Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsveräußerung u. Betriebsaufgabe bei einer vermögensverwaltenden GmbH & Co. KG; Rückwirkung der Bilanzänderungsregelung in § 52 Abs. 9 EStG ist verfassungskonform einzuschränken; mögliche spätere Übertragung auf ein begünstigtes Reinvestitionsobjekt als Voraussetzung für eine Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Voraussetzungen der Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe bei einer vermögensverwaltenden GmbH & Co. KG.

2. § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F., der eine Bilanzänderung mit Zustimmung des FA zulässt, ist jedenfalls dann bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 1998 anzuwenden, wenn der Antrag auf Zustimmung zur Bilanzänderung vor dem 1. Januar 1999 gestellt wurde und ein Rechtsanspruch des Steuerpflichtigen auf Erteilung der Zustimmung bestand. Die in § 52 Abs. 9 EStG i.d.F. des StBereinG 1999 getroffene Regelung, dass die die Bilanzänderung einschränkende Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG n.F. auch für Veranlagungszeiträume vor 1999 anzuwenden sei, ist verfassungskonform einzuschränken.

3. Verfolgt der Steuerpflichtige mit seinem Antrag auf Zustimmung zu einer Bilanzänderung das Ziel, eine Rücklage gemäß § 6b EStG zu bilden oder fortzuführen, so darf das FA die Zustimmung nur aus Gründen verweigern, die sich aus den vom Gesetzgeber mit § 4 Abs. 2 Satz 2 und § 6b EStG verfolgten Zielen ergeben.

4. Eine Personengesellschaft darf eine Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG auch dann noch bilden, wenn eine Reinvestition wegen einer bevorstehenden Betriebsaufgabe nicht mehr in Betracht kommt und Gesellschaftsvermögen bereits an die Gesellschafter ausgekehrt ist; es genügt, dass die spätere Übertragung der Rücklage auf ein begünstigtes Reinvestitionsobjekt am Bilanzstichtag noch möglich war.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 2 S. 2, § 6b Abs. 3, § 16 Abs. 1, 3, § 52 Abs. 9; StBereinG 1999

 

Verfahrensgang

FG Münster (EFG 1999, 697; LEXinform-nr., 0551898)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ―eine KG― sollte nach dem Gesellschaftsvertrag einen …-Handel betreiben. Tatsächlich beschränkte sie sich jedoch darauf, ein 1975 erworbenes Grundstück zu vermieten. Daneben kaufte sie Wertpapiere und erzielte hieraus Zinsen. Die Wirtschaftsgüter wies sie in ihren Bilanzen als Anlagevermögen aus.

Am 27. Juli 1992 verkaufte die Klägerin das Grundstück zum Preis von 670 000 DM. Nach Zahlung der letzten Kaufpreisrate wurde es im Januar 1993 dem Käufer übereignet. Im Oktober 1993 beschlossen die Gesellschafter die Liquidation der Gesellschaft zum 31. Dezember 1993 und den Verkauf der Wertpapiere zum bestmöglichen Preis. Mit Schreiben vom 25. Oktober 1993 erklärte die Klägerin gegenüber dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) die Betriebsaufgabe. Die Wertpapiere (Buchwerte: 140 079,31 DM) wurden im September 1994 veräußert, der Erlös in Höhe von 138 154,15 DM anschließend im Wesentlichen an die Gesellschafter ausgekehrt.

Das FA erfasste den Gewinn aus der Veräußerung des Grundstücks bei der Klägerin als laufenden Gewinn des Streitjahres 1993. Die Klägerin war demgegenüber der Ansicht, dass er dem ermäßigten Steuersatz unterliege. Der Einspruch blieb erfolglos.

Mit der Klage beantragte die Klägerin im Hauptantrag, den aus der Grundstücksveräußerung erzielten Gewinn als tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn i.S. der §§ 16, 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu behandeln, und im Hilfsantrag, das FA zu verpflichten, einer Änderung der Bilanz zum 31. Dezember 1993 gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG dahin gehend zuzustimmen, dass der von der Klägerin erzielte Veräußerungsgewinn in Höhe von 659 260 DM einer Rücklage gemäß § 6b Abs. 3 EStG zugeführt wird. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1999, 697).

