Leitsatz (amtlich)

1. Es besteht kein Anlaß, den Begriff des Unternehmers in § 193 Abs. 1 Satz 1 AO dahin einzuschränken, daß er nur Personen erfaßt, die steuerpflichtige Umsätze erzielen.

2. Wenn der Tatbestand erfüllt ist, der nach § 193 AO eine Nachschau zuläßt, können bei deren Durchführung alle für die Besteuerung wesentlichen Umstände mitgeprüft werden, die sonst nach § 204 AO im Steuerermittlungsverfahren zu prüfen wären.

 

Normenkette

AO § 193

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) ordnete durch Verfügung vom 9. Dezember 1969 unter Berufung auf § 160 Abs. 2 und § 193 AO eine Betriebsprüfung bei der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) an, die sich auf die Einkommensteuer und die Vermögensteuer für die Jahre 1965 bis 1967 erstrecken sollte. Es teilte der Klägerin mit, es würden Unterlagen benötigt über die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und aus Kapitalvermögen und über die als Sonderausgaben abgezogenen Schuldzinsen sowie Steuerbescheide, aus denen die im Prüfungszeitraum geleisteten Voraus- und Abschlußzahlungen für Kirchen- und Vermögensteuer ersichtlich seien. In den Prüfungsjahren war die Klägerin mit Einkünften aus Gewerbebetrieb, nichtselbständiger Arbeit, Kapitalvermögen (nur 1967) und Vermietung und Verpachtung veranlagt worden. Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb ergaben sich aus der Beteiligung an zwei Personengesellschaften. Das FA hat der Klägerin nicht mitgeteilt, daß sie nach § 160 Abs. 2 AO in Verbindung mit §§ 2 und 5 der Verordnung zur Durchführung des § 160 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung vom 24. März 1932 (RGBl I 1932, 165) aufzeichnungspflichtig sei.

Die gegen die Prüfungsanordnung erhobene Beschwerde wies die OFD als unbegründet zurück. Auch die sodann erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das FG führte in seinem Urteil aus:

Die Anordnung der Betriebsprüfung finde in vollem Umfang ihre Rechtsgrundlage in § 193 Abs. 1 AO. Der in dieser Vorschrift enthaltene Begriff des "Unternehmers" stimme mit dem des § 2 UStG 1951 überein. Die Klägerin sei Unternehmerin, weil sie als Vermieterin von unbeweglichen Sachen steuerbare, wenn auch nach § 4 Nr. 10 Buchst. a UStG 1951 steuerbefreite Umsätze erziele. Das FA sei befugt gewesen, die Prüfung für die Einkommensteuer und Vermögensteuer anzuordnen, auch wenn diese Steuerarten nicht bzw. nicht vollständig auf die unternehmerische Tätigkeit bezogen seien. Es sei ferner befugt gewesen, bezüglich der Einkommensteuer die Prüfung nicht nur auf die unternehmerischen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, sondern auch auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen und auf die Sonderausgaben zu erstrecken. Keinesfalls könne aus der Tatsache, daß als nachschaupflichtiger Personenkreis Unternehmer erfaßt würden, gefolgert werden, daß sich der Gegenstand der Nachschau nur auf unternehmensbezogene Steuern oder Besteuerungsgrundlagen erstrecke. Nach dem Wortlaut des Gesetzes erstrecke sich die Nachschau auf die Unternehmer, bei denen eine Steuerpflicht in Betracht komme. Ob das der Fall sei, könne nur zutreffend geprüft werden, wenn alle Besteuerungsgrundlagen in die Prüfung einbezogen würden.

Diese Rechtsauffassung werde auch gestützt durch Sinn und Zweck des § 193 AO. Da die Prüfungsanordnung ihre Rechtsgrundlage unmittelbar in § 193 AO finde, könne dahingestellt bleiben, ob außerdem § 193 in Verbindung mit § 160 Abs. 2 AO und § 27 UStG 1951 in Verbindung mit §§ 15 ff. UStDB 1951 anwendbar seien.

