Leitsatz (amtlich)

Es ist nicht zulässig, zum Zwecke der Bilanzverschönerung ("window-dressing") aufgenommene Kreditmittel unmittelbar über Kapitalkonto (als "Einlage") zu verbuchen; es handelt sich um eine betriebliche Darlehnsaufnahme.

 

Normenkette

EStG § 10a

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin betreibt unter ihrer im Handelsregister eingetragenen Firma einen Großhandel mit und eine Handelsvertretung in Kraftfahrzeugen. Der von ihr nach § 5 EStG ermittelte Gewinn wird für sie und ihren am Unternehmen als atypischer stiller Gesellschafter beteiligten Ehemann gemäß § 215 Abs. 2 AO, § 15 Nr. 2 EStG einheitlich festgestellt.

In den Streitjahren (1960 bis 1962) nahm der Ehemann der Klägerin bei einem Bankhaus, bei dem beide Mitunternehmer sowohl private als auch betriebliche Konten unterhielten, jeweils Darlehen auf, über die wegen der kurzen Laufzeit keine schriftlichen Vereinbarungen getroffen wurden. Die Darlehnsbeträge wurden jeweils kurz vor Ende des Wirtschaftsjahres als Einlage in das Betriebsvermögen gebucht und alsbald nach Beginn des nächsten Wirtschaftsjahres als Privatentnahme ausgebucht. Streitig ist die Zulässigkeit dieses Vorgehens im Hinblick auf § 10a EStG.

Der Ehemann der Klägerin erhielt das Geld von der Bank jeweils in bar und zahlte es an Ort und Stelle auf das Geschäftskonto der Firma ein. Die Rückzahlung erfolgte stets in der Weise, daß der Ehemann der Klägerin den entsprechenden Betrag vom Geschäftskonto in bar abhob und die Darlehen unmittelbar anschließend in bar tilgte.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) sah die Darlehnsaufnahmen im Anschluß an eine im Jahre 1964 bei der Firma durchgeführte Betriebsprüfung als betriebliche Vorgänge an, nachdem die Klägerin erklärt hatte, daß die Darlehen aus betrieblichen Gründen aufgenommen worden seien, um der Firma D. gegenüber eine "günstige Bilanz" ausweisen zu können. Aufgrund eines mit der Firma D. abgeschlossenen Kommissionsvertrages habe dieser das Recht zur Einsicht in die Bücher und Bilanzen der Klägerin zugestanden.

Die nach erfolglosem Einspruch gegen die auf § 222 AO gestützten einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheide vom 9. Februar 1966 zum FG erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Das FG führte aus:

Ob eine Schuld zum Betriebsvermögen gehöre oder nicht, sei nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen (Urteil des BFH VI R 71/66 vom 24. November 1967, BFH 91, 37, BStBl II 1968, 177). Da im Streitfalle die Kreditaufnahmen erklärtermaßen dem Zwecke gedient hätten, dem Betrieb die Darlehnsvaluta zuzuführen, und die Kreditmittel dem Betrieb auch tatsächlich zur Verfügung gestellt worden seien, habe es sich bereits bei den Kreditaufnahmen um betriebliche Vorgänge und bei den durch sie begründeten Bankschulden um betriebliche Schulden gehandelt. Es könne deshalb dahingestellt bleiben, ob die vom Ehemann der Klägerin eingerichteten Privatkonten lediglich als Unterkonten des Geschäftskontos und ob die Privat- und die Betriebskonten bei der Bank kredittechnisch als eine Einheit anzusehen seien.

Wenngleich im Streitfalle - anders als in den mit den BFH-Urteilen VI 51/63 vom 24. Juli 1964 (HFR 1965, 12: Darlehensaufnahme zur Anschaffung eines betrieblich zu nutzenden Grundstücks) und VI R 71/66 (a. a. O.: Darlehnsaufnahme zum Bau eines eigengenutzten Einfamilienhauses) entschiedenen Fällen - keine Beziehung zwischen den Darlehnsaufnahmen und einem bestimmten, dem Betriebs- oder dem Privatvermögen zugehörigen Wirtschaftsgut bestanden habe, so könne doch dem BFH-Urteil IV 107/55 U vom 9. Mai 1957 (BFH 65, 63, BStBl III 1957, 258) nicht gefolgt werden, wenn es mangels einer solchen Beziehung die Behandlung einer Darlehnsschuld als Privatschuld für möglich erachtet und die Leistung einer Einlage aus den Darlehnsmitteln zum Ausgleich von Entnahmen bei der Inanspruchnahme der Vorschrift des § 32a EStG 1949 mit steuerlicher Wirkung anerkannt habe. Wenn die Klägerin sich für ihr Handeln an dieser Entscheidung - wie sie vortrage - orientiert habe, so sei sie gleichwohl in ihrem Vertrauen nicht geschützt, da Abschn. 110 Abs. 1 EStR 1960 bis 1962 ausdrücklich bei Kreditaufnahmen die Prüfung des Charakters der Verbindlichkeit als privater oder betrieblicher Schuld vorsehe. Die Klägerin und ihr Ehemann hätten bereits jeweils bei der Kreditaufnahme die Absicht gehabt, die Darlehnsmittel dem Betrieb zuzuführen, so daß die Darlehnsaufnahmen betrieblich veranlaßt gewesen seien, unbeschadet der Tatsache, daß die Darlehen durch private Vermögenswerte (Wertpapiere in Verwahrung der Bank, Bausparkassenguthaben) abgesichert gewesen seien.

