Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückwirkende Aufstockung einer Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG

 

Leitsatz (amtlich)

Der Steuerpflichtige kann die Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG, die er für den Gewinn aus der Veräußerung eines bebauten Grundstücks gebildet hat, rückwirkend aufstocken, wenn sich der Veräußerungspreis in einem späteren Veranlagungszeitraum erhöht.

 

Normenkette

AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; EStG § 6b

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Der Kläger ist Eigentümer mehrerer Betriebsgrundstücke, die er im Wege der Betriebsaufspaltung an drei von ihm betriebene Kapitalgesellschaften verpachtet hat. Die Gesellschaften sind überwiegend in der Baubranche und im Baustoffhandel tätig. Den Gewinn aus der Einzelfirma Grundstücksverwaltung ermittelt der Kläger durch Bilanzierung.

Durch notariellen Vertrag vom 12. Dezember 1980 veräußerte der Kläger ein zum Betriebsvermögen gehörendes Grundstück, auf dem ein Baumarkt betrieben wurde, zur städtebaulichen Sanierung an die Gemeinde (Kaufpreis 4 645 000 DM). In § 8 des Kaufvertrages verpflichtete sich die Gemeinde ―auch für ihren Rechtsnachfolger―, für die Dauer von 15 Jahren auf dem Grundstück keine Baustoffhandlung und keinen Baumarkt mit mehr als 300 qm Verkaufsfläche zu errichten oder zu betreiben. Bei Verletzung dieser Verpflichtung war ―unbeschadet weiter gehender Schadenersatzansprüche― eine Vertragsstrafe von 500 000 DM vereinbart. Der Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe wurde durch eine Baulast gesichert. In Höhe des Buchgewinns aus dem Verkauf bildete der Kläger eine Rücklage nach § 6b Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG), die er im Jahr 1981 auf die Anschaffungskosten für ein Betriebsgrundstück und die Herstellungskosten für Betriebsgebäude übertrug.

Nach der Sanierung verkaufte die Gemeinde das Grundstück. Eigentümerin war im Streitjahr eine Versicherungsgesellschaft, die das Grundstück vermietet hatte. Der Mieter betrieb in seinem Kaufhaus auch einen Baumarkt mit einer Verkaufsfläche von mehr als 300 qm.

In dem vom Kläger angestrengten Zivilrechtsstreit verurteilte das Landgericht die Gemeinde im Oktober 1985, an den Kläger eine Vertragsstrafe von 500 000 DM zu zahlen und für die Zukunft den Betrieb eines Baumarkts mit einer Verkaufsfläche von mehr als 300 qm in dem Kaufhaus zu unterbinden. Die Auffassung der Kartellbehörde, welche die Wettbewerbsklausel wegen Verstoßes gegen § 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) für unwirksam hielt, teilte das Landgericht nicht. "Insbesondere mit Rücksicht darauf, ob die strittigen vertraglichen Vereinbarungen entgegen den gewichtigen Bedenken der Kartellbehörde einer kartellrechtlichen Überprüfung durch das Revisionsgericht endgültig standhalten", schlossen die Prozessparteien auf Vorschlag des Oberlandesgerichts (OLG) im Februar 1987 einen gerichtlichen Vergleich, durch den der Kaufvertrag vom 12. Dezember 1980 "rückwirkend" geändert wurde: Der Kaufpreis wurde um 400 000 DM auf 5 045 000 DM erhöht und die Wettbewerbsklausel "rückwirkend" aufgehoben; die insoweit im Baulastenverzeichnis eingetragene Baulast war zu löschen.

Mit der Versicherungsgesellschaft einigte sich der Kläger außergerichtlich. Sie verpflichtete sich, für den Kläger die Beiträge zu einer Lebensversicherung (5 Jahresraten in Höhe von 27 000 DM, insgesamt 135 000 DM) zu tragen. Die erste Rate wurde vereinbarungsgemäß im Streitjahr 1987 entrichtet. Der Anspruch des Klägers auf Einhaltung des Wettbewerbsverbots und auf eine Vertragsstrafe entfiel damit.

Der Kläger stellte die Kaufpreiserhöhung von 400 000 DM für das Jahr 1980 in eine Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG ein und übertrug den Veräußerungsgewinn nach den Ausführungen des FG "in den Jahren 1980 bis 1985 auf neu angeschaffte Ersatzgrundstücke". Den von der Versicherungsgesellschaft im Jahr 1987 gezahlten Beitrag in Höhe von 27 000 DM behandelte er als außerordentlichen Ertrag dieses Jahres.

