Leitsatz (amtlich)

1. Eine Teileinigung zur Enteignung im Sinne des BBauG bewirkt als solche bei einem vermieteten Grundstück nicht wirtschaftliches Eigentum des enteignungberechtigten Landes durch mittelbaren Besitz.

2. Die Teileinigung steht nicht einem Enteignungsbeschluß gleich; sie unterliegt der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung durch die Steuergerichte.

 

Normenkette

BewG § 22; StAnpG § 11; BBauG § 104 ff.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob ein Grundstück in Berlin, das der Klägerin durch Einheitswert-Bescheid auf den 1. Januar 1950 zugerechnet worden war, auf den 1. Januar 1967 dem Land Berlin zuzurechnen ist. Der Beklagte (FA) rechnete es auf den 1. Januar 1969 dem Lande Berlin (Beigeladener) im Wege der Zurechnungsfortschreibung aufgrund des Enteignungsbeschlusses des Baulandbeschaffungsamtes vom 6. September 1968 zu. Das Grundstück wurde für den Ausbau des Berliner Straßenrings benötigt. In einer Teileinigung vom 4. Oktober 1966 zwischen der Klägerin, ihrem Ehemann als Geschäftsführer einer GmbH als dem Hauptmieter des Grundstücks und dem Lande Berlin wurde vereinbart, daß das Eigentum zu dem in der noch zu erlassenden Ausführungsanordnung bestimmten Tage auf das Land Berlin übergehen und das Mietrecht der GmbH an dem Grundstück durch Beschluß des Baulandbeschaffungsamtes erlöschen solle. Zum 30. Juni 1968 Sollten die Nutzungen und Lasten auf das Land Berlin übergehen und das Grundstück von der GmbH geräumt übergeben werden. Mietverträge dürften weder verlängert noch neu abgeschlossen werden, wogegen das Land Berlin bis zum Nutzungs- und Lastenwechsel etwaige Mietausfälle übernahm und über die vorzeitige Übernahme etwaiger Teilflächen besondere Vereinbarungen zu treffen wären. Das Land Berlin zahlte im Jahre 1966 ... DM in Anrechnung auf die noch festzusetzende Enteignungsentschädigung. Im Jahre 1967 begannen die Bauarbeiten des Landes Berlin. Gegen den Enteignungsbeschluß vom 6. September 1968 zugunsten des Landes Berlin beantragten die Klägerin und die GmbH die gerichtliche Entscheidung auf Aufhebung des Enteignungsbeschlusses, hilfsweise auf Erhöhung der festgesetzten Entschädigung. Das Verfahren war zur Zeit des Urteils des FG noch anhängig, ebenso die Räumungsklage des Landes Berlin und Klage der GmbH beim BGH gegen den Beschluß des Baulandbeschaffungsamtes auf Einweisung des Landes Berlin in den vorzeitigen Besitz des Grundstücks. Schließlich war damals noch die Revision der Klägerin wegen der Widerspruchsklage (§ 771 ZPO) gegen die Vollstreckung des Räumungsurteils beim BGH anhängig. Im Frühjahr 1969 gelangte das Land Berlin im Wege der Zwangsvollstrekkung in den Besitz des Grundstücks.

Unter Bezugnahme auf die Teileinigungsverhandlung vom 4. Oktober 1966 beantragte die Klägerin die Durchführung einer Zurechnungsfortschreibung des Grundstücks auf den 1. Januar 1967 an das Land Berlin. Das Eigentum an dem Grundstück müsse mit dem Zeitpunkt der Verhandlung vor dem Baubeschaffungsamt und der Vorabenteignungsentschädigung dem Lande Berlin zugerechnet werden, während der formelle Übergang des Eigentums tatsächlich und wirtschaftlich unerheblich sei. Sie habe seitdem das Grundstück nicht mehr wirtschaftlich nutzen können und der Wertzuwachs komme nicht mehr ihr zugute.

Das Land Berlin als Beteiligter verneinte demgegenüber wirtschaftliches Eigentum aufgrund der Teileinigung und verwies auf den Übergang der Nutzung und Lasten erst zum 30. Juni/1. Juli 1968 gemäß Abschn. III der Teileinigungsurkunde und auf die bis dahin an die Klägerin geschuldete Mieterstattung.

Das FA lehnte durch Bescheid vom 24. Juni 1968 die Zurechnungsfortschreibung an das Land Berlin auf den 1. Januar 1967 ab. Der Einspruch war erfolglos.