Mit der ―vom Senat zugelassenen― Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts (§§ 16 Abs. 1 Nr. 1, 16 Abs. 3 Satz 1, 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG, hilfsweise §§ 4 Abs. 2 Satz 2, 6b Abs. 3, 34 Abs. 1 Satz 4 EStG).

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des FG aufzuheben und den Feststellungsbescheid vom 16. Februar 1995 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 1996 dahin gehend abzuändern, dass der bei der Grundstücksveräußerung erzielte Gewinn als tarifbegünstigter Veräußerungsgewinn i.S. von §§ 16, 34 EStG festgestellt wird und

2. hilfsweise, das FA zu verpflichten, einer Änderung der Bilanz der Klägerin zum 31. Dezember 1993 gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG dahin gehend zuzustimmen, dass der von der Klägerin erzielte Veräußerungsgewinn in Höhe von 659 260 DM einer Rücklage gemäß § 6b Abs. 3 EStG zugeführt wird.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und auf den Hilfsantrag der Klägerin hin zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

A. Die Revision ist im Hauptantrag unbegründet. Der Gewinn aus der Veräußerung des Grundstücks unterliegt nicht dem ermäßigten Steuersatz nach §§ 16, 34 EStG. Es handelt sich weder um einen Veräußerungsgewinn i.S. von § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG noch um einen Aufgabegewinn i.S. von § 16 Abs. 3 EStG.

1. Die Klägerin hat mit der Veräußerung des Grundstücks nicht ihren ganzen Betrieb veräußert (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG).

Sie hat mit dieser Veräußerung weder ihre bisherige gewerbliche Tätigkeit beendet noch hat sie alle dieser Tätigkeit dienenden wesentlichen Betriebsgrundlagen an einen Erwerber veräußert (zu diesen Voraussetzungen vgl. u.a. Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 16. Dezember 1992 X R 52/90, BFHE 170, 363, BStBl II 1994, 838, und vom 13. Februar 1996 VIII R 39/92, BFHE 180, 278, BStBl II 1996, 409, unter 2. der Gründe; Schmidt/Wacker, Einkommensteuergesetz, 18. Aufl., § 16 Rz. 98, 100, m.w.N.; Tiedtke/Wälzholz, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 1999, 217, 218, m.w.N.). Vielmehr hat sie ―wenn auch ggf. aus unterschiedlichen betrieblichen Anlässen― eine aus der Nutzung des Grundstücks und aus der Nutzung von Kapitalvermögen bestehende gemischte Vermögensverwaltung betrieben. Sie hätte deshalb beide Tätigkeiten einstellen und auch den Wertpapierbestand veräußern müssen. Denn dieser gehörte zu den wesentlichen Grundlagen ihres Betriebs. Er war für ihre vermögensverwaltende Tätigkeit mitbestimmend und damit für die Verfolgung ihres Betriebszwecks erforderlich, und er war mit rd. 20 v.H. des Werts des Gesellschaftsvermögens und rd. 14 v.H. der Erträge des Jahres 1992 für ihre Betriebsführung von wesentlichem wirtschaftlichem Gewicht (zu den Voraussetzungen einer wesentlichen Betriebsgrundlage vgl. u.a. BFH-Urteile in BFHE 180, 278, BStBl II 1996, 409, unter 3. a der Gründe, und vom 12. Juni 1996 XI R 56, 57/95, BFHE 180, 436, BStBl II 1996, 527, m.w.N.).

2. Es liegt auch keine tarifbegünstigte Betriebsaufgabe vor (§ 16 Abs. 3 EStG).

Geht man davon aus, dass die Klägerin ihren Betrieb endgültig erst mit dem Gesellschafterbeschluss vom 23. Oktober 1993 einstellen wollte, dann ist die Veräußerung des Grundstücks noch nicht Teil des Aufgabevorgangs; der Veräußerungsgewinn gehört zum laufenden Gewinn der Klägerin (zur Bedeutung des Aufgabebeschlusses und seiner zeitnahen Mitteilung an das FA vgl. BFH-Urteil vom 10. März 1998 VIII R 62/96, BFH/NV 1998, 1211).

