Leitsatz (amtlich)

1. Das einheitliche und gesonderte Feststellungsverfahren des gemeinen Werts von Anteilen und Genußscheinen nach § 220 Nr. 2 Satz 3 und Nr. 4 AO in Verbindung mit §§ 64 ff. BewDV wird durch einen Grundlagenbescheid abgeschlossen. Die Wirkungen der Folgebescheide ergeben sich aus § 218 Abs. 2 oder Abs. 4 AO.

2. Überschreiten bei einer Betriebsprüfung die Prüfungshandlungen den Prüfungsauftrag oder die Prüfungsanordnung, so ist für den Umfang der Ablaufhemmung der Verjährung entscheidend, worauf sich die Betriebsprüfung tatsächlich erstreckt hat.

 

Normenkette

AO § 146a Abs. 3, § 220 Nrn. 3-4; BewDV § 64 ff.

 

Tatbestand

Die Klägerin und ihr 1967 verstorbener Ehemann waren zunächst zum Hauptveranlagungszeitpunkt 1. Januar 1963 nicht zur Vermögensteuer veranlagt worden. Die Eheleute hatten in ihrer Vermögenserklärung auf diesen Stichtag u. a. den Wert der ihnen gehörenden Geschäftsanteile an der X-GmbH (im folgenden kurz GmbH) mit 110 v. H. angegeben. Aufgrund dieser Erklärung, die ein Gesamtvermögen von 35 000 DM ergab, verfügte das FA einen "n. v.-Vermerk". Auf eine Anfrage des beklagten FA im Mai 1966 teilte das hierfür zuständige FA mit, daß der Anteilswert an der GmbH vorläufig gem. § 100 Abs. 2 AO für je 100 DM eingezahlten Stammkapitals auf 500 DM festgestellt worden sei. Das beklagte FA nahm keine Neuberechnung des vermögensteuerpflichtigen Vermögens der Steuerpflichtigen vor. Im Jahre 1966 fand bei der GmbH eine Betriebsprüfung statt. Die Prüfungsanordnung erstreckte sich auf Körperschaftsteuer 1959 bis 1964, Einheitsbewertung des Betriebsvermögens 1. Januar 1959 bis 1. Januar 1964, Vermögensteuer 1. Januar 1959 bis 1. Januar 1964, Gewerbesteuer 1959 bis 1964 und Umsatzsteuer 1959 bis 1964. Gegenstand der Prüfung war darüber hinaus auch die Feststellung des gemeinen Werts der GmbH-Anteile. Das für die Anteilsbewertung zuständige FA teilte dem beklagten FA aufgrund der endgültigen Ermittlung des gemeinen Werts im November 1969 mit, daß die Eheleute am 31. Dezember 1962 und 31. Dezember 1963 mit 50 000 DM an der GmbH beteiligt gewesen seien und der gemeine Wert der Geschäftsanteile am Jahresende 1962 für je 100 DM des eingezahlten Stammkapitals 1 330 DM und am Jahresende 1963 für je 100 DM des eingezahlten Stammkapitals 1 455 DM betragen habe. Daraufhin setzte das beklagte FA durch einen an "Herrn und Frau A., z. Hd. Frau A." adressierten Steuerbescheid vom 9. Februar 1970 unter Hinweis auf § 218 Abs. 4 AO für den ab 1. Januar 1963 laufenden Hauptveranlagungszeitraum die Vermögensteuerjahresschuld auf 6 027,50 DM fest.

Die Klägerin ist der Auffassung, daß die Vermögensteueransprüche aus den Jahren 1963 und 1964 verjährt seien.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.

