Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsschutzinteresse und Vorläufigkeit

 

Leitsatz (NV)

Eine Anfechtungsklage verliert nicht allein dadurch das Rechtsschutzinteresse, daß der angefochtene Bescheid hinsichtlich der streitigen Punkte im Klageverfahren für vorläufig erklärt (und zum Verfahrensgegenstand gemacht) wird.

 

Normenkette

AO 1977 § 165; FGO §§ 68, 74

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Die vor dem Finanzgericht (FG) zunächst vor allem wegen eines Bekanntgabeproblems und vorsorglich auch wegen Verfassungswidrigkeit der Kinderfreibetragsregelung erhobene Klage gegen den Bescheid über Lohnsteuer-Jahresausgleich 1986 vom 15. Oktober 1987 in Gestalt der Einspruchsentscheidung führte, nachdem der Kläger und Revisionskläger (Kläger) seine formell- rechtlichen Einwände fallen gelassen hatte, schließlich dazu, daß der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) am 26. April 1993 einen inhaltsgleichen, aber in folgenden Punkten nach §165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) in der für das Streitjahr geltenden Fassung vorläufigen Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid für 1986 erließ:

-- Grundfreibetrag (§32 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --)

-- Kinderfreibeträge (§32 Abs. 6 EStG)

-- Beschränkung beim Abzug der Vorsorgeaufwendungen (§10 Abs. 3 EStG)

-- Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen (§12 EStG).

Diesen Bescheid machte der Kläger nach §68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens und beantragte in der mündlichen Verhandlung in erster Linie Aussetzung des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Höhe der Kinderfreibeträge, hilfsweise Änderung des Bescheids vom 26. April 1993 und Berücksichtigung höherer Kinderfreibeträge und Vorsorgeaufwendungen sowie der privaten Schuldzinsen, hilfsweise Erlaß eines Vorlagebeschlusses zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der bisherigen gesetzlichen Regelungen dieser Fragen.

Das FG wies die Klage durch Prozeßurteil mit der Begründung ab, es fehle das Rechtsschutzbedürfnis: Durch die Änderung des angefochtenen Bescheids sei den Belangen des Klägers in ausreichendem Maße Rechnung getragen worden.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen Rechts. Er meint, das Verfahren hätte im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Streitpunkte ausgesetzt werden müssen. Zu Unrecht habe das FG das Rechtsschutzinteresse verneint.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt nach §126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Das FG hätte kein Prozeßurteil erlassen dürfen. Das Rechtsschutzinteresse für die Klage war nicht allein dadurch entfallen, daß das FA den angefochtenen Bescheid wegen der durch die Klage aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Streitpunkte für vorläufig erklärte (s. dazu u. a. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 18. September 1992 III B 43/92, BFHE 169, 110, BStBl II 1993, 123; vom 10. Februar 1995 III B 73/94, BFHE 176, 435, BStBl II 1995, 415, und vom 30. Dezember 1996 X B 89/95, BFH/NV 1997, 462). -- Das Verfahren hätte -- nach Fixierung des Klagebegehrens -- gemäß §74 FGO ausgesetzt werden müssen (BFH in BFHE 169, 110, BStBl II 1993, 123, und in BFHE 176, 435, BStBl II 1995, 415). Darin, daß dies nicht geschehen ist, liegt ein grundlegender Verfahrensverstoß (vgl. Gräber, FGO, 4. Aufl., §74 Rz. 12, 14 und §118 Rz. 50, m. w. N.), der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG (§126 Abs. 3 Nr. 2 FGO) zur Folge hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66562

BFH/NV 1998, 560

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