche Ansprüche beruhen, für Vergangenheit und Zukunft endgültig erledigt und abgegolten."

Die Vermögenszuwendung an den Steuerpflichtigen sei nicht in dessen Person, sondern in dessen Eigenschaft als Gesellschafter der anspruchsberechtigten C-AG veranlaßt gewesen, wie aus den Vereinbarungen zwischen der R-AG und der C-AG zu entnehmen sei. Durch die ursprünglichen Vereinbarungen seien zwischen den Gesellschaften Rechtspositionen geschaffen worden, die eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit bezweckt hätten. Die erlangten Rechtsvorteile habe die C-AG nicht ohne weiteres aufgeben wollen, als die R-AG versucht habe, sich den Vereinbarungen zu entziehen. Es sei auch zu einem teilweisen Vollzug der Verträge gekommen - Übernahme der Anteile an der C-AG durch die R-AG und Gestellung von Arbeitskräften -. Vertragspartner seien die R-AG und die C-AG gewesen, und bei dem Vergleich sei vom Bestehen von Ansprüchen der C-AG ausgegangen worden. Das Interesse der R-AG habe darin gelegen, von den vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der C-AG befreit zu werden. Dafür habe sie die Anteile zum Kurs von 0 DM zurückgegeben.

Da die C-AG auf den ihr zustehenden Vermögenswert zugunsten des Steuerpflichtigen verzichtet habe, sei eine verdeckte Gewinnausschüttung gegeben. Deren Wert sei zu schätzen, weil der Vergleich keinen Hinweis auf die Höhe des abzugeltenden Anspruchs enthalte.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen, hilfsweise Zurückverweisung.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie macht geltend, daß die C-AG keine eigenen Ansprüche erworben habe, auf die sie hatte verzichten können. Der Steuerpflichtige habe zusammen mit anderen Aktien verkauft. Im Zusammenhang damit sei die R-AG Verpflichtungen eingegangen, welche sie nicht eingehalten habe. Im Wege des Vergleichs seien deshalb Aktien zurückgegeben worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Streitsache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Die Annahme des FG, die C-AG habe mangels geldwerter Ansprüche gegenüber der R-AG keine verdeckte Gewinnausschüttung vornehmen können, ist rechtsirrtümlich.

a) Sonstige Bezüge aus Gesellschaftsanteilen - verdeckte Gewinnausschüttungen - i. S. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG sind gegeben, wenn eine Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter unter sonst gleichen Umständen nicht zugewendet hätte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11. Oktober 1977 VIII R 191/74, BFHE 123, 475, BStBl II 1978, 109, mit weiteren Nachweisen).

Die Kapitalgesellschaft wendet ihrem Gesellschafter einen Vermögensvorteil zu, wenn sie durch ein Tun oder Unterlassen ihr Betriebsergebnis mit einem Aufwand oder Minderertrag belastet. Die Zuwendung der Kapitalgesellschaft kann mittelbar durch eine Leistung an einen Dritten erfolgen, wenn der Leistungserfolg aufgrund tatsächlicher oder rechtlicher Beziehungen zwischen dem Gesellschafter und dem Dritten in der Person des Gesellschafters eintritt (vgl. BFH-Urteil vom 6. Dezember 1967 I 98/65, BFHE 91, 239, BStBl II 1968, 322, am Ende). Dies kann der Fall sein, wenn die Kapitalgesellschaft Ansprüche gegenüber einem Dritten aufgibt und es erst dadurch ermöglicht, daß zwischen dem Dritten und dem Gesellschafter ein für diesen vorteilhaftes Geschäft zustande kommt. Ist der Verzicht der Kapitalgesellschaft unabdingbare Voraussetzung für die Abmachung zwischen dem Dritten und dem Gesellschafter, so ist eine Vorteilszuwendung zu bejahen, weil ohne die Anspruchsaufgabe der Kapitalgesellschaft kein Vorteil bei dem Gesellschafter eingetreten wäre.

Ob die Vorteilszuwendung im Gesellschaftsverhältnis veranlaßt ist und damit zur verdeckten Gewinnausschüttung wird, richtet sich nach dem Verhalten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers. Es kommt dann darauf an, ob dieser einseitig und ohne Gegenleistung für die Kapitalgesellschaft einen Verzicht ausgesprochen hätte, damit zwischen dem Dritten und dem Gesellschafter ein für diesen vorteilhaftes Geschäft zustande kommen kann.

b) Voraussetzung für die verdeckte Gewinnausschüttung ist nicht, wie das FG angenommen hat, daß der Anspruch gegen den Dritten, auf den die Kapitalgesellschaft zum Vorteil ihres Gesellschafters verzichtet hat, wirklich besteht. Auch der Verzicht einer Kapitalgesellschaft auf Gewinnchancen zugunsten ihres Gesellschafters kann eine verdeckte Gewinnausschüttung sein, z. B. der Verzicht auf die Annahme eines günstigen Kaufangebots (BFH-Urteil vom 3. November 1971 II R 68/70, BFHE 104, 158, BStBl II 1972, 227) oder der Verzicht auf den Erwerb eines Grundstucks zu einem unter dem Verkehrswert liegenden Preis (Urteil des FG Münster vom 8. Juni 1979 VI 647/76 K, Entscheidungen der Finanzgerichte 1980 S. 44 EFG

1980, 44 -, rechtskräftig). Voraussetzung ist allerdings, daß die Chance allein oder überwiegend in der Verfügungsgewalt der Kapitalgesellschaft liegt.