Mit der Revision rügt die Klägerin unrichtige Anwendung des § 218 AO und des § 72 Abs. 2 BewDV. Sie ist der Auffassung, Feststellungsbescheide, mit denen der Wert von Anteilen an Kapitalgesellschaften ermittelt werde, seien keine Grundlagenbescheide im Sinne von § 218 AO. Die frühere Regelung sei systemwidrig gewesen. Der Gesetzgeber habe deshalb mit Wirkung vom 1. Januar 1966 den § 72 BewDV aufgehoben und durch den Wegfall des Hinweises in § 72 Abs. 2 BewDV klargestellt, daß die Vorschriften des § 218 Abs. 2 und 4 AO im Verfahren zur Anteilsbewertung nicht gelten. Die einheitliche und gesonderte Feststellung des gemeinen Werts von Anteilen sei deshalb kein Grundlagenbescheid, weil ein solcher Bescheid eine tatsächliche oder rechtliche Gemeinschaft von Personen an einer Sache oder einem Recht oder an einem Inbegriff derartiger Gegenstände voraussetze. Die gemeinschaftlichen Gegenstände und der Inbegriff von gemeinschaftlichen Gegenständen dürften übrigens kein eigenes Steuersubjekt darstellen. Die GmbH sei aber ein eigenes Steuersubjekt und der Feststellungsbescheid könne keine Bindungswirkung auf die steuerrechtlichen Verhältnisse der einzelnen Gesellschafter ausstrahlen. Da kein Grundlagenbescheid im Sinne von § 218 AO vorliege, hätte das FA seine unzulässigerweise erworbenen Kenntnisse nur bis zum 31. Dezember 1969 verwerten können, da die Ablaufshemmung des § 146a Abs. 3 AO den angefochtenen Vermögensteuerbescheid für die Jahre 1963 und 1964 aus den dargelegten Gründen nicht umfaßt habe.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung und den Vermögensteuerbescheid vom 9. Februar 1970 für die Jahre 1963 und 1964 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Parteien haben auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist unbegründet.

1. Die Vorentscheidung hat im Ergebnis zutreffend trotz der teilweisen unrichtigen Adressierung des angefochtenen Vermögensteuerbescheids einen unheilbaren Zustellungsmangel nicht angenommen, weil die Klägerin zugleich Erbin ihres Ehemannes ist, wie das FG für den Senat verbindlich festgestellt hat (§ 118 Abs. 2 FGO). Da der Ehemann bereits 1967 verstorben ist, konnte ihm gegenüber im Jahre 1970 kein Steuerbescheid mehr ergehen, auch wenn es sich um zurückliegende Feststellungszeitpunkte handelte.

2. a) Die Vermögensteueransprüche für die Jahre 1963 und 1964 sind nicht durch Verjährung erloschen, da der Ablauf der Verjährung gehemmt gewesen ist (§ 146a Abs. 3 AO). Soweit es sich um die Unterbrechung oder Hemmung der Verjährung handelt, bestimmt Art. 5 Abs. 3 AOÄG vom 15. September 1965 (BGBl I 1965, 1356), daß vom 1. Januar 1966 auch für alte Ansprüche im Sinne von Art. 5 Abs. 2 AOÄG das neue Recht anzuwenden ist. Bereits früher erfolgte Unterbrechungshandlungen bleiben allerdings wirksam.

b) Nach § 146a Abs. 3 AO hemmt der Beginn einer Betriebsprüfung den Ablauf der Verjährungsfrist bis zur Rechtskraft der aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen Bescheide. Führt die Betriebsprüfung zunächst zur Änderung von Grundlagenbescheiden, so endet die Verjährung erst mit der Unanfechtbarkeit der Folgebescheide. Der Gesetzgeber hat in Abs. 3 des § 146a AO keine Frist bestimmt, in der die Betriebsprüfung abzuschließen ist und die Steuerbescheide zu erlassen sind. Die Wirkung der Ablaufshemmung ist daher nicht dadurch beeinflußt worden, daß die Betriebsprüfung bereits im Jahre 1966 stattgefunden hat, der angefochtene Vermögensteuerbescheid der Klägerin aber erst im Februar 1970 zugestellt worden ist. Ob im Einzelfall eine zeitliche Grenze nach Treu und Glauben gezogen werden müßte, wenn ein FA ohne sachlichen Grund übermäßig lange untätig bliebe und die Regelverjährungsfrist durch die Hemmung ihres Ablaufs ungewöhnlich lange hinauszögern würde, kann im Streitfall dahingestellt bleiben, da keine Gründe erkennbar sind, welche bei der verhältnismäßig kurzen Fristüberschreitung der Regelverjährungsfrist die Annahme eines derartigen Ausnahmefalls rechtfertigten.

