Entscheidungsstichwort (Thema)

Bekanntgabe eines Feststellungsbescheids an frühere Mitglieder einer aufgelösten Hausgemeinschaft; Auslegung eines gegen eine nicht klagebefugte Hausgemeinschaft ergangenen FG-Urteils

 

Leitsatz (NV)

1. Wird eine von Eheleuten begründete Hausgemeinschaft im Zuge der Scheidung dergestalt beendet, daß der Ehemann den Miteigentumsanteil der Ehefrau erwirbt, so reicht die Bekanntgabe des Feststellungsbescheids an den Ehemann als Zustellungsvertreter der früheren Hausgemeinschaft nicht aus. Vielmehr muß der Bescheid auch der Ehefrau gesondert bekanntgegeben werden. Das FG hat das Verfahren über die Klage des Ehemanns solange entsprechend § 74 FGO auszusetzen.

2. Erläßt das FG nach Klagerhebung durch ein Mitglied einer ehemaligen Hausgemeinschaft und Beiladung des anderen Mitglieds ein Urteil gegen die nicht klagebefugte Hausgemeinschaft, so kann das Urteil dahin ausgelegt werden, daß es in Wahrheit gegenüber dem Kläger ergangen ist (Anschluß an BFH-Urteil vom 15. 12. 1981 VIII R 116/79, BFHE 135, 267, BStBl II 1982, 385).

 

Normenkette

AO 1977 § 122 Abs. 1, §§ 179-180, 183 Abs. 1-2; AO §§ 91, 218-219; FGO § 57 Nr. 1, § 74

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Der Kläger und seine 1971 von ihm geschiedene Ehefrau, die Beigeladene, waren je zur Hälfte Miteigentümer eines Hausgrundstücks. Der Kläger hat 1971 den Miteigentumsanteil der Beigeladenen hinzuerworben. In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1970 machte der Kläger mit dem Hinweis, daß er seit 1969 von der Beigeladenen getrennt lebe, bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung einen Werbungskostenüberschuß geltend. Das FA erließ nach einer Außenprüfung einen einheitlichen und gesonderten Feststellungsbescheid, in dem der Werbungskostenüberschuß dem Kläger und der Beigeladenen je zur Hälfte zugeteilt wurde. Der 1976 ergangene Bescheid richtete sich an die ,,Hausgemeinschaft Ehel. A"; in der Anlage zum Bescheid sind der Kläger und die Beigeladene (unter ihrer damaligen Adresse) sowie ihre Anteile aufgeführt. Der Bescheid wurde lediglich dem Kläger als Zustellungsvertreter der Hausgemeinschaft übermittelt. Der Einspruch des Klägers hatte nur insoweit Erfolg, als der gesamte Werbungskostenüberschuß von irrtümlich . . . DM auf . . . DM berichtigt wurde; die Beigeladene war zum Einspruchsverfahren nicht hinzugezogen worden. Auf die vom Kläger im eigenen Namen erhobene Klage lud das Finanzgericht (FG) die Beigeladene zu dem Verfahren bei. Es gab der Klage mit einem an die Hausgemeinschaft gerichteten Urteil im wesentlichen statt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA und die Anschlußrevision des Klägers führen zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2).

1. Revision des FA

Die Revision hat nicht schon deshalb Erfolg, weil das FG-Urteil formal nach seinem Wortlaut gegen eine nicht beteiligtenfähige Hausgemeinschaft ergangen ist. Der BFH hat zwar im Urteil vom 6. Dezember 1983 VIII R 203/81 (BFHE 140, 22, BStBl II 1984, 318) entschieden, daß eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts nicht gemäß § 57 Nr. 1 FGO beteiligtenfähig ist. Die Grundsätze dieser Entscheidung wären auch für eine Miteigentümergemeinschaft nach Bruchteilen anzuwenden. Kläger, Beklagter und Revisionsanschlußkläger ist hier jedoch nicht die Hausgemeinschaft, sondern der Kläger. Das nach seinem Wortlaut gegenüber der nicht klagebefugten Hausgemeinschaft ergangene FG-Urteil ist dahin auszulegen (vgl. BFH-Urteil vom 15. Dezember 1981 VIII R 116/79, BFHE 135, 267, BStBl II 1982, 385), daß es in Wahrheit gegenüber dem Kläger ergangen ist. Denn es benennt ihn nicht nur als solchen, sondern hat ausdrücklich ihm den höheren Anteil am Werbungskostenüberschuß zugerechnet und im Rahmen seines Unterliegens die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Auch die Beiladung der früheren Ehefrau durch das FG wäre unverständlich, wenn das FG die Hausgemeinschaft, die nur aus dem Kläger und der Beigeladenen bestanden hat, als Partei angesehen hätte. Mit dieser Auslegung des FG-Urteils stimmt ferner die Klageerhebung durch den Kläger im eigenen Namen überein.

