Leitsatz (amtlich)

Eine erkennbar der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen dienende Steuerfahndungsprüfung hemmt auch dann die Verjährung, wenn die geprüfte Person nicht zu dem einer Betriebsprüfung unterliegenden Personenkreis i. S. der § 162 Abs. 10 und 11, § 193 AO gehört.

 

Normenkette

AO § 146a Abs. 3, § 162 Abs. 10-11, § 193

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die in den Veranlagungszeiträumen 1963 bis 1965 zusammenveranlagt worden sind.

Am 30. Juni 1969 ist gegen den Kläger anläßlich einer bei ihm durchgeführten Steuerfahndungsprüfung nach § 432 der Reichsabgabenordnung (AO) durch einen Prüfer der Steuerfahndungsstelle E die Untersuchung wegen des Verdachts von Steuerstraftaten eingeleitet worden. Die am 30. Juni 1969 begonnene Prüfung wurde aus dienstlichen Gründen 1972 unterbrochen. Sie wurde am 11. Juli 1974 wieder aufgenommen und im Dezember 1974 beendet. Das Steuerstrafverfahren ist im Jahre 1975 eingestellt worden.

Nach dem Inhalt des Prüfungsberichts hat der Prüfer für die Streitjahre 1963 bis 1965 einen ungeklärten Vermögenszuwachs von 162 000 DM festgestellt, den er in Höhe von 41 000 DM auf unversteuert gebliebene Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und in Höhe von 121 000 DM auf gleichfalls unversteuert gebliebene sonstige Einkünfte i. S. von § 22 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zurückführte. Dementsprechend berichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Einkommensteuerbescheide 1963 bis 1965 durch Sammelbescheid vom 8. Januar 1976.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, daß die Steueransprüche nicht verjährt seien, da der Ablauf der Verjährungsfrist gemäß § 146 a Abs. 3 AO durch die Steuerfahndungsprüfung gehemmt worden sei. Die Ansprüche seien auch nicht verwirkt. Die Höhe der Schätzungen sei nicht zu beanstanden. Denn nach dem Sachverhalt sei davon auszugehen, daß der ungeklärte Vermögenszuwachs voll aus nicht versteuerten Einkünften stamme.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts. Sie machen geltend: Die Steueransprüche seien verjährt. Denn die auf § 432 AO gestützte Steuer fahndungsprüfung sei keine Betriebsprüfung i. S. der § 162 Abs. 10 und 11, § 193 AO gewesen. Auch habe der Prüfungsauftrag den Umfang der Prüfung nicht erkennen lassen. Es sei ihm, dem Kläger, lediglich mitgeteilt worden, daß wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung das Strafverfahren gegen ihn eröffnet und der Fahndungsbeamte mit der Durchführung einer Vermögenszuwachsprüfung beauftragt worden sei. Ein derartiger Auftrag sei nicht hinreichend konkretisiert. Die durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen hätten daher auch nicht nach § 146 a Abs. 3 AO den Ablauf der Verjährung hemmen können. Im übrigen seien die Steueransprüche aufgrund der mehr als zweijährigen Unterbrechung der Fahndungsprüfung auch als verwirkt anzusehen. Aus der Untätigkeit der Finanzverwaltung hätten die Kläger den Schluß ziehen können, daß die Steueransprüche nicht mehr geltend gemacht würden. Ihr Prozeßbevollmächtigter habe sich wegen der dilatorischen Behandlung der Fahndungsprüfung im Januar 1975 an den zuständigen Referenten der Oberfinanzdirektion (OFD) gewandt und die Einlegung einer Dienstaufsichtsbeschwerde erwogen. Erst im Anschluß daran sei der auf den 30. Dezember 1974 datierte Prüfungsbericht zugesandt worden.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Steueransprüche sind nicht verjährt.

