Entscheidungsstichwort (Thema)

Verlust der wirtschaftlichen Identität einer GmbH; Änderung von Steuerbescheiden aufgrund irriger Beurteilung desselben Sachverhalts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Verlust der wirtschaftlichen Identität einer GmbH gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 setzt voraus, dass zwischen der Übertragung der Gesellschaftsanteile und der Zuführung neuen Betriebsvermögens ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht. Werden Anteile mehr als ein Jahr vor einem Branchenwechsel und der Zuführung neuen Betriebsvermögens übertragen, kann ein derartiger Zusammenhang nicht unterstellt werden. Maßgeblich sind vielmehr die Gegebenheiten des Einzelfalles (Anschluss an Senatsurteil vom 26. Mai 2004 I R 112/03, BFHE 206, 533, BStBl II 2004, 1085, sowie Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2004 I B 115/04, BFHE 209, 53, BStBl II 2005, 528; Abweichung vom BMF-Schreiben vom 16. April 1999, BStBl I 1999, 455 Tz. 12 und 33).

2. Ist das FA im Körperschaftsteuerbescheid 1997 sowie im Verlustfeststellungsbescheid zum 31. Dezember 1997 davon ausgegangen, eine GmbH habe ihre wirtschaftliche Identität gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. im Jahr 1997 verloren, und werden diese Bescheide auf Antrag der GmbH aufgehoben, kann das FA grundsätzlich den bestandskräftigen Verlustfeststellungsbescheid zum 31. Dezember 1996 wegen widerstreitender Steuerfeststellungen gemäß § 174 Abs. 4 AO 1977 ändern, wenn es nunmehr davon ausgeht, der Verlust der wirtschaftlichen Identität sei nach § 8 Abs. 4 KStG 1996 a.F. bereits im Jahr 1996 eingetreten.

 

Normenkette

AO 1977 § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 174 Abs. 1 S. 1, Abs. 3-4, § 181 Abs. 1 S. 1; KStG 1996 § 8 Abs. 4; GewStG 1991 § 10a S. 4; EStG § 10d

 

Verfahrensgang

FG des Landes Brandenburg (Urteil vom 17.08.2004; Aktenzeichen 2 K 2411/03; EFG 2005, 748)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, ist aus der E-GmbH hervorgegangen, deren Unternehmensgegenstand der Handel und Verkauf von Eisenwaren, Siedlerbedarf, Arbeitsbekleidung, Sportartikeln aller Art sowie der Betrieb eines Kiosks war. Die E-GmbH wurde am 10. Juni 1992 errichtet; alleinige Gesellschafterin war zunächst die EM-GmbH, deren alleiniger Gesellschafter A war. Geschäftsführer der E-GmbH war ebenfalls A.

Am 19. Januar 1993 übertrug die EM-GmbH 25 v.H. ihrer Beteiligung an der E-GmbH auf B, am 28. Dezember 1994 weitere 75 v.H., so dass B nunmehr alleinige Gesellschafterin der E-GmbH wurde.

Am 22. Mai 1996, dem Streitjahr, schenkte B die Hälfte ihrer Beteiligung an der E-GmbH ihrem Ehemann A. Am selben Tag änderte die E-GmbH ihre Firma in die der Klägerin. Zugleich änderte sie den Unternehmensgegenstand, indem sie sich nunmehr mit der Ausführung von Dachklempnerarbeiten befasste. Weiterhin kündigte die Klägerin ihre Geschäftsräume "wegen Geschäftsaufgabe" zum 29. Februar 1996 und bezog im April 1996 neue Geschäftsräume in derselben Gemeinde.

Die E-GmbH erzielte in den Jahren 1992 bis 1996 Umsätze in Höhe von 166 173,26 DM (1992), 294 245,09 DM (1993), 258 099,62 DM (1994), 226 737,97 DM (1995) und 424 221,61 DM (1996). Das Anlagevermögen belief sich in den Jahresabschlüssen 1992 bis 1995 auf zwischen 1 104 DM und 7 137 DM.

In den Veranlagungszeiträumen 1993 bis 1995 erwirtschaftete die E-GmbH Verluste, so dass die Körperschaftsteuer wie auch der Gewerbesteuermessbetrag auf jeweils 0 DM festgesetzt wurden. Den verbleibenden Verlustabzug zur Körperschaftsteuer stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) zum 31. Dezember 1993 auf 16 340 DM, zum 31. Dezember 1994 auf 54 284 DM und zum 31. Dezember 1995 auf 100 358 DM fest. Den vortragsfähigen Gewerbeverlust stellte das FA auf den 31. Dezember 1993 in Höhe von 16 375 DM, auf den 31. Dezember 1994 in Höhe von 33 655 DM sowie auf den 31. Dezember 1995 in Höhe von 90 956 DM fest.

