Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Rückzahlungen eines Existenzaufbaudarlehens aus dem Härtefonds des Lastenausgleichs, das ein nach mehrjähriger Kriegsgefangenschaft schwer krank heimgekehrter Steuerpflichtiger, der früher selbständiger Gewerbetreibender war, zwecks Beteiligung an einer GmbH erhalten hat, können unter Umständen als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG berücksichtigungsfähig sein, wenn die Beteiligung sich als wirtschaftlicher Mißerfolg erweist.

 

Normenkette

EStG § 33

 

Tatbestand

Der Stpfl. erhielt Anfang 1955 als Spätheimkehrer ein Aufbaudarlehen aus dem Härtefonds des Lastenausgleichs, von dem 15.000 DM für den Erwerb eines GmbH-Anteils und der Restbetrag zur Ablösung eines Darlehens verwendet wurden, das ein früherer Gesellschafter der GmbH gegeben hatte. Zur Sicherung des Aufbaudarlehens mußte der Stpfl. eine Grundschuld auf seinem Grundbesitz eintragen lassen; außerdem mußte seine Ehefrau die selbstschuldnerische Bürgschaft übernehmen. Der Stpfl. sollte nach Leistung der Kapitaleinlage Geschäftsführer der GmbH werden. Er stellte bald nach dem Erwerb des Geschäftsanteils fest, daß er über die wirtschaftliche Lage der GmbH getäuscht worden war und daß er sein Geld verlieren werde. Er schied deshalb bereits am 1. Februar 1956 wieder aus der GmbH aus. Er erhielt jedoch für seinen Geschäftsanteil, für den er 15.000 DM aufgewendet hatte, von seinem Mitgesellschafter nur 10.000 DM und mußte außerdem auf seine Darlehnsforderung gegen die GmbH verzichten. Das Aufbaudarlehen muß er laufend mit jährlich 3.500 DM zurückzahlen. Um den Abzug der Rate von 3.500 DM für das Jahr 1962 geht der Streit.

Das Finanzgericht (FG) hat ebenso wie das FA eine Berücksichtigung des Rückzahlungsbetrags als außergewöhnliche Belastung bei der Einkommensteuerveranlagung für 1962 abgelehnt und dies im wesentlichen wie folgt begründet: Der Erwerb des GmbH- Anteils und die Hingabe des Darlehens an die GmbH aus den Mitteln des Aufbaudarlehens habe auf dem freien Willensentschluß des Stpfl. beruht und sei daher nicht zwangsläufig gewesen. Kapitalanlagen in der gewerblichen Wirtschaft seien immer mit einem Risiko verbunden. Vermögensverluste seien daher auch nicht ungewöhnlich. Der Stpfl. habe einen privaten Vermögensverlust erlitten, der keine außergewöhnliche Belastung sei. Die Rückzahlung von 3.500 DM führe auch nicht etwa zu nachträglichen Werbungskosten mit der Begründung, daß der Stpfl. die Stellung als Geschäftsführer der GmbH erstrebt habe; denn die Rückzahlung im Jahre 1962 sei keine Aufwendung zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung von Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision, mit der unrichtige Anwendung des § 33 EStG gerügt wird, ist begründet.

Der Senat hat im Urteil VI 158/59 U vom 21. April 1961 (BFH 73, 449, BStBl III 1961, 431) entschieden, daß bei einem Steuerpflichtigen, der Aktien mit Kredit erwirbt, um Vorstandsmitglied dieser AG zu werden oder zu bleiben, die gezahlten Schuldzinsen keine Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit als Vorstandsmitglied sind. Nicht anders ist die Rechtslage beim Erwerb von Anteilen einer GmbH, bei der ein Stpfl. Geschäftsführer werden will. Derartige Kapitalbeteiligungen sind Vermögensanlagen im privaten Bereich. Daraus folgt, daß eintretende Verluste private Vermögensverluste sind, die grundsätzlich nicht zu einer Minderung des Einkommens der Stpfl. führen können, wie das FG zutreffend angenommen hat.

Wenn die Verpflichtungen, die ein Stpfl. zum Erwerb einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft übernommen hat, zum privaten Vermögensbereich gehören, sind die Rückzahlungen dieser Schuld ebenfalls Vorgänge des Privatvermögens, die sich nicht einkommensmindernd auswirken können. Im Streitfall kann daher beim Stpfl. weder der bei der Veräußerung der GmbH-Beteiligung eingetretene Verlust, noch der Verzicht auf die Darlehnsforderung zu einer Minderung des Einkommens der Stpfl. führen.

Für derartige Aufwendungen, die bei der Ermittlung des Einkommens nicht abzugsfähig sind, kann aber in besonders gelagerten Fällen ausnahmsweise eine Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG in Betracht kommen. Es kommt dabei jedoch sehr wesentlich auf die Umstände des Einzelfalles an. § 33 EStG soll Härten, die sich bei der Ermittlung des Einkommens und der tarifmäßigen Besteuerung ergeben können, beseitigen helfen. Wie der Senat bereits wiederholt ausgesprochen hat (siehe z. B. Urteile des Senats VI 23/65 S vom 9. April 1965, BFH 82, 535, BStBl III 1965, 441; VI 160/59 S vom 20. Mai 1960, BFH 71, 160, BStBl III 1960, 309; VI 69/64 vom 4. Dezember 1964, HFR 1965, 214), beruht die Regelung in § 33 EStG weitgehend auf den gleichen Erwägungen wie § 131 AO. § 33 EStG soll also dazu dienen, unbillige Härten, die sich bei einer Besteuerung ergeben könnten, abzuwenden. Dabei ist allerdings ein strenger Maßstab anzulegen. So hat der Senat es im Urteil VI 246/62 vom 25. Oktober 1963 (Der Betriebs-Berater 1964 S. 119) abgelehnt, die Erfüllung der Verpflichtungen aus einer freiwillig übernommenen Bürgschaft als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Der Senat sieht jedoch angesichts der besonders gelagerten Verhältnisse im Streitfall die Voraussetzungen für die Anwendung des § 33 EStG als erfüllt an.