1. Wird vor Ablauf der Verjährungsfrist mit einer Betriebsprüfung begonnen, so verjähren gemäß § 146 a Abs. 3 AO die Ansprüche, auf die sich die Betriebsprüfung erstreckt, nicht, bevor die ergangenen Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind oder dem Steuerpflichtigen die Mitteilung zugegangen ist, daß eine Festsetzung unterbleibt.

a) Die fünfjährige Verjährungsfrist der Einkommensteuerforderungen für die Veranlagungszeiträume 1963 und 1964 (§ 144 AO a. F.) wurde durch die erstmaligen Steuerbescheide vom 31. März 1965 und vom 14. April 1966 unterbrochen. Nach § 147 Abs. 3 AO a. F. begann mit Ablauf der Jahre 1965 und 1966 jeweils eine neue fünfjährige Verjährungsfrist, die Ende 1970 bzw. 1971 abgelaufen wäre, wenn ihr Ablauf nicht gehemmt worden wäre.

Die Einkommensteuerforderung für den Veranlagungszeitraum 1965 ist mit Ablauf des Jahres 1965 entstanden (§ 3 Abs. 5 Nr. 1 c des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -). Ihre Verjährung richtet sich gemäß Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 (AOÄG) nach den §§ 143 bis 149 AO n. F. Da die Einkommensteuererklärung 1965 im Jahre 1967 abgegeben wurde, begann die Verjährung gemäß § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO n. F. mit Ablauf des Jahres 1967 und wäre am 31. Dezember 1972 vollendet gewesen, wenn der Ablauf der Frist nicht gehemmt worden wäre.

b) Der Ablauf der Verjährungsfrist war gemäß § 146 a Abs. 3 AO gehemmt. Denn die von der Steuerfahndungsstelle 1969 begonnene und 1974 beendete Prüfung war eine Betriebsprüfung i. S. von § 146 a Abs. 3 AO.

Was als Betriebsprüfung zu gelten hat, ist in der Reichsabgabenordnung nicht näher festgelegt. Der mehrfach im Gesetz vorkommende Begriff "Betriebsprüfung" (vgl. § 36 Abs. 4, § 100 Abs. 2, § 146 a Abs. 3, § 162 Abs. 11 und § 222 Abs. 1 Nr. 2) wird ohne nähere Abgrenzung jeweils mit verschiedener Zweckrichtung verwendet, so daß ein einheitlicher, sämtlichen Bestimmungen der Reichsabgabenordnung zugrunde liegender Inhalt des Begriffs nicht festgestellt werden kann (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3. Juni 1975 VII R 46/72, BFHE 116, 95, BStBl II 1975, 786). § 146 a Abs. 3 AO nimmt anders als § 36 Abs. 4 und § 100 Abs. 2 AO nicht auf die § 162 Abs. 10 und 11, § 193 AO Bezug; nach der Wortfassung dieser Vorschrift kann somit nicht davon ausgegangen werden, daß nur eine Betriebsprüfung i. S. der § 162 Abs. 10 und 11, § 193 AO als verjährungshemmende Betriebsprüfung anzusehen ist. Dafür, daß der Begriff "Betriebsprüfung" i. S. von § 146 a Abs. 3 AO funktionell zu verstehen ist und auch auf gesetzlicher Grundlage ergehende steuerliche Sonderprüfungen einschließt (vgl. auch Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1.-6. Aufl., Anm. 9 zu § 146 a AO; ebenso Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., Anm. 4 zu § 146 a AO, sofern die Fahndungsprüfung auf bestimmte Steueransprüche beschränkt ist), sprechen sowohl der Sinn und Zweck als auch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes.