Im Anschluss an eine Außenprüfung vertrat der Betriebsprüfer die Ansicht, wegen der Zweifel an der Wirksamkeit der Konkurrenzklausel sei im Jahr 1986 eine Rückstellung zu bilden, welche wegen der nachträglichen Erhöhung des Kaufpreises um 400 000 DM im Jahr 1987 gewinnerhöhend aufzulösen sei. Die Kaufpreiserhöhung sei kein zur Änderung der Veranlagung 1980 führendes Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der AbgabenordnungAO 1977―). Im Streitfall handle es sich nicht um einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Veräußerungstatbestand i.S. von § 16 oder § 18 Abs. 3 EStG (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 23. Juni 1988 IV R 84/86, BFHE 154, 85, BStBl II 1989, 41), sondern um einen laufenden Geschäftsvorfall ―Folgerungen aus einem bestehenden Vertragsverhältnis―, der nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung im Zeitpunkt seiner Verwirklichung bilanziell zu erfassen sei. Die Forderung gegenüber der Versicherungsgesellschaft sei in Höhe von 135 000 DM im Betriebsvermögen des Jahres 1987 zu aktivieren.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) schloss sich der Auffassung des Betriebsprüfers an und erhöhte in den geänderten Einkommensteuerbescheiden für das Streitjahr 1987 den gewerblichen Gewinn um die Kaufpreiserhöhung von 400 000 DM und um die vom Kläger noch nicht berücksichtigte Forderung gegen die Versicherungsgesellschaft in Höhe von 108 000 DM (135 000 DM ./. 27 000 DM). Der Einspruch der Kläger war erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage im Wesentlichen ab. Es führte aus:

Unabhängig davon, ob die nachträgliche Erhöhung des Kaufpreises als rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu beurteilen sei, komme eine Rücklage nach § 6b EStG schon deshalb nicht in Betracht, weil es sich bei der vereinbarten Zahlung von 400 000 DM um eine nach § 6b EStG nicht begünstigte Entschädigung aus Anlass der Veräußerung handle. Der Betrag sei nicht als Entgelt für das Grundstück, sondern nur deshalb geleistet worden, weil ein Baumarkt darauf betrieben werde. Der Wert eines Grundstücks könne nicht davon abhängen, ob und wie es Jahre nach dem Verkauf genutzt werde. Wie die Kläger selbst eingeräumt hätten, sollten mit dieser Nachforderung Anlaufverluste, die dem Kläger durch die Auslagerung seines Betriebes in das Vorstadtgebiet entstanden seien, ausgeglichen werden. Dieser Ausgleich habe Schadenersatzcharakter, auch wenn die Vertragsparteien, damit das wirtschaftliche Ergebnis eintreten könne, ihn aus zivilrechtlichen Gründen als Teil des Kaufpreises hätten bezeichnen müssen. Da sich die Vertragsparteien im Streitjahr 1987 auf diese Schadenersatzleistung verständigt hätten, müsse die dafür im Vorjahr gebildete gewinnmindernde Rückstellung nunmehr gewinnerhöhend aufgelöst werden.

Die Forderung gegen die Versicherungsgesellschaft sei bereits im Streitjahr 1987 in Höhe von 135 000 DM entstanden und fließe in voller Höhe in das Betriebsvermögen ein, auch wenn sie in mehreren Jahresraten zu zahlen sei. Der Vortrag des Klägers, es sei nur der jeweilige Jahresbetrag der Forderung zu aktivieren, weil der Forderung jährliche Duldungspflichten (Duldung des Baumarkts) gegenüberstünden, entspreche nicht der außergerichtlichen Vereinbarung mit der Versicherungsgesellschaft, in welcher der Kläger auf alle Rechte aus dem Wettbewerbsverbot verzichtet und dafür die Forderung erworben habe. Die Forderung sei jedoch abzuzinsen.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie tragen vor:

