Leitsatz (amtlich)

Die Zahlung von Bauzinsen stellt im allgemeinen keine offene oder verdeckte Gewinnausschüttung dar, weil der Anspruch auf Bauzinsen nicht als gesellschaftsrechtlicher, sondern als schuldrechtlicher Anspruch gestaltet ist.

 

Normenkette

KStG §§ 6, 8b Abs. 7 S. 1; AktG § 54

 

Tatbestand

Die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) ist eine Aktiengesellschaft, die im Jahr 1958 gegründet wurde. Sie zahlte im Jahr 1961 für das Streitjahr 1960 an die Inhaberin von Vorzugsaktien 5 1/4 % Bauzinsen auf die eingezahlten 3,75 Millionen DM. Sie wies den Betrag in der Bilanz für das Streitjahr unter den Verbindlichkeiten, in der Gewinn- und Verlustrechnung unter den "Zinsen und ähnlichen Aufwendungen" aus und rechnete ihn zu den Anschaffungs- und Herstellungskosten ihrer Kraftwerke. Die Zahlung der Bauzinsen beruhte auf § 54 Abs. 2 AktG 1937 und § 24 der Satzung der Steuerpflichtigen, nach der Bauzinsen in dieser Höhe für den Zeitraum der Vorbereitung des Unternehmens bis zum Anfang des vollen Betriebs, längstens bis 31. Dezember 1963, zu zahlen waren.

Der Revisionsbeklagte (das FA) rechnete die Bauzinsen dem von der Steuerpflichtigen zu versteuernden Einkommen hinzu.

Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg.

Das FG, dessen Entscheidung in EFG 1966, 485 veröffentlicht ist, hat zunächst ausgeführt, die Bauzinsen dürften nicht als Teil der Herstellungskosten der Kraftwerke aktiviert werden. Sie seien daher vom Handelsbilanzgewinn der Steuerpflichtigen abzuziehen. Andererseits bestehe nach den vorliegenden Verträgen ein Anspruch der Steuerpflichtigen gegen ihre Großaktionärin, die R-AG, mit der sie durch eine Organschaft mit Ergebnisabführungsvertrag verbunden sei, auf Erstattung der Bauzinsen. Denn nach dem Vertrag mit der R-AG sei diese verpflichtet, der Steuerpflichtigen ihre Aufwendungen zu erstatten. Das FG ist weiter zu dem Ergebnis gelangt, Bauzinsen seien keine Zinsen für Fremdkapital. Alles was ein Gesellschafter auf Grund seiner Gesellschafterstellung erhalte, sei eine offene oder verdeckte Einkommensverteilung und damit nicht abzugsfähig (§ 7 Satz 1 KStG). Danach seien auch Bauzinsen nicht abzugsfähig. Denn der Aktionär erhalte sie nur deshalb, weil er der Gesellschaft in seiner Eigenschaft als Gesellschafter Geld in Form der Beteiligung am Aktienkapital zur Verfügung gestellt habe.

Das Urteil des RFH I A 782/29 vom 1. April 1930 (RStBl 1930, 315) stehe dieser Rechtsauffassung nicht entgegen. Denn der RFH habe keine Gewinnausschüttung angenommen, weil im damaligen Fall die Zahlung der Bauzinsen eine Rückzahlung von Grundkapital dargestellt habe. Im Streitfall liege keine Rückzahlung von Grundkapital vor, weil die Aufwendungen der Steuerpflichtigen von der R-AG zu erstatten gewesen seien.

Mit der Revision rügt die Steuerpflichtige unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts (§ 7 Satz 1 KStG, § 6 Abs. 1 Satz 1 KStG, § 4 Abs. 4, § 5 EStG).

Die Steuerpflichtige vertritt die Auffassung, § 54 Abs. 2 AktG 1937 enthalte keine Sonderregelung über die Beteiligung der Aktionäre am Gewinn, sondern eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der Zinszahlung an die Aktionäre. Der Gesetzgeber gebrauche hier bewußt den Begriff "Zinsen" und stelle dadurch klar, daß der Anspruch des Aktionärs nach § 54 Abs. 2 AktG 1937 von einem Reingewinn der Gesellschaft unabhängig sei, also im Gegensatz zum Mitgliedschaftsrecht des Aktionärs auf Beteiligung am Reingewinn stehe. Wirtschaftlich und rechtlich seien die Bauzinsen nicht mit der Verteilung von Gewinn, sondern mit den Zinsen für Obligationen oder Darlehen zu vergleichen, da die im Gründungsstadium geleistete Einlage im Fall des § 54 Abs. 2 AktG 1937 hinsichtlich der Verzinsung dem Fremdkapital gleichgestellt sei.