Unterstellt man zugunsten der Klägerin, dass die Veräußerung des Grundstücks auf einem bereits früher gefassten Aufgabeentschluss beruhte, dann ist der für eine steuerbegünstigte Betriebsaufgabe unschädliche Aufgabezeitraum überschritten (zur gebotenen Betriebsaufgabe innerhalb kurzer Zeit vgl. u.a. BFH-Urteil vom 21. August 1996 X R 78/93, BFH/NV 1997, 226). Denn dieser beginnt bereits mit der ersten, von dem Aufgabeentschluss getragenen Handlung, die objektiv auf die Auflösung des Betriebs gerichtet ist (BFH-Urteile vom 21. Oktober 1993 IV R 42/93, BFHE 173, 285, BStBl II 1994, 385; in BFH/NV 1998, 1211, m.w.N); das aber wäre hier der Abschluss des Kaufvertrags über das Grundstück am 27. Juli 1992 gewesen (BFH-Urteil vom 17. Oktober 1991 IV R 97/89, BFHE 166, 149, BStBl II 1992, 392, unter II. 3. der Gründe). Beendet wäre die Betriebsaufgabe erst mit dem Verkauf der Wertpapiere im September 1994 gewesen. Der Aufgabevorgang hätte sich also über drei Veranlagungszeiträume erstreckt. Das kann zwar in Ausnahmefällen noch ein "kurzer Zeitraum" im Sinne der Rechtsprechung zur Betriebsaufgabe sein (vgl. z.B. ―zu § 7 Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV)― BFH-Urteil vom 14. Juli 1993 X R 74-75/90, BFHE 172, 200, BStBl II 1994, 15, unter II. 1. der Gründe); im Streitfall gibt es aber für diese lange Dauer der Abwicklung des Betriebs keinen hinreichenden Grund. Nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen des FG waren die Wertpapiere leicht verkäuflich und konnten deshalb ohne Verschleuderung von Vermögenswerten in einem erheblich kürzeren Zeitraum veräußert werden (dazu BFH-Urteil in BFH/NV 1998, 1211, m.w.N.).

Die Betriebsaufgabe wurde entgegen der Ansicht der Klägerin nicht durch eine "Entnahme" der Wertpapiere zum 31. Dezember 1993 beendet; der Abwicklungszeitraum kann nicht dadurch verkürzt werden, dass wesentliche Betriebsgrundlagen, die alsbald veräußert werden sollen, in das Privatvermögen übernommen werden (vgl. BFH-Urteile vom 16. September 1966 VI 118/65 und VI 119/65, BFHE 87, 134, BStBl III 1967, 70, m.w.N., und vom 21. Mai 1992 X R 77-78/90, BFH/NV 1992, 659, unter 2. c der Gründe; Hörger in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, § 16 EStG Rz. 73, 136; Reiß in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 16 Rdnr. F 27, 28; Schmidt/Wacker, a.a.O., § 16 Rz. 195, 374).

B. Die Revision ist aber im Hilfsantrag begründet. Das FG hätte dem Antrag auf Änderung der Bilanz mit dem Ziel der Bildung einer Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG für den Gewinn aus der Veräußerung des Grundstücks stattgeben müssen.

1. Die Bildung einer Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG ist nicht davon abhängig, dass sie in der Bilanz der Klägerin zum 1. Dezember 1993 von vornherein enthalten war; sie kann im Wege einer Bilanzänderung noch bis zur Bestandskraft des Feststellungsbescheids nachgeholt werden (§ 4 Abs. 2 Satz 2 EStG i.d.F. bis zum EStG 1998, und dazu BFH-Urteile vom 7. März 1996 IV R 34/95, BFHE 180, 305, BStBl II 1996, 568, unter 2. der Gründe, und vom 24. März 1998 I R 20/94, BFHE 185, 451, BStBl II 1999, 272, unter II. 5. b der Gründe). Das gilt auch für die durch das Steuerbereinigungsgesetz (StBereinG) 1999 geänderte Fassung des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG, die gemäß § 52 Abs. 9 EStG auch auf Veranlagungszeiträume vor 1999 anzuwenden ist.

