Leitsatz (amtlich)

1. Eine selbstverbrauchsteuerpflichtige Neuinvestition, bei der die Neubauteile dem Gesamtgebäude das Gepräge geben, kann auch dann vorliegen, wenn die Altbauteile größen- oder wertmäßig bzw. größen- und wertmäßig übergeordnet sind (Fortführung der Rechtsprechung des Senats im Urteil vom 13. April 1972 V R 151/71, BFHE 105, 198, BStBl II 1972, 654).

2. Für die Beurteilung, ob die Altbau- oder die Neubauteile dem Gebäude das Gepräge geben, ist auf die Gesamtheit der Baumaßnahmen abzustellen.

 

Normenkette

UStG 1967 § 30 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt ein Gasthaus mit Fremdenbeherbergung. Im Jahre 1969 führte er an seinem Betriebsgebäude - einem ursprünglich landwirtschaftlichen Anwesen - Um- und Ausbauten durch. Bis dahin befanden sich im Wohnteil, der vertikal vom hangseitig gelegenen landwirtschaftlichen Teil (Stallungen im Erdgeschoß, Scheune im Obergeschoß) getrennt war, im Erdgeschoß die Gaststube, im Obergeschoß Wohnräume und im Dachgeschoß drei Fremdenzimmer. Im Jahre 1966 wurden in einem Teil des ehemaligen Stalles und einem 1 1/2geschossigen Seitenanbau Schlacht- und Kühlräume eingerichtet.

Durch die Baumaßnahmen des Jahres 1969 erfuhr das Anwesen äußerlich folgende Veränderungen: Das Dach wurde neu eingedeckt, zwei Dachgauben wurden beseitigt und durch Fenster in der Dachfläche ersetzt, am Dach des früheren Scheunenteils wurde eine lange Schleppgaube aufgebaut. Im Obergeschoß des hangseitigen Teils wurden an der Westseite vier Fenster angebracht und die alte Holzschalung erneuert. Ferner wurde zwischen Gebäude und Straße eine 2,25 m breite und 20 m lange Freiterrasse angelegt. Schließlich wurde an der nach Osten gelegenen Hofseite ein unterkellerter Anbau von 7 m X 2,50 m (Küchenerweiterung) errichtet.

Im Inneren des Gebäudes wurden im wesentlichen folgende Veränderungen vorgenommen:

Das Treppenhaus wurde verlegt. Dies führte neben dem bereits erwähnten Anbau zu einer weiteren Vergrößerung der Küche. Die Wand zwischen dem bisherigen Gastraum und den früheren Stallungen wurde auf eine Breite von etwa 4,50 m durchbrochen. Dahinter entstand ein neuer Gastraum (sog. ...stube) und an diesen anschließend ein Nebenzimmer (sog. Weinstube). Außerdem wurden neue Toilettenanlagen - die alten befanden sich im Hof - eingebaut. Durch diese Maßnahmen wurde der Gastwirtschaftsteil im Erdgeschoß mehr als verdoppelt.

Im Obergeschoß wurden im ursprünglichen Wohnteil ein Raum vergrößert und durch Abtrennung davon ein Bad errichtet. Das Dach des Küchenanbaus wurde als Terrasse gestaltet. Der frühere Scheunenteil wurde durch Einziehen einer Decke in Obergeschoß und Dachgeschoß geteilt. Im so gewonnenen Obergeschoß entstanden zur Westseite hin vier Zimmer mit WC, Dusch- und Waschgelegenheiten und zur Ostseite hin ein schmaler Bügelraum.

Im Dachgeschoß des früheren Wohnteils wurde in gleicher Weise wie im Obergeschoß ein Bad eingerichtet. Das neu entstandene Dachgeschoß des Scheunenteils erhielt durch Einziehen von Zwischenwänden und einer Decke acht Zimmer. Die Fenster der an der Westseite gelegenen Räume bilden in der eingebauten langen Schleppgaube eine einheitliche Fensterfront. Die nach Osten gelegenen kleineren Zimmer sind mit Dachflächenfenstern ausgestattet.

Der Beklagte und Revisionskläger (FA) nahm nach einer Umsatzsteuersonderprüfung an, der Kläger habe mit der Inbetriebnahme des umgebauten Gasthauses ein neues Wirtschaftsgut der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zugeführt und setzte daher im Umsatzsteuerbescheid für 1969 insoweit Selbstverbrauchsteuer in Höhe von ... DM fest.

