Leitsatz (amtlich)

Die Pflicht des Arbeitgebers zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer besteht regelmäßig nur insoweit, als der Arbeitgeber tatsächlich oder rechtlich in die Zahlung des Arbeitslohns an die Arbeitnehmer eingeschaltet ist. Diese Voraussetzung liegt in bezug auf die den Arbeitnehmern freiwillig zugewendeten Trinkgelder im allgemeinen nicht vor.

 

Normenkette

EStG § 19 Abs. 1, § 38 Abs. 3, § 41 Abs. 1; LStDV §§ 2, 30

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt mehrere Friseurgeschäfte. Er hat u. a. auf die seinen Beschäftigten zugewendeten freiwilligen Trinkgelder die Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer nicht einbehalten und abgeführt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) berechnete die Lohnsteuer gemäß § 42a Abs. 2 Nr. 2 des EStG (§ 35b Abs. 1 Nr. 2 der LStDV) auf 25 v. H. der freiwilligen Trinkgelder und nahm den Kläger hierfür durch Haftungsbescheid in Anspruch.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wies das FG die Klage ab. Es führte aus: Die an die Beschäftigten im Friseurgewerbe freiwillig gezahlten Trinkgelder gehörten, soweit sie den Betrag des § 3 Nr. 51 EStG (§ 4 Nr. 5 LStDV) - 50 DM monatlich - überschritten, zum steuerpflichtigen Arbeitslohn. Der Arbeitgeber sei verpflichtet, die auf die steuerpflichtigen Trinkgelder entfallende Lohnsteuer und Kirchensteuer einzubehalten (§ 30 Abs. 1 LStDV), abzuführen (§ 41 LStDV) und anzumelden (§ 44 LStDV). Der Kläger habe die Pflicht zur Abführung der Lohnsteuer auf die freiwillig gewährten Trinkgelder dadurch schuldhaft verletzt, daß er seine Arbeitnehmer nicht nach der Höhe der Trinkgelder mit dem Hinweis auf deren Steuerpflicht verbindlich befragt habe. Er behaupte zwar, sich bei seinen Friseusen - im Hinblick auf deren Gehaltswünsche - öfter nach der Höhe der empfangenen Trinkgelder erkundigt zu haben. Seinen steuerlichen Pflichten habe er dadurch nicht genügt und schon deshalb nicht genügen wollen, weil ihm die Steuerpflicht der Trinkgelder bis zum Zeitpunkt der Steuerfahndung überhaupt nicht bekannt gewesen sei.

Mit der Revision rügt der Kläger Verstöße der Vorentscheidung gegen formelles und materielles Recht. In formeller Hinsicht beanstandet der Kläger eine Verletzung des § 76 FGO. Das FG hätte seine Arbeitnehmer über die Höhe der Trinkgelder vernehmen müssen. Materiell rügt der Kläger u. a. eine Verletzung des § 19 Abs. 1 EStG. Trinkgelder seien nach der auch für das Steuerrecht maßgebenden bürgerlich-rechtlichen und arbeitsrechtlichen Auffassung kein Arbeitslohn. Bei den freiwilligen Trinkgeldern im Friseurgewerbe handele es sich um freiwillige Zuwendungen eines Dritten, zu dem ein Vertragsverhältnis nicht bestehe. Die Besteuerung der Trinkgelder stelle eine mit Art. 3 des Grundgesetzes (GG) unvereinbare Ausweitung des Begriffs der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit dar. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes liege auch darin, daß die Trinkgelder im Friseurgewerbe im übrigen Bundesgebiet bisher nicht besteuert worden seien. Freiwillig gezahlte Trinkgelder würden bisher auch in keinem anderen Dienstleistungszweig der Besteuerung unterworfen. Abgesehen davon sei die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner unbillig. Die vom FG für das Friseurgewerbe bejahte Fragepflicht hinsichtlich der Höhe der freiwilligen Trinkgelder sei auch verfassungsrechtlich bedenklich. Bei der den Arbeitgebern gemäß §§ 38 ff. EStG auferlegten Mitwirkungspflicht beim Steuerabzug vom Arbeitslohn handele es sich um eine herkömmliche allgemeine, für alle Arbeitgeber gleiche öffentliche Dienstleistungspflicht im Sinne des Art. 12 Abs. 2 GG. Die vom FG im Streitfall bejahte Fragepflicht gehe jedoch für einen kleinen Kreis von Arbeitgebern über die allgemeine Mitwirkungspflicht weit hinaus. Den Arbeitgebern im Friseurgewerbe werde zugemutet, ihre Arbeitnehmer wöchentlich inquisitorisch nach der Höhe der von ihnen vereinnahmten freiwilligen Trinkgelder zu befragen. Ein solches Verhalten des Arbeitgebers gefährde den Arbeitsfrieden, belaste sein Verhältnis zu seinem Personal in unzumutbarer Weise und verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Abgesehen davon, daß die vom FG generell bejahte Aufklärungspflicht nicht bestehe, habe der Kläger diese Pflicht auch nicht verletzt. Er habe seine Friseusen öfters nach der Höhe der Trinkgelder gefragt. Seine Beschäftigten hätten ihm grundsätzlich Beträge unterhalb der Freigrenze genannt. Für ihn habe daher kein Anlaß bestanden, seine Arbeitnehmer auf die Steuerpflicht hinzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Haftungsbescheid in Form der Einspruchsentscheidung dahin abzuändern, daß der Kläger für die auf die freiwilligen Trinkgelder entfallende Lohnsteuer und Kirchensteuer nicht in Anspruch genommen wird.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