Das FG-Urteil ist jedoch aufzuheben, weil es die von Amts wegen zu prüfende Frage, ob der Feststellungsbescheid wirksam bekanntgegeben wurde, zu Unrecht stillschweigend bejaht hat.

Verfügungen bzw. Verwaltungsakte der FÄ bedürfen nach § 91 der Reichsabgabenordnung (AO) bzw. § 122 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) der ordnungsgemäßen Bekanntgabe. Die Verfügung muß demjenigen zugehen, für den sie nach ihrem Inhalt bestimmt ist. Nach dem BFH-Urteil vom 12. August 1976 IV R 105/75 (BFHE 120, 129, BStBl II 1977, 221), dem der erkennende Senat beitritt, ist zwar ein einheitlicher Gewinnfeststellungsbescheid, der sich an eine nicht mehr bestehende Personengesellschaft richtet, aber den im Bescheid aufgeführten früheren Gesellschaftern zugestellt worden ist, wirksam bekanntgegeben. Die dort zu dieser Frage aufgestellten Rechtsgrundsätze gelten auch für einen einheitlichen und gesonderten Feststellungsbescheid über Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, die durch die Mitglieder einer Bruchteilsgemeinschaft erzielt wurden. Das FA durfte den Feststellungsbescheid jedoch nicht mehr gemäß § 219 Abs. 1 Satz 2 und 3 AO an den Kläger als Bevollmächtigten der Hausgemeinschaft nach deren Auflösung übermitteln, sondern hatte den Feststellungsbescheid allen früheren Gemeinschaftern einzeln bekannzugeben (BFH-Urteil vom 30. März 1978 IV R 72/74, BFHE 125, 116, BStBl II 1978, 503). Hier ist der strittige Feststellungsbescheid nur dem Kläger als früherem Zustellungsvertreter der Hausgemeinschaft und nicht der Beigeladenen übermittelt worden. Letztere Unterlassung macht zwar die Bekanntgabe an den Kläger nicht unwirksam. Die unterbliebene Bekanntgabe an die Beigeladene muß jedoch noch nachgeholt werden. Das FG wird hierfür das Klageverfahren entsprechend § 74 FGO auszusetzen haben und, falls auch die Beigeladene Klage erhebt, beide Verfahren miteinander verbinden (vgl. BFH-Urteile vom 6. Mai 1977 III R 19/75, BFHE 122, 389, BStBl II 1977, 783, und in BFHE 125, 116, BStBl II 1978, 503 am Ende, sowie vom 19. Mai 1983 IV R 125/82, BFHE 139, 1, BStBl II 1984, 15, 17, Ziff. 3 der Gründe).

2. Die Anschlußrevision des Klägers hat ebenfalls Erfolg.

Die unselbständige Anschlußrevision ist gemäß § 155 FGO i.V.m. § 556 der Zivilprozeßordnung nach ständiger Rechtsprechung statthaft und hier auch zulässig. Es kann offenbleiben, ob die Revisionsfrist wegen mangelhafter Zustellung des FG-Urteils an den Kläger gemäß § 9 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes nicht in Gang gesetzt wurde. Denn selbst bei Fristversäumung wäre dem Kläger von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil die von ihm 1979 eingelegte unselbständige Anschlußrevision nach der damals herrschenden Meinung nicht fristgebunden war (vgl. BFH-Urteil vom 8. April 1981 II R 4/78, BFHE 133, 155, BStBl II 1981, 534, Ziff. 2 der Gründe).

Die Anschlußrevision ist desgleichen begründet, da die Bekanntgabe des Feststellungsbescheids an die Beigeladene, wie bereits dargelegt, noch nachgeholt werden muß.

3. Für die erneute Verhandlung und Entscheidung bemerkt der Senat, daß gegen die Zulässigkeit des nachträglich erlassenen einheitlichen und gesonderten Feststellungsbescheids gemäß § 218 Abs. 4 AO bzw. § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 auch im Hinblick auf die geltend gemachte Verwirkung keine Bedenken bestehen (vgl. BFH-Urteil vom 18. November 1980 VIII R 194/78, BFHE 132, 522, BStBl II 1981, 510, Ziff. 3a der Gründe). Zur Zurechnung der Einkünfte wird außerdem auf das Urteil vom 27. Juni 1978 VIII R 168/73 (BFHE 125, 532, BStBl II 1978, 674) hingewiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414104

BFH/NV 1986, 265

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