Die Steuerpflichtige verteidigt auch die Aktivierung der Bauzinsen als Teil der Herstellungskosten der Kraftwerke. Dabei handle es sich letztlich um eine Finanzierungs- und Bilanzierungshilfe für die Anlaufzeit der Gesellschaft. Zur Unterstützung ihrer Ansicht legt die Steuerpflichtige eine gutachtliche Äußerung einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft vor, die ihre Bilanzierung durch Erteilung des Bestätigungsvermerks gutgeheißen habe. Wenn das FG angenommen habe, daß im Streitfall kein Zusammenhang zwischen den Bauzinsen und der Herstellung der Anlagen bestanden habe, so habe es insoweit unterlassen, den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln und zu würdigen. Nach den Akten und nach dem unbestrittenen Vorbringen der Beteiligten sei der tatsächliche Zusammenhang der bezahlten Bauzinsen mit der Errichtung der Kraftwerke eindeutig gegeben. Die Aktivierung der Bauzinsen habe zur Folge, daß kein Aufwand und damit auch kein Kostenerstattungsanspruch gegen die R-AG entstehe.

Die Steuerpflichtige beantragt, das Urteil des FG aufzuheben, das veranlagte Einkommen für das Streitjahr um die bezahlten Bauzinsen zu kürzen und die Körperschaftsteuer für das Streitjahr demgemäß herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist begründet. Die gezahlten Bauzinsen können im Streitfall nicht dem Einkommen der Steuerpflichtigen hinzugerechnet werden.

1. Nach § 54 Abs. 2 AktG 1937 können den Aktionären für den Zeitraum, den die Vorbereitung des Unternehmens bis zum Anfang des vollen Betriebs erfordert, Zinsen von bestimmter Höhe (Bauzinsen) zugesagt werden. Diese Vorschrift ist eine Ausnahme von dem Verbot des § 54 Abs. 1 zweiter Halbsatz AktG 1937, den Aktionären Zinsen zuzusagen oder auszuzahlen. Sie soll die Finanzierung solcher Gesellschaften erleichtern, die, wie das insbesondere bei Eisenbahnen der Fall war, ihre Anlagen erst errichten müssen und bei denen daher eine längere Zeit, oft mehrere Jahre, vergehen, bis der Geschäftsbetrieb aufgenommen werden kann und Gewinn erzielt wird. Blieben die Aktionäre in dieser Zeit ohne jegliche Erträge auf ihre Einlagen, so fänden sich kaum Geldgeber bereit, um sich an der Gesellschaft zu beteiligen (Passow, Die Aktiengesellschaft, 2. Aufl. S. 228; Düringer-Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, III. Band, 1. Teil, 3. Aufl., § 215 Anm. 14). Außerdem wurde die Zahlung von Bauzinsen nicht als eine Minderung des Grundkapitals angesehen, weil bei der Berechnung des Wertes der errichteten Anlagen nicht nur das darauf verwendete Kapital, sondern auch die Zinsen in Anschlag zu bringen seien und die Finanzierung durch Inanspruchnahme fremden Kapitals in der Regel sogar teurer gewesen wäre (Düringer-Hachenburg, a. a. O., § 215 Anm. 14; Begründung zum Entwurf der Aktienrechtsnovelle von 1884, abgedruckt bei Passow, Die Bilanzen der privaten und öffentlichen Unternehmungen, Bd. II, 3. Aufl. S. 33). Aus dieser letzten Überlegung erklärt sich auch, daß es die herrschende Meinung im Handelsrecht seit jeher und bis in die jüngste Zeit hinein für zulässig erachtet hat, die Bauzinsen als Teil der Herstellungskosten der errichteten Anlagen zu aktivieren (Düringer-Hachenburg, a. a. O., § 215 Anm. 21; Passow, Die Bilanzen der privaten und öffentlichen Unternehmungen, Bd. II, 3. Aufl. S. 33; Schlegelberger-Quassowski, Aktiengesetz, Kommentar, 3. Aufl., § 54 Anm. 8; Fischer in Großkommentar Aktiengesetz, 2. Aufl., § 54 Anm. 20; Mellerowicz in Großkommentar Aktiengesetz, 2. Aufl., § 133 Anm. 7; v. Godin-Wilhelmi, Aktiengesetz, Kommentar, 3. Aufl., Bd. I § 57 Anm. 10; Adler-Düring-Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl., Bd. I § 153 Anm. 46). Obgleich die Einrechnung von Zinsen vom Eigenkapital und heute auch die Einrechnung von Zinsen für Fremdkapital in die Anschaffungs- oder Herstellungskosten im allgemeinen nicht für richtig gehalten wird (vgl. Düringer-Hachenburg, a. a. O. § 215 Anm. 21; Adler-Düring-Schmaltz, a. a. O., § 153 Anm. 46, 47; zusammenfassend Liedtke, Der Betriebs-Berater 1968 S. 746), wird für den Sonderfall der Bauzinsen eine Ausnahme gemacht. Sie wird damit begründet, daß ohne die Aktivierung der Bauzinsen ein Verlustvortrag entstünde, der dann in späteren Jahren die Entstehung eines verteilbaren Bilanzgewinns verhindere. Der Sinn der gesetzlichen Vorschrift über die Bauzinsen könne aber nicht eine bloß zeitliche Verschiebung der Zahlungen sein (Passow, Die Bilanzen der privaten und öffentlichen Unternehmungen, Bd. II, 3. Aufl., S. 33; Adler-Düring-Schmaltz, a. a. O., § 153 Anm. 46).