1. Das FG hat ohne Rechtsirrtum die an die Friseusen freiwillig gezahlten Trinkgelder den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zugerechnet; denn hierzu gehören nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG (§ 2 LStDV) alle Einnahmen im Sinne des § 8 Abs. 1 EStG, die dem Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis zufließen. Der Arbeitnehmer erhält seinen Arbeitslohn aus dem Dienstverhältnis zwar in der Regel von seinem Arbeitgeber. "Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit" im Sinn von § 19 EStG ("Arbeitslohn" im Sinn des § 2 LStDV) setzen aber nicht unbedingt eine Leistung des Arbeitgebers selbst voraus (Urteil des Senats vom 2. März 1962 VI 255/60 U, BFHE 74, 577, BStBl III 1962, 214). Zu den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit rechnen auch Zuwendungen Dritter, die einem Arbeitnehmer als geldwerter Vorteil im wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis zufließen. Dabei ist entscheidend, daß der Arbeitnehmer den Vorteil, den er im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis von Dritten empfangen hat, wirtschaftlich als Frucht seiner Dienstleistung für den Arbeitgeber betrachtet (Urteil VI 255/60 U). In Anwendung dieser Grundsätze hat die Rechtsprechung z. B. die freiwillige Entschädigung des Erben an einen früheren Arbeitnehmer des Erblassers (RFH-Urteil vom 24. Oktober 1934 VI A 141/34, RStBl 1935, 335) und die Zuwendungen, die ein Angestellter eines Steuerberaters von einem Kunden seines Arbeitgebers als Anerkennung seiner Arbeitsleistung erhielt (RFH-Urteil vom 21. September 1944 IV 29/44, RStBl 1944, 731), den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit zugerechnet. Entsprechend gehören nach der ständigen Rechtsprechung des Senats Trinkgelder, die Arbeitnehmern in gewissen Dienstleistungsgewerben aus Anlaß ihrer Berufstätigkeit üblicherweise freiwillig zugewendet werden, zu den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit (RFH-Urteile vom 23. November 1928 VI A 1272/28, RFHE 24, 219, und vom 18. April 1940 IV 312/39, RStBl 1940, 665; Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs vom 18. April 1950 IV 22/50, Amtsblatt des B. Staatsministeriums der Finanzen 1950 S. 239, StRK, Einkommensteuergesetz, § 19 Abs. 1 Nr. 1, Rechtsspruch 5). Wenn in diesen Fällen auch der Kunde das freiwillig gezahlte Trinkgeld als "Geschenk" oder als "Anerkennung" gegenüber dem Arbeitnehmer ansehen mag, so handelt es sich bei diesen freiwillig zugewendeten Beträgen - jedenfalls aus der Sicht des Arbeitnehmers - um einen Bestandteil seines Arbeitslohns. Daß auch das Einkommensteuergesetz die freiwillig gewährten Trinkgelder grundsätzlich dem steuerpflichtigen Arbeitslohn zurechnet, folgt aus der Freibetragsregelung in § 3 Nr. 51 EStG (§ 4 Nr. 5 LStDV).

