Entscheidungsstichwort (Thema)

Zollfreiheit für Teile wissenschaftlicher Geräte

 

Leitsatz (NV)

Teile, Ersatzteile und Zubehör für wissenschaftliche Instrumente, Apparate oder Geräte sind nur zollfrei, wenn

a) die Instrumente usw. selbst vom Zoll freigestellt worden sind oder

b) sie eine eigenständige wissenschaftliche Funktion ausüben können und sämtliche Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 1798/75 erfüllen (Anschluß an die Rechtsprechung des EuGH).

 

Normenkette

EWGV 1798/75 Art. 3 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt - HZA -) fertigte am 23. Dezember 1977 auf Antrag der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) eine Zentralspeichereinheit (Halbleiterspeicher) HX aus den USA zum freien Verkehr ab. Die Klägerin begehrte Zollfreiheit nach Art. 3 und 5 der Verordnung (EWG) Nr. 1798/75) (VO Nr. 1798/75) des Rates vom 10. Juli 1975 über die von den Zöllen des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) befreite Einfuhr von Gegenständen erzieherischen, wissenschaftlichen und kulturellen Charakters (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - 1975 L 184/1) und legte eine Erklärung der Universität E - Rechenzentrum - vom 23. Dezember 1977 vor, wonach die Ware ausschließlich für Lehrzwecke und reine wissenschaftliche Forschung benutzt werde. Das HZA lehnte die begehrte Zollfreiheit ab und setzte Eingangsabgaben in Höhe von insgesamt 40 227,19 DM (15 002,15 DM Zoll und 25 225,04 DM Einfuhrumsatzsteuer) fest mit der Begründung, die Ware sei Teil des von der Firma A im Zollgebiet hergestellten und von der Klägerin vertriebenen Großrechnersystems T.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage mit dem Antrag, den Bescheid vom 23. Dezember 1977 und die Einspruchsentscheidung ersatzlos aufzuheben, hatte Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) aus:

Der Großrechner T sei in der hier in Betracht kommenden Ausstattung ein wissenschaftliches Gerät i. S. der VO Nr. 1798/75. Der eingeführte Halbleiterspeicher sei Teil dieses Systems. Er stelle eine konstituierende Komponente des Rechners dar und bestimme dadurch den Charakter als wissenschaftliches Gerät. Er sei damit i. S. des Art. 3 Abs. 2 VO Nr. 1798/75 zum Funktionieren eines wissenschaftlichen Geräts notwendig, das ebenfalls zollfrei sei. Nicht erforderlich sei, daß das ganze Gerät auch tatsächlich eingeführt worden sei. Auch die sonstigen Voraussetzungen für die Zollfreiheit seien erfüllt. Es sei nicht bekanntgeworden, daß Geräte von gleichem wissenschaftlichen Wert in der Gemeinschaft hergestellt würden. Der gehörte Gutachter habe eine derartige Möglichkeit verneint.

Mit seiner Revision macht das HZA folgendes geltend:

Gegenstand der Einfuhr sei nur der Halbleiterspeicher. Für eine Ware dieser Art könne Zollfreiheit allenfalls nach Art. 3 Abs. 2 VO Nr. 1798/75 gewährt werden. Die Frage des wissenschaftlichen Charakters des eingeführten Teils (Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 1798/75) stelle sich hier nicht. Entscheidende Bedeutung komme dem Umstand zu, ob das Hauptgerät, dessen Teil die eingeführte Ware sei, zollfrei sei oder nicht. Die Zollfreiheit für Teile nach Art. 3 Abs. 2 VO Nr.1798/75 setze voraus, daß das Hauptgerät selbst Gegenstand der Einfuhr und zollfrei nach Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 1798/75 sei. Der Großrechner T sei in der Gemeinschaft hergestellt worden. Im übrigen treffe es nicht zu, daß der eingeführte Halbleiterspeicher zum Funktionieren des Großrechners T notwendig sei.

