Leitsatz (amtlich)

Nach der allgemeinen Lebenserfahrung muß es überwiegend aus verwandtschaftlichen Gründen erklärt werden, wenn ein Unternehmer ohne betriebliche Notwendigkeit und Üblichkeit seinen 23 Jahre alten Sohn, der weder über eine ausreichende kaufmännische noch technische Vorbildung verfügt, ohne vorherige Marktanalyse zur Erforschung des Marktes auf die Dauer von zehn Monaten den nord-, mittel- und südamerikanischen Kontinent auf dem Landweg bereisen läßt. Die Kosten einer solchen Reise, die als überwiegend außerbetrieblich veranlaßt anzusehen ist, wie auch das in dieser Zeit gezahlte Gehalt stellen keine Betriebsausgaben, sondern nicht abziehbare Lebenshaltungskosten im Sinne des § 12 Nr. 1 Satz 2 bzw. Nr. 2 EStG dar.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 4, § 12 Nr. 1 S. 2, Nr. 2

 

Tatbestand

Es ist streitig, ob vom Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) Kosten einer Reise seines bei ihm angestellten Sohnes nach Nord-, Mittel- und Südamerika und das an den Sohn während der Reise gezahlte Gehalt als Betriebsausgaben abgezogen werden können.

Der Kläger betreibt einen Textilgroßhandel und eine Hosenfabrik. Er war außerdem alleiniger Kommanditist einer GmbH & Co. KG, deren Komplementär eine GmbH war, deren alleiniger Gesellschafter der Kläger gewesen war.

Seit Januar 1962 ist der 1939 geborene Sohn des Klägers in seinem Betrieb angestellt; ab 1963 ist ihm Prokura eingeräumt worden. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag ist nicht vorhanden. Nach seiner mit dem englischen Abitur 1958 abgeschlossenen Schulausbildung war der Sohn des Klägers vom September 1958 bis Februar 1959, vom August 1959 bis Dezember 1960 und vom Juli bis Oktober 1961 beim Kläger beschäftigt; vom März bis Juli 1959 war er bei einem Bankgeschäft, vom Januar bis Juli 1961 bei einem Wirtschaftsprüfer und Steuerberater und in der Zeit vom 7. November 1961 bis 5. Januar 1962 bei einer Firma der Radio- und Fernsehbranche tätig. Die an den Sohn des Klägers gezahlte Vergütung schwankte zwischen monatlich 100 DM bis 600 DM. Sie hat sich später während der Tätigkeit beim Kläger jährlich erhöht.

Bei einer im Jahr 1965 erfolgten Betriebsprüfung wurden die anteiligen Kosten einer vom 12. Februar bis 18. Dezember 1962 dauernden Reise des Sohnes des Klägers von Nord-, über Mittel- nach Südamerika in Höhe von 17 415 DM und das an den Sohn des Klägers in dieser Zeit gezahlte anteilige Gehalt in Höhe von 6 619 DM nicht als Betriebsausgabe anerkannt.

Die Reise führte mit dem Schiff nach New York/USA; dann auf dem Landweg nach Montreal und Toronto/Kanada - Buffalo - New York - Chicago - St. Louis - Kansas City - Denver - Salt Lake-City - Memphis - New Orleans - Laredo/Texas - Mexiko-City - Naucalpan/Mexiko - Guatemala-City - San Salvador - San José/Costarica - Medellin/Columbien - Bogot…/Columbien - Lima/Peru - La Paz/Bolivien - Buenos Aires/Argentinien - Montevideo - Santiago/Chile - Buenos Aires; die Rückfahrt erfolgte mit einem kombinierten Fracht- und Fahrgastschiff von Buenos Aires nach Hamburg.

Der Beklagte und Revisionskläger (FA) vertrat die Auffassung, daß die Reise überwiegend privat veranlaßt gewesen sei und erkannte demzufolge die von dem Kläger geltend gemachten Aufwendungen nicht als Betriebsausgaben an.

