Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Mehrbeträge von Betriebssteuern, die sich durch eine Betriebsprüfung ergeben haben, sind keine neuen Tatsachen im Sinne von § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO, die zur Wiederaufrollung der rechtskräftigen Einkommensteuerveranlagung der Jahre berechtigen würden, zu denen sie wirtschaftlich gehören.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 2; AO § 222 Abs. 1 Nr. 2

 

Tatbestand

Der Bf. betrieb in den Jahren 1949 und 1950 einen Versandhandel. Im Jahre 1952 fand bei ihm eine Betriebsprüfung statt, bei der die Prüfer seine Buchführung nicht als ordnungsmäßig anerkannten.

Das Finanzamt veranlagte den Bf. nach dem Vorschlag der Prüfer für 1949 durch berichtigten Bescheid vom 3. Oktober 1952 mit einer Einkommensteuer von 9.912 DM und für 1950 durch Bescheid vom gleichen Tage mit einer Einkommensteuer von 12.710 DM. Später wurde die Veranlagung 1950 gemäß § 92 Abs. 3 AO berichtigt und die Einkommensteuer durch Bescheid vom 17. Januar 1953 auf 14.030 DM festgesetzt. Diese Bescheide wurden rechtskräftig.

Ende 1954 fand beim Bf. für die gleichen Zeiträume eine nochmalige Prüfung durch die Steuerfahndung statt. Dabei erkannten die Prüfer die Buchführung des Bf. wiederum nicht als ordnungsmäßig an. Sie minderten den von den Vorprüfern festgestellten Verlust des Wirtschaftsjahres 1948/49 um weitere 4.500 DM als geschätzten Gewinn aus einem nicht verbuchten Geschäft des Bf.; den von den Vorprüfern ermittelten Gewinn des Wirtschaftsjahres 1950/51 erhöhten sie um 2.000 DM für nicht verbuchte Inkassogelder und um 1.783 DM für sonstige nicht verbuchte Einnahmen. Die sich daraus ergebenden Gewerbesteuernachzahlungen berücksichtigten die Prüfer durch Gewerbesteuerrückstellungen für das Wirtschaftsjahr 1949/50 in Höhe von 200 DM und für 1950/51 in Höhe von 400 DM.

Außerdem stellten die Prüfer fest, der Bf. habe in den Jahren 1949 und 1950 einen Teil der Waren seiner Firma durch seine Vertreter zu den Abnehmern bringen lassen. Die dabei von den Kunden geleisteten Anzahlungen hätten die Vertreter nicht abgeliefert, sondern in Anrechnung auf ihre Provisionsforderungen einbehalten. In der Buchführung des Bf. seien aber weder diese Einnahmen noch die gleichhohen Zahlungen an die Provisionsvertreter erfaßt worden; sie hätten 1949 44.675 DM und 1950 43.511 DM betragen.

Diese nicht verbuchten Einnahmen führten zu Umsatzsteuernachzahlungen von 1.340 DM für 1949 und 1.305 DM für 1950. Einkommensteuerlich behandelten die Prüfer die Einnahmen wegen der in gleicher Höhe ebenfalls nicht gebuchten Ausgaben als erfolgsneutral, berücksichtigten aber die Umsatzsteuernachzahlungen in den Bilanzen der Wirtschaftsjahre 1949/50 und 1950/51 durch die Bildung entsprechender Rückstellungen.

Daraufhin nahm das Finanzamt für die Veranlagungszeiträume 1949 und 1950 Einkommensteuer-Berichtigungsveranlagungen nach dem Vorschlag der Prüfer vor. Auf den Einspruch des Bf. ließ der Steuerausschuß die Zuschätzungen der Prüfer zu den Gewinnen in vollem Umfange fallen, weil die Umstände, auf die sich die Zuschätzungen stützten, weder erwiesen noch aufgeklärt oder aber bereits in den Schätzungen der Vorprüfer erfaßt seien. Der Steuerausschuß erblickte jedoch in den Umsatzsteuernachzahlungen neue Tatsachen im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO und ließ daher die von den Prüfern gebildeten Rückstellungen - nach Vornahme einer neuen Berechnung - als Gewinnminderungen in den Bilanzen der Wirtschaftsjahre 1949/50 und 1950/51 stehen. Dadurch ergab sich für 1949 eine Einkommensteuer von 9.582 DM und für 1950 eine Einkommensteuer von 13.150 DM.