2. Die Bilanzänderung setzte nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. die Zustimmung des FA voraus. Nach der geänderten Fassung dieser Vorschrift durch das StBereinG 1999 ist eine Zustimmung des FA nicht mehr erforderlich, sie knüpft die Bilanzänderung aber in sachlicher Hinsicht an engere Voraussetzungen als die bisherige Regelung. Hinsichtlich dieser Voraussetzungen ist die geänderte Fassung im Streitfall noch nicht anwendbar (s. nachfolgend zu 4.); andererseits bleibt es dabei, dass das FA der Bilanzänderung zustimmen muss.

Über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung dieser Zustimmung ist im Rahmen des Feststellungsverfahrens zu entscheiden. Das gilt jedenfalls dann, wenn das Ermessen des FA zur Erteilung der Zustimmung auf Null reduziert ist (vgl. BFH-Urteile vom 21. Januar 1992 VIII R 72/87, BFHE 169, 219, BStBl II 1992, 958, unter 2. d der Gründe, und in BFHE 185, 451, BStBl II 1999, 272, unter II. 3. b, 6. und 7. der Gründe). Die Einwendungen gegen eine ablehnende Entscheidung des FA können mit der Klage gegen den Feststellungsbescheid geltend gemacht werden (BFH-Urteil vom 9. August 1989 X R 110/87, BFHE 158, 520, BStBl II 1990, 195). Das schließt die Möglichkeit ein, den Antrag auf Änderung der Steuerbilanz auch erstmals ―und ohne vorausgehende Änderung der Handelsbilanz― im Klageverfahren zu stellen (BFH-Urteile in BFHE 180, 305, BStBl II 1996, 568, unter 2. und 3. der Gründe, m.w.N.; BFHE 185, 451, BStBl II 1999, 272, unter II. 4. a der Gründe). Das FG war deshalb verpflichtet, über den Änderungsantrag der Klägerin sachlich zu entscheiden, wenn ein Ermessensspielraum des FA nicht bestand. So liegt der Fall hier (dazu nachfolgend).

3. Das FG durfte die Bilanzänderung nicht schon deshalb ablehnen, weil diese nur als Reaktion auf eine Berichtigung von Bilanzansätzen ―z.B. nach einer Außenprüfung― in Betracht komme. In diesem Fall musste das FA dem Antrag des Steuerpflichtigen auf Zustimmung zur Bilanzänderung zwar grundsätzlich stattgeben (vgl. zuletzt FG Düsseldorf, Urteil vom 27. April 1999 11 K 404/90 E, EFG 1999, 689); der Anwendungsbereich des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. war damit aber nicht erschöpft. Die Änderung der Wahlrechtsausübung (bzw. seiner Nichtausübung) ist ein bilanzrechtlich anerkanntes Gestaltungsrecht, das der Steuerpflichtige in den Grenzen des § 4 Abs. 2 EStG a.F. frei und unbeschränkt geltend machen konnte (BFH-Urteil in BFHE 185, 451, BStBl II 1999, 272, unter II. 5. b der Gründe). Das gilt insbesondere auch für den hier vorliegenden Fall, dass sich der Steuerpflichtige in seiner Erwartung zur Höhe der vom FA festgesetzten Steuer enttäuscht sieht (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 19. Februar 1976 IV R 195/75, BFHE 118, 328, BStBl II 1976, 417); denn auch in diesem Fall fällt die Grundlage für die Bilanzierungsentscheidung des Steuerpflichtigen weg und beruht der Antrag auf Zustimmung zur Bilanzänderung auf einem sachlich vernünftigen Grund. Das FA kann diesen Antrag deshalb nur ablehnen, wenn er zu einer Verzögerung der Erledigung des Besteuerungsverfahrens führt, der durch die Bearbeitung des Antrags beim FA anfallende Arbeitsaufwand in keinem sachgerechten Verhältnis zum Interesse des Steuerpflichtigen an der Bilanzänderung steht oder der vom Steuerpflichtigen angeführte sachliche Grund nicht mit dem von § 6b EStG verfolgten Ziel vereinbar ist (vgl. dazu BFH-Urteile in BFHE 180, 305, BStBl II 1996, 568, unter 5. der Gründe, und in BFHE 185, 451, BStBl II 1999, 272, unter II. 5. b und d sowie 6. a der Gründe). Das folgt zum einen aus der Entstehungsgeschichte des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. (vgl. dazu die Begründung zum EStG 1934 in RStBl 1935, 33, 37 f.) und zum anderen aus dem die Eingriffsverwaltung beherrschenden Übermaßverbot.

