Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschäftsbesorgung einer Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft für eine Gemeinde; Geschäftsführertätigkeit gegen Aufwendungsersatz; im Gesellschaftsverhältnis begründete Verlustübernahme

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Leistung gegen Entgelt liegt regelmäßig auch dann vor, wenn ein Geschäftsführer gegen Aufwendungsersatz tätig wird.

2. Keine Leistung gegen Entgelt liegt regelmäßig vor, soweit ein Gesellschafter aus Gründen, die im Gesellschaftsverhältnis begründet sind, die Verluste seiner Gesellschaft übernimmt, um ihr die weitere Tätigkeit zu ermöglichen.

 

Normenkette

UStG 1991 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 10; BauGB § 157; BGB §§ 669-670

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin; WEG) ist eine Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH. Sie wurde im August 1991 ins Handelsregister eingetragen. Das Stammkapital betrug 1 000 000 DM; hieran waren die Stadt L mit 55 %, die Hafenbetriebe GmbH L mit 17,5 %, die Stadtsparkasse L mit 15 % sowie die Raiffeisenbank L und die Volksbank L mit jeweils 6,25 % beteiligt.

Nach § 3 der Satzung ist Gegenstand des Unternehmens die Tätigkeit auf allen Gebieten, welche mit der Wirtschaftsentwicklung in L zusammenhängen oder diese fördern, insbesondere

die Projektentwicklung sowie alle damit zusammenhängenden Aktivitäten, also die Konzeptentwicklung und Aufbereitung von Grundstücksflächen, auch die Vorbereitung des An- und Verkaufs von Grundstücken und die Überprüfung der Bebaubarkeit von Grundbesitz;

die Übernahme von Aufgaben eines Sanierungstreuhänders nach §§ 157 ff. des Baugesetzbuches (BauGB);

das Standortmarketing, also die Erarbeitung einer Werbekonzeption für den Standort L, die Vornahme von Maßnahmen zur materiellen und ideellen Aufwertung der Stadt, die projektbezogene Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die Erarbeitung und Durchführung eines Kommunikationskonzepts und aller dieser fördernden Maßnahmen;

die projektbezogene Akquisition von Unternehmen zur Industrieansiedlung, also die Gewinnung von Unternehmen für den Standort L, der Aufbau einer diesbezüglichen Unternehmenskontaktdatei und die Auswertung von Nachrichten und Informationen auf diesen Gebieten;

das projektbezogene Gewerbeflächenmanagement, also die EDV gestützte Vermittlung gewerblich nutzbarer Flächen in Abstimmung mit dem Amt für Wirtschaftsförderung der Stadt … und die bauplanerische Beratung von Behörden und Interessenten.

Am 18. September 1991 schloss die Klägerin mit der Stadt L einen Geschäftsbesorgungsvertrag. Darin verpflichtete sie sich, gemäß ihrer Satzung Tätigkeiten für die Stadt auf allen Gebieten zu übernehmen, die mit der Wirtschaftsentwicklung in L zusammenhängen oder diese fördern. Nach § 2 des Vertrages ersetzte die Stadt der Klägerin den für die übertragenen Aufgabenstellungen erforderlichen Personal- und Sachaufwand. Soweit Dritte die Gesellschaft beauftragten, hatten diese ebenfalls den durch sie veranlassten Aufwand zu erstatten. Mögliche Erträge der Stammeinlagen sollte die Klägerin zur Deckung für die laufenden Kosten einsetzen.

Am 2. August 1995 wurde der Geschäftsbesorgungsvertrag mit der Stadt geändert und bezüglich der Finanzierung in § 4 folgende Regelung getroffen:

"Die Vergütung der WEG bemißt sich nach den Kriterien Arbeitsplätze und Grundstückswert.

1. Bei Vermittlung eines städtischen Grundstücks an einen privaten Käufer erhält die WEG von der Stadt 3 % des Kaufpreises plus 15 % MWSt. 50 % davon werden mit Abschluss des notariellen Kaufvertrages, die restlichen 50 % mit Fertigstellung des Gebäudes fällig.

2. Sofern die WEG Betriebe auf nichtstädtischen Flächen ansiedelt, erhält sie pro angesiedeltem Arbeitsplatz für ihre Betreuungsleistung einen Betrag von einem durchschnittlichen Monatsgehalt des angesiedelten Arbeitsplatzes, differenziert nach Branchen.

Basis der Berechnung sind die Angaben im Statistischen Jahrbuch; maßgeblich sind jeweils die Zahlen des vorangehenden Kalenderjahres.

3. Für die Umsiedlung … Betriebe erhält sie pro umgesiedeltem Arbeitsplatz für ihre Betreuungsleistung einen Betrag in Höhe von 50 % der Beträge, wie sie anfallen würden, wenn es sich um eine externe Ansiedlung handeln würde.

4. Projektbezogene Zuschüsse Dritter für die Planungs- und Vorbereitungsarbeit (z.B. Forschungsmittel des Bundes) werden der WEG unmittelbar zur Verfügung gestellt und von ihr verwaltet. Sie werden für die jeweiligen Projekte eingesetzt und nicht zur Kostendeckung der laufenden Geschäfte.

