Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Aktivierung des Gewinnanspruchs einer Muttergesellschaft gegen ihre Tochtergesellschaft

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Versagung rechtlichen Gehörs ist dann unschädlich, wenn es eine einzelne Tatsachenfeststellung betrifft, auf die es materiell-rechtlich bei revisionsrechtlicher Betrachtung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ankommen kann (BFH-Urt. v. 5. 12. 1979 II R 56/76 BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208).

2. Eine Aktivierung von Gewinnansprüchen auf der Grundlage des BGH-Urt. v. 3. 11. 1975 II ZR 67/73 BGHZ 65, 230, bei der Muttergesellschaft zu dem mit dem Bilanzstichtag der Tochtergesellschaft übereinstimmenden Bilanzstichtag kommt nur dann in Betracht, wenn eine Mehrheitsbeteiligung während des gesamten Geschäftsjahrs bestand, dessen Ergebnis ausgeschüttet wird.

 

Normenkette

KStG § 8 Abs. 1; EStG § 5 Abs. 1 S. 1; FGO § 119 Nr. 3

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hielt am Stammkapital der I-GmbH rd. 21 Mio. DM (45,426 v. H.), ehe sie von dem mit rd. 2,2 Mio. DM (= 4,759 v. H.) beteiligten WHL dessen Anteil mit Vertrag vom 2. Januar 1978 um 3,4 Mio. DM erwarb. Daneben erwarb sie das damit zusammenhängende Gewinnbezugsrecht für das Jahr 1977. Das Gewinnbezugsrecht wurde im Vertrag mit 259 600 DM bewertet.

Bereits im Vertrag vom 16. Dezember 1977 hatten sich die Klägerin, WHL und eine weitere an der I-GmbH beteiligte Gesellschaft dahin geeinigt, daß sie ihre Stimmenmehrheit in der Gesellschafterversammlung der I-GmbH, die über die Verwendung des Bilanzgewinns beschließt, dahin ausüben, daß von dem Bilanzgewinn per 31. Dezember 1977 eine Bardividende von 4 Mio. DM auf das gewinnberechtigte Kapital an die Gesellschafter ausgeschüttet werde. Nach der Vereinbarung entfielen von der Bardividende von 4 Mio. DM auf WHL 259 600 DM.

Der Gewinnanteil in Höhe von 259 600 DM floß der Klägerin im Streitjahr 1978 zu. Sie hatte neben den Anschaffungskosten einschließlich Nebenkosten auf die von WHL erworbene Beteiligung an der I-GmbH den mit dieser zusammenhängenden Gewinnanspruch 1977 gesondert aktiviert und löste diesen bei Zufluß desselben erfolgsneutral auf.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) folgte dem nicht, sondern ging lediglich von den Anschaffungskosten der Beteiligung aus und erhöhte den Gewinn der Klägerin im Streitjahr um die Ausschüttung von 259 600 DM.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch der Klägerin eingelegten Klage statt. Das FA legte Revision ein.

Der erkennende Senat hob im ersten Rechtsgang das Urteil des FG auf und wies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Mai 1986 I R 362/83, BFHE 147, 37).

Das FG traf in dem Urteil im zweiten Rechtsgang folgende zusätzliche Feststellungen:

Das Stammkapital der I-GmbH wurde mit Beschluß der Gesellschafterversammlung vom 20. Dezember 1977 um 4 569 000 DM auf 50 708 000 DM erhöht, so daß der Anteil der Klägerin hieran nach ihrem Erwerb der Anteile von WHL nur 45,659 v. H. betrug und sie daher keine Mehrheitsbeteiligung besaß.

Die Klägerin hatte zum Ende der Wirtschaftsjahre (= Kalenderjahre) 1977 und 1978 die Gewinnansprüche aktiviert, die sich auf die Wirtschaftsjahre (= Kalenderjahre) 1977 bzw. 1978 der I-GmbH bezogen. Die Körperschaftsteuerveranlagung der Klägerin 1977 ist bestandskräftig.

Die Klägerin begründete die Klage nach der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zusätzlich damit, daß die rechtsirrtümlich verfrüht vorgenommene Aktivierung des Dividendenanspruchs für das Wirtschaftsjahr (= Kalenderjahr) 1978 gegen die I-GmbH wenigstens in Höhe von 259 600 DM außer Betracht zu bleiben habe und die Körperschaftsteuer des Streitjahres auch schon aus diesem Grund entsprechend herabzusetzen sei.