Mit der Revision macht die Klägerin geltend: Der Begriff der Nachschau sei im Gesetz nicht erläutert; es handele sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Die Nachschau sei nach der Ansicht von Hübschmann-Hepp-Spitaler (Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 193 AO Anm. 2 b) durch die Einführung der allgemeinen Steueraufsicht weitgehend überdeckt und habe nur im Bereich der Zölle und Verbrauchsteuern noch eine selbständige Bedeutung. Deshalb habe sogar das FA § 193 Abs. 1 AO nicht als ausreichende Rechtsgrundlage angesehen und die Anordnung der Betriebsprüfung zuerst auf § 160 Abs. 2 AO gestützt. Für den Prüfungszeitraum 1965 bis 1967 sei die Aufzeichnungspflicht in § 161 Abs. 1 Nr. 2 AO in der bis zum 30. September 1968 gültig gewesenen Fassung geregelt. Danach seien die steuerpflichtigen Unternehmer zur Führung von Aufzeichnungen verpflichtet. Wenn für die Abgrenzung des Begriffes "Unternehmer" in § 193 Abs. 1 AO das Umsatzsteuerrecht maßgebend sei, dann müsse das gleiche für den Begriff "steuerpflichtig" gelten. Daraus folge, daß für steuerbare, aber nach § 4 Nr. 10 Buchst. a UStG 1951 steuerbefreite Umsätze keine Aufzeichnungspflicht bestanden habe. In diesem Sinne habe der X. Senat des FG Düsseldorf die Vorschrift des § 161 Abs. 1 Nr. 2 AO in einer Entscheidung vom 5. Dezember 1974 ausgelegt. Selbst wenn aber der erkennende Senat in diesem Punkte zu einer anderen Auffassung gelangen sollte, könnte die Aufzeichnungspflicht für Mieteinnahmen nicht dazu führen, daß auch die Führung von Einnahme- und Ausgabeaufzeichnungen in bezug auf Einkünfte aus Kapitalvermögen verlangt werden könnte. Es sei allgemein bekannt und häufig in der Fachliteratur beklagt worden, daß die Rechtsgrundlagen für die Betriebsprüfung unzulänglich seien. Mit der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für die Betriebsprüfung - Betriebsprüfungsordnung (Steuer) - vom 23. Dezember 1965 (BStBl I 1966, 46) sei der Versuch unternommen worden, die Befugnisse der Finanzbehörden sowie die Mitwirkungspflichten und die Rechte der Steuerpflichtigen bei der Durchführung von Betriebsprüfungen im Rahmen der Reichsabgabenordnung zu regeln. Als Rechtsgrundlagen der Betriebsprüfung würden in Abs. 1 der Einführung zur Betriebsprüfungsordnung (Steuer) in Verbindung mit der Anlage 1 die §§ 204 und 205, § 162 Abs. 10 und 11, § 193 Abs. 1 und § 201 AO genannt. Der Begriff "Nachschau" werde aber auch in der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) nicht erläutert. In dem Aufsatz von Kötter ("Die Betriebsprüfung". Neue Wirtschafts-Briefe Fach 17 S. 709) werde die Nachschau nicht erwähnt und ausgeführt, daß die Vorschriften der Reichsabgabenordnung über die Betriebsprüfung spärlich und ohne rechten Zusammenhang seien. Die Betriebsprüfung sei eines der stärksten Eingriffsrechte des Staates. Sie bedürfe daher eindeutiger und klarer Rechtsgrundlagen. Eine solche rechtsstaatliche Grundlage könne § 193 Abs. 1 AO nicht sein. Einen Fall wie den vorliegenden hätten ihre Prozeßbevollmächtigten in ihrer mehr als 30jährigen Berufstätigkeit nicht erlebt. Die Prüfungsanordnung sei um so unverständlicher, als immer wieder darüber geklagt werde, daß die Finanzverwaltung bei Mittel- und Kleinbetrieben keine laufenden Betriebsprüfungen durchführen könne, weil es an Prüfern fehle. Es liege ein grober Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung darin, daß bei ihr eine Betriebsprüfung angeordnet worden sei, während das bei allen anderen Steuerpflichtigen, die nicht nach § 162 Abs. 10 und 11 AO zu prüfen seien, unterbleibe. Bei der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Prüfungsanordnung sei auch zu berücksichtigen, daß das FA alle für eine ordnungsmäßige Besteuerung erforderlichen Angaben in den Steuererklärungen und den diesen beigefügten Anlagen erhalten habe und seine der Aufklärung des Sachverhalts dienende Rückfragen stets sofort beantwortet worden seien.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und der Klage stattzugeben.

Das FA und die nach § 61 FGO dem Verfahren beigetretene OFD beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Das FG hat die Klage gegen die Verfügung des FA vom 9. Dezember 1969 zu Recht abgewiesen; denn diese Verfügung war nicht rechtswidrig. Die in ihr enthaltene Anordnung einer Betriebsprüfung bei der Klägerin war durch § 193 Abs. 1 Satz 1 AO gerechtfertigt.

Nach § 193 Abs. 1 Satz 1 AO kann das FA für Zwecke der Besteuerung u. a. bei Unternehmern, die einer Steuer unterliegen oder bei denen nach dem Ermessen des FA eine Steuerpflicht in Betracht kommt, auch außerhalb des Steuerermittlungsverfahrens Nachschau halten. Diese Nachschau ist eine Betriebsprüfung (vgl. § 36 Abs. 4, § 100 Abs. 2 AO; Urteil des BFH vom 31. Mai 1972 IV R 70/67, BFHE 106, 259, BStBl II 1972, 778). Dem FA wird durch § 193 Abs. 1 Satz 1 AO das Recht eingeräumt, innerhalb des Steueraufsichtsverfahrens, also ohne Rücksicht darauf, ob es bereits das Verfahren zur Ermittlung eines bestimmten Steueranspruchs eröffnet hat, bei steuerpflichtigen Unternehmern der genannten Art nachzuschauen, ob "alles in Ordnung" ist. Gegenstand und sachliche Grenzen der Nachschau bestimmen sich aus ihrem Zweck je nach dem Inhalt des in Betracht kommenden Steuergesetzes. Die Nachschau geht zwar im allgemeinen von den vorgefundenen Aufzeichnungen und Belegen aus und mündet mehr oder weniger in die Prüfung von Büchern ein, so daß dann auch die Befugnis des FA zur Buchprüfung nach § 162 Abs. 10 AO als Rechtsgrundlage für das Vorgehen des FA in Betracht kommen kann. Gleichwohl besteht aber die Ermächtigung des FA zur Nachschau nach § 193 Abs. 1 AO selbständig neben den übrigen Befugnissen des FA (BFH-Urteil IV R 70/67).