Mit der Klage beantragte die Klägerin erneut Zurechnungsfortschreibung an das Land Berlin auf den 1. Januar 1967, hilfsweise auf den 1. Januar 1968, hilfsweise Aussetzung des Rechtsstreites bis zur Entscheidung des BGH in den Sachen der Klägerin gegen das Land Berlin.

Das FG wies die Klage ab, und zwar hinsichtlich des Hauptantrages als unbegründet, hinsichtlich des Hilfsantrages 1 wegen Fehlens eines Vorverfahrens als unzulässig. Die Aussetzung des Verfahrens lehnte das FG ab, da die anhängigen zivilrechtlichen Streitigkeiten nicht die steuerrechtlichen Fragen des wirtschaftlichen Eigentums beträfen. Es führte im einzelnen aus:

Die Klägerin sei am Stichtage bürgerlich-rechtlicher Eigentümer des Grundstücks gewesen, während das Land Berlin am 1. Januar 1967 auch nicht mittelbarer Eigenbesitzer gewesen sei und keine Rechtsstellung für eine Zurechnung nach § 11 Nr. 4 StAnpG besessen habe. Es liege weder eine ausdrückliche noch eine stillschweigende Vereinbarung dahin vor, daß die GmbH ab 4. Oktober 1966 den unmittelbaren Besitz nunmehr für die Stadt Berlin ausüben solle; die Mieten hätten bis zum Übergang der Nutzungen und Lasten am 30. Juni 1968 an die Klägerin gezahlt werden sollen. Der Enteignungsbeschluß sei erst am 6. Dezember 1968 (6. September 1968) und der Besitzeinweisungsbeschluß der Stadt Berlin erst am 9. Juli 1968 ergangen.

Mit der Revision macht die Klägerin unrichtige Auslegung von Verträgen geltend. Nach dem Urteil des BFH III 47/51 S vom 12. Dezember 1952 (BFHE 57, 157, BStBl III 1953, 62) hebe bereits die Zustellung eines Enteignungsbeschlusses vor dessen Rechtskraft das wirtschaftliche Eigentum des Enteigneten auf. Die Teileinigung vom 4. Oktober 1966 stehe gemäß § 112 Abs. 1 des Bundesbaugesetzes (BBauG) vom 23. Juni 1960 (wahrscheinlich § 110 des Gesetzes gemeint) einem Enteignungsbeschluß gleich. Die Ausführungsanordnung (= Umschreibung des Grundbucheigentums) gemäß § 117 BBauG und deren Zeitpunkt habe nach der Teileinigung vom 4. Oktober 1966 das Land Berlin nach seinem Belieben zu bestimmen gehabt. Infolgedessen habe die Klägerin seitdem das wirtschaftliche Eigentum verloren. Durch die Grundschuldeintragung im Jahre 1966 zugunsten des Landes Berlin sei eine anderweitige Verfügung über das Grundstück ebenso wie dessen Vermietung verboten worden.

Außerdem wurde von der Klägerin mangelnde Sachaufklärung gerügt. Für den Straßenbau seien Grundstücksteilflächen bereits 1966 und 1967 in Anspruch genommen worden, so daß zunächst insoweit der Grundstückseinheitswert dem Lande Berlin zuzurechnen sei. Der Hilfsantrag auf Zurechnung zum 1. Januar 1968 sei zulässig, die Auffassung des FG sei formalistisch.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Entscheidend ist bei dem Hauptantrag, ob das Grundstück zum 1. Januar 1967 wegen wirtschaftlichen Eigentums des Landes Berlin nicht mehr der Klägerin zuzurechnen ist. Das bürgerlich-rechtliche Eigentum lag am Stichtag unstreitig bei der Klägerin. Trotz fehlenden rechtlichen Eigentums des Dritten ist diesem jedoch ein Wirtschaftsgut als sog. wirtschaftliches Eigentum nach § 11 Nrn. 1-4 StAnpG zuzurechnen, wenn er die tatsächliche Herrschaft darüber in der Weise ausübt, daß dadurch der bürgerlich-rechtliche Eigentümer auf die Dauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausgeschlossen ist, z. B. bei Sicherungsübereignung (§ 11 Nr. 1 StAnpG) oder Treuhandverhältnissen (§ 11 Nr. 2, 3 StAnpG) oder Eigenbesitz (§ 11 Nr. 4 StAnpG). Von den aufgezählten Fällen käme hier nur Eigenbesitz des Landes Berlin (§ 11 Nr. 4 StAnpG) in Frage. Ein klarer Fall wirtschaftlichen Eigentums, daß nämlich der Käufer eines Grundstücks, dem hier insoweit das Enteignungsverfahren entspräche, noch nicht ins Grundbuch eingetragen ist, aber das Grundstück schon gekauft und bezogen hat, ist nicht gegeben (so z. B. BFH-Entscheidung VI 62/62 U vom 27. November 1962, BFHE 76, 323, BStBl III 1963, 118, 119 li. Sp.). Im übrigen ist Eigenbesitzer, wer eine Sache als ihm gehörend besitzt; Eigenbesitz ist ein tatsächliches Gewaltverhältnis und kann nicht rückwirkend erworben werden (BFH III 41/56 S vom 27. April 1956, BFHE 63, 21, BStBl III 1956, 203), so daß es auch im Streitfall nur auf den 1. Januar 1967 ankommt und die weitere Entwicklung für den Stichtag unerheblich ist. Beim Eigenbesitz ist der animus domini notwendig (BFH-Entscheidung IV R 144/66 vom 26. Januar 1970, BFHE 97, 466, BStBl II 1970, 264 [272]). Rechtlich möglich ist, daß mittelbarer Besitz das wirtschaftliche Eigentum beim mittelbaren Besitzer herbeiführt, so sogar unter bestimmten Voraussetzungen für den Pächter (vgl. mit Belegstellen der Rechtsprechung Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 11 StAnpG Anm. 5 d).