Der Gesetzgeber verfolgte mit dieser durch das Gesetz zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 eingefügten Bestimmung das Ziel, die bis dahin sehr weitgehenden Möglichkeiten der Verjährung einzugrenzen. Aus diesem Grund ist die Bestimmung des § 147 AO a. F., nach der jede Ermittlungshandlung des FA eine Unterbrechung der Verjährung zur Folge hatte, aufgehoben worden. An ihre Stelle ist die Hemmung des Verjährungsablaufs durch den Beginn der Betriebsprüfung getreten, die dazu dienen soll, der Verwaltung Zeit für die Klärung schwieriger Zusammenhänge zu verschaffen. Es kann deshalb unter "Betriebsprüfung" nicht jede, sondern nur eine besonders qualifizierte Ermittlungshandlung des FA verstanden werden. Sie muß für den Steuerpflichtigen erkennbar darauf gerichtet sein, den für die richtige Anwendung der Steuergesetze wesentlichen Sachverhalt zu prüfen und ggf. die sich aus dem Sachverhalt ergebenden Steueransprüche zu ermitteln (vgl. u. a. Urteile des BFH vom 6. Mai 1975 VII R 109/72, BFHE 116, 2, BStBl II 1975, 723; VII R 46/72; vom 8. Oktober 1976 VI R 251/74, BFHE 120, 324, BStBl II 1977, 223; vom 21. Februar 1978 VII R 117/74, BFHE 124, 416, BStBl II 1978, 360). Diese Voraussetzungen kann auch eine Steuerfahndungsprüfung erfüllen. Denn die Fahndungsstellen werden gewöhnlich in doppelter Funktion tätig (vgl. auch Koch, Kommentar zur Abgabenordnung 1977, § 171, Anm. 20; Kühn/Kutter, Abgabenordnung 1977, § 208, 1. und 2.). Es obliegt ihnen die Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten. Deren Erforschung ist in der Regel mit steuerlichen Ermittlungen verbunden; deshalb ist den Fahndungsstellen auch die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen übertragen (vgl. § 21 Abs. 3 des Gesetzes über die Finanzverwaltung - FVG - i. d. F. des Gesetzes zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze - AOStrafÄndG - vom 10. August 1967, BGBl I 1967, 877, BStBl I 1967, 327 und des 2. AOStrafÄndG vom 12. August 1968, BGBl I 1968, 953, BStBl I 1968, 1062, §§ 421 f., §§ 432, 433, 439 AO; § 208 der Abgabenordnung - AO 1977 -).

Die Qualifizierung einer derartigen Tätigkeit als Betriebsprüfung entspricht dem Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften. Sie berücksichtigt einerseits das Interesse des Steuerpflichtigen, der über Wesen und Bedeutung einer solchen Prüfung nicht im unklaren gelassen werden darf. Sie trägt andererseits aber auch den Belangen der Verwaltung Rechnung, die im Hinblick auf die Beschränkung der Unterbrechungsmöglichkeiten unverändert in der Lage sein muß, den Eintritt der Verjährung der Abgabenansprüche zu verhindern, die den Gegenstand der Prüfung bilden.

Das FG hat unter Beachtung dieser Grundsätze zutreffend entschieden, daß auch die von der Steuerfahndungsstelle E durchgeführte Prüfung ihrer Funktion nach eine besondere Form der Betriebsprüfung darstellte. Denn sie hatte erkennbar die Ermittlung eines steuererheblichen Sachverhalts bei dem Kläger zum Gegenstand. Sie war auf die Nachprüfung und Aufklärung eines ungeklärten Vermögenszuwachses gerichtet und diente damit auch der zutreffenden Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen. Dieses Ziel konnte nicht durch eine einzelne Ermittlungsmaßnahme erreicht werden, sondern erforderte eine eingehende Prüfung des Sachverhalts.

Der Einwand des Klägers, der Prüfungsauftrag sei nicht genau umrissen gewesen, trifft nicht zu. Dem Kläger wurde bei Einleitung des Strafverfahrens mitgeteilt, daß bei ihm wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung eine Vermögenszuwachsprüfung durchgeführt werde. Auch die Höhe des ungeklärten Vermögenszuwachses wurde ihm bekanntgegeben. Er war damit über den Grund, die Art und den Inhalt der Prüfung ausreichend unterrichtet.