4. Die durch das StBereinG 1999 geänderte Fassung des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG, nach der der Steuerpflichtige die Vermögensübersicht nur ändern darf, wenn sie in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Bilanzberichtigung steht und soweit deren Auswirkung auf den Gewinn reicht, steht der Anwendung dieser Rechtsprechung im Streitfall nicht entgegen. Zwar ist § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG n.F. nach der Überleitungsvorschrift des § 52 Abs. 9 EStG auch für Veranlagungszeiträume vor 1999 anzuwenden; diese Vorschrift ist aber mit der Maßgabe verfassungskonform einzuschränken, dass über einen Antrag auf Zustimmung zur Bilanzänderung jedenfalls dann noch nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. zu entscheiden ist, wenn er vor dem 1. Januar 1999 gestellt wurde und ein Rechtsanspruch des Klägers auf Erteilung der Zustimmung bestand (vgl. auch ―zur zwischenzeitlichen Neufassung des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG durch das Steuerentlastungsgesetz (StEntlG) 1999/2000/2002― Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen ―BMF― vom 10. August 1999 IV C 2 -S 1910- 484/99, BStBl I 1999, 822, und ―zur Neufassung nach dem StBereinG 1999― Oberfinanzdirektion ―OFD― München, Verfügung vom 10. Februar 2000 S 2141 - 4 St 427, Finanz-Rundschau ―FR― 2000, 342, sowie BMF-Schreiben vom 18. Mai 2000 IV C 2 -S 2141- 15/00, DStR 2000, 927).

a) Die geänderte Fassung des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG ist ein gegenüber der bisherigen Rechtslage belastendes Gesetz. Denn sie schreibt, wie ausgeführt, nicht nur eine schon bisher praktizierte Rechtsüberzeugung fest oder stellt eine bisher bestehende Rechtslage lediglich klar. Soweit deshalb § 52 Abs. 9 EStG n.F. bestimmt, dass diese Regelung auch für Veranlagungszeiträume vor 1999 gelten solle, greift die Bestimmung ihrem Wortlaut nach in einen im Streitjahr hinsichtlich der Bedingungen, unter denen die Zustimmung des FA zur Bilanzänderung zu erteilen war, bereits abgeschlossenen Sachverhalt ein. Zwar hat das FA im Streitfall seine Zustimmung noch nicht erteilt; die Klägerin hatte aber im Falle der Reduzierung des Ermessens auf Null (dazu unter 2.) bereits mit Wirkung für das Streitjahr einen Anspruch auf Änderung ihrer Bilanz erworben. Ein Gesetz, das ihr diese Rechtsposition rückwirkend entzieht (sog. echte Rückwirkung bzw. "Rückbewirkung von Rechtsfolgen", dazu Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 241 f.; vom 15. Oktober 1996 1 BvL 44, 48/92, BVerfGE 95, 64, 86 f.; vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1998, 1547, 1548; Sachs, Grundgesetz, 2. Aufl., Art. 20 Rdnr. 133; Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 4. Aufl., Art. 20 Rdnr. 51), ist ―von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen (zu diesen vgl. u.a. Spindler, DStR 1998, 953, 955 f.; Wermeckes, Deutsche Steuer-Zeitung ―DStZ― 1999, 479, 481, m.w.N.)― mit dem Grundgesetz (GG) nicht vereinbar.

b) Der Anwendungsbereich der §§ 4 Abs. 2 Satz 2 EStG i.V.m. 52 Abs. 9 EStG n.F. ist jedoch verfassungskonform einzuschränken.