Was die rechtliche Natur der Bauzinsen anlangt, wird im Handelsrecht die Auffassung vertreten, daß es sich zwar nicht um echte Zinsen im Sinn der §§ 246 BGB, 352, 353 HGB handele, daß sie aber doch wie solche behandelt werden (Düringer-Hachenburg, a. a. O., § 215 Anm. 19). Die Einlagen, für die Bauzinsen zu zahlen sind, verwandeln sich nicht in Fremdkapital, werden aber doch wie Fremdkapital behandelt (Düringer-Hachenburg, a. a. O., § 215 Anm. 21). Der Anspruch auf die Bauzinsen ist zwar aus der Mitgliedschaft entstanden, hat sich aber von dieser losgelöst und die Natur eines Gläubigerrechts angenommen. Er kann daher durch Beschluß der Hauptversammlung nicht aufgehoben oder geschmälert werden und stellt im Konkurs der Gesellschaft eine echte Konkursforderung dar (Düringer-Hachenburg, a. a. O., § 215 Anm. 19; v. Godin-Wilhelmi, a. a. O., § 57 Anm. 10; Fischer in Großkommentar Aktiengesetz, 2. Aufl., § 54 Anm. 15; Schlegelberger-Quassowski, a. a. O., § 54 Anm. 8). Insofern ähnelt der Anspruch auf Bauzinsen dem Anspruch des Aktionärs auf die beschlossene Dividende (Düringer-Hachenburg, a. a. O., § 216 Anm. 19; v. Godin-Wilhelmi, a. a. O., § 57 Anm. 10), unterscheidet sich aber von ihm in entscheidenden Punkten. Der "Gläubigeranspruch" des Aktionärs auf Dividende setzt voraus, daß ein Bilanzgewinn ausgewiesen ist und daß die Hauptversammlung die Verteilung dieses Gewinns beschlossen hat (§§ 52, 126 AktG 1937; Baumbach-Hueck, Aktiengesetz, 10. Aufl., § 52 Anm. 4 D). Der Gläubigeranspruch des Aktionärs auf die Bauzinsen entsteht dagegen spätestens mit dem Ablauf des Geschäftsjahres, ohne Rücksicht darauf, ob ein Gewinn erzielt worden ist und ohne daß es einer ihn begründenden Beschlußfassung der Hauptversammlung bedürfte. Das Recht der Aktionäre auf Zahlung von Bauzinsen stellt daher wirtschaftlich eine anders geartete und stärkere Belastung der Gesellschaft dar als das Recht auf Dividende.

2. Diese zivilrechtliche Gestaltung hat mangels zwingender Gegengründe auch das Steuerrecht zu beachten (vgl. Urteile des BFH IV 213/60 S vom 5. Juni 1964, BFH 81, 138, BStBl III 1965, 49, und I 200/65 vom 29. Mai 1968, BFH 93, 414, BStBl II 1969, 11). Für das Steuerrecht fällt entscheidend ins Gewicht, daß der Anspruch auf Bauzinsen kraft besonderer gesetzlicher Vorschrift nicht als gesellschaftsrechtlicher, sondern als schulrechtlicher Anspruch entsteht. Das bedeutet, daß die Ursächlichkeit des Gesellschaftsverhältnisses, die das entscheidende Tatbestandsmerkmal für verdeckte Gewinnausschüttungen (§ 6 Abs. 1 Satz 2, § 7 KStG) wie auch für die verdeckten Einlagen, darstellt (BFH-Urteile I 261/63 vom 16. März 1967, BFH 89, 208, BStBl III 1967, 626; I 187/65 vom 29. Mai 1968, BFH 93, 62, BStBl II 1968, 722), und an deren Rechtsfolgen durch dieses Urteil nichts geändert werden soll, bei der Zahlung von Bauzinsen nicht als vorliegend erachtet werden kann. Eine andere Beurteilung könnte geboten sein, wenn die Bauzinsen unangemessen hoch wären. Dafür, daß dies der Fall sei, sind im Streitfall keine Anhaltspunkte vorhanden.

