Leitsatz (amtlich)

Aufgrund eines DBA unter Progressionsvorbehalt im Inland einkommensteuerfreie Einkünfte bleiben entgegen Abschn. 186 Abs. 3 Nr. 2 EStR 1967 bei der Ermittlung der zumutbaren Eigenbelastung außer Ansatz.

 

Normenkette

DBA CHE 1931/1959; EStR 1967 Abschn. 186 Abs. 3 Nr. 2; EStDV § 64; EStG 1967 § 33 Abs

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) machte bei der Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1968 Aufwendungen in Höhe von 10 627,28 DM als außergewöhnliche Belastung nach § 33 des EStG 1967 geltend, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) bis auf 120 DM dem Grunde nach anerkannte. Streitig ist die Höhe der zumutbaren Eigenbelastung. Bei ihrer Berechnung nach § 33 Abs. 1 Satz 2 EStG und § 64 EStDV 1967 berücksichtigte das FA entsprechend der Anweisung in Abschn. 186 Abs. 3 Nr. 2 EStR 1967 auch Einkünfte des Klägers in Höhe von 11 111 DM aus nichtselbständiger Arbeit in der Schweiz, die es nach § 3 Nr. 41 EStG, § 9 StAnpG in Verbindung mit dem Abkommen zwischen dem Deutschen Reiche und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der Erbschaftsteuer vom 15. Juli 1931 in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 20. März 1959 (BGBl II, 1253, BStBl I 1959, 1006) - DBA-Schweiz - einkommensteuerfrei beließ, aber in die Ermittlung des Einkommensteuersatzes (Progressionsvorbehalt) mit einbezog.

Der Einspruch blieb insoweit erfolglos. Das FG führte in der in EFG 1975, 313 veröffentlichten Vorentscheidung im wesentlichen aus: Weil das ausländische Steuergut wegen des Progressionsvorbehalts bei der Bemessung der Steuer für das nicht steuerbefreite Einkommen heranzuziehen sei, sei es bei allen Tarifvorschriften, soweit diese für die Ermittlung der Steuer auf die nicht steuerbefreiten Einkünfte von Belang sind, zu berücksichtigen. § 33 EStG sei eine Tarifvorschrift. Sie werde in Abschn. 186 Abs. 3 Nr. 2 EStR 1967 zutreffend dahin ausgelegt, daß die steuerbefreiten Einkünfte aus der Schweiz bei der Berechnung der zumutbaren Eigenbelastung des Klägers heranzuziehen seien. Daß die Finanzverwaltung alle übrigen nach § 3 EStG steuerbefreiten Einkünfte bei dieser Berechnung nicht berücksichtige, verstoße nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot. Fälle der vorliegenden Art würden durch Anwendung der Regelung in Abschn. 186 Abs. 3 Nr. 2 EStR gleichbehandelt. Die übrigen nach § 3 EStG einkommensteuerfreien Bezüge und Einkünfte könnten auch nicht den einkommensteuerfreien Einkünften des Klägers gleichgestellt werden, weil die Gründe für die Steuerbefreiung hier andere als in den übrigen Fällen des § 3 EStG seien.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 33 EStG, des § 64 EStDV sowie der Vorschriften in Abschn. 2 Nr. 14 des Zusatzprotokolls vom 9. September 1957 zu den Art. 2 bis 12 des oben genannten DBA mit im wesentlichen folgender Begründung: Der Progressionsvorbehalt gebe nur die Befugnis, auf das Einkommen unter Ausschluß der steuerbefreiten Einkommensteile denjenigen Steuersatz anzuwenden, der sich ergeben würde, wenn das dem ausländischen Staat zugewiesene Besteuerungsgut der inländischen Besteuerung unterläge. Der Betrag des zu versteuernden Einkommens werde hingegen nicht erhöht. Die Formulierung in dem Zusatzprotokoll zum DBA, daß das DBA nicht das Recht eines der Vertragsstaaten beschränke, "die Steuer für die ihm zur Besteuerung überlassenen Einkünfte nach dem Satz zu erheben, der dem gesamten Einkommen entspricht", besage ausdrücklich, daß eine Besteuerung der dem einen Staat zugewiesenen Einkünfte durch den anderen Staat in jeder anderen Hinsicht ausgeschlossen sei.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung der Klage stattzugeben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Änderung der Einkommensteuerfestsetzung entsprechend dem Klageantrag.

