Leitsatz (amtlich)

Kurzlebige Wirtschaftsgüter sind von der Investitionszulage nicht ausgeschlossen (Änderung der Rechtsprechung).

 

Normenkette

InvZulG 1975 § 4b

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt ein Stahlwerk. Für im Dezember 1974 bestellte und bis zum 30. Juni 1976 gelieferte Wirtschaftsgüter gewährte ihr der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) durch Bescheid vom 22. August 1975 Investitionszulagen nach § 4 b des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1975. Dabei blieben Wirtschaftsgüter mit Anschaffungskosten vom ... DM unberücksichtigt. Es handelt sich dabei um Maschinenwerkzeuge mit Anschaffungskosten von ... DM und um Kokillen mit Anschaffungskosten von ... DM. Kokillen sind Formen, in denen flüssiger Stahl zu Blöcken gegossen wird. Die hier streitigen Kokillen kosteten zwischen 3 000 und 20 000 DM und hatten eine durchschnittliche Nutzungsdauer von sieben bis zehn Monaten. Das FA berief sich für seine ablehnende Entscheidung auf Tz. 3.2.1.4 des Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BdF) vom 26. Februar 1975 (BStBl I 1975, 213), wonach für bewegliche Wirtschaftsgüter, deren betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer nicht mehr als ein Jahr beträgt (sog. kurzlebige Wirtschaftsgüter), eine Investitionszulage nicht zu gewähren sei (vgl. inzwischen Tz. 29 des insoweit inhaltsgleichen BdF-Schreibens vom 5. Mai 1977 - BStBl I 1977, 246 -). Die Klägerin hat in ihren Bilanzen für Maschinenwerkzeuge und Kokillen jeweils Festwerte gebildet.

Während der Einspruch keinen Erfolg hatte, gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt. Es setzte die Investitionszulagen um einen Betrag von ... DM (7,5 v. H. von ... DM) höher fest. Das FG ging vom Gesetzeswortlaut aus und war der Ansicht, daß nach der Zielsetzung des § 4 b InvZulG keine Möglichkeit bestehe, diesen Wortlaut restriktiv auszulegen und die kurzlebigen Wirtschaftsgüter von der Begünstigung auszunehmen. Das FG-Urteil vom 7. Dezember 1977 IX-I 1084/76 F ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1978 S. 96 (EFG 1978, 96) abgedruckt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet.

1. Nach § 4 b InvZulG 1975 (BGBl I 1975, 528, BStBl I 1975, 205) wird Steuerpflichtigen für neue abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die in der Zeit vom 1. Dezember 1974 bis 30. Juni 1975 bestellt und bis zum 30. Juni 1976 geliefert oder fertiggestellt werden, eine Investitionszulage gewährt. Die Zulage beträgt 7,5 v. H. der Anschaffungs- oder Herstellungskosten. Von der Investitionszulage sind geringwertige Wirtschaftsgüter i. S. des § 6 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ausgenommen. Insoweit deckt sich die Regelung in § 4 b Abs. 2 Nr. 1 InvZulG 1975 mit den übrigen Investitionszulagenvorschriften (§ 1 Abs. 3, § 4 Abs. 2, § 4 a Abs. 2 InvZulG 1975; § 19 Abs. 2 des Berlinförderungsgesetzes - BerlinFG -).

2. Im Streitfall sind sowohl die Maschinenwerkzeuge als auch die Kokillen neue bewegliche abnutzbare Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die keine geringwertigen Wirtschaftsgüter sind. Zum Anlagevermögen gehören sie, weil sie nicht zum Verbrauch oder Verkauf bestimmt sind und sich auch nicht bei der Durchführung eines einzigen Auftrages erschöpfen, sondern "auf Dauer" dem Betrieb zu dienen bestimmt sind (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. Oktober 1977 III R 72/75, BFHE 123, 538, BStBl II 1978, 115). Als geringwertige Wirtschaftsgüter scheiden die Kokillen aus, weil ihre Anschaffungskosten mehr als 800 DM betragen; die Maschinenwerkzeuge kommen als solche nicht in Betracht, weil sie nur zusammen mit den Maschinen nutzbar sind (vgl. § 6 Abs. 2 EStG). Der Gewährung von Investitionszulagen steht auch nicht entgegen, daß die Klägerin für die Maschinenwerkzeuge und die Kokillen Festwerte gebildet hat - und damit die Anschaffungs- oder Herstellungskosten sofort zu Lasten des Gewinns abgeschrieben hat - (vgl. BFH-Urteil vom 29. Juli 1966 VI 302/65, BFHE 87, 310, BStBl III 1967, 151).