Das FG gab der Klage statt.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von Verfahrensrecht und die Verletzung materiellen Rechts.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

1. Verfahrensmängel

a) Ein Verfahrensmangel i. S. des § 119 Nr. 6 FGO liegt nicht vor.

Ein Urteil ist zwar auch dann nicht mit Gründen versehen, wenn das Gericht einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel übergangen hat (BFH-Urteil vom 11. Juni 1969 I R 27/68, BFHE 95, 529, BStBl II 1969, 492). Der Senat kann offenlassen, ob das FG ein selbständiges Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat, denn das übergangene Verteidigungsmittel wäre zum Angriff ungeeignet gewesen (Urteil in BFHE 95, 529, BStBl II 1969, 492). Selbst wenn nämlich das FG aus dem Stimmrechtsbindungsvertrag vom 20. Dezember 1978 hergeleitet hätte, daß der Vertrag eine Mehrheitsbeteiligung der Klägerin an der I-GmbH begründete, hätte dies nicht ausgereicht, um bei der Klägerin deren Gewinnanspruch auf den Gewinn der I-GmbH im Kalenderjahr 1978 in diesem steuerlich zu erfassen. Der Senat hat im ersten Rechtszug für das FG bindend (vgl. § 126 Abs. 5 FGO) entschieden, daß eine Aktivierung von Gewinnansprüchen auf der Grundlage des Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 3. November 1975 II ZR 67/73 (BGHZ 65, 230) bei der Muttergesellschaft zu dem mit dem Bilanzstichtag der Tochtergesellschaft übereinstimmenden Bilanzstichtag nur dann in Betracht kommt, wenn eine Mehrheitsbeteiligung während des gesamten Geschäftsjahres bestand, dessen Ergebnis ausgeschüttet wird. Wenn man annimmt, der Stimmrechtsbindungsvertrag vom 20. Dezember 1978 habe zu einer Mehrheitsbeteiligung der Klägerin geführt, wäre die Klägerin nicht gezwungen gewesen, die von der I-GmbH für das Wirtschaftsjahr (= Kalenderjahr) 1978 ausgeschüttenten Gewinnanteile im Streitjahr steuerlich zu erfassen. Die Mehrheitsbeteiligung hätte nicht während des gesamten Wirtschaftsjahres (= Kalenderjahr) 1978 der I-GmbH bestanden.

Der Bindung gemäß § 126 Abs. 5 FGO steht nicht entgegen, daß der erkennende Senat diese Rechtsansicht im ersten Rechtsgang zur Behandlung der für das Wirtschaftsjahr (= Kalenderjahr) 1977 ausgeschütteten Gewinnanteile vertreten hat. Gegen die Bindung spricht auch nicht, daß die vom erkennenden Senat im ersten Rechtsgang geäußerte Rechtsansicht bezüglich der für das Wirtschaftsjahr (= Kalenderjahr) 1977 ausgeschütteten Dividende letztlich für den Streitfall unerheblich war, weil nach den tatsächlichen Feststellungen des FG im zweiten Rechtsgang eine Mehrheitsbeteiligung der Klägerin im Kalenderjahr 1977 wegen der Kapitalerhöhung am 20. Dezember 1977 nicht mehr in Betracht kam.

b) Ein Verfahrensmangel i. S. des § 119 Nr. 3 FGO (Versagung des rechtlichen Gehörs) liegt nicht vor.

Der Senat kann offenlassen, ob eine Versagung des rechtlichen Gehörs schon deswegen nicht vorliegt, weil das FG in seinem Urteil nicht jedes Parteivorbringen einzeln zu würdigen und auch nicht auf jede einzelne von einem Beteiligten vertretene, jedoch von der eigenen Meinung abweichende Rechtsauffassung einzugehen hat (vgl. BFH-Urteil vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417). Eine Versagung des rechtlichen Gehörs ist nämlich dann unschädlich, wenn es eine einzelne Tatsachenfeststellung betrifft, auf die es materiell-rechtlich unter revisionsrechtlicher Betrachtung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ankommen konnte (BFH-Urteil vom 5. Dezember 1979 II R 56/76, BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208). Auf die Ausführung unter a) wird insoweit verwiesen.