Das FG hat zutreffend in der Teileinigungsverhandlung vom 4. Oktober 1966 weder eine ausdrückliche noch eine stillschweigende Vereinbarung dahin gesehen, daß die GmbH und weitere Mieter nunmehr den unmittelbaren Besitz für das Land Berlin und nicht mehr für die Klägerin ausüben sollten. Es hat in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht den Vertrag dahin richtig gewürdigt, daß nicht die Aufgabe des mittelbaren Besitzes vereinbart wurde, da andernfalls die sonstigen Vertragsbestimmungen über Nichtvermietung freiwerdender Mietobjekte durch die Klägerin und über die vorzeitige Inanspruchnahme einzelner Teilflächen unverständlich wären (Hinweis auf Abschn. III der Teileinigung). In tatsächlicher Hinsicht hat das FG die für den BFH bindende Feststellung getroffen, daß das Land Berlin am 1. Januar 1967 keine Verfügungsmacht über das Streitgrundstück besaß und auch nicht die Nutzungen zog, da die Mieten nach wie vor an die Klägerin gezahlt wurden. Das gleiche gilt für die Grundstückslasten, die ebenfalls als solche der Klägerin oblagen. Der Hinweis der Revisionsklägerin, daß nach der Rechtsprechung (BFH V 118/65 vom 16. November 1967, BFHE 91, 336, BStBl II 1968, 348) eine vom Revisionsgericht zu beachtende Rechtsverletzung auch darin liegen könne, daß bei der Auslegung von rechtsgeschäftlichen Erklärungen die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) nicht beachtet oder wesentliche Tatsachen bei der Auslegung nicht berücksichtigt sind, ist dem Grundsatz nach zutreffend, der aber hier mangels Vorliegens der dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht durchgreift. Die tatsächliche Würdigung im Rahmen der Feststellungen der Tatsacheninstanz erscheint zutreffend und keinesweges unmöglich, die Vertragsauslegung unter besonderer Heranziehung des Abschn. III der Teileinigung richtig, auch wenn in Anlehnung an die obige Rechtsprechung das aus der Auslegung eines Vertrages gewonnene Ergebnis nicht eine Tatsachenfeststellung, sondern wie die Tatsachenbewertung eine Rechtsanwendung ist.

Des weiteren geht der Hinweis der Klägerin auf das Urteil des BFH III 47/51 S vom 12. Dezember 1952 (a. a. O.) fehl, da hier am Stichtag noch keine Zustellung des Enteignungsbescheides zur Beschaffung von Siedlungsland vorlag, der schon vor seiner Rechtskraft das wirtschaftliche Eigentum aufheben und die Einheitswert-Fortschreibung rechtfertigen könnte. Die Teileinigung vom 4. Oktober 1966 hatte noch nicht die Wirkung eines Enteignungsbescheides; denn in Abschn. I des Vertrages ist festgelegt, daß das Eigentum an dem Grundstück erst an einem in einer noch zu erlassenden Ausführungsanordnung bestimmten Tage auf das Land Berlin übergehen solle. Eine solche Ausführungsanordnung im Sinne des § 117 BBauG lag am Stichtage nicht vor; sie erging nach Feststellung des FG erst am 6. Dezember 1968.