5. Stichpunkt für den Beginn dieser Vereinbarung ist die Unterzeichnung dieses Vertrages, d.h. Fälle, die bereits in Betreuung sind wie z.B. Media Markt, fallen unter diesen Vertrag, wenn die Eröffnung nach Unterzeichnung liegt.

6. Das Betreuungsentgelt wird fällig mit Eröffnung des Betriebes.

7. Da nicht alle satzungsgemäßen Aktivitäten der WEG mit der o.g. Regelung vergütet werden, übernimmt die Stadt weiterhin den Verlustausgleich im Rahmen des verabschiedeten Budgets. …"

In der Umsatzsteuererklärung für die Streitjahre (1991 und 1995) machte die Klägerin die ihr in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer (1991: 36 038,32 DM; 1995: 53 140,43 DM) geltend; für 1991 erklärte sie steuerpflichtige Umsätze von 0 DM, für 1995 steuerpflichtige Umsätze von 155 925 DM zuzüglich 15 % Umsatzsteuer in Höhe von 23 388,75 DM.

Soweit die Stadt L die Verluste der Klägerin übernommen hat, hat diese in den Streitjahren keine steuerpflichtigen Umsätze erklärt.

Demgegenüber erhöhte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) nach einer Umsatzsteuersonderprüfung die Umsätze um bisher nicht erklärte verlustausgleichende Zahlungen der Stadt L von 290 486 DM netto (= 330 687,52 DM brutto) für 1991 und 648 980 DM (netto) für 1995 (Umsatzsteuerbescheide für 1991 und 1995 vom 24. Februar 1998).

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) verneinte Leistungen der Klägerin an die Stadt L gegen Entgelt i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1991 und 1993 (UStG) und nahm eine unentgeltliche Geschäftsbesorgung i.S. des § 662 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) an; der dem Auftragnehmer zustehende Vorschuss und Aufwendungsersatz (§§ 669, 670 BGB) stelle nicht das Entgelt dar, um dessen Willen der Beauftragte den Auftrag übernommen habe.

Mit der Revision rügt das FA in erster Linie Verletzung materiellen Rechts; es meint, Leistungen gegen Entgelt lägen auch dann vor, wenn lediglich die Erstattung von Unkosten oder eines Aufwendungsersatzes vereinbart sei. Jede Leistung der Klägerin komme unmittelbar der Stadt L als Leistungsempfängerin zugute. Damit stehe die Verlustübernahme in untrennbarem Zusammenhang. Soweit sich die Geschäftsbesorgungsverträge im Rahmen der Satzung bewegten, seien sie nur deklaratorisch.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Aufwendungsersatz, den der Geschäftsbesorger gemäß §§ 669, 670 BGB erhält, kein Entgelt i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 10 UStG ist.

1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Der Umsatz wird insoweit nach dem Entgelt bemessen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 UStG).

Die Besteuerung einer Lieferung oder sonstigen Leistung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG setzt das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der erbrachten Leistung und dem empfangenen Gegenwert voraus; der Leistungsempfänger muss identifizierbar sein; er muss einen Vorteil erhalten, der zu einem Verbrauch im Sinn des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führt (vgl. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ―EuGH―, Urteile vom 16. Oktober 1997 Rs. C-258/95 -Fillibeck-, Slg. 1997, I-5577, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht ―UVR― 1997, 430, und vom 29. Februar 1996 Rs. C-215/94 -Mohr-, Slg. 1996, I-959; vom 18. Dezember 1997 Rs. C-384/95 -Landboden-, Slg. 1997, I-7387, UVR 1998, 51, und Bundesfinanzhof ―BFH―, Urteil vom 22. Juli 1999 V R 74/98, BFH/NV 2000, 240).

Demnach können Zahlungen der öffentlichen Hand Entgelt für eine steuerbare Leistung sein, wenn der Zahlungsempfänger im Auftrag des Geldgebers für diesen eine Aufgabe übernimmt und die Zahlung damit zusammenhängt. Kein Entgelt liegt aber vor, wenn der Zuschuss lediglich der Förderung des Zahlungsempfängers im allgemeinen Interesse dienen soll und nicht der Gegenwert für eine steuerbare Leistung des Zahlungsempfängers an den Geldgeber sein soll. In derartigen Fällen, in denen eine Person des privaten Rechts Aufgaben einer Körperschaft des öffentlichen Rechts übernimmt und im Zusammenhang damit Geldzahlungen erhält, kann je nach den Umständen des Einzelfalls ein Leistungsaustausch zu bejahen oder zu verneinen sein (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2000, 240, m.w.N.).