Nach erfolglosem Einspruch gab das FG der Klage statt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im wesentlichen ausgeführt: Der Tatbestand des Selbstverbrauchs sei nicht erfüllt, weil der Kläger kein selbständiges Wirtschaftsgut geschaffen habe. Durch die Umbaumaßnahmen des Jahres 1969 sei insbesondere kein neues Wirtschaftsgut unter Einbeziehung des bisherigen Gebäudes entstanden, weil auch nach dem Umbau der Altbau dem Gesamtgebäude das Gepräge gebe. Nach der Rechtsprechung des BFH sei die Frage, ob eine Neuinvestition oder lediglich eine Erweiterungs- oder Verbesserungsinvestition vorliege, danach zu entscheiden, ob die Neuteile oder die Altteile das Gebäude prägten. Dabei komme es in erster Linie auf die Größen- und Wertverhältnisse der Teile zueinander an. Im Streitfall sei der Altbau den durch den An- und Umbau 1969 eingefügten Neuteilen größen- und wertmäßig übergeordnet. Von der gesamten Nutzfläche seien etwa 2/3 vor den Umbauarbeiten vorhanden gewesen. Auch stelle sich das Gebäude für den Betrachter der beiden Ansichten, die es vor und nach den Umbauarbeiten zeigten, in seinem jetzigen Zustand nur als eine renovierte und modernisierte Landgaststätte mit Fremdenbeherbergungsbetrieb, nicht aber als ein neues hotelartiges Anwesen mit wesentlich geänderter Klassifikation dar. Ins Gewicht falle hierbei auch, daß bereits durch die im Jahre 1966 mit einem Aufwand von ... DM durchgeführten Baumaßnahmen der frühere Ökonomieteil des Gebäudes durch Ein- und Anbau der Schlachthausräume baulich wesentlich verändert und wertvoller geworden sei.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es trägt insbesondere vor, das FG habe seine Ansicht, durch die Baumaßnahmen sei das bestehende Gebäude lediglich erweitert und verbessert worden, nicht allein darauf stützen dürfen, daß die Neubauteile dem Altbestand wert- und größenmäßig untergeordnet seien. Ob durch die Baumaßnahmen das bestehende Gebäude lediglich erweitert und verbessert worden sei oder ob unter Einbeziehung des bisherigen Gebäudes ein neues Wirtschaftsgut entstanden sei, könne im Streitfall nicht allein durch den Vergleich der Größen- und Wertverhältnisse festgestellt werden. Diese Gegenüberstellung habe der BFH zwar im Urteil vom 13. April 1972 V R 151/71 (BFHE 105, 198, BStBl II 1972, 654) für maßgeblich erachtet. Dort sei jedoch zu entscheiden gewesen, ob nach der Erweiterung eines Fabrikgebäudes das Gepräge des einheitlichen Gebäudekomplexes von den Neubau- oder den Altbauteilen bestimmt worden sei. Bei einem Gastronomiegebäude werde das Gepräge dagegen durch eine Reihe von Einzelfaktoren bestimmt, die erst in einem gewissen Zusammenspiel das innere und äußere Erscheinungsbild des Gesamtgebäudes ausmachten. Es müßten auch die neben den reinen baulichen Maßnahmen getroffenen weiteren Veränderungen (Neugestaltung von Türen und Fenstern, Behandlung der verschiedenen Mauern, Neuverlegung von Böden, Installation elektrischer Leitungen, Verlegung der Toilettenanlagen vom Hof in das Innere des Gebäudes usw.) berücksichtigt werden. Das jetzt einladende Gesamtbild des Gastronomieteils mit seinen für die Gegend typischen rustikalen Gastzimmern sei in keiner Weise zu vergleichen mit dem Bild der vorher mehr als einfach gehaltenen Gaststube und den primitiven Toilettenanlagen. Auch der äußere Eindruck habe sich verändert. Bis zu den Umbaumaßnahmen habe das Gebäude wie ein rein landwirtschaftliches Anwesen gewirkt, wobei der Gastronomieteil völlig in den Hintergrund getreten sei. Heute erkenne jeder Betrachter sofort den ausgeprägten Stil eines modernen Komforthotels. Damit habe sich auch das wirtschaftliche Erscheinungsbild völlig verändert. Nunmehr bestimme der Hotel- und Restaurationsbetrieb die Funktion des Gebäudes und nicht mehr der landwirtschaftliche Betrieb mit dem Schlachthaus. Aufgrund dieses funktionellen Wechsels habe der Betrieb zwangsläufig eine andere Klassifikation innerhalb der Hotel- und Gastronomiebranche erfahren. Aus einem einfachen Landgasthaus sei ein leistungsstarkes Komforthotel geworden.

Diese Momente hätte das FG bei seiner Entscheidung berücksichtigen müssen. Es wäre dann deutlich geworden, daß der Kläger im Grunde nur die Außenmauern mit dem Dachgebälk habe stehenlassen, um innerhalb dieser Hülle ein neues Wirtschaftsgut zu schaffen, in dem das alte untergegangen sei.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

Nach § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 liegt unter weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen Selbstverbrauch vor, wenn selbständige körperliche Wirtschaftsgüter der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zugeführt werden.

