Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Wohnt ein Arbeitnehmer zwangsläufig von seiner Familie getrennt, so sind die durch Familienheimfahrten verursachten Fahrtkosten grundsätzlich Werbungskosten.

Die Verwaltungsanweisung in Abschn. 26 Abs. 1 Ziff. 3 LStR 1960, daß als Werbungskosten nur die tatsächlichen Fahrtkosten unter Ausnutzung der bestehenden Tarifvergünstigungen für jeweils 2 Familienheimfahrten im Kalendermonat anzuerkennen sind, ist für den Normalfall als eine nach § 217 AO mögliche Schätzung rechtlich einwandfrei.

Nur in Sonderfällen können auch die Kosten für eine größere Zahl von Familienheimfahrten und die Kosten für die Benutzung eines eigenen PKW Werbungskosten sein.

 

Normenkette

EStG § 9 Ziff. 4, § 9/5; LStDV § 20 Abs. 2 Ziff. 2

 

Tatbestand

Der Bg. war nach einer dienstlichen Versetzung im Streitjahr 1960 Regierungsrat beim Finanzamt in A. Seine Familie wohnte bis zum Umzug nach A. (30. Mai 1960) in B. Der Bg. bezog bis zum 30. Mai 1960 als Beamter Trennungsentschädigung von seiner Behörde; außerdem wurden ihm gemäß den Reisekostenbestimmungen für Angehörige des öffentlichen Dienstes die Fahrtkosten II. Klasse mit der Bundesbahn (Arbeiterrückfahrkarten) für zwei Familienheimfahrten (insgesamt 32 DM) ersetzt. Außerdem fuhr der Bg. mit seinem PKW bis zum 30. Mai 1960 an weiteren 17 Sonn- und Feiertagen zu seiner Familie nach B. Er hält die Fahrtkosten für diese 17 Fahrten für Werbungskosten und verlangt, ihm dafür den in § 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV 1959 festgelegten Pauschbetrag von 0,50 DM je km Entfernung zwischen B. und A. zu gewähren; die Entfernung zwischen beiden Orten beträgt 157 km. Das Finanzamt erkannte gemäß Abschn. 26 Abs. 1 Ziff. 3 LStR 1960 nur die Kosten für zehn Familienheimfahrten mit Arbeiterrückfahrkarten der Bundesbahn in der II. Wagenklasse (= je 16 DM) als Werbungskosten an.

