Leitsatz (amtlich)

Das FA muß eine ihm bei Durchführung der Einkommensteuerveranlagung nicht bekannt gewesene Tatsache dann als bekannt gegen sich gelten lassen, wenn bei unvollständig ausgefüllter Steuererklärung die ergänzungsbedürftigen Angaben nach ihrem Erklärungsinhalt auf einen steuerlich relevanten Sachverhalt schließen lassen. Das ist der Fall, wenn die unvollständigen Angaben in der Einkommensteuererklärung zu Zweifeln Anlaß geben, ob für Bausparbeiträge der Sonderausgabenabzug oder die Gewährung einer Prämie in Betracht kommt.

 

Normenkette

AO § 222 Abs. 1 Nr. 1; EStG 1967 § 10 Abs. 4

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat in seiner Einkommensteuererklärung für 1969, die am 10. November 1970 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) eingegangen ist, Beiträge an Bausparkassen in Höhe von 9 277 DM als Sonderausgaben geltend gemacht. Die Bausparverträge hatte er im März 1966 und im Dezember 1969 abgeschlossen. In den Zeilen 32 und 33 der Anlage A, die auszufüllen sind, falls für Bausparbeiträge der Sonderausgabenabzug begehrt wird, hat der Kläger die Frage in Zeile 32, ob er, sein Ehegatte oder eines seiner Kinder für das Kalenderjahr 1969 eine Wohnungsbau-Prämie oder Sparprämie beantragt habe, nicht verneint. Seine Angaben in Zeile 33, die die Beantragung einer Wohnungsbau-Prämie oder Sparprämie voraussetzen, sind unvollständig. Als Prämienberechtigte hat der Kläger sich und seine Ehefrau und als Unternehmen oder Institut "Kreissparkasse H" bezeichnet. Die Fragen nach Art und Nummer des Vertrags, Datum des Vertragsabschlusses und der Inanspruchnahme einer Wohnungsbau- oder Sparprämie blieben unbeantwortet. In den Vorjahren hatte der Kläger die Bausparkassenbeiträge nicht als Sonderausgaben geltend gemacht und angegeben, daß eine Wohnungsbau-Prämie in Anspruch genommen worden sei. Das FA berücksichtigte antragsgemäß die Bausparkassenbeiträge im Rahmen der Sonderausgabenhöchstbeträge. Zusammen mit der Erstellung des Eingabewertbogens für die Veranlagung 1969 erging am 11. November 1970 eine Konrollmitteilung an die Prämienstelle mit der Bitte um Unterrichtung innerhalb von 14 Tagen, falls ein Sparprämienantrag vorliege, der früher gestellt worden sei. Am 15. Januar 1971 teilte die Prämienstelle der Veranlagungsstelle mit, daß der Kläger am 24. Februar 1970 bei seinem Kreditinstitut einen Antrag auf Gewährung einer Sparprämie gestellt habe, die ihm am 31. August 1970 gutgeschrieben worden sei. Der Einkommensteuerbescheid 1969 war dem Kläger bereits am 10. Dezember 1970 zugesandt worden. Das FA berichtigte daraufhin den Einkommensteuerbescheid nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO und ließ die Zahlungen an die Bausparkasse auf Grund des im Dezember 1969 abgeschlossenen Bausparvertrags nicht mehr zum Abzug als Sonderausgaben zu.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG sah die Voraussetzungen für eine Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO als gegeben an. Die Sparprämiengewährung sei als neue Tatsache anzusehen. Der Kläger habe die einschlägigen Zeilen in der Steuererklärung nur unvollständig ausgefüllt. Wegen dieses Mangels habe das FA auch bei der Prämienstelle rückgefragt. Die verspätete Unterrichtung der Veranlagungsstelle könne dem Kläger allerdings nicht angelastet werden. Auf Fehler des FA könnten sich aber nur Steuerpflichtige berufen, die ihrer Mitwirkungspflicht nachgekommen seien. Bei sorgfältiger Ausfüllung des Erklärungsvordrucks hätte der Kläger die fehlerhafte Veranlagung mit größter Wahrscheinlichkeit vermeiden können. Bei der gebotenen Abwägung läge daher das größere Verschulden bei ihm. Das FA habe die Antwort der Prämienstelle auch nicht abzuwarten brauchen. In der Mehrzahl der Fälle seien die Steuererklärungen nämlich eindeutig ausgefüllt, und die Auskunft der Prämienstelle gebe keinen Anlaß, von den Erklärungen abzuweichen.