Das FG habe gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs verstoßen. Für die Behauptung, mit der Zahlung von 400 000 DM hätten Anlaufverluste ausgeglichen werden sollen, gebe es in den Schriftsätzen keinen Anhaltspunkt. Sie ―die Kläger― hätten im Gegenteil in der mündlichen Verhandlung betont, dass niemand die Anlaufverluste ersetzt habe. Es sei vorgetragen worden, bei den 400 000 DM habe es sich um eine zusätzliche Gegenleistung für die Grundstücksübertragung gehandelt, weil bei Vertragsabschluss die Alternative bestanden habe, das Grundstück billiger mit Wettbewerbsklausel oder teurer ohne Wettbewerbsklausel zu verkaufen. Von einem Ausgleich von Anlaufverlusten sei nie die Rede gewesen. Zu diesem völlig überraschend aufgetauchten Gesichtspunkt seien sie nicht gehört worden. Wäre dies der Fall gewesen, hätten sie nachgewiesen, dass die Beteiligten keinen Ausgleich von Anlaufverlusten gewollt hätten, sondern eine zusätzliche Gegenleistung für die Grundstücksübertragung. Es handle sich auch nicht um eine Entschädigung für die Nichtbeachtung des Wettbewerbsverbots. Hierfür sei ein Betrag von 135 000 DM in Form von Einzahlungen auf eine Lebensversicherung geleistet worden. Die Kaufpreiserhöhung habe dagegen nichts mit der Missachtung des Wettbewerbsverbots und den dadurch entstandenen Schäden zu tun, sondern mit dem höheren Wert einer erlaubten uneingeschränkten Verwendung. Die nachträgliche Kaufpreisänderung wirke nach der neueren Rechtsprechung des BFH (Urteil in BFHE 154, 85, BStBl II 1989, 41) zurück auf den Vertragsabschluss. Wie in den Fällen des § 16 EStG handle es sich im Streitfall um ein einmaliges, rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977.

Die Kläger beantragen, das finanzgerichtliche Urteil sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheids für 1987 die Einkommensteuer auf 636 026 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

1. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass die Forderung des Klägers gegen die Versicherungsgesellschaft auf Zahlung von 135 000 DM in 5 Jahresraten zu je 27 000 DM bereits im Streitjahr in voller Höhe entstanden und daher zu aktivieren ist.

Die Versicherungsgesellschaft entrichtet die jährlichen Beträge von 27 000 DM nicht dafür, dass der Kläger den Betrieb des Baumarkts weiterhin duldet. Für einen solchen Duldungsanspruch gab es keine Rechtsgrundlage mehr, nachdem der Kläger in den Vergleichen mit der Gemeinde und der Versicherungsgesellschaft auf die Wettbewerbsklausel verzichtet hatte. In der Verpflichtung der Versicherungsgesellschaft zur Übernahme der Lebensversicherungsbeiträge ist vielmehr eine in Raten zu zahlende Entschädigung für den Verzicht des Klägers auf die Wettbewerbsklausel und ―wie die Kläger in der Revisionsbegründung vortragen― für die Nichtbeachtung des Wettbewerbsverbots vor dessen Aufhebung zu sehen. Der Anspruch des Klägers auf die Zahlung von insgesamt 135 000 DM ist somit ein Aktivposten des Betriebsvermögens und deshalb zu aktivieren.

Der Aktivierung steht nicht entgegen, dass die Versicherungsgesellschaft die jährlichen Raten auf eine ―grundsätzlich zum notwendigen Privatvermögen gehörende (z.B. BFH-Urteil vom 14. März 1996 IV R 14/95, BFHE 180, 313, BStBl II 1997, 343, m.w.N.)― Lebensversicherung des Klägers einzahlt. Denn zu aktivieren ist im Streitfall nicht der Anspruch des Klägers aus der Lebensversicherung, sondern der Anspruch auf die als betriebliche Entschädigung gezahlten Raten, die mit der Einzahlung auf die Lebensversicherung als entnommen gelten.

Nicht zu beanstanden ist ferner die Entscheidung des FG, dass die Forderung des Klägers gegen die Versicherungsgesellschaft abzuzinsen ist.