Die Klage hatte Erfolg. Das FG ist der Ansicht:

Aufwendungen für derartige Reisen seien als Betriebsausgaben anzuerkennen, wenn die Reise ausschließlich oder doch überwiegend durch betriebliche Erwägungen veranlaßt sei. Der BFH habe in seinem Urteil vom 18. Februar 1965 IV 36/64 U (BFHE 82, 88, BStBl III 1965, 279) die für die Abgrenzung notwendigen Grundsätze unter Hinweis auf seine vorangegangene Rechtsprechung entwickelt. Das FG schließe sich dieser Rechtsprechung an. Demzufolge müsse die Beurteilung aufgrund einer Würdigung aller Umstände des Streitfalles getroffen werden, wobei strenge Anforderungen an den vom Kläger zu führenden Nachweis der Betriebsbedingtheit der Aufwendungen gestellt werden müßten (Hinweis auf Urteil des BFH vom 12. Januar 1967 IV R 207/66, BFHE 88, 45, BStBl III 1967, 286).

Bei Anwendung dieser Grundsätze stehe die Reise des Sohnes des Klägers, die nicht in einer festen lehrgangsmäßigen Organisation, sondern von ihm allein als Individualreise durchgeführt worden sei, überwiegend im Zusammenhang mit den betrieblichen Zwecken der Einzelbetriebe des Klägers und der GmbH & Co. KG. Die Reise sei unternommen worden, um den Markt in Nord-, Mittel- und Südamerika für die Erzeugnisse und Handelswaren der Firmen des Klägers zu erschließen, bestehende Auftragsmöglichkeiten auszubauen, neue geschäftliche Aufträge zu erstreben, Vertreter zu finden und geschäftliche Kontakte für eine weitere Zusammenarbeit anzubahnen (Hinweis auf Urteil des BFH vom 9. Dezember 1960 IV 241/60 U, BFHE 72, 263, BStBl III 1961, 99). Allein aus der Verbindung mit einem Werk in Argentinien, die durch den Besuch des Sohnes des Klägers hergestellt worden sei, hätten sich erhebliche Umsätze mit diesem Werk - vor allem mit dem in der Bundesrepublik Deutschland belegenen - ergeben. An dem betrieblichen Charakter der Reise ändere sich nichts dadurch, daß der Sohn des Klägers einzelne an oder neben seiner Reisestrecke liegende Sehenswürdigkeiten (z. B. Niagarafälle, Grand Canyon) besucht hätte.

Es stünden im Streitfall auch nicht die gesamten Kosten der Reise in auffälligem Mißverhältnis zu dem begehrten geschäftlichen Erfolg oder den erstrebten Betriebseinnahmen, wie es der BFH in seinen Urteilen vom 9. Dezember 1960 IV 232/60 U (BFHE 72, 335, BStBl III 1961, 126) und vom 19. Dezember 1962 IV 337/61 (HFR 1963 248) dargelegt habe. Die Kosten der rd. zehn Monate dauernden Reise des Sohnes des Klägers von Kanada bis Argentinien hätten insgesamt nur 24 323 DM betragen. Durch die Reise sei jedenfalls ein erheblicher geschäftlicher Erfolg erstrebt worden, wie sich aus den Reiseberichten ergebe, auch wenn dieser tatsächlich nicht erreicht worden sei. Aus den Reiseberichten ergebe sich jedenfalls ein stetiges und sehr intensives Bemühen des Sohnes des Klägers um dessen geschäftlichen Belange.

Es könne auch dem Hinweis des FA nicht gefolgt werden, der Kläger würde einem erst kurz vorher eingestellten, mit ihm nicht verwandten Angestellten eine derartig lange und weite Reise nicht habe durchführen lassen. Der Sohn des Klägers sei bei diesem nicht erst seit Januar 1962 in Betrieb tätig gewesen, sondern schon vorher für insgesamt zwei Jahre und fünf Monate.

Auch aus der Wahl der Beförderungsmittel und der Dauer der Reise könne nicht auf einen privaten Reiseanlaß geschlossen werden (Hinweis auf Urteil des BFH vom 12. Juli 1968 VI R 315/66, BFHE 93, 69, BStBl II 1968, 676). Der Sohn des Klägers habe nämlich dadurch, daß er die Reise zur Einsparung von Fahrtkosten auf dem Landweg durchgeführt habe, viel mehr Städte zur Anknüpfung geschäftlicher Beziehungen besuchen können, als wenn er die Reise wesentlich kostspieliger mit dem Flugzeug hinter sich gebracht hätte. Hierdurch erkläre sich auch die verhältnismäßig lange Dauer der Reise.