2. Sachliches Recht

Das FG hat der Klage zu Recht stattgegeben. Das in dem Körperschaftsteuerbescheid vom 19. September 1984 für das Streitjahr mit 816 290 DM festgestellte Einkommen ist ensprechend dem Klageantrag um 259 600 DM zu mindern. In dem Körperschaftsteuerbescheid ist der im ersten Rechtsgang vom erkennenden Senat getroffenen Entscheidung Rechnung getragen, daß die Klägerin die von der I-GmbH im Streitjahr bezogene Gewinnausschüttung für das Wirtschaftsjahr (= Kalenderjahr) 1977 nicht einkommensneutral vereinnahmen darf. Dies ergibt sich aus der übereinstimmenden Erklärung der Beteiligten im ersten Rechtsgang, daß dieser zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gemachte Körperschaftsteuerbescheid eine nicht streitbefangene Änderung betrifft. In dem Körperschaftsteuerbescheid, der durch den Änderungsbescheid geändert wurde, ist die im ersten Rechtsgang strittige Gewinnerhöhung mit 259 600 DM erfaßt. In Höhe dieses Betrages ist die Klage aus einem anderen Grund als dem im ersten Rechtsgang geltend gemachten begründet. In dem im Körperschaftsteuerbescheid vom 19. September 1984 festgestellten Einkommen ist der Anspruch der Klägerin auf die Gewinnausschüttung für das Wirtschaftsjahr (= Kalenderjahr) 1978 der I-GmbH jedenfalls in Höhe von 259 600 DM enthalten. Dies ergibt sich aus den Ausführungen des FG, wonach die Aktivierung des Dividendenanspruchs 1978 gegen die I-GmbH wenigstens in Höhe von 259 600 DM außer Betracht zu bleiben habe.

Der Anspruch auf die Ausschüttung des Gewinns des Wirtschaftsjahres (= Kalenderjahres) 1978 der I-GmbH ist nicht im Einkommen des Streitjahres 1978 zu erfassen. Die Klägerin hielt an der I-GmbH nach den Feststellungen des Streitjahres keine Mehrheitsbeteiligung, die Voraussetzung für die Erfassung wäre (vgl. die Entscheidung des erkennenden Senats im ersten Rechtsgang).

Das FA kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, daß die Anfangsbilanz des Streitjahres durch die Ausbuchung der Forderung zu berichtigen sei, die sich auf die Gewinnausschüttung der I-GmbH für das Kalenderjahr/Wirtschaftsjahr 1977 bezieht. Die Anfangsbilanz des Streitjahres entspricht nach den Grundsätzen des Bilanzzusammenhangs der Schlußbilanz des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, die einer bestandskräftigen Veranlagung zugrundeliegt.

§ 174 der Abgabenordnung (AO 1977) steht der Nichterfassung der das Kalenderjahr = Wirtschaftsjahr 1978 betreffenden Gewinnansprüche nicht entgegen. § 174 Abs. 2 AO 1977 setzt voraus, daß ein bestimmter Sachverhalt in unvereinbarer Weise mehrfach zugunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt wird. Bei den Gewinnansprüchen, die sich auf die Kalenderjahre = Wirtschaftsjahre 1977 und 1978 beziehen, handelt es sich um verschiedene Sachverhalte. Aus denselben Erwägungen scheidet die Anwendung des § 174 Abs. 2 AO 1977 aus.

Der erkennende Senat ist durch § 126 Abs. 5 FGO nicht gehindert, der Klage stattzugeben. Wenn im Urteil im ersten Rechtsgang die Zurückverweisung damit begründet wurde, daß die Klage wegen einer Minderung des Teilwerts der Beteiligung begründet sein könnte, besteht keine Bindung in dem Sinne, daß die Klage nur wegen einer Minderung des Teilwerts der Beteiligung Erfolg haben kann. Die Klage ist aufgrund von Feststellungen begründet, die das FG erst im zweiten Rechtsgang getroffen hat (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 126 FGO Rz. 32). Die Aktivierung des das Kalenderjahr = Wirtschaftsjahr 1978 betreffenden Gewinnanspruchs im Streitjahr durch die Klägerin hat das FG erst im zweiten Rechtsgang festgestellt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417082

BFH/NV 1991, 440

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