2. Zu Unrecht hat das FG jedoch die Kaufpreiserhöhung als Entschädigung für Anlaufverluste beurteilt und schon aus diesem Grund die Voraussetzungen des § 6b EStG verneint.

a) Nach § 6b Abs. 1 Satz 1 EStG kann der Steuerpflichtige, der ein Grundstück des Anlagevermögens veräußert, ―unter weiteren Voraussetzungen― im Wirtschaftsjahr der Veräußerung von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten der in § 6b Abs. 1 Satz 2 EStG bezeichneten Wirtschaftsgüter einen Betrag bis zur Höhe des bei der Veräußerung entstandenen Gewinns abziehen. Soweit er diesen Betrag nicht abzieht, kann er im Wirtschaftsjahr der Veräußerung eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage bilden (§ 6b Abs. 3 Satz 1 EStG).

b) Gewinn ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten den Buchwert übersteigt, mit dem das veräußerte Wirtschaftsgut im Zeitpunkt der Veräußerung anzusetzen gewesen wäre (§ 6b Abs. 2 Satz 1 EStG). Der Veräußerungspreis wird bestimmt durch das vertraglich vereinbarte Entgelt und etwaige Leistungen, die der Erwerber als Gegenleistung für den Erwerb des Wirtschaftsgutes zu erbringen hat. Kein Teil der Gegenleistung ist eine Entschädigung, die der Steuerpflichtige nicht für das hingegebene Grundstück, sondern anlässlich der Veräußerung zum Ausgleich eines anderweitigen Nachteils erzielt (BFH-Urteil vom 11. Juli 1973 I R 140/71, BFHE 110, 248, BStBl II 1973, 840).

c) Der Senat teilt nicht die Ansicht des FG,dass die als Kaufpreiserhöhung vertraglich vereinbarte Nachforderung keine Gegenleistung für das Grundstück ist, sondern eine Entschädigung für Anlaufverluste, die dem Kläger durch die Auslagerung seines Betriebes in das Vorstadtgebiet entstanden seien. Entgegen den Ausführungen des FG haben die Kläger dies auch nicht eingeräumt. Sie haben laut Protokoll in der mündlichen Verhandlung lediglich dargelegt, die ―infolge der Verlegung des Betriebes― zu erwartenden Anlaufverluste und das Unvermögen der Gemeinde, einen höheren Kaufpreis zu bezahlen, seien Anlass für die Vereinbarung der Wettbewerbsklausel gewesen. Dem FG ist zwar zuzustimmen, dass eine bestimmte Verwendung des Grundstücks Jahre nach dem Erwerb dessen Wert nicht verändert. Jedoch kann sich eine vertragliche Nutzungsbeschränkung wertmindernd auswirken. Soll ―wie im Streitfall― auf dem Grundstück ein Kaufhaus betrieben werden, wird der Erwerber nicht bereit sein, den vollen Preis hierfür zu bezahlen, wenn der Verkauf von Baumarktartikeln in größerem Umfang vertraglich ausgeschlossen ist.

Nach Auffassung des Senats ist die im gerichtlichen Vergleich vereinbarte Kaufpreiserhöhung von 400 000 DM auch steuerrechtlich als zusätzliches Entgelt für die Grundstücksübertragung zu werten. Aufgrund der Entscheidung des Landgerichts hatte der Kläger Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe von 500 000 DM und auf künftige Einhaltung des Wettbewerbsverbots. Wegen der kartellrechtlichen Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Klausel ging er bei einer Entscheidung durch das OLG das Risiko ein, weder die vereinbarte Vertragsstrafe zu bekommen noch künftig die Einhaltung des Wettbewerbsverbots verlangen zu können. Die Gemeinde musste befürchten, dass das OLG im Falle der Unwirksamkeit der Wettbewerbsklausel gemäß § 139 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) den gesamten Vertrag als unwirksam beurteilt. Da das Grundstück inzwischen aufwändig bebaut worden und die Gemeinde auch nicht mehr Eigentümerin des Grundstücks war, lag eine Rückabwicklung weder im Interesse des Klägers noch der Gemeinde noch der Versicherungsgesellschaft (als derzeitiger Eigentümerin des Grundstücks). Es entsprach daher der Sachlage ―ausgehend von der Unwirksamkeit des Vertrages― neu zu verhandeln und unter Verzicht auf die Wettbewerbsklausel den Kaufpreis (rückwirkend) zu erhöhen. Auch wenn der Grund für die ursprüngliche Vereinbarung der Wettbewerbsklausel in den ―wegen der Verlagerung des Baumarkts an den Stadtrand― befürchteten Anlaufverlusten lag, kann nicht unterstellt werden, der Betrag von 400 000 DM sei als Ausgleich (Schadenersatz) für Anlaufverluste oder als Entgelt für den Verzicht auf die Wettbewerbsklausel gezahlt worden. Für den Fall der Unwirksamkeit der Wettbewerbsklausel hatte die Gemeinde keinen Anlass, sich zu einer Entschädigung in Höhe von 4/5 der vereinbarten Vertragsstrafe zu verpflichten. Die rückwirkende Erhöhung des Kaufpreises liegt vielmehr in der von den Beteiligten angenommenen Unwirksamkeit des gesamten Kaufvertrages begründet. Der Anspruch auf den vereinbarten Betrag von 400 000 DM ist daher auch steuerrechtlich als Teil des Veräußerungspreises zu behandeln.