aa) § 52 Abs. 9 EStG n.F. lässt eine solche Einschränkung zu. Die Anordnung "ist … anzuwenden" kann als Anweisung an den Normanwender verstanden werden, nach welchem Recht er künftig eintretende Rechtsfolgen einer zurückliegenden Tatbestandsverwirklichung zu bestimmen hat. Dass auch in der Vergangenheit bereits eingetretene Rechtsfolgen nachträglich als nicht geschehen gelten sollen, ist der Vorschrift nicht zwingend zu entnehmen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 95, 64, 93, zu einer vergleichbaren Überleitungsvorschrift; BFH-Urteil vom 2. September 1992 XI R 31/91, BFHE 169, 415, BStBl II 1993, 151). Insoweit ist ihr Wortlaut zu weit geraten und im Wege der verfassungskonformen Auslegung (vgl. dazu u.a. BVerfG-Beschlüsse vom 9. August 1978 2 BvR 831/76, BVerfGE 49, 148, 157, und vom 7. April 1997 1 BvL 11/96, NJW 1997, 2230, m.w.N.; BFH-Urteil vom 14. Dezember 1995 IV R 106/94, BFHE 179, 368, BStBl II 1996, 226, unter III. 6. c der Gründe; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 4 AO 1977 Tz. 93 a, 86, m.w.N.) oder der verfassungskonformen abändernden Lückenfüllung einzuschränken (vgl. zur systematischen und teleologischen Reduktion einfachgesetzlicher Bestimmungen BVerfG-Beschlüsse vom 23. Oktober 1958 1 BvL 45/56, BVerfGE 8, 210, 218 f.; vom 19. Juni 1973 1 BvL 39/69 und 14/72, BVerfGE 35, 263, 278 f.; vom 14. Mai 1985 1 BvR 233, 341/81, BVerfGE 69, 315, 350 ff.; vom 3. Juni 1992 2 BvR 1041/88, 78/89, BVerfGE 86, 288, 320; vom 30. März 1993 1 BvR 1045/89, 1381/90, 1 BvL 11/90, BVerfGE 88, 145, 166 f.; in NJW 1997, 2230; zum Streitstand Barth, Richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht, 1996, S. 279 f., 284). Die Regelung würde sonst mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes kollidieren, die als Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers in dem Umfang Grenzen setzen, in dem sie durch die Rechtsprechung des BVerfG zur Rückwirkung von Gesetzen konkretisiert sind.

bb) Die verfassungskonforme Auslegung bzw. Lückenfüllung gebietet es, ein Maximum dessen aufrecht zu erhalten, was nach der Verfassung aufrecht erhalten werden kann (BVerfG-Beschlüsse vom 25. April 1972 1 BvL 13/67, BVerfGE 33, 52 f., 70, und in BVerfGE 86, 288, 320). Danach ist die durch § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG i.V.m. § 52 Abs. 9 EStG geänderte Rechtslage bei noch offener oder wieder offener Einkommensteuerveranlagung dann anzuwenden, wenn sie sich ―insbesondere durch den Wegfall der Zustimmungsbedürftigkeit der Bilanzänderung durch das FA― zugunsten des Steuerpflichtigen auswirkt oder die Rechtsfolgen der Bilanzänderung wegen fehlender Ausübung des Wahlrechts noch nicht eingetreten sind. Im Übrigen bleibt es zumindest bis zum 1. Januar 1999 bei der bisherigen Rechtslage.

5. Beschränkungen in der Ausübung des Wahlrechts ergeben sich für die Klägerin im Streitfall aus § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. nicht.

a) Das FA musste die Zustimmung zur Bilanzänderung erteilen. § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. wollte, wie ausgeführt, nur eine Verzögerung des Besteuerungsverfahrens wegen des nachträglich ausgeübten Wahlrechts und eine dadurch entstehende Mehrarbeit des FA verhindern, soweit diese nicht in einem sachgerechten Verhältnis zu den wirtschaftlichen Interessen des Steuerpflichtigen steht. Im Streitfall trifft beides nicht zu. Das Veranlagungsverfahren ist aus anderen Gründen noch offen, Folgeänderungen in nennenswertem Umfang sind wegen der Aufgabe des Betriebs nicht mehr erforderlich und die Neutralisierung des Veräußerungsgewinns im Streitjahr in Verbindung mit der Auflösung der Rücklage im Folgejahr ist ein anzuerkennendes wirtschaftliches Interesse der Klägerin.

b) Die Bilanzänderung hält sich auch im Rahmen des mit § 6b Abs. 3 EStG verfolgten Zwecks.