Am 8. März 1996 teilte die Prozessbevollmächtigte dem FA mit, dass der Betrieb der E-GmbH ab dem 29. Februar 1996 ruhe, am 2. Mai 1996, dass er zum 19. April 1996 wieder aufgenommen worden sei.

In ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1996 erklärte die Klägerin einen Verlust in Höhe von 84 827,98 DM. In dem Verlust waren außerordentliche Aufwendungen in Höhe von 150 392,02 DM wegen der Ausbuchung des Warenbestandes der E-GmbH enthalten. Im Anlageverzeichnis waren die Betriebs- und Geschäftsausstattung zum 1. Januar 1996 mit 5 840 DM ausgewiesen sowie Zugänge im Jahr 1996 in Höhe von 66 310 DM verzeichnet. Im Lagebericht zur Bilanz führte die Klägerin aus, dass der Einzelhandelsbetrieb der E-GmbH zum 29. Februar 1996 eingestellt worden sei. In den Monaten Januar und Februar 1996 habe ein Ausverkauf stattgefunden, der jedoch nicht die Erwartungen erfüllt habe, so dass die Ausbuchung des Warenbestandes geboten gewesen sei. Sie habe im April 1996 den Betrieb in Gestalt eines Dachklempnerunternehmens aufgenommen. Die Klägerin erzielte im März 1996 keine Umsätze.

Das FA setzte die Körperschaftsteuer für das Streitjahr auf 0 DM, den verbleibenden Verlustabzug zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 1996 stellte es in Höhe von 184 934 DM und den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 1996 in Höhe von 175 532 DM fest. Die Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der AbgabenordnungAO 1977―).

In ihrem Jahresabschluss zum 31. Dezember 1997 wies die Klägerin einen Jahresüberschuss in Höhe von 36 243,25 DM aus. In dem Körperschaftsteuerbescheid für 1997 vom 7. Oktober 1998 berücksichtigte das FA zunächst einen Verlustabzug aus dem zum 31. Dezember 1996 festgestellten Verlustvortrag und setzte die Körperschaftsteuer in Höhe von 0 DM fest. Zugleich stellte es den verbleibenden Verlustabzug zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 1997 in Höhe von 151 937 DM fest. Der festgestellte vortragsfähige Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 1997 betrug 139 468 DM. Auch diese Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

Im Rahmen einer 1999 durchgeführten Außenprüfung bei der Klägerin gelangte die Außenprüferin zu der Auffassung, dass der Verlustabzug im Jahr 1997 nach § 8 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes 1996 (KStG 1996 n.F.) i.d.F. des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 (BGBl I 1997, 2590, BStBl I 1997, 928) für die Gewerbesteuer i.V.m. § 10a Satz 4 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG 1991) zu versagen sei. Denn im April 1996 habe ein Branchenwechsel von einer Einzelhandelstätigkeit zur Dachklempnerei stattgefunden, und innerhalb der letzten fünf Jahre sei es zu einem 100%igen Gesellschafterwechsel gekommen. Damit sei die wirtschaftliche Identität nicht mehr gegeben und der Verlustabzug im Jahr 1997 zu versagen.

Das FA ging im Körperschaftsteuerbescheid 1997 vom 2. März 2000 von einem zu versteuernden Einkommen von 28 997 DM aus und berücksichtigte keinen Verlustvortrag aus dem Jahre 1996. Den verbleibenden Verlustabzug zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 1997 stellte es auf 0 DM fest. Ebenso verfuhr es mit dem vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 1997.