3. Entgegen der Auffassung des FA durfte der Kläger die Rücklage nach § 6b EStG, die er für den Gewinn aus der Veräußerung des Grundstücks im Jahr 1980 gebildet hatte, um die nachträgliche Kaufpreiserhöhung im Jahr 1987 aufstocken. Denn die Vertragsänderung im Februar 1987 ist als rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu beurteilen, das den Veräußerungsgewinn im Wirtschaftsjahr der Veräußerung beeinflusst.

a) Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Das spätere Ereignis muss den für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhalt anders gestalten und sich darüber hinaus steuerrechtlich in der Weise auswirken, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, entscheidet sich allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (BFH-Beschlüsse vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C.II.1.c; GrS 1/92, BFHE 172, 80, BStBl II 1993, 894, unter C.II.1.).

b) Bei den laufend veranlagten Steuern wie der Einkommensteuer sind die aufgrund des Eintritts neuer Ereignisse materiell-rechtlich erforderlichen steuerlichen Anpassungen regelmäßig nicht rückwirkend, sondern in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem sich der maßgebende Sachverhalt ändert. Dieser Grundsatz gilt auch für die Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich, soweit nicht die einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften bestimmen, dass eine Änderung des nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalts zu einer rückwirkenden Änderung steuerlicher Rechtsfolgen führt. Eine solche Rechtslage ist nach der Rechtsprechung bei Steuertatbeständen gegeben, die an ein einmaliges, punktuelles Ereignis anknüpfen, wie z.B. die Veräußerung eines Gewerbebetriebes nach § 16 Abs. 1 EStG (BFH-Beschlüsse in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897; in BFHE 172, 80, BStBl II 1993, 894; BFH-Urteil vom 7. Dezember 1993 VIII R 55/86, BFH/NV 1994, 542), die Betriebsaufgabe nach § 16 Abs. 3 EStG (BFH-Urteil vom 10. Februar 1994 IV R 37/92, BFHE 174, 140, BStBl II 1994, 564), die Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung nach § 17 EStG (BFH-Urteil vom 21. Dezember 1993 VIII R 69/88, BFHE 174, 324, BStBl II 1994, 648) oder eine einmalige sonstige Leistung (BFH-Urteil vom 3. Juni 1992 X R 91/90, BFHE 168, 272, BStBl II 1992, 1017).

c) Die Veräußerung eines nach § 6b EStG begünstigten Anlagegutes ist ebenfalls ein Steuertatbestand, der an ein einmaliges, punktuelles Ereignis im Sinne der Rechtsprechung des Großen Senats des BFH anknüpft.

§ 6b EStG ermöglicht dem Steuerpflichtigen, stille Reserven bei der Veräußerung bestimmter Anlagegüter steuerneutral auf bestimmte andere Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens zu übertragen. Er kann die Anschaffungs- oder Herstellungskosten der ―innerhalb eines bestimmten Zeitraums angeschafften oder hergestellten― neuen Anlagegüter um die Veräußerungsgewinne kürzen (§ 6b Abs. 1 Satz 1 EStG) oder ―sofern die Ersatzwirtschaftsgüter nicht schon im Veräußerungsjahr angeschafft oder hergestellt werden― im Wirtschaftsjahr der Veräußerung eine den Gewinn mindernde Rücklage bilden (§ 6b Abs. 3 Satz 1 EStG). Das ist das Wirtschaftsjahr, in dem das zivilrechtliche oder wirtschaftliche Eigentum an dem veräußerten Anlagegut auf den Erwerber übergeht (z.B. BFH-Urteil vom 27. August 1992 IV R 89/90, BFHE 170, 21, BStBl II 1993, 225, unter 2.a). Der Veräußerungsgewinn, bis zu dessen Höhe die Rücklage möglich ist, ist grundsätzlich der Betrag, um den der vereinbarte Kaufpreis abzüglich der Veräußerungskosten den Buchwert übersteigt, der für den Zeitpunkt der Veräußerung zu ermitteln ist (s. oben unter II.2.b).