Unternehmer im Sinne des § 193 Abs. 1 Satz 1 AO ist jeder, der eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt (Urteil des RFH vom 23. November 1932 IV A 51/32, RStBl 1932, 1151; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 193 AO, Randnr. 3; Hübschmann-Hepp-Spitaler, a. a. O., § 193 AO, Randnr. 2 b; Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung, § 193, Randnr. 1248). Das FG hat festgestellt, daß die Klägerin als Vermieterin unbeweglicher Sachen steuerbare, jedoch nach § 4 Nr. 10 Buchst. a UStG 1951 steuerbefreite Umsätze erzielt. Es geht davon aus, daß sie insoweit Unternehmerin im Sinne des Umsatzsteuergesetzes ist. Das hat die Klägerin in der Revision ausdrücklich anerkannt, und der erkennende Senat hat keinen Anlaß, daran zu zweifeln. Die Klägerin war demnach auch Unternehmerin im Sinne des § 193 Abs. 1 Satz 1 AO.

Es besteht kein Anlaß, den Begriff des Unternehmers in § 193 Abs. 1 Satz 1 AO dahin einzuschränken, daß er nur Personen erfaßt, die steuerpflichtige Umsätze erzielen. Eine solche Einschränkung enthält selbst das Umsatzsteuergesetz nicht. Sie kann auch nicht aus § 161 Abs. 1 Nr. 2 AO a. F. hergeleitet werden, wonach für Zwecke der Umsatzsteuer "die nach dem Umsatzsteuergesetze steuerpflichtigen Unternehmer" verpflichtet waren, zur Feststellung der Entgelte Aufzeichnungen zu machen. Die mit dieser Vorschrift geregelte Buchführungspflicht war nur für eine auf § 162 Abs. 10 AO gestützte Betriebsprüfung wesentlich, nicht aber für das durch § 193 Abs. 1 AO geschaffene selbständige Institut der Nachschau.

Die Auffassung der Klägerin, die Nachschau nach § 193 Abs. 1 AO habe seit der Einführung der allgemeinen Steueraufsicht nur noch im Bereich der Zölle und Verbrauchsteuern eine selbständige Bedeutung, ist mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbar.

Der erkennende Senat tritt dem FG auch darin bei, daß bezüglich der Einkommensteuer die im Rahmen der Nachschau vorzunehmende Prüfung nicht auf die aus der unternehmerischen Tätigkeit erzielten Einkünfte beschränkt werden muß. Auch für eine solche Einschränkung der Nachschau läßt sich aus § 193 Abs. 1 AO nichts herleiten. Da die Nachschau bei Unternehmern zulässig ist, "bei denen nach dem Ermessen des FA eine Steuerpflicht in Betracht kommt". muß davon ausgegangen werden, daß das Gesetz dem FA das Recht einräumt, die Nachschau auf alle Umstände zu erstrecken, die für die Entscheidung, ob eine Steuerpflicht besteht, wesentlich sind. Wenn also der Tatbestand erfüllt ist, der nach § 193 AO eine Nachschau zuläßt, dann können bei deren Durchführung alle für die Besteuerung wesentlichen Umstände mitgeprüft werden, die somit nach § 204 AO im Steuerermittlungsverfahren zu prüfen wären.

Da im vorliegenden Falle die Betriebsprüfungsanordnung des FA durch § 193 Abs. 1 Satz 1 AO gerechtfertigt ist, kann es nicht darauf ankommen, ob die Rechtsgrundlagen für Betriebsprüfungen allgemein als unzulänglich empfunden werden. Inwiefern § 193 Abs. 1 Satz 1 AO rechtsstaatlichen Anforderungen nicht entsprechen soll, hat die Klägerin nicht dargetan; es ist auch nicht ersichtlich. Die Vorschrift entbehrt insbesondere nicht der für Eingriffsnormen erforderlichen Klarheit.

Die Ausführungen, mit denen die Klägerin rügt, es handele sich hier um eine ungewöhnliche, sachlich nicht gerechtfertigte Ausnahmemaßnahme, sind auf neues tatsächliches Vorbringen gestützt, mit dem die Klägerin im Revisionsverfahren nicht mehr gehört werden kann (vgl. § 118 Abs. 1 und 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 71761

BStBl II 1976, 233

BFHE 1976, 201

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