3. In dem Urteil vom 9. März 1967 IV R 149/66 (BFHE 87, 589, BStBl III 1967, 238) hat der BFH Investitionszulagen nach § 19 des Berlinhilfegesetzes (BHG) - später BerlinFG - für kurzlebige Wirtschaftgüter versagt. Er hat sich dabei auf die Gesetzesbegründung zu den geringwertigen Wirtschaftsgütern bezogen (im einzelnen dargestellt in dem BFH-Urteil vom 21. Juli 1966 IV 298/65, BFHE 87, 180, BStBl III 1967, 59). Danach entspreche es dem Willen des Gesetzgebers, nicht Bewertungsfreiheit und Investitionszulagen nebeneinander zu gewähren. Für kurzlebige Wirtschaftsgüter habe Abschn. 43 Abs. 8 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - (= Abschn. 43 Abs. 9 Satz 3 EStR 1975) eine besondere Bedeutung, weil danach bewegliche Anlagegüter mit einer Nutzungsdauer von nicht mehr als einem Jahr bei Anschaffung in der ersten Jahreshälfte in vollem Umfang abgeschrieben werden könnten. Das bedeute unter Umständen eine erhebliche Vergünstigung gegenüber der sonst geltenden Regel, wonach eine Abschreibung nur pro rata temporis vorgenommen werden dürfe. Es könne keinen Unterschied machen, ob die Bewertungsfreiheit auf der gesetzlichen Vorschrift des § 6 Abs. 2 EStG oder auf der Verwaltungsanweisung des Abschn. 43 Abs. 8 EStR beruhe.

4. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung nicht mehr fest. Er ist vielmehr mit der Klägerin und dem FG der Auffassung, daß kurzlebige Wirtschaftsgüter nach den für eine Gesetzesauslegung geltenden Regeln von den Investitionszulagen nicht ausgeschlossen werden können.

a) Der Gesetzeswortlaut in § 4 b InvZulG 1975 ist eindeutig. Danach ist grundsätzlich für alle neuen abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens eine Investitionszulage zu gewähren. Daß die Maschinenwerkzeuge und die Kokillen selbständige bewertbare Wirtschaftsgüter sind, ist unzweifelhaft. Daß sie Anlagevermögen darstellen, ist bereits dargetan. Über den Sinn und Zweck der Regelung ist ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis zu kommen. Denn dieser besteht für sämtliche Investitionszulagen allgemein und für die Zulage nach § 4 b InvZulG speziell darin, einen Anreiz für Unternehmer zum Investieren zu schaffen. Eine Herausnahme der kurzlebigen Wirtschaftsgüter aus der Begünstigung würde aber diesen Sinn und Zweck nicht fördern, sondern ihn im Gegenteil vereiteln. Eine Berücksichtigung des gesetzgeberischen Motivs in dem Sinne, daß von der Begünstigung alle Wirtschaftsgüter ausgeschlossen seien, deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten sofort als Betriebsausgaben abgezogen werden können, erscheint dem Senat nicht möglich, weil ein solches Motiv im Gesetz in dieser Allgemeinheit nicht zum Ausdruck gekommen ist. Rechtsprechung und Verwaltung haben bisher einen solchen allgemeinen Rechtsgrundsatz auch nicht entwickelt. In dem BFH-Urteil VI 302/65 wurde im Gegenteil für Wirtschaftsgüter, für die ein Festwert gebildet war und deren Anschaffungskosten deshalb im Jahr der Anschaffung voll als Betriebsausgaben abgesetzt worden sind, eine Investitionszulage nicht versagt. In dem weiteren Urteil III R 72/75 hat der erkennende Senat ausgeführt, daß es der Gewährung von Investitionszulagen nicht entgegenstehe, wenn die Rechtsprechung es aus Gründen einer vorsichtigen Bilanzierung und wegen des Verbots des Ausweises nicht realisierter Gewinne ausnahmsweise zuläßt, daß ein Wirtschaftsgut im Jahr der Anschaffung auf einen Erinnerungswert von 1 DM abgeschrieben wird. Der BdF hat nach Tz. 30 seines Schreibens vom 5. Mai 1977 keine Bedenken, eine Investitionszulage zu gewähren, auch wenn das Wirtschaftsgut im Jahr der Anschaffung oder Herstellung sofort voll abgeschrieben wird (z. B. nach § 4 Nr. 1 der Erfinder-Verordnung - ErfVO -).