Ein Eingehen auf die steuerrechtliche Bedeutung der jeweils nur kurzfristigen Belassung der zugeführten Mittel im Betrieb erübrige sich deshalb (Hinweis auf das BFH-Urteil I R 174/66 vom 24. Juni 1969, BFH 97, 415, BStBl II 1970, 205 mit weiterer Rechtsprechung).

Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision der Klägerin mit dem Antrag, unter Aufhebung der Vorentscheidung und Änderung der Einspruchsentscheidung vom 3. Mai 1966 sowie der einheitlichen Gewinnfeststellungen vom 9. Februar 1966 die Entnahmen in der in den ursprünglichen Feststellungsbescheiden ausgewiesenen Höhe festzustellen. Zur Begründung läßt sie vortragen:

Die Klägerin könne für die von ihrem Ehemann aufgenommenen Darlehen von der Bank als der Darlehnsgläubigerin weder unmittelbar noch als Haftende in Anspruch genommen werden. Es sei deshalb auch nicht richtig, die Darlehnsaufnahmen als die Begründung von Betriebsschulden der Klägerin zu werten. Die Darlehnsaufnahmen seien notwendig gewesen, um - dem Gesellschaftsvertrag entsprechend - überhöhte Privatentnahmen durch Einlagen auf die zulässige Höhe zurückzuführen. Die Durchführung dieser Vereinbarung wiederum sei erforderlich gewesen, um der Firma D. ein immer steigendes Kapital nachweisen zu können. Im übrigen habe sich die Klägerin in den Streitjahren an die EStR gehalten, die praktisch als eine Zusage der Finanzverwaltung für die steuerrechtliche Behandlung zu gelten hätten, von der abzuweichen gegen Treu und Glauben verstoße.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der vom FG zum Verfahren beigeladene Ehemann der Klägerin hat sich deren Antrag angeschlossen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

1. Zutreffend ist das FG bei der Beurteilung des Streitfalles von den Ausführungen des BFH im Urteil VI R 71/66 (a. a. O.) ausgegangen, nach denen die Frage, ob eine Schuld zum Betriebsvermögen gehöre, nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen ist. "Der Ansatz von Verbindlichkeiten ist insoweit der Verfügung des Unternehmers entzogen, als die Verbindlichkeiten nicht allein durch einen Willensakt des Unternehmers die Eigenschaft als Betriebs- oder Privatschuld wechseln können (Entscheidung des Senats VI 12/65 vom 22. Juli 1966, BFH 86, 482, BStBl III 1966, 542). Gewillkürtes Betriebsvermögen gibt es bei Schulden nicht, und zwar in gleicher Weise nicht bei Einzelunternehmern (§ 15 Nr. 1 EStG) wie bei Mitunternehmern (§ 15 Nr. 2 EStG)." Der Senat verweist in diesem Zusammenhang auch auf sein Urteil I R 220/70 vom 10. Mai 1972 (BFH 105, 480, BStBl II 1972, 620).

Soweit die Rechtsprechung heute für die steuerrechtliche Anerkennung des betrieblichen Interesses an einer Einlage von Geldmitteln, deren Einlage mit dem Interesse am Ausgleich von Entnahmen im gleichen Veranlagungszeitraum begründet und die alsbald nach dem Bilanzstichtag wieder entnommen werden, einen wirtschaftlich vernünftigen Grund fordert (BFH-Urteile I R 174/66, a. a. O.; VIII R 125/69 vom 18. Januar 1972, BFH 104, 419, BStBl II 1972, 344), handelt es sich zwar um ein den Streitfall nur am Rande berührendes Problem, zeigt sich indes, daß die von der Klägerin aus der Begründung des BFH-Urteils IV 107/55 U (a. a. O.) gezogene Schlußfolgerung auf das Gegebensein einer vom Verwendungszweck der Darlehnsmittel unbeeinflußten allgemeinen Gestaltungsfreiheit (Betriebsschuld-Privatschuld) nicht richtig ist.

Die Klägerin hat vor dem FG wie auch im Revisionsverfahren vorgetragen, daß die streitige Zuführung von Mitteln zum Betriebsvermögen notwendig gewesen sei, um am jeweiligen Bilanzstichtag für geschäftliche Zwekke ein möglichst positives Bild vom Stand ihres Eigenkapitals zu zeichnen. Dies konnte sie, wollte sie nicht zugleich eine entsprechende Erhöhung ihrer Verbindlichkeiten ausweisen, nur im Wege über eine unmittelbare Erhöhung des Kapitalkontenstandes ihrer Gesellschafter erreichen. Dieser Weg ist indes nicht gangbar. Wer Kreditmittel zur Erhöhung seiner bilanzmäßig auszuweisenden Geldbestände aufnimmt (sog. window-dressing), muß die dadurch begründete Verbindlichkeit in seiner Bilanz ausweisen. Damit erweist sich die zu diesem Zweck erforderliche Darlehnsaufnahme als betrieblich bedingt. Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf Treu und Glauben berufen; denn die Ausführungen in Abschn. 110 Abs. 1 EStR 1960 bis 1962 gaben ihr keinen Anlaß anzunehmen, daß das von ihr gewählte Verfahren der Zuführung von Mitteln zum Betriebsvermögen trotz des mit ihm wirtschaftlich verfolgten Zwecks allein als ein Ausgleich von Entnahmen durch Einlagen aus privat aufgenommenen Kreditmitteln im Sinne des dort in Bezug genommenen BFH-Urteils IV 107/55 U (a. a. O.) zu beurteilen sei, wie einmal ihr Zusammenhang mit der Steuervergünstigungsvorschrift des § 10a EStG und zum anderen die Begründung dieses Urteils selbst erweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70270

BStBl II 1973, 136

BFHE 1973, 423

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