Das FG hat auch zutreffend entschieden, daß die Besteuerung der den Freibetrag des § 3 Nr. 51 EStG (§ 4 Nr. 5 LStDV) übersteigenden Trinkgelder nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Das Gebot steuerlicher Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer verlangt, daß auch von Dritten gezahlte Teile des Arbeitslohns besteuert werden. Mit dem Einwand, die freiwilligen Trinkgelder im Friseurgewerbe seien bisher im übrigen Bundesgebiet nicht besteuert worden, kann der Kläger keinen Erfolg haben. Die Nichtbesteuerung der freiwillig gezahlten Trinkgelder, soweit sie den Freibetrag nach § 3 Nr. 51 EStG übersteigen, in anderen Bundesländern wäre - läge sie tatsächlich vor - rechtswidrig. Mit dem Hinweis auf das rechtswidrige Unterbleiben der Besteuerung in anderen Fällen läßt sich jedoch ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht begründen.

2. Aus der Zugehörigkeit der einem Arbeitnehmer von Dritten freiwillig zugewendeten Trinkgelder zu den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit folgt jedoch nicht ohne weiteres, daß der Arbeitgeber auch insoweit zum Steuerabzug vom Arbeitslohn verpflichtet ist. Gemäß § 41 Abs. 1 EStG (§ 30 LStDV) hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer bei jeder Lohnzahlung für den Arbeitnehmer einzubehalten und an das FA abzuführen. Diese das Lohnsteuer-Abzugsverfahren kennzeichnende öffentlichrechtliche Pflicht des Arbeitgebers, deren Erfüllung durch die Vorschriften über die Haftung des Arbeitgebers - § 38 Abs. 3 EStG, § 46 LStDV - sichergestellt ist, soll durch eine Erhebung der Steuer an der Quelle in möglichst einfacher Form einen vollständigen und schnellen Eingang der Lohnsteuer gewährleisten (BFH-Urteil, vom 5. Juli 1963 VI 270/62 U, BFHE 77, 408, BStBl III 1963, 468). § 41 Abs. 1 EStG (§ 30 LStDV) enthält keine ausdrückliche Regelung über die Grenzen der Einbehaltungs- und Abführungspflichten des Arbeitgebers. Mit Rücksicht auf das Wesen des Lohnsteuer-Abzugsverfahrens - Erhebung der Steuer an der Quelle - neigt der Senat der Auffassung zu, daß eine Einbehaltungs- und Abführungspflicht regelmäßig nur in dem Umfang besteht, in dem der Arbeitgeber in irgendeiner Form tatsächlich oder rechtlich in die Zahlung des Arbeitslohnes eingeschaltet ist. Soweit der Arbeitgeber weder tatsächlich noch rechtlich in die Zahlung des Arbeitslohnes eingeschaltet ist, liegen der Hauptgrund und die wichtigste Rechtfertigung für den Steuerabzug vom Arbeitslohn nicht vor; insoweit kann von einem Lohnsteuerabzug "an der Quelle" nicht gesprochen werden. Im Hinblick hierauf und mangels einer weitergehenden ausdrücklichen gesetzlichen Regelung der Pflichten des Arbeitgebers beim Steuerabzug vom Arbeitslohn erscheint es - auch im Hinblick auf die Vorschriften über die (auch strafrechtliche) Haftung des Arbeitgebers - nicht gerechtfertigt, die Pflicht zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer auch auf die den Arbeitnehmern von Dritten freiwillig gewährten Trinkgelder zu erstrecken. Nur mit dieser Einschränkung kann der Arbeitgeber, der durch die - unentgeltlich zu erbringende - Pflicht zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer im öffentlichen Interesse nicht unerheblich belastet ist, den Steuerabzug vom Arbeitslohn ohne größere Schwierigkeiten auch tatsächlich durchführen. Im übrigen läßt sich auch die von der Vorinstanz für den Streitfall bejahte Pflicht des Arbeitgebers, seine Arbeitnehmer über die Höhe der empfangenen freiwilligen Trinkgelder zu befragen, aus § 41 Abs. 1 EStG (§ 30 LStDV) nicht begründen. Der Senat braucht nicht zu prüfen, ob sich diese Rechtsauffassung der Vorinstanz auf Abschn. 3 Abs. 6 und 7 der LStR stützen läßt. Denn eine Verwaltungsanweisung dieses Inhalts stände mit der gesetzlichen Regelung des § 41 Abs. 1 EStG (§ 30 LStDV) nicht in Einklang. Da nach allem der Kläger seine Pflicht zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer in bezug auf die seinen Arbeitnehmern freiwillig gewährten Trinkgelder nicht verletzt hat, scheidet in diesem Punkt seine Inanspruchnahme im Wege der Lohnsteuerhaftung aus.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70876

BStBl II 1974, 411

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