c) Der Umfang der Ablaufshemmung erfaßt auch die Anteilsbewertung. Das FG hat zutreffend entschieden, daß es nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nur darauf ankommt, worauf sich die Betriebsprüfung tatsächlich erstreckt und was den Gegenstand der Prüfung gebildet hat. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß die Feststellung des gemeinen Werts der GmbH-Anteile Gegenstand der Prüfung gewesen ist. Daß die Prüfung der Anteilsbewertung in der Prüfungsanordnung gefehlt hat und somit die Vorschrift des § 6 Abs. 2 Bpo (St) nicht erfüllt gewesen ist, berührt die Auswertung des Betriebsprüfungsergebnisses und die Wirksamkeit der Ablaufshemmung nicht; denn ein Verstoß gegen eine Ordnungsvorschrift führt nicht zur Annahme eines Verwertungsverbots, da die Ergänzung der Prüfungsanordnung jederzeit möglich gewesen wäre, wenn die Klägerin die formlose Ausdehnung der Prüfung unverzüglich gerügt und sich nicht auf eine Erweiterung der Prüfung eingelassen hätte.

3. a) Das einheitliche und gesonderte Feststellungsverfahren des gemeinen Werts von Anteilen und Genußscheinen nach § 220 Nr. 2 Satz 3 und Nr. 4 AO in Verbindung mit §§ 64 ff. BewDV wird entgegen der Auffassung der Klägerin durch einen Grundlagenbescheid abgeschlossen. Gegen das Weiterbestehen der Ermächtigung des § 220 AO bestehen keine Bedenken, soweit es die in § 220 Nr. 2 Satz 2 und 3 AO umgrenzten Beispiele betrifft. Nach der Rechtsprechung des BVerfG muß bei der Prüfung, ob eine Ermächtigungsnorm für den Erlaß einer Rechtsverordnung ausreicht, von den besonderen staatsrechtlichen Verhältnissen ausgegangen werden, die im Zeitpunkt des Verordnungserlasses gegolten haben (vgl. BVerfGE 25, 216 [225]).

b) Die Ausführungen der Klägerin über das Wesen eines Grundlagenbescheids stehen nicht im Einklang mit der Regelung in der AO. Die Besteuerungsgrundlagen werden im Regelfall im Rahmen des Steuerbescheids festgestellt und bilden einen unselbständigen, mit Rechtsmitteln nicht selbständig anfechtbaren Teil des Steuerbescheids. Die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ist danach nur zulässig, wenn der Gesetzgeber ausdrücklich eine Ausnahme zuläßt. Die Ausnahmen sind in § 213 Abs. 2 AO aufgezählt. Zu diesen Ausnahmen gehören außer den Fällen der §§ 214 und 215 AO nach näherer Maßgabe des § 220 Nr. 2 AO auch andere Fälle. Die einheitliche und gesonderte Feststellung des gemeinen Werts für Aktien, Kuxe und sonstige Anteile an Bergwerksgesellschaften, für Anteile an Gesellschaften mit beschränkter Haftung und für Genußscheine, soweit sie im Inland keinen Kurswert haben, ist ein solcher anderer Fall (§ 220 Nr. 2 Satz 3 AO). Die nach § 213 Abs. 2 AO zulässigen Feststellungsbescheide sind die sog. Grundlagenbescheide, die selbständige mit Rechtsbehelfen anfechtbare Entscheidungen darstellen. Die gesonderten Feststellungen werden einheitlich getroffen, wenn z. B. an dem Gegenstand mehrere beteiligt sind. Die in einem Grundlagenbescheid getroffenen Feststellungen werden den sog. Folgebescheiden bindend zugrunde gelegt (§ 218 Abs. 2 AO). Die Folgewirkungen bei Änderungen von Feststellungsbescheiden sind in § 218 Abs. 4 AO geregelt.

c) Daß die frühere Regelung des § 72 Abs. 2 BewDV, der eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Vorschriften des § 218 Abs. 2 und Abs. 4 AO enthielt, mit Wirkung vom 1. Januar 1966 durch § 174 Nr. 3 FGO weggefallen ist, hat auf das Verhältnis von Grundlagen zu Folgebescheiden keine Auswirkungen. Eine Systemwidrigkeit liegt entgegen der Ansicht der Klägerin in dem logischen Aufbau beider Bescheide nicht vor. Die Regelung in § 72 Abs. 2 BewDV ist im Zusammenhang mit dem gleichfalls aufgehobenen § 72 Abs. 1 BewDV zu sehen. Nach dieser Bestimmung wirkten der einheitliche Feststellungsbescheid und dazu ergangene Rechtsbehelfsentscheidungen stets für und gegen alle Inhaber von Anteilen, auch soweit der Bescheid oder die Rechtsbehelfsentscheidung nicht an sie gerichtet gewesen sind. Die weite Ausdehnung des einheitlichen Feststellungsverfahrens auf Nichtbeteiligte, die nicht frei von rechtsstaatlichen Bedenken gewesen ist, hatte es erforderlich gemacht, eine rechtliche Bindung im Sinne von § 218 Abs. 2 und 4 AO auch für die nicht bekanntgewordenen Beteiligten durch die frühere Vorschrift des § 72 Abs. 2 BewDV herzustellen. Nachdem nunmehr nach Aufhebung des § 72 BewDV die Bestandskraft eines Feststellungsbescheids oder einer Rechtsbehelfsentscheidung eingeschränkt worden ist und nur für und gegen die am Feststellungsverfahren Beteiligten eintreten kann, konnten aus Gründen der Anpassung beide Absätze des § 72 BewDV wegfallen.