In dem folgenden Klageverfahren führte das Finanzgericht (FG) in der mündlichen Verhandlung aus, dass die wirtschaftliche Identität der Klägerin bereits im Jahr 1996 verloren gegangen sein dürfte. Dementsprechend hätte der Verlustabzug wohl bereits im Veranlagungszeitraum 1996 nach § 8 Abs. 4 KStG 1996 a.F. versagt werden müssen. Wegen der sich aus den Verlustfeststellungsbescheiden zum 31. Dezember 1996 ergebenden Bindungswirkung nach § 182 AO 1977 sei eine Korrektur dieser Bescheide nach § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. zum 31. Dezember 1997 nicht mehr möglich. Das FA sagte daraufhin zu, für das Jahr 1997 entsprechende Änderungsbescheide zu erlassen, und die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

Am 18. April 2002 hob das FA die Bescheide des Jahres 1997 auf. Am 18. Februar 2003 erließ es geänderte Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 1996 sowie über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1996. Es stellte den verbleibenden Verlustabzug zur Körperschaftsteuer nur noch in Höhe von 84 576 DM und den vortragsfähigen Verlust zur Gewerbesteuer in Höhe von 84 576 DM fest. Den zum 31. Dezember 1995 festgestellten Verlust berücksichtigte das FA nicht.

Die Änderung stützte das FA auf § 174 Abs. 4 AO 1977. Es begründete dies damit, dass die Voraussetzungen für die Verlustkürzung nach § 8 Abs. 4 KStG 1996 a.F. bereits im Jahr 1996 erfüllt gewesen seien, denn die Klägerin habe im Jahr 1996 den Einzelhandel mit Eisenwaren eingestellt und die Tätigkeit der Dachklempnerei aufgenommen. Darüber hinaus seien mit Verträgen vom 19. Januar 1993 und vom 28. Dezember 1994 mehr als 75 v.H. der Geschäftsanteile übertragen worden. Schließlich seien im Jahr 1996 erhebliche Anlagezugänge zu verzeichnen gewesen.

Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das FG war der Auffassung, die Voraussetzungen für eine Änderung der streitigen Bescheide nach § 174 Abs. 4 AO 1977 lägen nicht vor. Die Entscheidung des FG des Landes Brandenburg vom 17. August 2004 2 K 2411/03 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 748 veröffentlicht.

Mit seiner Revision rügt das FA eine Verletzung des § 174 Abs. 4 AO 1977.

Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten, ohne einen Antrag zu stellen. Es ist der Auffassung, § 8 Abs. 4 KStG 1996 erfordere sowohl in seiner ursprünglichen als auch in seiner neuen Fassung nur einen zeitlichen, nicht dagegen einen sachlichen Zusammenhang zwischen der Übertragung der Gesellschaftsanteile und der Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens (BMF-Schreiben vom 16. April 1999, BStBl I 1999, 455 Tz. 12, 33).

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

Das FG hat zu Unrecht die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 (i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1) AO 1977 verneint.

1. Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde oder das Gericht zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert worden ist, können aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden (§ 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977).

Irrige Beurteilung eines Sachverhaltes bedeutet, dass sich die Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltes nachträglich als unrichtig erweist (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 19. November 2003 I R 41/02, BFH/NV 2004, 604; vom 18. März 2004 V R 23/02, BFHE 205, 402, BStBl II 2004, 763, jeweils m.w.N.). Unter einem "bestimmten" Sachverhalt i.S. des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 ist der einzelne Lebensvorgang zu verstehen, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft. Der Begriff des bestimmten Sachverhalts ist dabei nicht auf eine einzelne steuererhebliche Tatsache oder ein einzelnes Merkmal beschränkt, sondern erfasst den einheitlichen, für diese Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex (BFH-Urteile in BFH/NV 2004, 604, und in BFHE 205, 402, BStBl II 2004, 763, jeweils m.w.N.). Unerheblich ist, ob der für die rechtsirrige Beurteilung maßgebliche Fehler im Tatsächlichen oder im Rechtlichen gelegen hat (BFH-Urteile in BFH/NV 2004, 604, und in BFHE 205, 402, BStBl II 2004, 763, sowie vom 2. Mai 2001 VIII R 44/00, BFHE 195, 14, BStBl II 2001, 562).

Die Vorschrift ermöglicht es den Finanzbehörden, im Falle der Aufhebung oder Änderung einer unrichtigen Steuerfestsetzung oder Feststellung von Besteuerungsgrundlagen auf Betreiben des Steuerpflichtigen den nunmehr unberücksichtigten Sachverhalt in dem richtigen Bescheid zu erfassen. Der Steuerpflichtige soll im Falle seines Obsiegens an seiner Auffassung festgehalten werden, soweit derselbe Sachverhalt zu beurteilen ist (BFH-Beschlüsse vom 21. Mai 2005 V B 30/03, BFH/NV 2004, 1497, und vom 10. Juli 2003 I B 150/02, BFH/NV 2003, 1535). Anders als § 173 AO 1977 setzt demnach § 174 Abs. 4 AO 1977 die volle Kenntnis der Finanzbehörde über den Sachverhalt zum Zeitpunkt des Erlasses des unrichtigen Steuerbescheides voraus.