Daß die Zahlung der Bauzinsen keine offene Gewinnausschüttung (§ 7 KStG) darstellt, bedarf keiner näheren Begründung. Die Bauzinsen sind in dem zur Verteilung zur Verfügung stehenden Bilanzgewinn nicht mehr enthalten, da sie wegen ihrer zivilrechtlichen Gleichstellung mit den Fremdkapitalzinsen im Jahresabschluß als Aufwendungen auszuweisen sind (Adler-Düring-Schmaltz, a. a. O., § 157 Anm. 104, 106).

Damit steht dem Abzug der Bauzinsen als Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4, § 5 Satz 2 EStG a. F., § 6 Abs. 1 Satz 1 KStG) nichts mehr im Wege.

3. Der RFH hat durch Urteil I A 782/29, a. a. O., entschieden, Bauzinsen seien jedenfalls dann keine Gewinnausschüttung, wenn ihre Zahlung sich als Rückzahlung von Grundkapital darstelle. Er hat im damaligen Streitfall eine Rückzahlung von Grundkapital schon deshalb angenommen, weil die Aktivposten - darunter auch die aktivierten Bauzinsen - auf der einen Seite und das Grundkapital und die Verbindlichkeiten - darunter auch die Rückstellung für Bauzinsen - auf der anderen Seite ausgeglichen und Reserven, aus denen die Bauzinsen hätten gezahlt werden können, nicht vorhanden gewesen seien. Der Streitfall und der Fall des RFH gleichen sich darin, daß die Bauzinsen aktiviert und passiviert sind und daß den Aktivposten lediglich das Grundkapital und die Verbindlichkeiten, einschließlich der Rückstellungen, aber keine Rücklagen und kein Gewinn gegenüberstehen. In beiden Fällen fand eine echte Rückzahlung von Grundkapital, d. h. eine Verminderung des Grundkapitals, sei es auch durch den Ansatz eines Verlustes auf der Aktivseite der Bilanz, nicht statt. Gegen die Einordnung der Bauzinsen als Rückzahlung von Grundkapital spricht, daß sie im Widerspruch stünde zu § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Dort sind die "Zinsen" - das sind nach allgemeiner Meinung nur die aktienrechtlichen Bauzinsen (Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 20 EStG, Anm. 17; Blümisch-Falk, Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., § 20 Anm. 3; Littmann, Das Einkommensteuerrecht, § 20 Anm. 15; Lenski in Hartmann-Böttcher-Grass, Großkommentar zur Einkommensteuer, § 20 Anm. 2 b; Bühler-Paulick, Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, § 20 EStG, Anm. 3) - neben den Gewinnanteilen (Dividenden) als Einkünfte aus Kapitalvermögen aufgezählt. Die Bauzinsen können daher im allgemeinen keine Bezüge aus Kapitalrückzahlung sein. Andererseits folgt der Senat insofern dem Grundgedanken des RFH-Urteils I A 782/29, a. a. O., als er gegen die Abzugsfähigkeit der Bauzinsen Bedenken hätte, soweit trotz Zahlung oder Passivierung der Bauzinsen in der Handelsbilanz ein Gewinn oder ein Gewinnvortrag ausgewiesen wäre oder Rücklagen zur Verteilung des Gewinns zur Verfügung stünden.

4. Bei dieser Sach- und Rechtslage tritt die weitere Frage, ob die Bauzinsen als Teil der Herstellungskosten der errichteten Anlagen aktiviert werden können, in den Hintergrund. Da nach den Anträgen der Beteiligten nur der Betrag der Körperschaftsteuer streitig ist, der sich aus der Hinzurechnung der Bauzinsen als verdeckte Gewinnausschüttungen ergibt, kann der Senat nicht darüber entscheiden, ob die von der Steuerpflichtigen gewählte Aktivierung der Bauzinsen auch steuerrechtlich zu billigen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69030

BStBl II 1970, 529

BFHE 1970, 547

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