Entscheidungsstichwort (Thema)

Wertaufholung nach Teilwertabschreibung auf eine Forderung - teilweise Tilgung einer teilwertberichtigten Forderung - Aufspaltung eines einheitlichen Wirtschaftsguts in selbständige Wirtschaftsgüter

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es besteht steuerlich keine Pflicht, eine auf den Teilwert abgeschriebene Forderung wieder aufzustocken, wenn sich die Vermögensverhältnisse der Schuldner gebessert haben.

2. Wird eine auf den Teilwert abgeschriebene Forderung teilweise beglichen, so ist der Tilgungsbetrag voll mit dem Buchwert der Forderung zu verrechnen.

 

Orientierungssatz

1. Die Annahme zweier oder mehrerer Wirtschaftsgüter setzt voraus, daß Teile eines Ganzen derart aufgespalten werden, daß jeder Teil die Merkmale eines selbständigen Wirtschaftsguts aufweist. Hierzu gehört insbesondere, daß jeder Teil nach der Verkehrsauffassung eigenständige Bedeutung hat und --sei es allein oder im Zusammenhang mit dem Betrieb-- verkehrsfähig ist (vgl. BFH-Urteil vom 28.9.1990 III R 178/86).

2. Auf den einheitlichen Wertansatz einer bereits zu einem früheren Bilanzstichtag auf den Teilwert abgeschriebenen Darlehensforderung hat es keinen Einfluß, daß diese Forderung in der Buchführung mit dem Nennwert ausgewiesen und die Teilwertabschreibung in einem passiven Sammelposten enthalten ist oder daß diese Forderung --entsprechend einer banküblichen Praxis-- zu späteren Stichtagen anhand einer neuen Inventur festgestellt und neu bewertet wird.

 

Normenkette

EStG § 5 Abs. 6, § 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 3

 

Verfahrensgang

FG Münster (Urteil vom 21.10.1994; Aktenzeichen 9 K 2798/91 K; EFG 1995, 199; LEXinform-Nr. 0132059)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Sparkasse, gewährte den Herren H und S im Jahr 1980 ein Darlehen in Höhe von 340 000 DM, das 1983 um 30 000 DM aufgestockt wurde. Es war vereinbart, daß bis zum 30. September 1985 der Darlehenszins 9 % bzw. 8,75 % betragen und das Darlehen tilgungsfrei sein sollte. Nach Ablauf der Frist einigten sich die Klägerin und die Darlehensschuldner, für die Zeit bis 30. September 1990 auf einen Zinssatz von 8,5 % p.a. bei 100 % Auszahlung und eine 3 %ige Tilgung ab 1. Januar 1986. Im übrigen sollten die Bedingungen aus den bisherigen Darlehensverträgen fortgelten.

Die Klägerin nahm in ihrer Schlußbilanz zum 31. Dezember 1985 eine --unstreitig berechtigte-- Teilwertberichtigung in Höhe von 100 000 DM auf die genannte Darlehensforderung vor.

Im Jahr 1986 vereinbarten die Klägerin und H eine Sondertilgung in Höhe von 170 000 DM, eine Herabsetzung des Zinssatzes und eine Neuberechnung der Annuitäten. Im übrigen sollten die ursprünglichen Darlehensbedingungen fortgelten. Die Klägerin setzte in der Bilanz zum 31. Dezember 1986 die genannte Darlehensforderung unter Berücksichtigung der Teilwertabschreibung zum 31. Dezember 1985 und der Sondertilgung an. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erhöhte hingegen zum 31. Dezember 1986 die Forderung um die Hälfte der Teilwertabschreibung, weil die Darlehensforderung 1986 um ca. 50 % getilgt worden sei.

Die Klage hatte Erfolg (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1995, 199).

Das FA rügt mit seiner Revision Verletzung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des FA ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Gemäß § 5 Abs. 6 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist eine Forderung des Umlaufvermögens in der Steuerbilanz mit den Anschaffungskosten anzusetzen. Statt der Anschaffungskosten kann der niedrigere Teilwert angesetzt werden. Bei Wirtschaftsgütern, die bereits am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahres zum Betriebsvermögen gehört haben, kann der Steuerpflichtige den Teilwert bis zur Höhe der Anschaffungskosten aufstocken, wenn der Teilwert im Lauf des Wirtschaftsjahres wieder angestiegen ist. Eine Pflicht zur Teilwertaufstockung zu steuerlichen Zwecken besteht nicht (vgl. "kann" in § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG; zum Handelsrecht s. für Kreditinstitute bis 1992 § 25a Abs. 2 des Gesetzes über das Kreditwesen --KWG--; ab 1993 § 340a Abs. 1 i.V.m. § 280 des Handelsgesetzbuches --HGB--; vgl. z.B. auch Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., § 6 Rdnr.50; Werndl in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 6 B 434; Krumnow/Sprißler/Bellavite-Hövermann/Kemmer/Steinbrücker, Rechnungslegung der Kreditinstitute, Kommentar zum Bilanzrichtliniengesetz, 1994, § 340a Rdnr.34; Spitz, Vom Jahresabschluß zur Körperschaftsteuerermittlung, 1992, 544). Diese Grundsätze gelten auch für die hier zu beurteilende Darlehensforderung.