Daher kann in dem Verzicht der Kapitalgesellschaft auf einen Anspruch gegenüber einem Dritten zum Vorteil ihres Gesellschafters auch dann eine verdeckte Gewinnausschüttung liegen, wenn der Anspruch in Wahrheit nicht besteht, der Dritte aber bereit ist, den streitigen Anspruch im Wege eines Vergleichs ganz oder zum Teil anzuerkennen. Verzichtet hier die Kapitalgesellschaft auf den ihr angebotenen Anspruch, um dadurch die Zuwendung eines Vorteils durch den Dritten an ihren Gesellschafter zu ermöglichen, wendet sie selbst diesen Vorteil mittelbar ihrem Gesellschafter zu. Bei dieser Sachlage, die sich von dem Fall des BFH-Urteils vom 6. April 1977 I R 183/75 (BFHE 122, 102, BStBl II 1977, 571) wesentlich unterscheidet, kann auch der Verzicht auf einen vermeintlichen Anspruch eine verdeckte Gewinnausschüttung sein.

c) Mit diesen Grundsätzen steht die Vorentscheidung nicht in Einklang, wenn sie eine Vorteilszuwendung damit verneint hat, daß die C-AG keine Schadensersatzansprüche gegen die R-AG gehabt habe. Dafür, ob und in welchem Umfange die C-AG bestehende oder vermeintliche Ansprüche aufgegeben und damit erst die Übertragung von Aktien auf den Steuerpflichtigen zum Wert von 0 DM - bei einer unstreitigen Höherwertigkeit der Aktien - ermöglicht hat, können nicht nur die Verhältnisse nach Abschluß des Teilvergleichs vom 15. Januar 1966 berücksichtigt werden. Für das, was endgültig geregelt wurde, darf nicht außer Betracht bleiben, was die Vertragspartner ursprünglich vereinbarten und an Erwartungen hegten. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die R-AG sich wegen ihres Verhaltens zum Schadensersatz verpflichtet fühlte und deshalb eine Verzichtserklärung der C-AG verlangte. Zu Recht weist das FA in der Revision darauf hin, daß das FG die Inhalte des Vergleichsangebots der R-AG vom 15. November 1967 und der abschließenden Erklärung der C-AG nicht ausreichend gewürdigt hat. Aus diesen Erklärungen läßt sich entnehmen, daß beide Kapitalgesellschaften vom Bestehen von Ansprüchen ausgingen.

2. Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsüberlegungen ausgegangen ist und darauf beruht, war aufzuheben. Die Sache geht an das FG zurück zur Prüfung, ob und in welchem Umfang eine Aufgabe von bestehenden oder vermeintlichen Ansprüchen durch die C-AG Voraussetzung für die Aktienübertragung auf den Steuerpflichtigen war und ob ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsführer einen Anspruchsverzicht zur Ermöglichung des Geschäfts ausgesprochen hätte. Stellt sich bei der erneuten Verhandlung heraus, daß die C-AG, die R-AG und der Steuerpflichtige von Ansprüchen sowohl der c AG wie auch des Steuerpflichtigen gegen die R-AG ausgegangen sind, bemißt sich der Umfang der Vorteilszuwendung nach der Höhe der bestehenden oder vermeintlichen Ansprüche der C-AG gegen die R-AG. Ist die Abgrenzung nicht möglich, weil die Vertragspartner eine solche nicht vorgenommen haben und auch nicht dartun können, so ist eine Vorteilszuwendung in vollem Umfang anzunehmen, weil die Verzichtserklärungen von einer Kapitalgesellschaft und ihrem beherrschenden Gesellschafter abgegeben wurden. Die Unaufklärbarkeit geht in diesem Fall zu Lasten der Kapitalgesellschaft und ihres beherrschenden Gesellschafters, weil sie es unterlassen haben, für eindeutige und nachprüfbare Verhältnisse zu sorgen. Nach Zurückverweisung hat auch das FA Gelegenheit, Beweisanträge zu stellen, die im ersten Rechtsgang nicht gestellt wurden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 422771

BStBl II 1981, 260

BFHE 1981, 257

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