Nicht erforderlich ist aber, dass die Folgeänderung unter dieselbe steuerliche Vorschrift fällt. So kann etwa, nachdem die Feststellung eines Aufgabegewinnes aufgehoben wurde, der laufende Gewinn erhöht werden (BFH-Urteil vom 8. Juni 2000 IV R 65/99, BFHE 192, 207, BStBl II 2001, 89). Auch müssen die Rechtsfolgen in den Bescheiden nicht übereinstimmen (BFH-Urteil vom 18. Februar 1997 VIII R 54/95, BFHE 183, 6, BStBl II 1997, 647).

2. Im Streitfall liegen die Voraussetzungen einer Änderung nach § 174 Abs. 4 AO 1977 vor.

a) Das Klageverfahren der Klägerin gegen den Körperschaftsteuerbescheid 1997 sowie gegen die Bescheide über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes und des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 1997 (Steuerbescheide 1997) war erfolgreich, da nach Auffassung des FG, der sich das FA angeschlossen hat, die Klägerin ihre wirtschaftliche Identität bereits im Jahr 1996 verloren hat. Wegen der Bindungswirkung der Verlustfeststellungsbescheide zum 31. Dezember 1996 konnte ―so die Auffassung des FA und des FG― der bereits zuvor eingetretene Verlust der wirtschaftlichen Identität nicht berücksichtigt werden (Senatsurteil vom 22. Oktober 2003 I R 18/02, BFHE 204, 273, BStBl II 2004, 468). Das FA hat im Anschluss daran, gestützt auf § 8 Abs. 4 KStG 1996 a.F. und § 10a Satz 4 GewStG 1991, geänderte Bescheide über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts und des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 1996 erlassen und der Klägerin darin den Verlustabzug gemäß § 10d des Einkommensteuergesetzes ―EStG― (i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 1996) versagt.

b) Diese unterschiedliche Einschätzung beruht nicht auf zusätzlichen Erkenntnissen über den tatsächlichen Sachverhalt, sondern auf einer abweichenden rechtlichen Würdigung der durch die Betriebsprüfung ermittelten Tatsachen.

Voraussetzung für den Verlustabzug nach § 10d EStG ist bei einer Körperschaft, dass sie nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat (§ 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1996). Nach § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 a.F. fehlt einer Kapitalgesellschaft die wirtschaftliche Identität insbesondere dann, wenn ―bezogen auf das gezeichnete Kapital― mehr als 75 v.H. der Geschäftsanteile übertragen werden, überwiegend neues Vermögen zugeführt und der Geschäftsbetrieb mit diesem neuen Betriebsvermögen wieder aufgenommen wird. Demgegenüber genügt nach der Neufassung des § 8 Abs. 4 KStG 1996 bereits eine Anteilsübertragung zu mehr als 50 v.H. für den Verlust der wirtschaftlichen Identität. Ferner ist nicht nur die Einstellung und Wiederaufnahme schädlich, sondern reicht die Fortführung des Geschäftsbetriebes.

Dem FA war spätestens durch die Betriebsprüfung bekannt, dass die Klägerin 1996 ihre Branche gewechselt hatte, ihr in diesem Jahr überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt und am 19. Januar 1993 sowie am 28. Dezember 1994 insgesamt 100 v.H. der Anteile an der Klägerin übertragen worden waren. Es hatte jedoch zunächst die Auffassung vertreten, die Klägerin habe ihren Betrieb lediglich unterbrochen und danach wieder aufgenommen. Da dies für einen Verlust der wirtschaftlichen Identität nach § 8 Abs. 4 KStG 1996 a.F. nicht ausreiche, habe die Klägerin erst 1997 mit Erlass der Neuregelung in § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. ihre wirtschaftliche Identität verloren. Im Klageverfahren gegen die Steuerbescheide 1997 hat sie diese rechtliche Beurteilung aufgegeben und vertritt nunmehr die Auffassung, die Klägerin habe ihren ursprünglichen Geschäftsbetrieb im Jahr 1996 eingestellt. Das FA geht damit nicht von einem anderen Sachverhalt aus, sondern zieht aus denselben Tatsachen abweichende rechtliche Schlüsse. Ob ein Geschäftsbetrieb eingestellt oder nur unterbrochen wird, ist, wenn ―wie hier― sämtliche Tatsachen ermittelt sind, eine rechtliche Beurteilung. Die Steuerbescheide 1997 sind demnach aufgrund rechtlich irriger Beurteilung desselben Sachverhalts aufgehoben worden. Dies berechtigt das FA nach § 174 Abs. 4 AO 1977, den Sachverhalt in dem seines Erachtens zutreffenden Steuerbescheid nunmehr zu berücksichtigen.