2. Diese Grundsätze gelten allerdings nur, wenn das zum vorangegangenen Stichtag bewertete und teilwertberichtigte Wirtschaftsgut mit dem identisch ist, das zum aktuellen Bilanzstichtag zu bewerten ist. Revisionsrechtlich ist im Streitfall von einer solchen Identität auszugehen. Nach den Feststellungen des FG handelt es sich jeweils um das nämliche Wirtschaftsgut. Das FG ist anhand einer Auslegung der Darlehensverträge und deren Änderungen zu dem Ergebnis gelangt, daß die am 31. Dezember 1985 bestehenden Verträge lediglich gemäß § 305 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geändert wurden, hingegen keine neuen Darlehensforderungen aufgrund der Verhandlungen 1986 entstanden. An diese Vertragsauslegung, die zu den tatsächlichen Feststellungen i.S. des § 118 Abs. 2 FGO gehört (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. November 1994 VIII R 44/92, BFHE 176, 138), ist der Senat grundsätzlich gebunden. Sie verstößt auch weder gegen allgemeine Auslegungsregeln noch gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze.

3. Der im Streitjahr zurückbezahlte Darlehensbetrag ist vom Buchwert in der Anfangsbilanz zum 1. Januar 1986, der aufgrund des Bilanzzusammenhangs mit dem Schlußbilanzwert zum 31. Dezember 1985 übereinstimmt (vgl. § 4 Abs. 1 EStG, § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB; Beschluß des Großen Senats vom 29. November 1965 GrS 1/65 S, BFHE 84, 392, BStBl III 1966, 142) abzuziehen. Er ist nicht anteilig mit dem teilwertberichtigten Betrag zu verrechnen. Insoweit gelten die Überlegungen entsprechend, die der Senat für den Fall einer Kapitalherabsetzung nach Teilwertabschreibung auf den Beteiligungsansatz angestellt hat (vgl. BFH-Urteil vom 14. Oktober 1992 I R 1/91, BFHE 169, 213, BStBl II 1993, 189). Tilgungsbeträge sind von den Anschaffungskosten einer Forderung abzusetzen. Hat sich der Ansatz der Anschaffungskosten um eine Teilwertberichtigung gemindert, so ist der angesetzte Teilwert nun um den Tilgungsbetrag zu mindern. Eine nur anteilige Berücksichtigung der Tilgung würde voraussetzen, daß sich die einheitliche Forderung in eine Forderung mit Wert 0 und in eine Forderung mit dem (restlichen) Teilwert aufspaltete. Eine derartige Rechtswirkung kommt der Teilwertabschreibung jedoch nicht zu. Die Annahme zweier oder mehrerer Wirtschaftsgüter setzt voraus, daß Teile eines Ganzen derart aufgespaltet werden, daß jeder Teil die Merkmale eines selbständigen Wirtschaftsguts aufweist. Hierzu gehört insbesondere, daß jeder Teil nach der Verkehrsauffassung eigenständige Bedeutung hat und --sei es allein oder im Zusammenhang mit dem Betrieb-- verkehrsfähig ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 28. September 1990 III R 178/86, BFHE 162, 177, BStBl II 1991, 187). Der vom FA in diesem Zusammenhang angesprochene Fall einer Grundstücksparzellierung unterscheidet sich vom Streitfall dadurch, daß nach allgemeiner Verkehrsauffassung durch die Parzellierung zwei selbständige Wirtschaftsgüter entstehen.

4. Ohne Einfluß auf den einheitlichen Wertansatz der Darlehensforderung ist die vom FA vorgetragene Tatsache, wonach die Klägerin in ihrer Buchführung u.a. die streitige Forderung mit dem Nennbetrag ausgewiesen und für die Teilwertabschreibungen einen passiven Sammelposten gebildet haben soll. Dieses Vorgehen ist lediglich eine Frage der Buchungstechnik, hat aber auf den auch steuerlich zu beachtenden Grundsatz der Einzelbewertung (§ 5 Abs. 1 EStG i.V.m. § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB) keinen Einfluß (vgl. z.B. Krumnow/Sprißler/u.a., a.a.O., § 340e Rdnr.180). Die vom FA angesprochene Tatsache, wonach Wirtschaftsgüter, die bereits zum vorangegangenen Bilanzstichtag im Betriebsvermögen vorhanden waren, zu späteren Stichtagen anhand einer neuen Inventur festgestellt und neu bewertet würden, mag zwar der banküblichen Praxis entsprechen (vgl. Krumnow/Sprißler/u.a., a.a.O., § 230e Rdnr.197). Eine Pflicht zur Neubewertung am jeweiligen Bilanzstichtag würde aber dem gesetzlich in § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG verankerten Beibehaltungsrecht zuwiderlaufen. Die Notwendigkeit einer Neubewertung bereits wertberichtigter Forderungen aus der Sicht des jeweils aktuellen Bilanzstichtages (so Werndl in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 6 B 587) folgt nicht aus einer Verpflichtung zur Wertaufholung, sondern aus dem Niederstwertprinzip (vgl. § 5 Abs. 1 EStG i.V.m. § 253 Abs. 3 HGB; vgl. z.B. auch BFH-Urteil vom 31. Januar 1991 IV R 31/90, BFHE 164, 232, BStBl II 1991, 627), das heißt, nur die Notwendigkeit einer Teilwertabschreibung ist zu prüfen.

Der Senat folgt daher der von Herrmann/Heuer/Raupach (Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 6 EStG Rdnr.919), Birck/Meyer (Die Bankbilanz, Bd.5, S.170) und Spitz (a.a.O., S.545) vertretenen Auffassung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65502

BFH/NV 1996, 231

BFH/NV 1996, 231-232 (LT)

BStBl II 1996, 402

BFHE 180, 30

BFHE 1997, 30

BB 1996, 1431

BB 1996, 1431-1432 (LT)

DB 1996, 1378 (ST)

DStR 1996, 1040-1041 (KT)

DStZ 1996, 558-559 (KT)

HFR 1996, 483-484 (L)

StE 1996, 434-435 (K)

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