Als außergewöhnliche Belastung geltend gemachte Aufwendungen mindern das Einkommen, soweit sie die dem Steuerpflichtigen zumutbare Eigenbelastung übersteigen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 EStG). Die zumutbare Eigenbelastung bemißt sich u. a. nach dem Einkommen (§ 33 Abs. 1 EStG, § 64 Satz 1 Tabelle Sp. 1 EStDV). Dieses Einkommen umfaßt nach § 3 Nr. 41 EStG, § 9 StAnpG in Verbindung mit einem DBA im Inland steuerfrei zu belassende Einkünfte selbst dann nicht, wenn wegen dieser Einkünfte ein Progressionsvorbehalt besteht. Der Begriff "Einkommen" im Sinne des § 33 EStG und des § 64 EStDV beruht auf dem in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich bestimmten Einkommensbegriff. Ein in verschiedenen Vorschriften desselben Gesetzes verwendeter gleicher Begriff kann mangels entgegenstehender ausdrücklicher Vorschriften grundsätzlich nicht unterschiedlich ausgelegt werden (vgl. Urteile des BFH vom 8. Oktober 1975 II R 39/70, BFHE 117, 292, BStBl II 1976, 164, und vom 28. Januar 1976 IV R 209/74, BFHE 118, 26, BStBl II 1976, 288). Zu dem aus dem Gesamtbetrag der Einkünfte ermittelten Einkommen gehören indessen nicht sachlich einkommensteuerbefreite Bezüge und Einkünfte (vgl. Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 2 EStG Anm. 18; zu nach einem DBA unter Progressionsvorbehalt steuerbefreiten Einkünften: BFH-Urteil vom 9. November 1966 I 29/65, BFHE 87, 273, BStBl III 1967, 88); dies wird auch in der Neufassung in Abschn. 186 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 EStR 1975 - abweichend von der Fassung in Abschn. 186 Abs. 3 Nr. 2 EStR 1967 - zutreffend ausgeführt. Die Beteiligten gehen zu Recht davon aus, daß die Einkünfte des Klägers aus der Schweiz nach § 3 Nr. 41 EStG, § 9 StAnpG in Verbindung mit den einschlägigen Vorschriften des oben genannten DBA im Inland einkommensteuerfrei sind. Diese Einkünfte gehörten deshalb nicht zu dem Einkommen des Klägers im Sinne von § 2 Abs. 2 EStG und damit auch nicht im Sinne von § 33 Abs. 1 EStG und § 64 EStDV.

Hieran ändert nichts die Tatsache, daß nach den Vorschriften des Schlußprotokolls zum oben genannten DBA die Einkommensteuer im Inland auf die nicht einkommensteuerbefreiten Einkünfte nach dem Satz erhoben werden kann, der dem gesamten "Einkommen" entspricht (Progressionsvorbehalt). Von den beiden einkommensteuerrechtlichen Folgen der Erzielung von Einkünften durch einen unbeschränkt Einkommensteuerpflichtigen, nämlich, daß diese Einkünfte der Einkommensteuer unterliegen und daß sie wegen der progressiven Gestaltung des Einkommensteuertarifs zu einer Erhöhung des Steuersatzes für alle Einkünfte führt, beseitigt § 3 Nr. 41 EStG, § 9 StAnpG in Verbindung mit den einschlägigen Vorschriften des oben genannten DBA und des Zusatzprotokolls nur die erste, nicht aber die zweite Rechtsfolge. Die Anordnung des Progressionsvorbehalts läßt die Einkommensteuerfreiheit der einschlägigen Bezüge unberührt und ermöglicht nur die Besteuerung der nicht befreiten Einkünfte nach dem Steuersatz, der sich unter Einbeziehung der aufgrund des DBA steuerbefreiten Einkünfte ergibt (vgl. BFH-Urteil I 29/65).

Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß § 33 EStG eine Tarifvorschrift ist (BFH-Urteil vom 21. August 1974 VI R 236/71, BFHE 113, 367, BStBl II 1975, 14) und der Progressionsvorbehalt ebenfalls der Bestimmung des Einkommensteuertarifs dient. Die gezogene Folgerung ergibt sich vielmehr aus der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Einkommen" in § 33 EStG und nicht aus einem Gesichtspunkt, der mit dem Charakter dieser Vorschrift als Tarifvorschrift unvereinbar wäre.

Die Vorinstanz ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen; die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben.

Die Sache ist spruchreif, so daß der Senat über die Klage abschließend entscheiden kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72586

BStBl II 1978, 9

BFHE 1978, 335

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