Mit seiner Berufung gegen die Einspruchsentscheidung beantragte der Bf., die Einkommensteuer für 1949 und 1950 nach den sich nach dem Betriebsprüfungsbericht vom 20. Mai 1952 ergebenden Berichtigungen festzusetzen, soweit diese einer Nachprüfung durch einen unbefangenen Fachprüfer standhielten.

Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht ging bei seiner Entscheidung davon aus, daß die strittigen Einkommensteuer- Berichtigungsbescheide ohne die Beschränkungen des § 234 AO in vollem Umfange angefochten werden könnten. Es vertrat die Ansicht, bei der Prüfung im Jahre 1954 seien durch die Feststellung der von den Reisevertretern kassierten, aber nicht verbuchten Kundenanzahlungen neue Tatsachen bekanntgeworden, die gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO eine höhere Veranlagung rechtfertigten; durch die Feststellung, daß die Reisevertreter die gleichen Kundenanzahlungen als Provision einbehalten hätten, ohne daß dafür eine Betriebsausgabe gebucht worden sei, seien aber auch neue Tatsachen bekanntgeworden, die gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO eine niedrigere Veranlagung rechtfertigten. Die Vorinstanz hielt sich aus diesem Grund auch für verpflichtet, die Einkommensteuerveranlagungen 1949 und 1950 in vollem Umfange tatsächlich und rechtlich nachzuprüfen. Bei dieser Nachprüfung, die vor allem die gesamten Feststellungen der Betriebsprüfung des Jahres 1952 umfaßte, kam die Vorinstanz zu dem Ergebnis, daß das Rechtsmittel sachlich unbegründet sei. Da jedoch der Bf. und seine Ehefrau auf Grund des Gesetzes zur änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 keine Anträge auf Zusammenveranlagung gestellt hatten, glaubte das Finanzgericht, die Eheleute seien nach § 26 EStG 1957 für die Streitjahre getrennt und nach Steuerklasse I zu veranlagen. Demgemäß hat es gegen den Bf. als Alleinbezieher sämtlicher Einkünfte die Einkommensteuer für 1949 auf 10.176 DM und für 1950 auf 13.645 DM festgesetzt.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und der angefochtenen Berichtigungsbescheide.

Die Einkommensteuer-Berichtigungsveranlagungen nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO, die auf Grund des Prüfungsberichtes der Steuerfahndung vom Jahre 1955 ergangen waren, und ebenso die in der Einspruchsentscheidung und im finanzgerichtlichen Urteil vorgenommenen änderungen waren unzulässig, da keine neuen Tatsachen und Beweismittel bekanntgeworden sind, die nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 oder 2 AO eine höhere oder niedrigere Veranlagung gerechtfertigt hätten.

Die Prüfer und das Finanzamt sind davon ausgegangen, daß im Wirtschaftsjahr 1948/49 ein nicht verbuchtes Geschäft über 4.500 DM und im Wirtschaftsjahr 1950/51 nicht verbuchte Inkassogelder und andere nicht verbuchte Einnahmen über 1.783 DM neue Tatsachen darstellten, die die Einkommensteuer-Berichtigungsveranlagungen für 1949 und 1950 zuungunsten des Bf. rechtfertigten. Diese Berichtigungen zuungunsten des Bf. ließen jedoch der Steuerausschuß und das Finanzgericht bei ihren Entscheidungen fallen, da sie die angeblichen neuen Tatsachen nicht für erwiesen hielten.