b) Es liegt auch keine Gesetzeslücke vor, die den Senat berechtigen könnte, einen zu weit geratenen Gesetzeswortlaut einzuschränken. Denn an den Voraussetzungen dazu, nämlich an einer feststellbaren plan- und prinzipwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzestextes, fehlt es. Im Gegenteil, der Gesetzgeber hat das Problem gesehen, daß es nämlich bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens gibt, die bereits im Jahr der Anschaffung oder Herstellung voll als Betriebsausgaben abgeschrieben werden können. Denn er hat mit dieser Begründung in dem Ausschluß der geringwertigen Wirtschaftsgüter von den Investitionszulagen einen solchen Fall ausdrücklich geregelt. Er hat ihn aber als Ausnahmefall in das Gesetz aufgenommen statt beispielsweise die Formulierung des § 30 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1967 (UStG 1967) zu wählen. Danach wird eine Selbstverbrauchsteuer nur auf Wirtschaftsgüter erhoben, die der Abnutzung unterliegen und deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten nach den einkommensteuerrechtlichen Vorschriften im Jahr der Anschaffung oder Herstellung nicht in voller Höhe als Betriebsausgaben abgesetzt werden können. Diese Formulierung wäre auch in § 4 b InvZulG 1975 (ebenso in § 1 Abs. 3, § 4 Abs. 2, § 4 a Abs. 2 InvZulG 1975; § 19 Abs. 2 BerlinFG) am Platze gewesen, wenn der Gesetzgeber beabsichtigt hätte, alle Wirtschaftsgüter, deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten sofort als Betriebsausgaben abgesetzt werden können, von der Investitionszulage auszuschließen.

c) Die kurzlebigen Wirtschaftsgüter können auch nicht im Wege der Analogie wie geringwertige Wirtschaftsgüter behandelt werden. Das scheitert schon daran, daß beide Tatbestände nicht in jeder Hinsicht ähnlich sind. Zwar können in beiden Fällen die Anschaffungs- und Herstellungskosten aus Vereinfachungsgründen sofort als Betriebsausgaben abgezogen werden. Während sich § 6 Abs. 2 EStG bei den Steuerpflichtigen im allgemeinen aber als eine steuerlich ins Gewicht fallende Vergünstigung auswirkt, weist die Klägerin mit Recht darauf hin, daß sich die steuerlichen Vorteile nach Abschn. 43 EStR in wesentlich engeren Grenzen halten. Die geringwertigen Wirtschaftsgüter hat der Gesetzgeber aber von der Investitionszulagen-Begünstigung ausgenommen, weil dem Investor nicht zwei Vergünstigungen nebeneinander gewährt werden sollen. Wirkt sich die Regelung über die kurzlebigen Wirtschaftsgüter nur in beschränktem Umfang als Steuervergünstigung aus, so kann der Grund für den Ausschluß der geringwertigen Wirtschaftsgüter von der Investitionszulage (doppelte Vergünstigung) nicht auch auf die kurzlebigen Wirtschaftsgüter übertragen werden.

Nach alledem muß bei der vom Gesetzgeber gewählten Gesetzesfassung davon ausgegangen werden, daß von dem Anspruch auf Investitionszulagen nur die geringwertigen Wirtschaftsgüter ausgenommen sind und daß dieser Ausnahmetatbestand auf kurzlebige Wirtschaftsgüter nicht übertragen werden kann.

Der Senat weist darauf hin, daß aus diesem Urteil keine Folgerungen hinsichtlich des Ausschlusses von Investitionszulagen für Reparaturaufwand gezogen werden können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73187

BStBl II 1979, 578

BFHE 1979, 129

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