Leitsatz (amtlich)

Die widerlegbare Vermutung, ein im Heimatstaat als Landwirt erwerbstätiger Angehöriger eines Gastarbeiters sei nicht unterhaltsbedürftig, greift nur in Fällen ein, in denen der unterstützte Angehörige einen landwirtschaftlichen Betrieb in einem nach den Verhältnissen im Wohnsitzstaat üblichen Umfang und Rahmen betreibt. Letztere Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn der Angehörige wegen Alters oder aus gesundheitlichen Gründen nachweisbar nur noch in geringfügigem Umfang erwerbstätig ist.

 

Orientierungssatz

1. Die Bedürftigkeit des landwirtschaftlich tätigen Angehörigen ist vielmehr im Einzelfall zu prüfen und kann nur insoweit bejaht werden, als die eigenen Einkünfte und Bezüge des Unterhaltsempfängers die in § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG festgesetzten --nach den Verhältnissen des Wohnsitzstaates ggf. geminderten-- Höchstbeträge nicht überschreiten. Soweit wegen der niedrigeren Lebenshaltungskosten im Wohnsitzstaat eine Herabsetzung der nach § 33a Abs. 1 EStG anzuerkennenden Höchstbeträge erforderlich ist, enthalten die BMF-Schreiben vom 26.10.1979 (BStBl I 1979, 622) und vom 8.2.1980 (BStBl I 1980, 85) eine zutreffende Auslegung des Gesetzes (vgl. BFH-Rechtsprechung, auch zur Typisierung der Bedürftigkeit).

2. Eine tatsächliche Vermutung spricht dafür, daß ein Unterhaltsverpflichteter, der seine Angehörigen laufend unterstützt, seine Leistungen so einrichtet, daß sie zur Deckung des Lebensbedarfs des Empfängers bis zum Erhalt der nächsten Leistung dienen. Diese Vermutung steht regelmäßig einer Rückbeziehung von Unterhaltsleistungen auf Monate vor dem Zahlungsmonat entgegen. Im Einzelfall (z.B. bei erstmaliger Unterstützung) ist die Vermutung widerlegbar (vgl. BFH-Rechtsprechung).

 

Normenkette

EStG § 33 Abs. 2, § 33a Abs. 1, 4; AO 1977 § 90 Abs. 2 S. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein aus der Türkei stammender und in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) beschäftigter Arbeitnehmer, machte im Lohnsteuer-Jahresausgleich für das Streitjahr 1978 unter anderem Aufwendungen für den Unterhalt seines 1918 geborenen Vaters in Höhe von 2 500 DM gemäß § 33a Abs.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als außergewöhnliche Belastung geltend. Zum Nachweis der Unterhaltsleistungen legte er Überweisungsbelege vom 9.Juni, 1.August und 23.November 1978 sowie eine Unterhaltsbescheinigung des Verwaltungsbezirkspräsidenten vor. Ausweislich letzterer besaß der Vater des Klägers nur ein geringes Vermögen, war nicht berufstätig und bezog jährlich Einkünfte aus Landwirtschaft in Höhe von umgerechnet 466 DM.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) versagte --auch im Einspruchsverfahren-- den Abzug der geltend gemachten Aufwendungen mangels Bedürftigkeit des Unterhaltsempfängers.

Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen gerichteten Klage zum Teil statt. Es führte unter Hinweis auf die sogenannte Ländergruppeneinteilung (vgl. Schreiben des Bundesministers der Finanzen --BMF-- vom 26.Oktober 1979 IV B 6-S 2365-85/79, BStBl I 1979, 622) aus, die eigenen Einkünfte des Vaters des Klägers aus der Landwirtschaft hätten 2 400 DM (*= 2/3 der gemäß § 33a Abs.1 Satz 3 EStG unschädlichen eigenen Einkünfte und Bezüge der unterstützten Person) nicht überschritten. Der Auffassung des FA, bei ausländischen Landwirten könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, die Erträge aus ihrer Landwirtschaft reichten zur Sicherung des landesüblichen Existenzminimums aus, könne nicht gefolgt werden. Das FA könne sich jedenfalls im Streitfall nicht auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20.Januar 1978 VI R 193/74 (BFHE 124, 508, BStBl II 1978, 338) berufen. Anders als bei dem jener Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt habe der Kläger eine amtliche Bescheinigung über die Höhe der Einkünfte aus Landwirtschaft der unterstützten Person beigebracht. Im Streitfall seien mithin nach dem Schreiben des BMF vom 26.Oktober 1979 (a.a.O.) 2/3 des höchstmöglichen Abzugsbetrags von 3 000 DM, nämlich 2 000 DM als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33a Abs.1 Satz 1 EStG abziehbar.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts und mangelnde Sachaufklärung.

Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig Aufwendungen unter anderem für den Unterhalt von Personen, für die im Veranlagungszeitraum weder er noch eine andere Person Anspruch auf Kindergeld oder auf andere Leistungen nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) haben, so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, daß die Aufwendungen, höchstens jedoch ein Betrag von 3 000 DM im Kalenderjahr für jede unterhaltene Person vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden (§ 33a Abs.1 EStG). Voraussetzung ist, daß die unterhaltene Person kein oder nur ein geringes Vermögen besitzt. Hat die unterhaltene Person andere Einkünfte oder Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt oder geeignet sind, so vermindert sich der Betrag von 3 000 DM um den Betrag, um den diese Einkünfte und Bezüge den Betrag von 3 600 DM übersteigen. Für jeden vollen Kalendermonat, in dem die vorstehend bezeichneten Voraussetzungen nicht vorgelegen haben, ermäßigen sich die dort bezeichneten Beträge um je 1/12 (§ 33a Abs.4 EStG).

2. a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH kann die Steuerermäßigung des § 33a Abs.1 EStG nur in Anspruch genommen werden, wenn die Voraussetzungen für deren Gewährung im Einzelfall nachgewiesen oder glaubhaft gemacht werden (Urteil in BFHE 124, 508, BStBl II 1978, 338 mit weiteren Hinweisen). In der Bundesrepublik lebende Gastarbeiter, die Unterhaltsleistungen an Angehörige im Heimatland erbringen, sind nach § 90 Abs.2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) im besonderen Maße verpflichtet, Sachverhaltsteile, die sich auf Vorgänge im Ausland beziehen, aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen. Insbesondere haben sie die Bedürftigkeit der unterhaltenen Personen im Heimatland für jeden Empfänger von Unterhaltsleistungen durch detaillierte Angaben in amtlichen Bescheinigungen der Heimatbehörden der Unterhaltsempfänger nachzuweisen. Finanzbehörden und FG können mangels geeigneten gegenteiligen Beweismaterials von der widerlegbaren Vermutung ausgehen, daß die im Heimatstaat als Landwirt erwerbstätigen Angehörigen nicht unterhaltsbedürftig sind, so daß Unterhaltsleistungen an sie nicht zwangsläufig im erwachsen (vgl. Urteil in BFHE 124, 508, 511, BStBl II 1978, 338).

b) Die Auffassung des FG, vorstehende Vermutung finde im Streitfall keine Anwendung, ist nicht zu beanstanden. Der erkennende Senat versteht die Ausführungen des VI.Senats in BFHE 124, 508, 512, BStBl II 1978, 338 dahin, daß die --widerlegbare-- Vermutung nur in Fällen eingreift, in denen der unterstützte Angehörige einen landwirtschaftlichen Betrieb --wenn auch als Kleinbauer-- in einem nach den Verhältnissen im Wohnsitzstaat üblichen Umfang und Rahmen betreibt. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn der Angehörige wegen Alters oder aus gesundheitlichen Gründen nachweisbar nur noch in geringfügigem Umfang erwerbstätig ist. Für den letzteren Fall folgt der Senat der Auffassung des FG, daß die Bedürftigkeit des Unterhaltsempfängers im Einzelfall zu prüfen ist und nur insoweit bejaht werden kann, als die eigenen Einkünfte und Bezüge des Unterhaltsempfängers die in § 33a Abs.1 Satz 3 EStG festgesetzten --nach den Verhältnissen des Wohnsitzstaats der Empfänger gegebenenfalls geminderten (vgl. BFH-Urteil vom 20.Januar 1978 VI R 170/76, BFHE 124, 505, BStBl II 1978, 342)-- Höchstbeträge nicht überschreiten. Diese Rechtsansicht steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 31.Juli 1981 VI R 67/78, BFHE 134, 273, BStBl II 1981, 805), wonach die Bedürftigkeit der Unterhaltsempfänger innerhalb der Grenzen des § 33a Abs.1 Satz 3 EStG typisierend zu bejahen ist. Müßte nämlich unabhängig von den Höchstbeträgen des § 33a Abs.1 Satz 3 EStG jeweils noch geprüft werden, ob im Einzelfall --trotz Nichterreichens dieser Höchstbeträge-- die Unterhaltsaufwendungen des potentiell Unterhaltsverpflichteten doch nicht zwangsläufig sind, würde der typisierende und damit der der Steuervereinfachung dienende Charakter verlorengehen. Diese Grundsätze zur Beurteilung der Bedürftigkeit von Unterhaltsempfängern sind auch in Fällen der Unterstützung in der Landwirtschaft tätiger Personen anwendbar, und zwar, wie das FG zutreffend entschieden hat, auch dann, wenn diese Personen im Ausland leben. Soweit wegen der niedrigeren Lebenshaltungskosten im Wohnsitzstaat eine Herabsetzung der nach § 33a Abs.1 EStG anzuerkennenden Höchstbeträge erforderlich ist (vgl. das Urteil in BFHE 124, 505, BStBl II 1978, 342 sowie § 33a Abs.1 Satz 4 EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 1979 --StÄndG 1979--), wird dem durch die in den Schreiben des BMF vom 26.Oktober 1979 (BStBl I 1979, 622) und vom 8.Februar 1980 IV B 6-S 2365-15/80 (BStBl I 1980, 85) getroffene Regelung --die der erkennende Senat auch für das Streitjahr als für eine zutreffende Auslegung des Gesetzes hält-- ausreichend Rechnung getragen; diese bestimmt, daß für bestimmte Länder nur 2/3 bzw. 1/3 der in § 33a Abs.1 EStG genannten Höchstbeträge anzusetzen sind.