Der Steuerausschuß seinerseits glaubte zu Unrecht, die Gewinne der streitigen Wirtschaftsjahre auf Grund von Umsatzsteuernachzahlungen, die die Steuerfahndungsprüfung ergeben hatte, durch entsprechende Rückstellungen kürzen zu können, indem er die Umsatzsteuernachzahlungen für neue Tatsache hielt, die gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO durch die Bildung entsprechender Rückstellungen zu Berichtigungen der Einkommensteuer zugunsten des Bf. berechtigten. Derartige Nachzahlungen von Betriebssteuern auf Grund einer Betriebsprüfung, die nach der Rechtsprechung den Gewinn des Jahres, zu dem sie wirtschaftlich gehören, mindern können, sind jedoch keine neuen Tatsachen im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO, die zur Wiederaufrollung rechtskräftiger Veranlagungen führen können. Denn ihre Berücksichtigung durch die nachträgliche Bildung von Rückstellungen in der Schlußbilanz des Jahres, zu dem sie wirtschaftlich gehören, ist nur über eine Bilanzänderung nach § 4 Abs. 2 EStG möglich, die von einer entsprechenden Ausübung des dem Steuerpflichtigen zustehenden Wahlrechts und damit von seinem subjektiven Willen abhängt. Neue Tatsachen im Sinne von § 222 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 AO sind aber nur objektive Tatsachen, die unabhängig vom Willen des Steuerpflichtigen geeignet sind, eine Höhere oder niedrigere Veranlagung zu rechtfertigen. Infolgedessen sind Bilanzänderungen, die auf Grund von Nachzahlungen von Betriebssteuern vom Steuerpflichtigen zum Zwecke der Herabsetzung des Gewinns eines bereits rechtskräftig veranlagten Zeitraums beantragt werden, nur dann möglich, wenn die rechtskräftigen Veranlagungen durch andere neue Tatsachen im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO wieder aufgerollt werden können (siehe Urteil des Bundesfinanzhofs I 32/55 U vom 17. Juli 1956, BStBl 1956 III S. 268, Slg. Bd. 63 S. 181, und Grieger, Der Betriebs-Berater 1956 S. 844).

Schließlich ist auch das Finanzgericht einem Rechtsirrtum unterlegen, wenn es angenommen hat, die von den Reisevertretern in den stritten Jahren kassierten, aber nicht verbuchten Kundenanzahlungen, deren Aufdeckung durch die Steuerfahndung zu den Umsatzsteuernachzahlungen geführt hätte, seien auch für die Einkommensbesteuerung die neuen Tatsachen nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 AO, die die Grundlage für die strittigen Berichtigungsveranlagungen bildeten. Denn die Feststellung dieser nicht verbuchten Einnahmen hatte auf den Gewinn und damit auch auf die Einkommensteuer keine Auswirkung, da die Anzahlungen unstreitig von den Reisevertretern ohne Verbuchung als Provision einbehalten wurden, so daß ihr Ansatz als Betriebseinnahmen gleichzeitig zum Ansatz bisher nicht erfaßter Betriebsausgaben in gleicher Höhe führen mußte. Als erfolgsneutrales Faktum stellen sie daher weder eine neue Tatsache nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO noch eine solche nach § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO dar (vgl. Urteil des erkennenden Senats IV 354/59 U vom 1. Dezember 1960, BStBl 1961 III S. 143, Slg. Bd. 72 S. 388).

Da sowohl die Vorentscheidung als auch die Einspruchsentscheidung und die zugehörigen Einkommensteuer- Berichtigungsbescheide das Vorliegen der Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 AO aus jeweils verschiedenen Gründen zu Unrecht bejaht haben, waren sie wegen Rechtsirrtums aufzuheben. Damit tritt für den Veranlagungszeitraum 1949 der Einkommensteuerbescheid vom 3. Oktober 1952 und für den Veranlagungszeitraum 1950 der nach § 92 Abs. 3 AO berichtigte Einkommensteuerbescheid vom 17. Januar 1953 wieder in Kraft. Einer sachlichen Nachprüfung dieser Bescheide - wie sie der Bf. begehrt - steht nach alledem deren Rechtskraft entgegen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410185

BStBl III 1961, 534

BFHE 1962, 735

BFHE 73, 735

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