Das Finanzgericht gab der Berufung statt und billigte dem Bg. die verlangten höheren Fahrtkosten für die Familienheimfahrten mit dem PKW von (157 x 17 x 0,50 DM =) 1.334,50 DM zu. Es führt im wesentlichen aus: Die Trennung des Bg. von seiner Familie sei zwangsläufig gewesen, da er bis zum 30. Mai 1960 in A. keine angemessene Familienwohnung gefunden habe. Darum könne er auch die für die Heimfahrten entstandenen Kraftfahrzeugkosten als Werbungskosten geltend machen, außer den Kosten für die beiden Heimfahrten, die ihm seine Behörde ersetzt habe. Die weiteren 17 Heimfahrten seien nicht mit der gezahlten Trennungsentschädigung abgegolten; denn die Heimfahrtkosten würden vierteljährlich neben der Trennungsentschädigung besonders vergütet. Die Kosten der streitigen 17 Familienheimfahrten könne der Bg. als Werbungskosten nach § 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV geltend machen, weil es sich um Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gehandelt habe. Der Begriff "Wohnung" sei nicht eng auszulegen (Urteil des Bundesfinanzhofs VI 196/56 U vom 19. Dezember 1958, BStBl 1959 III S. 84, Slg. Bd. 68 S. 216). Der Bg. habe am Familienwohnort und am Arbeitsort je eine "Wohnung" gehabt. Nach dem Wortlaut und dem Sinn des § 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV könnten hier nicht nur die Kosten für Fahrten von der zweiten Wohnung am Arbeitsort zur Arbeitsstätte berücksichtigt werden, sondern - entgegen Abschn. 25 Abs. 3 LStR 1960 - auch die Kosten für Fahrten von der Familienwohnung zur Arbeitsstätte, wenn die Familienwohnung Ausgangspunkt für die Fahrten zur Arbeitsstätte gewesen sei. Das sei an 17 Tagen der Fall gewesen; an diesen Tagen sei der Bg. nach dem Besuch seiner Familie in B. von dort mit seinem PKW zu seiner Arbeitsstätte zurückgefahren. Entscheidend sei, daß er die Wegstrecke bei den 17 Fahrten zweimal zurückgelegt habe. Da der Bg. seine Familienwohnung in B. zunächst habe beibehalten müssen und B. mehr als 40 km von A. entfernt liege, seien die Aufwendungen für die 17 Fahrten mit dem eigenen PKW auch Werbungskosten, soweit die Entfernung mehr als 40 km betragen habe. Für die 17 Fahrten, für die der Bg. keinen Fahrtkostenersatz von seiner Behörde erhalten und seinen PKW für Familienheimfahrten benutzt habe, sei ihm also ein Pauschbetrag von je 0,50 DM für 157 km zu gewähren.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts, der unrichtige Anwendung von § 9 Ziff. 4 EStG - § 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV - rügt, führte zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Zu Unrecht hat das Finanzgericht die Kosten des Bg. für die streitigen 17 Familienheimfahrten nach § 9 Ziff. 4 EStG (ß 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV) als Werbungskosten berücksichtigt. Seine "Wohnung" im Sinne der genannten Vorschriften hatte der Bg. in A., nicht in B., weil er nur von seiner Wohnung in A. aus regelmäßig zu seiner Arbeitsstätte fuhr. Die Verwaltungsanweisung in Abschn. 25 Abs. 3 Satz 1 LStR 1960, die das ausspricht und die das Finanzgericht als mit dem EStG unvereinbar ansieht, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat hat zwar in der Entscheidung VI 196/56 U vom 19. Dezember 1958 (BStBl 1959 III S. 84, Slg. Bd. 68 S. 216), auf die sich das Finanzgericht beruft, den Steuerpflichtigen ein Wahlrecht eingeräumt, ob sie den Familienwohnort oder ihren tatsächlichen Aufenthaltsort im Bereich der Arbeitsstätte als "Wohnung" im Sinne des § 9 Ziff. 4 EStG (ß 10 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV) behandeln wollen. Diese Entscheidung betraf aber - ebenso wie die Urteile des Senats VI 204/56 U vom 23. August 1957 (BStBl 1957 III S. 362, Slg. Bd. 65 S. 342) und VI 135/56 U vom 23. August 1957 ( BStBl 1957 III S. 361, Slg. Bd. 65 S. 399) - einen Fall, in dem der Steuerpflichtige nicht zwangsläufig, sondern aus freiem Entschluß von seiner Familie getrennt wohnte. Es ist der Sinn dieser Rechtsprechung des Senats, bei Steuerpflichtigen, die für die tägliche Heimfahrt Werbungskosten geltend machen könnten, sie aber nicht geltend machen, weil sie aus freiem Entschluß eine Wohnung an der Arbeitsstätte nehmen, die dadurch entstehenden Mehrkosten in bestimmten Grenzen steuerlich zu berücksichtigen. Diese Grundsätze können aber nicht auf die anders gelagerten Fälle übertragen werden, in denen ein Steuerpflichtiger zwangsläufig von seiner Familie getrennt wohnt und wie der Bg. zur Abgeltung der dadurch entstehenden Mehrkosten eine steuerfreie Trennungsentschädigung erhält. In solchen Fällen ist nur die Wohnung am tatsächlichen Aufenthaltsort die Wohnung im Sinne des § 9 Ziff. 4 EStG (ß 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV).

Die Vorentscheidung, die von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war wegen unrichtiger Anwendung von § 9 Ziff. 4 EStG (ß 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV) aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Senat kann gemäß § 296 Abs. 3 AO selbst entscheiden und muß die Berufung als unbegründet zurückweisen.