Das FG ist unter Hinweis auf das BFH-Urteil V R 151/71 zutreffend davon ausgegangen, daß bei Um- und Ausbauarbeiten an einem Gebäude, durch die kein von dem bisherigen Baubestand getrenntes selbständiges Wirtschaftsgut entsteht, der Tatbestand des Selbstverbrauchs nur erfüllt sein kann, wenn das bereits vorhandene Wirtschaftsgut nicht nur erweitert oder verbessert wird, sondern wenn unter Einbeziehung des bisherigen Gebäudes oder von Teilen desselben ein neues, Alt- und Neuteile umfassendes Wirtschaftsgut entsteht. Wie der Senat in seinem Urteil V R 151/71 ausgeführt hat, ist die Frage, ob eine nicht steuerbare Erweiterungs- oder Verbesserungsinvestition oder eine Neuinvestition unter Einbeziehung bereits vorhandener Wirtschaftsgüter vorliegt, danach zu beurteilen, ob die Alt- oder die Neuteile dem einheitlichen Wirtschaftsgut das Gepräge geben. Dabei sind in erster Linie die Größen- und Wertverhältnisse der in das einheitliche Wirtschaftsgut eingegangenen Teile zueinander maßgebend. Dieser Grundsatz gilt nicht nur, wie das FA meint, für reine Zweckbauten (Fabrikgebäude). Er ist nach der Überzeugung des Senats vielmehr für umgestaltete Wirtschaftsgüter jeder Art als Abgrenzungsmaßstab geeignet. Der Senat hat aber bereits in seinem Urteil V R 151/71 darauf hingewiesen, daß dieser Abgrenzungsmaßstab dann nicht durchgreift, wenn Altbauteile trotz ihrer wert- und größenmäßigen Untergeordnetheit besondere Merkmale aufweisen, aufgrund deren sie dem Gesamtkomplex das Gepräge geben. Dieser Rechtsgedanke muß nach Auffassung des Senats für Neubauteile gleichermaßen gelten. Es können auch bei wert- oder größenmäßigem, bzw. wert- und größenmäßigem Überwiegen der Altteile besondere Umstände vorliegen, auf Grund deren die Neubauteile das Wirtschaftsgut nach dem Gesamteindruck derart verändert haben, daß es bei objektiver Betrachtung als neues Wirtschaftsgut erscheint.

Das FG ist vom größenmäßigen und, ohne dazu jedoch tatsächliche Feststellungen getroffen zu haben, auch vom wertmäßigen Überwiegen der Altbauteile ausgegangen. Es hat zwar in zutreffender Weise dies nicht genügen lassen, um das Vorliegen einer nicht steuerbaren Verbesserungs- und Erweiterungsinvestition anzunehmen. Nicht zutreffend hat es aber bei Prüfung der besonderen Umstände nur auf den äußeren Eindruck des veränderten Gebäudes abgestellt. Da nach den tatsächlichen, den Senat bindenden Feststellungen die Baumaßnahmen in erheblichem Umfang auch das Innere des Gebäudes betroffen haben, hätte das FG, wie die Revision zutreffend ausführt, auch die Veränderungen im Inneren des Gebäudes berücksichtigen müssen. Das Gepräge, das ein Gebäude durch Baumaßnahmen erhält, kann sich nicht nur auf die äußere Hülle (dem Baukörper) beschränken. Die Auswirkungen der Baumaßnahmen müssen in ihrer Gesamtheit beurteilt werden. Diese Unterlassung bedeutet einen Fehler der Rechtsanwendung, der, da die Entscheidung darauf beruhen kann, zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt.

Die Sache ist nicht spruchreif. Die Feststellung, ob auf Grund der Gesamtheit der Baumaßnahmen bei objektiver Betrachtung ein neues Wirtschaftsgut entstanden ist, kann nur aufgrund einer Würdigung tatsächlicher Verhältnisse getroffen werden. Der BFH als Revisionsinstanz ist rechtlich gehindert, diese Würdigung zu vollziehen. Die Sache wird daher an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Soweit das FG bei der Feststellung der Größenverhältnisse die Nutzflächen vor und nach der Baumaßnahme verglichen hat, entspricht dies nicht den Grundsätzen der Rechtsprechung des Senats. Nach dieser sind die im einheitlichen Wirtschaftsgut unverändert beibehaltenen Altteile mit den neu geschaffenen Teilen zu vergleichen. Das FG wird dies bei der neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zu berücksichtigen haben. Außerdem bedarf die Annahme der wertmäßigen Überlegenheit der Altteile eines Belegs durch tatsächliche Feststellungen. Schließlich wird, wenn auch die neuerliche Prüfung ein größen- und wertmäßiges Überwiegen der Altteile ergeben sollte, zu prüfen sein, ob das Gebäude nach dem Gesamteindruck (äußeres und inneres Erscheinungsbild) nicht doch als neues Wirtschaftsgut zu beurteilen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71345

BStBl II 1975, 424

BFHE 1975, 291

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