c) Die Steuerbescheide 1997 wurden am 18. April 2002 aufgehoben, die streitgegenständlichen Bescheide am 18. Februar 2003 erlassen, mithin innerhalb eines Jahres die steuerlichen Folgerungen nach Aufhebung der Bescheide für 1997 gezogen. Der Ablauf der Feststellungsfrist steht daher dem Erlass der Bescheide nicht entgegen (§ 174 Abs. 4 Satz 3 AO 1977).

d) Ebenso wenig hindert § 174 Abs. 4 Satz 4 AO 1977 eine Änderung. War die Feststellungsfrist bereits abgelaufen, als der später aufgehobene oder geänderte Steuerbescheid erlassen wurde, dürfen nach dieser Bestimmung die richtigen steuerlichen Folgerungen aus der irrigen Beurteilung des Sachverhalts nur unter den Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 gezogen werden. Zum Zeitpunkt des Erlasses der geänderten Steuerbescheide 1997, am 2. März 2000, war die vierjährige Feststellungsfrist hinsichtlich der streitigen Bescheide noch nicht abgelaufen (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 170 Abs. 2 Nr. 1, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977), so dass die Vorschrift schon aus diesem Grund nicht eingreift.

3. Das FG ist von anderen rechtlichen Grundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung war daher aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Anhand der Feststellungen des FG lässt sich nicht abschließend beurteilen, ob die Voraussetzungen des § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. erfüllt sind.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats kann ein Branchenwechsel, verbunden mit der Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens, zu einer Einstellung des Geschäftsbetriebes und Wiederaufnahme eines (neuen) Geschäftsbetriebes führen (Senatsurteil vom 13. August 1997 I R 89/96, BFHE 183, 556, BStBl II 1997, 829; zu den Voraussetzungen für die Einstellung eines Geschäftsbetriebes s. auch Senatsurteil vom 5. Juni 2003 I R 38/01, BFHE 202, 507, BStBl II 2003, 822). Der Verlust der wirtschaftlichen Identität einer GmbH setzt jedoch außerdem voraus, dass zwischen der Übertragung der Gesellschaftsanteile und der Zuführung neuen Betriebsvermögens ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht (Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2004 I B 115/04, BFHE 209, 53, BStBl II 2005, 528; Senatsurteil vom 26. Mai 2004 I R 112/03, BFHE 206, 533, BStBl II 2004, 1085).

Das Erfordernis solcher Zusammenhänge lässt sich dem Regelungswortlaut des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 als Regelbeispiel für den Verlust der wirtschaftlichen Identität zwar nicht ohne weiteres entnehmen; die Anteilsübertragung und die Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens werden hiernach lediglich kumulativ als (objektiv zu erfüllende und typisierende) Voraussetzungen für den Verlust der wirtschaftlichen Identität der Kapitalgesellschaft bestimmt. Das Erfordernis folgt jedoch aus einer sachlich gebotenen einschränkenden Regelungsauslegung. Denn § 8 Abs. 4 KStG 1996 macht die wirtschaftliche Identität der Gesellschaft zur Voraussetzung für den Verlustabzug und qualifiziert das Fehlen dieser Identität als Abzugsausschlussgrund. Die Vorschrift begrenzt also für Kapitalgesellschaften den Verlustabzug und ist damit als Ausnahme zu § 10d EStG (i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 1996) konzipiert, letztlich, um missbräuchlichen Gestaltungen vorzubeugen; dass die Regelungsfolgen darüber hinausgehen und allgemein wirken, widerspricht dem nicht (vgl. dazu und zur Rechtsentwicklung z.B. Lang in Ernst & Young, KStG, § 8 Rz. 1247 ff.; Roser in Gosch KStG, § 8 Rz. 1396 f.; Schloßmacher in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8 KStG Anm. 413, jeweils m.w.N.; anders Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, § 8 KStG Rz. 182). So gesehen wird aber deutlich, dass es nicht genügt, wenn die einzelnen Teilschritte, derer es nach § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 bedarf, um das Fehlen der wirtschaftlichen Identität beispielhaft zu belegen, lediglich unverbunden und zufällig nebeneinander stehen. Ein sachgerechtes Normverständnis verlangt vielmehr eine Beherrschung des Geschehensablaufs durch die beteiligten (alten und neuen) Anteilseigner nach Maßgabe eines Gesamtplans (vgl. auch Förster/ Schmidtmann, Steuer und Wirtschaft 2003, 114, 124; Frotscher in Frotscher/Maas, a.a.O., § 8 KStG Rz. 187; vgl. allgemein zum Gesamtplan zuletzt BFH-Urteil vom 27. Oktober 2005 IX R 76/03, BFH/NV 2006, 642).