Das Finanzamt hat dem Bg. gemäß Abschn. 26 Abs. 1 Ziff. 3 LStR 1960 - neben den ihm von der Behörde ersetzten Kosten für zwei Familienheimfahrten - für das Streitjahr 1960 noch Kosten für zehn weitere Familienheimfahrten als Werbungskosten anerkannt. Das ist rechtlich einwandfrei. Wenn ein Arbeitnehmer zwangsläufig von seiner Familie getrennt lebt und Familienheimfahrten macht, so sind an sich auch die dadurch entstehenden Kosten Werbungskosten, weil sie durch das Arbeitsverhältnis verursacht sind. Zu Unrecht nimmt aber das Finanzgericht an, der Arbeitnehmer könne frei bestimmen, wie oft und mit welchen Verkehrsmitteln er seine Familie besuche. Der Familienbesuch eines auswärts beschäftigten Arbeitnehmers hat nach der Lebenserfahrung gleichzeitig berufliche und allgemein-menschliche (familiäre) Gründe. Die Aufwendungen für Familienheimfahrten sind also zum Teil durch den Beruf und zum Teil durch die allgemeine Lebensführung veranlaßt und müssen deshalb nach § 12 Ziff. 1 Satz 2 EStG behandelt werden. Da die berufliche und familiäre Veranlassung im Einzelfall nicht einwandfrei und eindeutig abgegrenzt werden können, haben die Finanzverwaltungsbehörden seit langem und jetzt wieder in Abschn. 26 Abs. 1 Ziff. 3 LStR 1960 im Wege der Schätzung gemäß § 217 AO die Kosten für zwei Familienheimfahrten monatlich als durch die berufliche Trennung veranlaßt angesehen. Diese Schätzung ist vertretbar und bedeutet eine für den Normalfall geeignete vernünftige Regelung, weil sie eine schwierige Grenzfrage zwischen Werbungskosten und Kosten der Lebensführung gleichmäßig für alle Steuerpflichtigen befriedigend löst. Sie ist daher auch von den Steuergerichten zu beachten, solange nicht besondere Umstände diese Schätzung als unrichtig erscheinen lassen (vgl. das Urteil des Senats VI 143/60 U vom 11. August 1961, BStBl 1961 III S. 509, Slg. Bd. 73 S. 669, betreffend Abschn. 26 Abs. 1 Ziff. 1 LStR). Allerdings müssen unter besonderen Umständen, z. B. bei Erkrankung von Familienangehörigen, auch mehr als zwei Familienheimfahrten monatlich anerkannt werden.

Es ist auch rechtlich nicht zu beanstanden, wenn in Abschn. 26 Abs. 1 Ziff. 3 LStR 1960 ausgeführt ist, daß grundsätzlich nur die tatsächlichen Fahrtkosten "unter Ausnutzung der bestehenden Tarifvergünstigungen" als Werbungskosten anerkannt werden können. Nach den Reisekostenbestimmungen für Angehörige des öffentlichen Dienstes werden für Familienheimfahrten nur die Kosten für Arbeiterrückfahrkarten mit der II. Klasse der Bundesbahn ersetzt. Da der Bg. für die Familienheimfahrten seinen eigenen PKW benutzte, waren die Fahrtkosten erheblich höher als bei der Benutzung der Bundesbahn. Es sind keine besonderen Gründe ersichtlich, aus denen der Bg. etwa seinen PKW hätte benutzen müssen. Es spricht vielmehr alles dafür, daß er es zu seiner Bequemlichkeit und aus Liebhaberei getan hat. Dann aber waren für die Wahl des Verkehrsmittels auch Gründe der privaten Lebensgestaltung mitbestimmend. Unter besonderen Umständen können zwar auch die Kosten für Familienheimfahrten mit dem eigenen PKW Werbungskosten sein, z. B. bei Schwerbeschädigten, bei besonders ungünstigen Verbindungen der öffentlichen Verkehrsmittel oder in Eilfällen. Liegen solche Sonderverhältnisse aber nicht vor, so brauchen die Finanzverwaltungsbehörden - auch wieder unter schätzungsweiser Abgrenzung von beruflicher und privater Veranlassung und in Anlehnung an die Reisekostenbestimmungen der Angehörigen des öffentlichen Dienstes - nur die Kosten für die öffentlichen Verkehrsmittel unter Ausnutzung der Tarifvergünstigungen als Werbungskosten abzusetzen.

Das Finanzamt hat demnach ohne Rechtsverstoß für die zehn Familienheimfahrten je 16 DM als Werbungskosten angesetzt.

Zutreffend führt das Finanzgericht aus, daß die Gewährung von Trennungsentschädigung an Angehörige des öffentlichen Dienstes nicht ausschließe, daß neben den von der Behörde erstatteten Kosten für eine Familienheimfahrt im Vierteljahr (seit 1960 wird alle zwei Monate eine Familienheimfahrt ersetzt) nach Abschn. 26 Abs. 1 Ziff. 3 LStR die Kosten für weitere Familienheimfahrten als Werbungskosten anerkannt werden können. Die Reisekostenbestimmungen über Familienheimfahrten für Angehörige des öffentlichen Dienstes sind nicht in dem Sinn ausschließlich, daß die weitergehende Regelung des Abschn. 26 Abs. 1 Ziff. 3 LStR für Angehörige des öffentlichen Dienstes keine Anwendung finden könnte. Darin läge eine mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen nicht zu vereinbarende und sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes gegenüber den anderen Arbeitnehmern.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410552

BStBl III 1962, 453

BFHE 1963, 512

BFHE 75, 512

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