Entscheidungsstichwort (Thema)

Kaufvertraglich ausbedungene Räumungsfrist keine unentgeltliche Nutzungsüberlassung

 

Leitsatz (NV)

Räumt der Käufer eines Grundstücks dem Verkäufer das Recht ein, den Kaufgegenstand innerhalb einer bestimmten Übergangsfrist noch weiter zu nutzen (Räumungsfrist), so liegt darin keine Vereinbarung eines unentgeltlichen Nutzungsrechts.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1, § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg (Urteil vom 03.12.2003; Aktenzeichen 5 K 359/03; EFG 2004, 643)

 

Tatbestand

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (2001) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Die Klägerin erwarb aufgrund eines im August des Streitjahres abgeschlossenen Kaufvertrages ein zur Vermietung vorgesehenes Einfamilienhaus für … DM, das sie schließlich im Dezember des Streitjahres ab dem 1. Januar 2002 an die Veräußerin vermietete. Hinsichtlich der Besitzübergabe vereinbarten die Parteien des Kaufvertrages Folgendes:

"Die Besitzübergabe erfolgt am 1.9.2001. Damit gehen sämtliche Nutzen, Lasten und die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung sowie die Verkehrssicherungspflicht auf den Käufer über. Die Steuern und sonstigen öffentlichen Abgaben trägt der Käufer ab 1.9.2001 …

Der Käufer räumt der Erschienenen (Ziffer 1) das Recht ein, den Vertragsgegenstand bis zum Ablauf des 31.12.2001 zu nutzen. Eine Nutzungsentschädigung wird nicht geschuldet. Die anfallenden Nebenkosten, die beim Bestehen eines Mietverhältnisses nach der II. Berechnungsverordnung auf den Mieter umgelegt werden können, trägt die Nutzungsberechtigte. Die Nutzungsberechtigte verpflichtet sich, den Vertragsgegenstand spätestens mit Ablauf des 31.12.2001 vollständig geräumt zu übergeben. Vereinbarungen für den Fall einer nicht vertragsgemäßen Räumung werden nicht getroffen, so dass es ggfs. bei den gesetzlichen Verzugsregelungen verbleibt."

Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung des Streitjahres begehrten die Kläger für das erworbene Objekt vergeblich einen Werbungskostenüberschuss in Höhe von 69 063 DM (vornehmlich Schuldzinsen einschließlich Disagio). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) vertrat die Auffassung, die Einkünfteerzielungsabsicht beginne erst mit der tatsächlichen Vermietung ab 1. Januar 2002. Im Zeitpunkt der Aufwendungen sei wegen der unentgeltlichen Nutzungsüberlassung kein Steuertatbestand verwirklicht worden.

Auch die Klage, mit der die Kläger geltend machten, die Räumungsfrist sei eine Auflage der Veräußerer gewesen, erst aufgrund neuer Überlegungen habe die Veräußerin im November 2001 angefragt, ob sie mieten könne,  blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) lehnte es in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 643 veröffentlichten Urteil ab, die Aufwendungen der Klägerin als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abzuziehen. Die Klägerin habe als wirtschaftliche Eigentümerin ab dem 1. September ihr Haus bis zum 31. Dezember des Streitjahres unentgeltlich zur Nutzung überlassen. Weil sie keine Einnahmen erzielt habe, könne sie auch keine Werbungskosten steuerlich geltend machen. Auch als vorab entstandene Werbungskosten könnten die Aufwendungen nicht abgezogen werden. Es fehle nämlich bereits an einem objektiven Zusammenhang mit der auf Einnahmeerzielung gerichteten Tätigkeit; denn der Klägerin sei es wegen der unentgeltlichen Überlassung an die Veräußerer objektiv nicht möglich gewesen, das Objekt noch im Streitjahr zu vermieten.

Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger, mit der sie die Verletzung der §§ 9, 21 des Einkommensteuergesetzes (EStG) rügen. Das FG habe unzutreffend den Abzug der Aufwendung als vorweggenommene Werbungskosten der Klägerin versagt. Die Klägerin habe das Haus von Beginn an vermieten wollen und dies ab dem 1. Januar 2002 auch getan. Sie habe den Verkäufern die Nutzungsmöglichkeit vorübergehend überlassen, damit diese innerhalb angemessener Frist das Gebäude räumten.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr dahin gehend zu ändern, dass die Einkommensteuer 2001 auf … € und der Solidaritätszuschlag auf … € festgesetzt wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FG hat unzutreffend einen wirtschaftlichen Zusammenhang der im Streitjahr entstandenen Aufwendungen mit der Vermietung des erworbenen Einfamilienhauses verneint und damit § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG verletzt.

1. Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 EStG) sind alle Aufwendungen, die durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Sie können schon gegeben sein, bevor mit dem Aufwand zusammenhängende Einnahmen im Rahmen einer Einkunftsart anfallen (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--, vgl. Urteil vom 31. Mai 2000 IX R 6/96, BFH/NV 2001, 24, m.w.N.). Wer einem anderen eine Wohnung unentgeltlich zur Nutzung überlässt, verwirklicht keinen Tatbestand einer Einkunftsart (Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) und kann deshalb auch keine Werbungskosten abziehen; denn seine mit der Nutzungsüberlassung zusammenhängenden Aufwendungen dienen nicht, wie dies § 9 Abs. 1 EStG voraussetzt, der Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung von Einnahmen (BFH-Urteil vom 5. November 2002 IX R 48/01, BFHE 201, 46, BStBl II 2003, 646 unter II. 1. a).

a) Nach diesen Grundsätzen sind die Aufwendungen der Klägerin auf das erworbene Einfamilienhaus als Werbungskosten abziehbar; denn sie hängen nicht mit einer unentgeltlichen Nutzungsüberlassung zusammen, sondern mit der ab 1. Januar 2002 begonnenen Vermietungstätigkeit. Entgegen der Auffassung des FG fehlt es im Zeitraum von September bis zum 31. Dezember des Streitjahres bereits an einer steuerrechtlich bedeutsamen Nutzungsüberlassung. Unabhängig davon, ob und wann die Klägerin wirtschaftliches Eigentum an dem Grundstück erlangt hat (hierauf kommt es für den Schuldzinsenabzug nicht entscheidend an, vgl. BFH-Urteil vom 28. Januar 1986 IX R 70/82, BFH/NV 1986, 334) und ob deshalb von einem "Überlassen" von Nutzungen gesprochen werden kann, haben die Parteien des Kaufvertrags mit der Besitzübergabe lediglich die Hauptleistungspflicht der Veräußerer aus dem Kaufvertrag gegenüber der Klägerin geregelt. Das dort eingeräumte Recht, das Haus auch über den vertraglich auf den 1. September des Streitjahres bestimmten Zeitpunkt des Gefahrübergangs hinaus bis zum 31. Dezember nutzen zu dürfen, ist vor diesem Hintergrund --worauf die Kläger zutreffend hinweisen-- rechtlich und wirtschaftlich nichts anderes als eine   Räumungsfrist.  Damit regeln die Parteien des Kaufvertrags im Einzelnen die Bedingungen, unter denen der Besitz am Grundstück übergeben und die damit zusammenhängenden Kosten getragen werden sollen. Das Recht, das Grundstück bis zum 31. Dezember weiterhin nutzen zu können, steht als Teil der Regelung über die Besitzübergabe ferner in einem synallagmatischen Verhältnis zur Gegenleistungspflicht der Klägerin, den Kaufpreis zu zahlen, führt also jedenfalls nicht --selbst wenn man eine Nutzungsüberlassung annähme-- zu einem unentgeltlichen Rechtsverhältnis.

b) Auch wenn die Auslegung von Verträgen zu den tatsächlichen Feststellungen i.S. des § 118 Abs. 2 FGO gehört, ist das Revisionsgericht berechtigt, sie darauf zu überprüfen, ob die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--), die Denkgesetze und allgemeinen Erfahrungssätze zutreffend angewandt worden sind (BFH-Urteile vom 16. September 2004 X R 7/04, BFH-Report 2004, 1303; vom 25. Juni 1985 IX R 60/82, BFH/NV 1985, 74, und Beschluss vom 26. Juni 2002 IX B 119/01, BFH/NV 2002, 1469, m.w.N.). Unter Berücksichtigung des Kerns kaufvertraglicher Pflichten (§§ 433 ff. BGB) ergibt eine §§ 133 und 157 BGB beachtende Auslegung des Kaufvertrages, dass den Veräußerern darin kein unentgeltliches Nutzungsrecht eingeräumt wurde, sie vielmehr lediglich den Besitzübergang auf die Klägerin regeln wollten.

2. Da das FG-Urteil diesen Maßstäben nicht entspricht, ist es aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat noch nicht geprüft, in welcher Höhe die dem Grunde nach als vorab entstandene Werbungskosten abziehbaren Aufwendungen angefallen sind. Das wird es in einer neuen Verhandlung und Entscheidung nachzuholen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1366229

BFH/NV 2005, 1255

HFR 2005, 754

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