An dem überwiegend betrieblichen Zweck der Reise ändere sich auch nichts dadurch, daß der Sohn des Klägers für die Rückreise von Buenos Aires nach Hamburg ein kombiniertes Fracht- und Fahrgastschiff benutzt habe, wodurch die Reise durch das mehrmalige Anlaufen von Zwischenhäfen ebenfalls länger gedauert habe. Dieser Teil der Reise müsse unter dem Gesichtspunkt gesehen werden, daß der Sohn des Klägers seinen Jahresurlaub auf diese Art und Weise genommen habe.

Wenn hiernach davon ausgegangen werden müsse, daß die Reise des Sohnes des Klägers überwiegend betrieblich bedingt gewesen sei, so müsse auch das während der Reise gezahlte Gehalt als Betriebsausgabe anerkannt werden.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung der §§ 4 Abs. 4 und 12 Nr. 2 EStG 1961 sowie allgemeiner Rechts- und Erfahrungsgrundsätze.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.

Die Anerkennung der vom Kläger geltend gemachten Reisekosten seines Sohnes als Betriebsausgaben im Sinne von § 4 Abs. 4 EStG hängt entscheidend davon ab, ob diese Reise ausschließlich oder doch zumindest überwiegend auf betrieblichen Erwägungen beruhte. Denn für die Beurteilung beim Kläger als Auftraggeber der Reise ist von denselben Beurteilungsgrundsätzen auszugehen, wie wenn der Kläger die Reise selbst unternommen hätte (BFH-Entscheidung vom 11. August 1972 VI R 274/70, BFHE 107, 24, BStBl II 1972, 917). Nach der Rechtsprechung des BFH handelt es sich bei der Entscheidung der Frage, ob betriebliche oder private Erwägungen für die Reise bestimmend waren, um die Würdigung der tatsächlichen Gegebenheiten des Falles, die ausschließlich Sache des Tatsachengerichts ist (vgl. zuletzt Urteil vom 1. April 1971 IV R 195/69, BFHE 102, 85, BStBl II 1971, 522). An diese im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet liegende Würdigung ist das Revisionsgericht gebunden, es sei denn, daß in bezug auf diese zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht worden sind (§ 118 Abs. 2 FGO). Das ist im vorliegenden Fall zu bejahen. Die Vorentscheidung verstößt gegen allgemeine Erfahrungssätze.

Das FG ist bei seiner Beurteilung der Reise des Sohnes des Klägers davon ausgegangen, daß hierdurch der Markt in Nord-, Mittel- und Südamerika für die Handelswaren und Erzeugnisse der Unternehmen des Klägers erschlossen werden sollte, wie auch bestehende Auftragsmöglichkeiten ausgebaut, neue geschäftliche Aufträge erstrebt, Vertreter gefunden und geschäftliche Kontakte für eine weitere Zusammenarbeit angebahnt werden sollten, wobei es die außergewöhnlich lange Dauer der Reise und die nur geringe berufliche Erfahrung im Verhältnis zu den Zielen der Reise als normal angesehen hat. Die Würdigung des FG, diese Umstände rechtfertigten die Annahme einer betrieblichen Veranlassung der Reise, verstößt aus folgenden, von der Vorinstanz außer acht gelassenen Gesichtspunkten gegen die allgemeine Lebenserfahrung.

Wenn jemand den Markt in Nord-, Mittel- und Südamerika für die Absatzmöglichkeiten seiner Erzeugnisse und Handelswaren erforschen und erschließen will, so entspricht es nicht den modernen Wirtschaftsgewohnheiten, dies in der Art und Weise zu tun, wie es der Kläger vorgibt. Ganz abgesehen von der Frage, ob bei der Größenordnung der Unternehmen des Klägers eine Erforschung des Marktes von dieser Ausdehnung überhaupt möglich war, würde dies zunächst einmal eine Marktanalyse darüber voraussetzen, ob ein Bedarf für derartige Produkte vorhanden ist. Nur wenn dieser zu bejahen wäre, würde als nächster Schritt die Fühlungnahme mit Einzelinteressenten erfolgen.