c) Das FG ist bei der Gesamtwürdigung der von ihm festgestellten Tatsachen zu dem Ergebnis gekommen, die eigenen Einkünfte des Vaters des Klägers aus Landwirtschaft hätten insgesamt 2 400 DM im Streitjahr nicht überschritten. Bei dieser Entscheidung hat die Vorinstanz maßgebend darauf abgestellt, daß die Veräußerungserlöse des Vaters mit nur 466 DM amtlich bescheinigt sind. Es sei unwahrscheinlich, daß Sachentnahmen und Mietwert der Unterkunft für den alleinstehenden Vater mit mehr als dem Vierfachen der Veräußerungserlöse zu bewerten seien. Diese Würdigung, die das FG unter anderem auf das fortgeschrittene Alter des Vaters und dessen Gesundheitszustand sowie auf die nur gelegentliche Tätigkeit in der Landwirtschaft gestützt hat, erscheint möglich. Daß die Vorinstanz zu dieser Würdigung kommen mußte, ist nicht erforderlich.

3. Das FG hat Unterhaltsaufwendungen des Klägers für 12 Monate als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33a Abs.1 EStG zum Abzug zugelassen, ohne zu prüfen, ob im Streitfall nur die Voraussetzungen für einen zeitanteiligen Abzug gemäß § 33a Abs.4 EStG vorliegen. Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz hat der Kläger die erste Unterhaltsleistung im Juni des Streitjahres erbracht. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH dürfen indes Unterhaltsleistungen regelmäßig nicht auf Monate vor dem Zahlungsmonat zurückbezogen werden (zuletzt Urteil vom 13.Februar 1987 III R 196/82, BFHE 149, 61, BStBl II 1987, 341 unter Hinweis unter anderem auf die BFH-Entscheidung vom 22.Mai 1981 VI R 140/80, BFHE 133, 521, BStBl II 1981, 713). Dies ergibt sich aus dem Umstand, daß Unterhaltsleistungen bestimmt und geeignet sein müssen, der Deckung des Lebensbedarfs des Unterhaltsempfängers zu dienen. Nach der Lebenserfahrung spricht jedoch, wie der VI.Senat in BFHE 133, 521, BStBl II 1981, 713 entschieden hat, eine tatsächliche Vermutung dafür, daß ein Unterhaltsverpflichteter, der seine Angehörigen laufend unterstützt, seine Leistungen so einrichtet, daß sie zur Deckung des Lebensbedarfs des Empfängers bis zum Erhalt der nächsten Leistung dienen. Diese --im Einzelfall widerlegbare-- Vermutung steht regelmäßig einer Rückbeziehung von Unterhaltsleistungen auf Monate vor dem Zahlungsmonat entgegen. Diese Rechtsprechung hat die Vorinstanz nicht beachtet.

4. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Aufgrund der vom FG festgestellten Tatsachen kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Es ist nicht geklärt, ob im Streitfall Tatsachen vorliegen, die zur Widerlegung der tatsächlichen Vermutung (vgl. oben Abschn.3) geeignet sind. Eine Ausnahme wäre insbesondere anzunehmen, wenn der Kläger seinen Vater im Streitjahr überhaupt erstmals unterstützt hätte. Die Sache ist daher gemäß § 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird den Sachverhalt in diesem entscheidungserheblichen Streitpunkt weiter aufklären müssen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61540

BStBl II 1987, 599

BFHE 149, 532

BFHE 1987, 532

DB 1987, 1919-1919 (ST)

DStR 1987, 764-765 (ST)

HFR 1987, 458-459 (ST)

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