Die gesetzliche Regelung geht jedoch davon aus, dass die dem Veräußerungsgeschäft zugrunde liegende schuldrechtliche Vereinbarung wirksam ist und wie vereinbart abgewickelt wird. Legen die Beteiligten ―wie im Streitfall― wegen der von ihnen angenommenen Unwirksamkeit des Kaufvertrages den Kaufpreis später neu fest, muss nach dem Zweck des Begünstigungstatbestands, den durch eine Veräußerung von Anlagevermögen entstandenen Gewinn zu Reinvestitionszwecken zu neutralisieren und bestimmte Reinvestitionen zu erleichtern (BFH-Urteile vom 19. März 1981 IV R 167/80, BFHE 133, 54, BStBl II 1981, 527; vom 7. Juli 1992 VIII R 24/91, BFH/NV 1993, 461), auch die nachträgliche Erhöhung des Veräußerungsgewinns auf Ersatzwirtschaftsgüter übertragen werden können. Wegen des vom Gesetz als typisch vorausgesetzten wirtschaftlichen Zusammenhangs von Veräußerung und Reinvestition wäre es sinnlos, die Rücklage zu einem Zeitpunkt steuerlich wirksam werden zu lassen, zu dem die Reinvestition bereits abgeschlossen ist. Nachträgliche Änderungen des Veräußerungspreises eines Anlagegutes i.S. des § 6b Abs. 1 EStG sind deshalb steuerrechtlich auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurückzubeziehen.

d) § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 hat letztlich die Funktion, bei einer zeitlich gestreckten Tatbestandsverwirklichung materiell-rechtlich angemessene Ergebnisse zu erzielen, wenn das Gesetz einen Sachverhalt einem bestimmten Zeitpunkt zuordnet und deswegen bei einer Änderung des Sachverhalts die angeordneten Rechtsfolgen auch punktuell in diesem Sinne korrigiert werden müssen, weil eine Korrektur zu einem späteren Zeitpunkt rechtlich nicht möglich wäre oder wirtschaftlich leer liefe. Eine nach § 6b EStG begünstigte Veräußerung wird nach der gesetzlichen Regelung als einheitlicher, in sich geschlossener Vorgang angesehen, der vom laufenden Gewinn zu trennen ist und besonderen Regeln unterliegt. Da eine den Gewinn mindernde Rücklage in Höhe des Veräußerungsgewinns nach § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG nur im Wirtschaftsjahr der Veräußerung gebildet werden darf und der Veräußerungsgewinn gemäß § 6b Abs. 3 Sätze 2 und 3 EStG lediglich auf Ersatzwirtschaftsgüter übertragbar ist, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach der Veräußerung angeschafft oder hergestellt werden, ist bei einer nachträglichen Erhöhung des Kaufpreises der Veräußerungsgewinn mit Wirkung auf den Zeitpunkt der Veräußerung zu korrigieren.

e) Die Rückbeziehung der Kaufpreiserhöhung auf den Veräußerungszeitpunkt widerspricht auch nicht den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung, insbesondere nicht dem sog. Realisationsprinzip. Als spezialgesetzliche Regelung haben die Bestimmungen des § 6b EStG Vorrang (vgl. BFH in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C.II.3.).

4. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, wird das finanzgerichtliche Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Das FG hat ―aus seiner Sicht zu Recht― nicht im Einzelnen geprüft, auf welche Wirtschaftsgüter der Kläger den nachträglichen Kaufpreis übertragen hat und ob diese Wirtschaftsgüter innerhalb der Reinvestitionsfristen des § 6b Abs. 3 EStG angeschafft oder hergestellt worden sind. Soweit sich die Anschaffungs- oder Herstellungskosten der Ersatzwirtschaftsgüter durch den Abzug der Kaufpreiserhöhung gemäß § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG mindern, sind die bisher berücksichtigten Absetzungen für Abnutzung zu kürzen.

5. Eine Entscheidung über die Verfahrensrügen erübrigt sich, weil die Revision der Kläger bereits aus anderen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG führt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 509299

BFH/NV 2001, 233

BStBl II 2001, 641

BFHE 193, 129

BFHE 2001, 129

BB 2000, 2619

BB 2001, 460

DB 2001, 24

DStRE 2001, 60

DStZ 2001, 290

HFR 2001, 130

StE 2000, 777

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