Aber selbst wenn es dem Kläger nur um die Kontaktaufnahme mit neuen Kunden gegangen wäre, so widerspricht die Beauftragung seines Sohnes mit einer solch ausgedehnten, lang andauernden und kostspieligen Reise hierfür der betrieblichen Notwendigkeit und Üblichkeit. Denn hierfür bieten sich heutzutage internationale Messen an, bei denen man sowohl zum Einkauf als auch zum Zwecke des Verkaufs derartige Verbindungen knüpfen kann. Es ist nicht üblich, ausländische Kunden zu gewinnen, indem man sich von Fall zu Fall bei Botschaften oder Handelsniederlassungen Adressen von möglichen Geschäftspartnern geben läßt, diese dann aufsucht und diesen die Waren aus dem mitgeführten Musterkoffer vorlegt. Wer so verfährt, verbrämt eine private Reise mit dem Anschein einer betrieblichen.

Nun ist zwar feststehende Rechtsprechung des BFH, daß die Steuerpflichtigen selbst bestimmen können, welche betrieblich veranlaßten Aufwendungen sie machen wollen. Das Steuerrecht schreibt ihnen nicht vor und will ihnen nicht vorschreiben, welche Aufwendungen für den Betrieb oder im beruflichen Interesse erforderlich sind, es ist auch gleichgültig, ob sie üblich oder zweckmäßig sind (vgl. z. B. Urteile des BFH vom 13. Dezember 1962 IV 10/61 S, BFHE 76, 255, BStBl III 1963, 91; vom 28. Juni 1963 VI 45/63 U, BFHE 77, 313, BStBl III 1963, 435). Jedoch sprechen das Fehlen der Notwendigkeit, Unüblichkeit sowie die Unzweckmäßigkeit insbesondere, wenn sie so offen zutage liegen, bei Aufwendungen, die ebensogut privater Natur sein können, dafür, daß sie objektiv aus außerbetrieblichen Erwägungen gemacht wurden. Die Annahme, die betrieblichen oder beruflichen Gründe überwögen in einem solchen Fall die außerbetrieblichen oder außerberuflichen Gründe, ist hier nicht vertretbar. Jedenfalls Aufwendungen einer etwa zehn Monate dauernden Reise durch den nord-, mittel- und südamerikanischen Kontinent, bei dem es nur schwer erkennbar ist, ob sie mehr dem Betrieb oder Beruf oder mehr der Wahrung der wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Stellung des Steuerpflichtigen gedient haben, müssen unter den obwaltenden Umständen als nicht abziehbare Lebenshaltungskosten im Sinn des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG angesehen werden. Nach den Entscheidungen des BFH vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70 und 3/70 (BFHE 100, 309 und 317, BStBl II 1971, 17 und 21) sind sie es auch in vollem Umfang.

Der Senat sieht des weiteren einen die Annahme der betrieblichen Veranlassung der Reise ausschließenden Umstand in dem Verhältnis zwischen der beruflichen Erfahrung des Sohnes des Klägers und dem vorgegebenen Reiseziel und -zweck. Für die Erforschung des Marktes des amerikanischen Kontinents besaß der Sohn des Klägers weder die berufliche Vorbildung noch Erfahrung. Nach dem von ihm geschilderten Werdegang hatte er weder eine ausreichende kaufmännische noch eine ausreichende technische Vorbildung. Er hatte lediglich in den Unternehmen seines Vaters, bei einem Bankgeschäft, einem Wirtschaftsprüfer und einer Herstellerfirma der Radio- und Fernsehbranche volontiert. Zieht man noch sein Lebensalter von 23 Jahren in Betracht, so fehlten dem Sohn des Klägers die Voraussetzungen für die erfolgversprechende Durchführung einer solch umfangreichen und schwierigen Aufgabe wie dieser Reise. Ihre Nutzlosigkeit mußte vielmehr dem Kläger von vornherein als höchstwahrscheinlich erscheinen, so daß sie zumindest überwiegend als durch private, im Streitfall insbesondere durch verwandtschaftliche Überlegungen veranlaßt angesehen werden muß.

Die Reise war nach alledem überwiegend privat veranlaßt. Umstände, unter denen die Aufwendungen des Klägers für die Reise seines Sohnes sonst als Arbeitsvergütung an diesen oder unter anderen Gesichtspunkten als Betriebsausgaben angesehen werden könnten, sind nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Die Kosten stellen freiwillige Zuwendungen des Klägers an seinen Sohn dar, deren Abzugsfähigkeit nach § 12 Nr. 2 EStG ausgeschlossen ist. Das gilt auch für den als Gehalt bezeichneten Betrag von 6 619 DM.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70767

BStBl II 1974, 200

BFHE 1974, 52

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