Das FG hat in seinem Urteil ausgeführt, es gebe für eine Bildung der § 6b-Rücklage keine wirtschaftliche Begründung und es sei nicht ersichtlich, dass durch die Bildung dieser Rücklage die Versteuerung stiller Reserven im Kalenderjahr 1994 vermieden werden könne. Es ist also offenbar davon ausgegangen, dass wegen der Aufgabe des Betriebs eine Reinvestition nicht mehr in Betracht kommt. Das entspricht zwar der Ansicht der Finanzverwaltung, die bei einer Betriebsveräußerung eine § 6b-Rücklage ohne Betriebsfortführungsabsicht unter Einsatz des Veräußerungserlöses nicht zulässt (R 41 b Abs. 10 Satz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien ―EStR― 1998; ebenso Blümich/Uelner, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 6b EStG Rz. 204; zum Streitstand vgl. u.a. Cattelaens in Littmann/Bitz/Hellwig, a.a.O., § 6b EStG Rz. 232). Demgegenüber setzt die Bildung einer § 6b-Rücklage nach der Rechtsprechung des BFH weder bei fortbestehendem Betrieb (vgl. zuletzt BFH-Urteil in BFHE 185, 451, BStBl II 1999, 272, unter II. 4. d, e der Gründe, m.w.N.) noch bei einer Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe eine Reinvestitionsabsicht voraus (vgl. ―für Mitunternehmeranteil― BFH-Urteile in BFHE 180, 305, BStBl II 1996, 568, und ―für Betriebsveräußerung― vom 5. Juni 1997 III R 218/94, BFH/NV 1997, 754, m.w.N.). Es genügt, dass die spätere Übertragung der Rücklage auf ein begünstigtes Reinvestitionsobjekt am Bilanzstichtag objektiv möglich ist (BFH-Urteil in BFHE 185, 451, BStBl II 1999, 272, unter II. 4. e der Gründe, m.w.N.). Davon ist hier auszugehen. Die Betriebsaufgabe erstreckte sich über mehrere Jahre und über den Bilanzstichtag 31. Dezember 1993 hinaus bis in das Jahr 1994. In dieses Jahr kann deshalb der durch den Grundstücksverkauf realisierte Gewinn noch übertragen werden. Das gilt selbst für den Fall, dass der im Jahr 1994 durch den Verkauf der Wertpapiere erzielte Gewinn noch als Veräußerungs- oder Aufgabegewinn zu qualifizieren ist (vgl. u.a. BFH-Urteil in BFHE 185, 451, BStBl II 1999, 272, unter II. 5. a der Gründe; Blümich/Uelner, a.a.O., § 6b EStG Rz. 206; Reiß in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 16 Rdnr. B 244 f., E 69).

Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass die Gesellschaft am Bilanzstichtag 31. Dezember 1993 bereits aufgelöst war und sie die Mittel aus dem Verkauf des Grundstücks bereits an die Gesellschafter ausgekehrt hatte. Die Zulässigkeit einer Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG setzt nicht voraus, dass die Mittel aus der Rücklage für eine Reinvestition noch zur Verfügung stehen. Unerheblich ist auch, dass die Reinvestitionsfrist im Zeitpunkt der Entscheidung des FG bereits abgelaufen war. Die Rücklage kann auch gebildet werden, wenn ihre erfolgsneutrale Auflösung nicht mehr möglich ist (BFH-Urteil in BFHE 185, 451, BStBl II 1999, 272, unter II. 4. d und e der Gründe, m.w.N.). Das FG hätte deshalb den von der Klägerin im Streitjahr 1993 realisierten Veräußerungsgewinn auf deren Hilfsantrag hin durch eine § 6b-Rücklage neutralisieren müssen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 519545

BFH/NV 2001, 538

BStBl II 2001, 282

BFHE 194, 135

BFHE 2002, 135

BB 2001, 510

BB 2001, 774

DB 2001, 567

DStR 2001, 343

DStRE 2001, 292

HFR 2001, 419

StE 2001, 118

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