Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen

 

Leitsatz (NV)

Von der Ausübung des Amtes als Richter ist grundsätzlich nicht gemäß § 51 Abs. 2 FGO ausgeschlossen, wer als Beamter des FA bei demselben Steuerpflichtigen in einem Verfahren über die Festsetzung einer anderen Steuerart mitgewirkt hat, selbst wenn in diesem Verfahren ein identischer Lebenssachverhalt in einer parallelen Weise zu werten gewesen sein sollte. Dies bedeutet aber nicht, daß dieser Richter nicht gegebenenfalls wegen bestehender Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden könnte.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 2, 1 S. 1; ZPO § 42 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG (Urteil vom 18.06.1987; Aktenzeichen II 144/83)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 16.02.1990; Aktenzeichen 1 BvR 103/89)

 

Tatbestand

Streitig ist in der Sache die Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerbescheide 1977 bis 1980, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) aufgrund der Feststellungen einer Außenprüfung erlassen hatte.

Nach erfolgloser Durchführung des Vorverfahrens hatte das FG der Klage des Klägers nur teilweise stattgegeben. Die Revision gegen sein Urteil hat das FG nicht zugelassen. An der Entscheidung hat der Richter am FG X mitgewirkt.

Mit seiner Revision rügt der Kläger als wesentlichen Mangel des Verfahrens i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 51 Abs. 2 FGO, daß X nicht an der Entscheidung des FG hätte mirwirken dürfen. X sei zumindest im ganzen Jahr 1984 als Verwaltungsbeamter mit Steuerangelegenheiten des Klägers befaßt gewesen. Insbesondere sei er am . . . als Sitzungsvertreter des FA in der Sitzung des V. Senats des FG in dem Rechtsstreit wegen der Umsatzsteuerfestsetzungen 1977 bis 1980 aufgetreten. Gleichzeitig sei er zu dieser Zeit mit der parallel liegenden Einkommensteuerangelegenheit befaßt gewesen. Zusätzlich habe er auch das daran anschließende Vollstreckungsverfahren gegen den Kläger betrieben.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es führt aus, X sei bis zum . . . 1985 beim FA als Sachgebietsleiter und ständiger Vertreter des Vorstehers tätig gewesen. Als zuständiger Sachgebietsleiter habe er das Vollstreckungsverfahren gegen den Kläger betrieben. Weder dies noch der Umstand, daß er in der Umsatzsteuersache vor dem FG aufgetreten sei, führe zu seinem Ausschluß gemäß § 51 Abs. 2 FGO in der Einkommensteuersache 1977 bis 1980, weil es sich hierbei um ein anderes Verfahren handle.

Den vorgelegten Steuerakten ist nicht zu entnehmen, daß X als Finanzbeamter an der u. a. die Einkommensteuer 1978 bis 1980 betreffenden Außenprüfung, an der Festsetzung der Einkommensteuer 1978 bis 1980 oder an dem hiergegen gerichteten außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren mitgewirkt hat. Dies hat auch das FA dargelegt und der Kläger nicht bestritten.

X hat als Finanzbeamter in der hier streitigen Einkommensteuersache lediglich in einem Schriftsatz vom . . . 1983 in Vertretung für das FA um weitere Fristverlängerung für die Abgabe einer Stellungnahme zur Klagebegründung gebeten. Die Stellungnahmen zur Sache sind für das FA von einer anderen Person unterzeichnet.

In der die Umsatzsteuer 1978 bis 1980 betreffenden Streitsache des Klägers hat X als Finanzbeamter - ebenfalls mit Schriftsatz vom . . . 1983 - um Fristverlängerung für die Stellungnahme zur Klage gebeten und ist außerdem vor dem für USt-Sachen zuständigen Senat des FG am . . . 1983 als Bevollmächtigter des FA aufgetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig.

Die Revision ist auch ohne Zulassung gegeben, wenn als wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird, daß bei der Entscheidung des FG ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war (§ 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO). Die Revision ist hiernach im Streitfall statthaft.

Die Revision ist unbegründet.

Nach § 119 Nr. 2 FGO ist das Urteil eines FG stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war.

Nach den Vorschriften über die Ausschließung und Ablehnung von Richtern (vgl. insbesondere § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. §§ 41, 42 der Zivilprozeßordnung - ZPO -, § 51 Abs. 2 FGO) kann sich die Ausschließung über eine Prüfung von Amts wegen oder aufgrund einer entsprechenden Ablehnung (vgl. § 42 Abs. 1 Alternative 1 ZPO) ergeben. Die Voraussetzungen für eine Ausschließung des X haben im Streitfall nicht vorgelegen.

1. Nach § 51 Abs. 2 FGO ist von der Ausübung des Amtes als Richter ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat. § 51 Abs. 2 FGO ergänzt den in § 41 Nr. 6 ZPO genannten Ausschließungsgrund (vgl. z. B. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 29. Januar 1965 VII C 84/62, Verwaltungs-Rechtsprechung - VerwRspr. - 17, 637). Es soll auch derjenige als Richter von der Entscheidung ausgeschlossen sein, dessen Mitwirken an der im Verwaltungsverfahren getroffenen Entscheidung zu der Berfürchtung Anlaß bietet, er habe sich in der Sache festgelegt und könne seine richterliche Entscheidung nicht mehr mit der gebotenen Objektivität treffen (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. April 1978 VII R 7/78, BFHE 125, 33, BStBl II 1978, 401; vom 15. Juli 1987 X R 15/81, BFH/NV 1988, 446).