Dem fortbestehenden rechtlichen und wirtschaftlichen Eigentum der Klägerin widerspricht nicht die vorschußweise Zahlung auf die noch festzusetzende Enteignungsentschädigung. Das wirtschaftliche Eigentum wird geradezu hervorgehoben durch die schuldrechtliche Verpflichtung der Klägerin, keine neuen Mietvereinbarungen zu treffen, mit der entsprechenden Verpflichtung des Landes Berlin, dadurch etwa eintretende Mietausfälle auszugleichen. Die Anzahlung auf den später festzusetzenden Enteignungsbetrag und die damit zusammenhängende Grundschuldeintragung begründen für sich kein wirtschaftliches Eigentum des Grundschuldgläubigers Land Berlin. Damit steht im Zusammenhang, daß insoweit mit der Geldzahlung eine etwa inflationistische Wertsteigerung des Grundstücks nicht mehr zur Steigerung des Entschädigungspreises führt, da die Klägerin zumindestens mit diesem Teilbetrage vollwertig zum Zahlungstag abgefunden wurde. Folgerungen für wirtschaftliches Eigentum lassen sich auch daraus nicht herleiten.

2. Der Hilfsantrag zu 2 (Antrag zu 3), den gesamten Einheitswert zum 1. Januar 1968 im Wege der Zurechnungsfortschreibung dem Lande Berlin zuzuschreiben, ist wegen fehlenden Vorverfahrens unzulässig. Es fehlt ein an das FA gerichteter Antrag auf Zurechnung des Grundstücks an das Land Berlin auf den 1. Januar 1968 und eine ablehnende Entscheidung der Finanzverwaltung. Das FG hat zutreffend bei Ablehnung dieses Klagebegehrens als unzulässig auf §§ 44 ff. FGO hingewiesen. Die ablehnende Entscheidung des FG ist nicht, wie die Klägerin in der Revisionsbegründung meint, "formalistisch", sondern ergibt sich aus der FGO; es fehlt eine Sachurteilsvoraussetzung - Prozeßvoraussetzung - (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 44 FGO Anm. 2-4), wenn kein ganz oder teilweise erfolgloser außergerichtlicher Rechtsbehelf vorliegt.

3. Die Rüge einer mangelnden Sachaufklärung dahin, daß für den betreffenden Straßenbau bereits im Jahre 1966 und 1967 Grundstücksteilflächen in Anspruch genommen worden seien, ist unzutreffend. Da der Stichtag für die streitbefangene Wertfortschreibung der 1. Januar 1967 ist, entfallen alle nach dem 1. Januar 1967 eingetretenen tatsächlichen und rechtlichen Umstände als gegenstandslos. Für das Jahr 1966 ist bisher von der Klägerin ein Antrag auf "teilweise Zurechnung" des Grundstücks an die Stadt Berlin nicht gestellt worden, wie das Protokoll über die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem FG ergibt. Materiellrechtlich betrifft das diesbezügliche Vorbringen auch gar nicht die streitige Zurechnung auf den 1. Januar 1967 an das Land Berlin, sondern stellt ein nicht rechtshängiges Begehren der Klägerin auf eine niedrige Wertfortschreibung des eigenen und auf eine Nachfeststellung der angeblich abgetretenen Grundstücksteile zu Lasten des Landes Berlin jeweils auf den 1. Januar 1967 oder 1. Januar 1968 dar. Es liegt somit keine mangelnde Sachaufklärung des FG, sondern ein neues Vorbringen der Klägerin in der Revisionsinstanz vor, das nicht Gegenstand des FG-Verfahrens war und im Revisionsverfahren daher nicht berücksichtigt werden kann. Sachlich ist überdies zu beachten, daß die GmbH gemäß Abschn. III der Teileinigung letztlich erst am 30. Juni 1968 die Flächen dem Land Berlin zu übergeben hatte und daß im übrigen bis zum Lastenwechselzeitpunkt bei vorzeitiger Räumung das Land Berlin in die Rechte und Pflichten der Vormieter eintrat, ohne in die Rechtsstellung eines steuerrechtlichen wirtschaftlichen Eigentümers aufzurücken.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70337

BStBl II 1973, 285

BFHE 1973, 373

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