d) Für die am Feststellungsverfahren beteiligten Personen, gegen die der Bescheid gerichtet ist, neigt der Senat dazu, die Vorschriften des § 218 Abs. 2 und Abs. 4 AO unmittelbar anzuwenden. Die zum 1. Januar 1963 durchgeführte Vermögensteuerhauptveranlagung hat zu Recht auf dem festgestellten gemeinen Wert der GmbH-Anteile aufgebaut. Der Hinweis des FA auf § 218 Abs. 4 AO ist zwar unrichtig, da vorher zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch kein Vermögensteuerbescheid vorgelegen hat. Dieser Irrtum ist aber unbeachtlich, weil das Ergebnis der Anteilsbewertung dem angefochtenen Vermögensteuerbescheid gem. § 218 Abs. 2 AO bindend zugrunde gelegt werden mußte. Da dem Feststellungsbescheid im Sinne der §§ 69, 70 BewDV durch § 213 Abs. 2 AO in Verbindung mit § 220 Nr. 2 Satz 3 AO die Bedeutung eines Grundlagenbescheids wie den in §§ 214 und 215 AO aufgezählten Feststellungsbescheiden zukommt, wird auch er unmittelbar von § 218 Abs. 2 und 4 AO umfaßt.

e) Selbst wenn man aber der Auffassung ist, daß die Vorschriften des § 218 Abs. 2 und 4 AO die Bindungswirkung unmittelbar nur für die Feststellungsbescheide im Sinne von §§ 214 und 215 AO regeln, verliert der Feststellungsbescheid nach §§ 69, 70 BewDV nicht seinen Charakter als Grundlagenbescheid. Der in der Regelung des § 218 Abs. 2 und Abs. 4 AO zum Ausdruck kommende Maßgeblichkeitsgrundsatz stellt einen allgemeinen Rechtsgedanken dar, der überall dort entsprechend angewandt werden muß, wo in einem Grundlagenbescheid Feststellungen getroffen werden, auf denen ein weiterer Bescheid (Folgebescheid) bindend aufbauen muß (vgl. Urteile III 135/58 U vom 3. April 1959, BFH 69, 132, BStBl III 1959, 311; III 148/59 U vom 19. Dezember 1963, BFH 78, 500, BStBl III 1964, 192). Auch nach dieser Rechtsansicht wendet sich die Klägerin zu Unrecht dagegen, daß dem angefochtenen Vermögensteuerbescheid der festgestellte gemeine Wert der GmbH-Anteile zugrunde gelegt worden ist.

f) Die Geschäftsanteile stellen das Mitgliedschaftsrecht an der GmbH dar. Ihr wirklicher Wert richtet sich nach den Vermögens- und Ertragsverhältnissen der GmbH, die gerade im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Feststellung ermittelt werden sollen. Geschäftsanteile sind selbständig veräußerlich, selbst wenn die GmbH eigene Geschäftsanteile erworben hätte. Aus der Selbständigkeit der Geschäftsanteile ergibt sich, daß es für das Vorliegen eines Grundlagenbescheids entgegen der Auffassung der Klägerin ohne Bedeutung ist, daß die GmbH ein eigenes Steuersubjekt ist. Die GmbH liefert lediglich die Schätzungsunterlagen für die Feststellung des gemeinen Werts der Anteile, die bei einer einheitlichen Feststellung immer mehreren Anteilsinhabern gehören müssen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413078

BStBl II 1972, 331

BFHE 1972, 282

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