Der dem Streitfall zugrunde liegende Einspruch wende sich gegen die Erhebung des Zolls und der anteiligen Einfuhrumsatzsteuer. Das FG habe jedoch den angefochtenen Steuerbescheid in vollem Umfang aufgehoben, also auch hinsichtlich des gesamten Einfuhrumsatzsteuerbetrages. Hierfür bestehe keine Rechtsgrundlage.

Das HZA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Das FG hat sein Urteil auf Art. 3 Abs. 2 VO Nr. 1798/75 i. d. F. vor Inkrafttreten der Verordnung (EWG) Nr. 1027/79 (VO Nr. 1027/79) des Rates vom 8. Mai 1979 (ABlEG 1979 L 134/l) gestützt. Im maßgebenden Zeitpunkt galt die Verordnung in dieser Fassung. Nach dieser Bestimmung war Zollfreiheit vorgesehen ,,auch für alle Teile, Ersatzteile und Zubehör, die zum Funktionieren von wissenschaftlichen Instrumenten, Apparaten und Geräten notwendig sind, sofern diese ebenfalls zollfrei sind". Diese Vorschrift hat das FG unrichtig ausgelegt.

Nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 15. November 1984 Rs. 236/83 (EuGHE 1984, 3849, 3868) ist Art. 3 Abs. 2 VO Nr. 1798/75 dahin auszulegen, ,,daß Teile, Ersatzteile und Zubehör zollfrei eingeführt werden können, wenn sie für wissenschaftliche Instrumente, Apparate oder Geräte bestimmt sind, die selbst vom Zoll freigestellt werden oder freigestellt worden sind. Die Zollbefreiung ist dagegen zu versagen, wenn die Teile zum Einbau in eine in der Gemeinschaft hergestellte wissenschaftliche Anlage bestimmt sind". Der EuGH hat diese Auffassung im Urteil vom 4. Juli 1985 Rs. 51/84 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1985, 540) bestätigt. Der erkennende Senat folgt dieser Auffassung; eine erneute Vorlage an den EuGH hält er nicht für erforderlich.

Nach der Vorentscheidung ist der eingeführte Halbleiterspeicher zum Einbau in die Rechneranlage T bestimmt, die in der Gemeinschaft hergestellt wird. Art. 3 Abs. 2 VO Nr. 1798/75 in der Auslegung durch den EuGH gibt daher keinen Rechtsanspruch auf Zollfreiheit des eingeführten Teils.

2. Die Nichtanwendbarkeit des Art. 3 Abs. 2 VO Nr. 1798/75 auf die eingeführte Ware bedeutet aber noch nicht, daß diese Ware nicht nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung zollfrei bleiben kann. Nach dem Urteil in EuGHE 1984, 3849, 3868 schließt ,,der Umstand, daß Gegenstände als Teile einer Anlage oder komplexen apparativen Einheit der wissenschaftlichen Forschung angesehen werden können, ihre Qualifizierung als wissenschaftliche Instrumente, Apparate oder Geräte nicht aus, wenn feststeht, daß sie eine eigenständige wissenschaftliche Funktion ausüben können, und wenn sämtliche Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 1798/75 erfüllt sind". Das FG ist auf diese Frage - von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht - nicht eingegangen. Es hat daher auch entsprechende Feststellungen unterlassen. Dem Senat ist somit eine Entscheidung in der Sache verwehrt. Die Sache ist infolgedessen zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

3. Das FG wird sich in seiner neuerlichen Entscheidung (zumindest im Rahmen der Kostenentscheidung) auch mit der Frage auseinanderzusetzen haben, in welchem Umfang die Klägerin den Bescheid vom 23. Dezember 1977 und die Einspruchsentscheidung vom 29. September 1978 angefochten hat, ob nur hinsichtlich des Zolls oder auch in bezug auf die ganze oder nur anteilige Einfuhrumsatzsteuer.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414943

BFH/NV 1987, 747

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