Der notwendige sachliche Zusammenhang lässt sich dabei regelmäßig bei Vorliegen eines zeitlichen Zusammenhangs vermuten.

Diese Vermutung greift umso mehr, je kürzer der Zeitraum zwischen der Anteilsübertragung und der Fortführung des Unternehmens nach Zuführung neuen Betriebsvermögens ist. Die von einem zeitlichen Zusammenhang ausgehende Indizwirkung kann aber von der Kapitalgesellschaft entkräftet werden, wenn sie Tatsachen und Umstände belegt, aus denen sich ergibt, dass die Fortführung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes nicht mit dem Anteilseignerwechsel zusammenhängt, sondern z.B. auf Umstände zurückzuführen ist, die nach der Anteilsübertragung eingetreten sind (vgl. auch Lang in Ernst & Young, a.a.O., § 8 Rz. 1280.5).

b) Ob diese Voraussetzung hier erfüllt ist, hat das FG ―ausgehend von seiner Rechtsauffassung zu Recht― nicht ermittelt. Da die Anteile an B mehr als ein Jahr bzw. drei Jahre vor dem Branchenwechsel und der Zuführung neuen Betriebsvermögens übertragen wurden und ferner eine weitere Anteilsübertragung auf A stattgefunden hat, kann ein derartiger Zusammenhang nicht ohne weiteres unterstellt werden.

Soweit die Finanzverwaltung ―hiervon abweichend― einen derartigen Zusammenhang durchgängig annimmt, wenn Anteilsveräußerung und Zuführung neuen Betriebsvermögens innerhalb eines Fünf-Jahres-Zeitraums erfolgen (BMF-Schreiben in BStBl I 1999, 455 Tz. 12 dort Satz 2; Oberfinanzdirektion Münster, Verfügung vom 3. August 2005, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 2005, 1532; s. auch Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Kommentar zum KStG und EStG, § 8 Abs. 4 KStG n.F. Tz. 96), ist dem nicht beizupflichten. Im Gesetz findet sich für diese Annahme keine Grundlage. Eine Fünf-Jahres-Grenze ist lediglich für den Ausnahmefall der Sanierung auch für den zeitlichen Zusammenhang im Rahmen der schädlichen Veränderungen gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. maßgebend, für den gebotenen Zusammenhang zwischen der Anteilsübertragung und der Fortführung des Unternehmens nach Zuführung neuen Betriebsvermögens jedoch nicht. Da eine feste zeitliche Grenze insoweit fehlt, kann aber andererseits auch nicht uneingeschränkt jenen Autoren gefolgt werden, die einen engen zeitlichen Rahmen verlangen, der jedenfalls nicht über den Ablauf eines Jahres hinausgeht (z.B. Lang in Ernst & Young, a.a.O., § 8 Rz. 1277 ff., 1280.2 f.; Frotscher in Frotscher/ Maas, a.a.O., § 8 KStG Rz. 187; derselbe, DStR 2002, 10, 15 Fn. 29; s. auch Simon in Heckschen/Simon, Umwandlungsrecht, 2003, § 13 Rn. 35). Es hängt vielmehr von den Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalles ab, ob ein Sach- und Zeitzusammenhang vorliegt. Die erforderlichen Feststellungen wird das FG im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1521557

BFH/NV 2006, 1419

BStBl II 2007, 602

BFHE 2007, 517

BFHE 212, 517

BB 2006, 1426

DB 2006, 1349

DB 2007, 20

DStR 2006, 1076

DStRE 2006, 830

DStZ 2006, 451

HFR 2006, 803

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