Nimmt ein Steuerpflichtiger ein Darlehen auf, so können nach der ständigen Rechtsprechung des BFH die Rückzahlungen nach § 33 EStG nur berücksichtigungsfähig sein, wenn die Aufnahme der Schuld auf eine außergewöhnliche Belastung im Sinne dieser Vorschrift zurückzuführen ist (Urteile IV 602/53 U vom 30. September 1954, BFH 59, 381, BStBl III 1954, 357; VI 80/55 U vom 19. Juli 1957, BFH 65, 399, BStBl III 1957, 385). Der Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft ist zwar in der Regel keine nach § 33 EStG berücksichtigungsfähige außergewöhnliche Belastung, insbesondere deshalb nicht, weil der Erwerber einen entsprechenden Gegenwert für seine Aufwendungen erhält und dadurch nach der ständigen Rechtsprechung des BFH eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG ausgeschlossen wird (z. B. Urteil VI 23/65 S, a. a. O.). Für den Streitfall trifft diese Erwägung jedoch nicht zu. Der Senat hat auf Grund der mündlichen Verhandlung in der Streitsache die überzeugung gewonnen, daß die vom Stpfl. erworbenen GmbH-Anteile von vornherein wertmäßig nicht seinen Aufwendungen entsprachen und daß die vom Stpfl. erworbene Darlehnsforderung wertlos war. Der Stpfl. erkannte dies auch bereits kurze Zeit nach der übernahme der Beteiligung und schied deshalb schon wenige Monate später wieder aus der Gesellschaft aus unter Abtretung seines Geschäftsanteils an seinen Mitgesellschafter mit Verlust und unter gleichzeitigem Verzicht auf seine Darlehnsforderung gegen die GmbH.

Der Senat teilt die Auffassung des FG nicht, daß die Schuld auf der freien Willensentschließung des Stpfl. beruht habe und deshalb nicht zwangsläufig gewesen sei. Der Stpfl. ist nach seinem unbestrittenen Vortrag nach achtjähriger russischer Kriegsgefangenschaft schwer krank amnestiert worden und Ende 1953 nach Deutschland zurückgekehrt. Er war damals bereits 57 Jahre alt. Seine Familie hatte die in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands gelegene Wohnung schon im Jahre 1945 räumen müssen. Das Wohnhaus des Stpfl. und der übrige gleichfalls dort gelegene nicht unerhebliche Hausbesitz ist durch Enteignung verlorengegangen. Sein früheres Unternehmen bestand nicht mehr. Als er nach längerer ärztlicher Behandlung und mehreren Kuraufenthalten im Jahre 1955 wieder einigermaßen hergestellt war, war er arbeitslos und mußte Fürsorgeunterstützung beziehen. Er war, wie er glaubhaft vorträgt, nicht mehr in der Lage, als selbständiger Unternehmer neu zu beginnen. Bei seinem Alter und seiner angegriffenen Gesundheit konnte er auch nicht damit rechnen, eine angemessene Stellung als Angestellter zu finden. Wenn er unter diesen Umständen die sich ihm bietende Gelegenheit ergriff, sich mit Hilfe eines Existenzaufbaudarlehens als Gesellschafter an einer GmbH zu beteiligen und deren Geschäftsführer zu werden, so erscheint es glaubhaft, daß er darin die einzige Möglichkeit sah, für seine Familie und sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Es kann ihm nicht zur Last gelegt werden, daß er sich dabei über die wirtschaftliche Lage der GmbH getäuscht hat. Dafür spricht insbesondere die Gewährung des zweckgebundenen Aufbaudarlehens, das ihm erst nach Prüfung des Falles unter genau festgelegten Bedingungen gewährt wurde. Ebenso wie Schuldrückzahlungen als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind, wenn ein Darlehen von einem in Not geratenen Steuerpflichtigen zur Deckung seines Lebensunterhalts aufgenommen wurde (siehe Urteil VI 124/63 vom 6. März 1964, HFR 1964, 418), ist dies im Streitfall zu bejahen. Da, wie ausgeführt, die Regelung des § 33 EStG ähnliche Erwägungen zugrunde liegen wie § 131 AO, hält es der Senat für vertretbar, dem Stpfl. die beantragten Steuerermäßigung wegen außergewöhnlicher Belastung zu gewähren, für die Darlehnsrückzahlungen, die nicht durch den bei der Veräußerung seiner GmbH-Beteiligung erzielten Erlös gedeckt sind. Dazu gehören die im Streitjahr gezahlten 3.500 DM.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412597

BStBl III 1967, 489

BFHE 1967, 551

BFHE 88, 551

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