Entgegen der Ansicht des FG liegt eine Leistung gegen Entgelt regelmäßig auch dann vor, wenn ein Geschäftsführer gegen Aufwendungsersatz tätig wird (vgl. BFH-Urteil vom 7. März 1996 V R 29/93, BFH/NV 1996, 858). Dagegen fehlt es regelmäßig an dem notwendigen Zusammenhang zwischen erbrachter Leistung und erhaltenem Gegenwert, soweit ein Gesellschafter aus Gründen, die im Gesellschaftsverhältnis begründet sind, die Verluste seiner Gesellschaft übernimmt, um ihr die weitere Tätigkeit zu ermöglichen.

2. Eine Leistung i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG setzt voraus, dass sie an einen bestimmbaren Leistungsempfänger erbracht wird.

a) Soweit die Klägerin in Verfolgung ihrer satzungsgemäßen Zwecke (als Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft) im allgemeinen Interesse der Wirtschaftsentwicklung tätig geworden ist, hat sie keine individualisierbare Leistung an die Stadt L (Gemeinde) erbracht. Diese war insoweit weder Verbraucherin noch erhielt sie einen sonstigen Vorteil, der am Ende der Unternehmerkette zu einem Verbrauch im Sinn des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führte. Die Klägerin ist insoweit als Gesellschaft nicht in konkreten Leistungsaustausch mit einem ihrer Gesellschafter getreten.

b) Anders ist es, soweit die Klägerin im Auftrag der Gemeinde aufgrund der Geschäftsbesorgungsverträge Aufgaben wahrgenommen hat.

Bedient sich eine Gemeinde zur Erfüllung ihrer Aufgaben eines Erfüllungsgehilfen, erhält sie individualisierbare Leistungen des Erfüllungsgehilfen; sie erhält die Leistungen als Verbraucherin im Sinne des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts, soweit sie hoheitliche Aufgaben wahrnimmt, und als Unternehmerin, soweit sie unternehmerische Aufgaben wahrnimmt.

Die Leistungen können sämtliche Tätigkeiten erfassen, die in den Geschäftsbesorgungsverträgen vom 18. September 1991 und 2. August 1995 im Einzelnen aufgeführt sind.

Rechtliche Hinderungsgründe, satzungsgemäße Aufgaben einer Gesellschaft zum Gegenstand eines besonderen Geschäftsbesorgungsvertrags zu machen, sieht der Senat nicht.

Der Umstand, dass die Tätigkeiten dem allgemeinen Interesse dienen, schließt nicht aus, dass sie Gegenstand umsatzsteuerbarer Leistungen an einen bestimmten Leistungsempfänger sein können.

So liegt z.B. eine steuerbare Grundstückslieferung vor, wenn die öffentliche Hand Grundstücke zum Bau einer Autobahn kauft. Der Umstand, dass der Kauf im allgemeinen Interesse an einer ordentlichen Verkehrspolitik erfolgt, lässt die Steuerbarkeit nicht entfallen (vgl. Rdnr. 23 der Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. September 1997 in der Rechtssache C-384/95 -Landbogen Agrardienste-, Slg. 1997, I-7387).

Ähnlich ist es bei den der Klägerin übertragenen Aufgaben als Sanierungstreuhänderin gemäß §§ 157 ff. BauGB. Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen liegen zwar im öffentlichen Interesse; sie dienen der Behebung städtebaulicher Missstände (§ 136 BauGB). Gleichwohl war die Gemeinde Leistungsempfängerin, soweit sie sich zur Erfüllung der Sanierungsaufgaben der Klägerin bedient hat. Da die Sanierungsaufgaben nach dem Gesetz ausschließlich der Stadt L (und nicht auch den übrigen Gesellschaftern der Klägerin) oblagen, kommt nur sie als Leistungsempfängerin in Betracht. Falls die Klägerin diese Aufgabe übernahm, erbrachte sie individualisierbare Leistungen an die Stadt L.

3. Die Leistungen an die Stadt L wurden auch gegen Entgelt ausgeführt, soweit die Zahlungen der Stadt an die Klägerin nicht im Gesellschaftsverhältnis, sondern in den Geschäftsbesorgungsverträgen begründet waren. Dabei ist gleichgültig, ob in den Geschäftsbesorgungsverträgen ein Entgelt vereinbart (vgl. § 4 des Geschäftsbesorgungsvertrags vom 2. August 1995) oder nach dem Gesetz (z.B. § 670 BGB) zu zahlen war. Soweit die vereinbarten Entgelte nicht kostendeckend waren, findet die Mindestbemessungsgrundlage des § 10 Abs. 4 Nr. 1 UStG Anwendung.

4. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Frage, inwieweit die Tätigkeiten der Klägerin und die Zahlungen die Stadt L im Gesellschaftsverhältnis oder in den Geschäftsbesorgungsverträgen begründet waren, kann nicht ohne die dem FG obliegende Sachverhaltswürdigung entschieden werden. Der Senat verweist die Sache deshalb an das FG zur erneuten Entscheidung zurück.

 

Fundstellen

Haufe-Index 742878

BFH/NV 2002, 1004

BStBl II 2002, 782

BFHE 198, 233

BFHE 2003, 233

BB 2002, 1246

DB 2002, 1420

DStR 2002, 953

DStRE 2002, 772

HFR 2002, 718

UR 2002, 367

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