Einer Betriebsprüfung i. S. von § 146 a Abs. 3 AO steht nicht entgegen, daß der Kläger nach den Feststellungen des Prüfers nicht unternehmerisch tätig war. Denn das Erfordernis einer Prüfung im funktionellen Sinne bedeutet nicht, daß einer Steuerfahndung nur dann eine verjährungshemmende Wirkung zukommt, wenn der Steuerpflichtige zu dem einer Betriebsprüfung unterliegenden Personenkreis i. S. der § 162 Abs. 10, 11 und § 193 AO gehört. Eine solche Betrachtung würde nicht dem Umstand Rechnung tragen, daß die mit weitergehenden Befugnissen ausgestattete Steuerfahndung die Besteuerungsgrundlagen in gleicher Weise zu ermitteln hat wie die Betriebsprüfung, daß aber eine solche Prüfung wegen der der Steuerfahndung obliegenden Erforschung von Steuerstraftaten naturgemäß nicht auf den einer Betriebsprüfung unterliegenden Personenkreis beschränkt sein kann.

Die Auffassung des Senats widerspricht nicht dem Urteil des BFH vom 18. Mai 1977 I R 36/75 (BFHE 122, 248, BStBl II 1977, 652). Dort ist entschieden, daß eine Prüfungsmaßnahme des Betriebsprüfers bei einer nicht der Betriebsprüfung unterliegenden Person die Verjährung des Steueranspruchs nicht hemmt. Darüber, ob auch die Steuerfahndungsprüfung als verjährungshemmende Betriebsprüfung i. S. des § 146 a Abs. 3 AO anzusehen ist, brauchte der BFH bei dem jenem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt nicht zu entscheiden. Soweit jenes Urteil (I R 36/75) weitergehende Ausführungen zum Begriff der Betriebsprüfung i. S. des § 146 a Abs. 3 AO enthält, tragen diese die Entscheidung nicht.

Die Ausführungen des Senats stehen auch nicht im Widerspruch zu dem Beschluß vom 21. November 1972 VII B 80/71 (BFHE 107, 360, BStBl II 1973, 130), in dem der BFH entschieden hat, daß eine nur auf die richtige Anwendung des Außenwirtschaftsrechts und nicht gleichzeitig auch auf die zutreffende Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen gerichtete Prüfung der Zollfahndungsstelle die Verjährung der Abgabenansprüche nicht hemmt.

2. Auch der Einwand der Verwirkung greift nicht durch. Eine Verwirkung kommt nur dann in Betracht, wenn der Berechtigte während eines längeren Zeitraums untätig geblieben ist und der Verpflichtete daraus entnehmen konnte, daß diese Untätigkeit endgültig sein sollte (BFH-Urteil vom 14. September 1977 II R 74/76, BFHE 123, 299, BStBl II 1978, 168; Tipke/Kruse, a. a. O., § 2 AO Anm. 44). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Auch wenn man die zweijährige Unterbrechung als einen längeren Zeitraum in diesem Sinne ansieht, fehlt es an Anhaltspunkten dafür, daß die Kläger hieraus auf eine Nichterhebung der Steuer schließen konnten. Denn eine längere Prüfungsunterbrechung kann verschiedene Ursachen haben. Sie kann auf der Notwendigkeit beruhen, weitere Sachverhaltsermittlungen z. B. im Wege der Amts- oder Rechtshilfe anzustellen. Sie kann durch eine Verhinderung des zuständigen Prüfers oder sonstige dienstliche Gründe veranlaßt sein. Auch dem Pflichtigen nicht zumutbare Verzögerungen, gegen die er erforderlichenfalls im Rahmen des Dienstaufsichtsverfahrens oder im Rechtswege angehen kann, rechtfertigen nicht den Schluß, daß der Steuergläubiger auf die Geltendmachung des Steueranspruchs verzichtet hat. Auch ist dem Vortrag des Klägers, er habe sich an die OFD gewandt und wegen der schleppenden Fahndungsprüfung eine Dienstaufsichtsbeschwerde erwogen, nicht zu entnehmen, daß er einen derartigen Schluß tatsächlich gezogen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73128

BStBl II 1979, 453

BFHE 1979, 128

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