Mit seiner Revision rügt der Kläger unrichtige Rechtsanwendung durch das FG. Die Berichtigungsveranlagung sei unzulässig, weil es an der erforderlichen Voraussetzung einer neuen Tatsache i. S. von § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO fehle. Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung und den Einkommensteuerberichtigungsbescheid für 1969 aufzuheben.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Es ist davon auszugehen, daß die ursprüngliche Einkommensteuerveranlagung 1969 unrichtig war; denn die Beiträge an die Bausparkassen durften nicht als Sonderausgaben abgezogen werden, weil der Kläger bereits vor Abgabe der Steuererklärung die Gewährung einer Prämie nach dem Sparprämiengesetz beantragt hatte (§ 10 Abs. 4 EStG 1967). Wegen der Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids 1969 konnte dieser aber nur unter den Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO berichtigt werden. Diese liegen entgegen der Entscheidung des FG nicht vor. § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO macht die Berichtigung des Steuerbescheids davon abhängig, daß neue Tatsachen "bekannt" werden. Nach der Rechtsprechung des BFH ist eine Tatsache dann neu, wenn sie dem FA nach Abzeichnung der Veranlagungsverfügung durch den zuständigen Bearbeiter zur Kenntnis gelangt (BFH-Urteil vom 23. August 1963 VI 150/62 U. BFHE 77, 463, BStBl III 1963, 489). Dem FG ist darin zu folgen, daß das FA erst durch die Mitteilung der Prämienstelle am 15. Januar 1971 eindeutig darüber unterrichtet wurde, daß die Voraussetzungen für die Berücksichtigung der Bausparbeiträge als Sonderausgaben nicht vorlagen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH hat aber eine nicht bekannt gewesene Tatsache dann als bekannt zu gelten, wenn die Veranlagungsstelle des FA sie bei sorgfältiger Erfüllung ihrer Ermittlungspflicht (§ 204 AO) festgestellt hätte. Dabei kommt allerdings auch der Verpflichtung des Steuerpflichtigen zur Abgabe einer klaren und eindeutigen Steuererklärung besondere Bedeutung zu (BFH-Urteil vom 19. Oktober 1971 VIII R 27/66, BFHE 103, 404, BStBl II 1972, 106). Die unvollständige Ausfüllung des Erklärungsvordrucks rechtfertigt aber dann keine Berichtigungsveranlagung, wenn die ergänzungsbedürftigen Angaben des Steuerpflichtigen nach ihrem Erklärungsinhalt bereits auf einen steuerlich relevanten Sachverhalt schließen lassen, wenn dieser auch nicht in allen Einzelheiten dargestellt worden ist. Das ist hier der Fall. Der Kläger hat in Zeile 32 der Anlage A zur Einkommensteuererklärung 1969 angegeben, daß er eine Prämie beantragt hat. Er hat zwar nicht im einzelnen angeführt, ob es sich um eine Wohnungsbau- oder Sparprämie handelt und auch keine näheren Angaben zu dem entsprechenden Vertrag gemacht. Da er die Kreissparkasse H als Institut benannt hat, lag jedoch die Annahme einer Sparprämie nahe. Von dieser Mitteilung hing aber die grundsätzliche Frage des Sonderausgabenabzugs der streitigen Bausparbeiträge von 8 899 DM nicht ab. Da der Kläger das Abschlußjahr für den Bausparvertrag mit 1969 angegeben hatte, konnte das FA auch nicht davon ausgehen, daß das Kumulierungsverbot nach § 52 Abs. 11 EStG 1967 entfallen könnte; denn das hätte vorausgesetzt, daß die Bausparkassenbeiträge und die prämienbegünstigten Aufwendungen auf Grund von vor dem 9. Dezember 1966 geschlossenen Verträgen geleistet worden wären. Schließlich kann auch aus dem Verhalten des Klägers in den Vorjahren kein Berichtigungsgrund hergeleitet werden. Die Tatsache, daß er 1967 und 1968 die Bausparbeiträge nicht als Sonderausgaben erklärt, sondern eine Wohnungsbau-Prämie beantragt hat und über die Wahlmöglichkeit zwischen den steuerlichen Berücksichtigungsformen unterrichtet war, besagt nichts über den Umfang seiner Kenntnisse auf dem Gebiet des großen Kumulierungsverbots, d. h. den gegenseitigen Ausschluß einer Sonderausgabenbegünstigung für Bausparbeiträge einerseits und einer Begünstigung nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz und dem Sparprämiengesetz andererseits. Wenn sich das FA schon nicht veranlaßt sah, auf Grund der Angaben des Klägers den Sonderausgabenabzug zu versagen, so hätte es bestehende Zweifel aber im Rahmen des Veranlagungsverfahrens klären müssen. Bei diesem Sachverhalt durfte das FA seine Anfrage an die Prämienstelle jedenfalls nicht als Routinemaßnahme ansehen und den Einkommensteuerbescheid vor Eingang der Antwort an den Kläger absenden.

Der Revision des Klägers war daher stattzugeben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71315

BStBl II 1975, 369

BFHE 1975, 318

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