a) ,,Mitgewirkt" hat hiernach nicht nur derjenige Amtsträger, der unmittelbar die Entscheidung in dem eigentlichen Verwaltungsverfahren getroffen hat, das zu der gerichtlich zu überprüfenden Entscheidung geführt hat (vgl. zur Frage, welches Verwaltungsverfahren maßgeblich ist z. B. BFH-Urteil vom 25. Mai 1971 VII R, 55/69, BFHE 102, 192, BStBl II 1971, 501; VerwRspr. 17, 637), sondern auch derjenige, dessen Sachbehandlung für dieses Verwaltungsverfahren von ,,finaler Verbindlichkeit" gewesen ist (vgl. BVerwG-Urteil vom 17. April 1975 V CB 4/74, Bayerische Verwaltungsblätter - BayVBl - 1976, 55; enger allerdings wohl BVerwG-Beschluß vom 18. Januar 1983 7 CA 55/78, Die Öffentliche Verwaltung - DÖV - 1983, 552). Hiernach stellen nicht nur Maßnahmen der Aufsichtsbehörde (BVerwG-Urteil vom 8. Februar 1977 V C 071/75, BVerwGE 52, 47), die Teilnahme an Erörterungen der Sache als Verhandlungsleiter (BVerwG-Urteil vom 26. Oktober 1978 5 CB 50/74, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 310, § 54 VwGO Nr. 25), die beratende Betätigung in der Sache (BFHE 125, 33, BStBl II 1978, 401), sondern auch die bezüglich der Steuerfestsetzung vorausgegangene Anordnung einer Außenprüfung bzw. die Teilnahme an der Schlußbesprechung über die Ergebnisse der Außenprüfung (BFH-Urteile vom 28. September 1984 III R 87/84, nicht veröffentlicht; vom 15. Juli 1987 X R 15/81, a. a. O.) eine Mitwirkung i. S. v. § 51 Abs. 2 FGO dar.

Dagegen fällt nicht mehr unter den Begriff der Mitwirkung im ,,vorausgegangenen Verwaltungsverfahren" i. S. v. § 51 Abs. 2 FGO, wenn ein Beamter in einem Verfahren über die Festsetzung einer anderen Steuerart mitgewirkt hat, selbst wenn in diesem Verfahren ein identischer Lebenssachverhalt in einer parallelen Weise zu werten gewesen sein sollte.

b) Hiernach hat X in der streitigen Einkommensteuersache nicht ,,im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt".

X ist nicht deshalb als Richter ausgeschlossen gewesen, weil er während des finanzgerichtlichen Verfahrens über die Einkommensteuersache für das FA um Fristverlängerung zur Stellungnahme nachgesucht hat. Denn die Stellung eines solchen Antrags hat für alle Beteiligten erkennbar keinen Einfluß auf die materiellrechtliche Wertung der Sache haben können.

Ein Ausschluß von der Entscheidung über die Einkommensteuerfestsetzung 1977 bis 1980 kann auch nicht daraus abgeleitet werden, daß X in der die Umsatzsteuerfestsetzung 1977 bis 1980 betreffenden Streitsache vor einem anderen Senat des FG als Sitzungsvertreter des FA aufgetreten ist. Die Umsatzsteuer ist eine andere Steuerart als die Einkommensteuer. Die Mitwirkung des X im Umsatzsteuerverfahren hat deshalb nicht seinen Ausschluß von der Ausübung des Richteramts in der Einkommensteuersache zur Folge haben können.

Ferner konnte es auch nicht zur Ausschließung des X geführt haben, daß X als zuständiger Sachgebietsleiter des FA das Vollstreckungsverfahren aus den im Anschluß an die Außenprüfung ergangenen Steuerfestsetzungen betrieben hat. Denn das Vollstreckungsverfahren ist ein anderes Verfahren als das Steuerfestsetzungsverfahren; es setzt die Steuerfestsetzung voraus (vgl. § 251 der Abgabenordnung - AO 1977 -; siehe bezüglich des Beitreibungsverfahrens auch § 218 Abs. 1 AO 1977). Gemäß § 256 AO 1977 sind Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt außerhalb des Vollstreckungsverfahrens mit den hierfür zugelassenen Rechtsbehelfen zu verfolgen.

Der Vortrag des Klägers, daß X auch im laufenden Einspruchsverfahren gegen die auf die Außenprüfung hin ergangenen Steuerfestsetzungen in der Sache tätig gewesen sei, ist, was die Einkommensteuerfestsetzung 1977 bis 1980 betrifft, unzutreffend.

2. Schließlich ist X in der die Einkommensteuerfestsetzung 1977 bis 1980 betreffenden Streitsache auch nicht wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 1 ZPO). Dies ergibt sich aus der Sitzungsniederschrift vom 18. Juni 1987 über den Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem FG. Hiernach hat sich der Prozeßbevollmächtigte des Klägers in Kenntnis des Sachverhalts in die Verhandlung, an der auch X als Richter beteiligt war, eingelassen und Anträge gestellt. Damit hat der Kläger ein etwaiges Ablehnungsrecht verloren (§ 43 ZPO).

Daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers von der früheren Tätigkeit des X in der Finanzverwaltung Kenntnis hatte, folgt schon daraus, daß er in dem die Umsatzsteuersache 1977 bis 1980 betreffenden Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem USt-Senat des FG am . . . 1984, an dem auch G als Sitzungsvertreter des FA beteiligt war, als Prozeßbevollmächtigter des Klägers aufgetreten ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415887

BFH/NV 1989, 441

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