Entscheidungsstichwort (Thema)

Auswechselung des Verfahrensgegenstandes

 

Leitsatz (NV)

Eine Anfechtungsklage wird unzulässig, wenn der angefochtene Steuerverwaltungsakt geändert wird und der Kläger (fristgerecht) weder Antrag nach § 68 FGO stellt noch Einspruch einlegt. Das gilt auch nach Folgeänderungen i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 AO 1977.

 

Normenkette

FGO §§ 68, 42; AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1, § 351 Abs. 2, § 365 Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hat die Klagen, welche die Kläger und Revisionskläger (Kläger) gegen verschiedene Bescheide des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) erhoben hatten, zu einem Verfahren verbunden und abgewiesen. Dabei wurde das Rechtsschutzbegehren hinsichtlich der Einkommensteuer 1987 als unzulässig, im übrigen als unbegründet angesehen.

Unzulässig war die Klage wegen Einkommensteuer 1987 nach Meinung des FG geworden, weil die Kläger, vertreten durch ihren Steuerberater und jetzigen Prozeßbevollmächtigten, eine während des Klageverfahrens unter dem Datum des 6. Januar 1995 vorgenommene -- auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützte -- Änderung des Einkommensteuerbescheids 1987 trotz ordnungsgemäßer Belehrung weder mit dem Einspruch angefochten noch zum Gegenstand des Klageverfahrens gemacht hatten.

Mit der Revision machen die Kläger unter Berufung auf die Kommentierung bei Gräber (Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., 1993, § 68 Rz. 12) wie auch schon vor dem FG geltend, ein Antrag nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sei nicht erforderlich gewesen, denn es habe sich um eine reine Folgeänderung außerhalb des Streitgegenstands gehandelt.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1987 "vom 6. 1. 1995/30. 12. 1994" entsprechend dem Klagebegehren abzuändern.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revision ist zulässig ...

2. Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das FG die Klage wegen Einkommensteuer 1987 durch Prozeßurteil abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid ist in der Form und mit dem Inhalt der unter dem 6. Januar 1995 vorgenommenen Änderung in Bestandskraft erwachsen, nachdem die Kläger sowohl die Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 AO 1977) als auch die Ausschlußfrist nach § 68 Satz 2 FGO ungenutzt haben verstreichen lassen. Nur durch Anfechtung, auf die eine oder andere Weise, hätten die Kläger sich die Möglichkeit offenhalten können, eine Sachentscheidung über ihr ursprüngliches Klagebegehren zu erhalten (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 10. Oktober 1994 IV R 26/91, BFH/NV 1995, 245, 246, m. w. N., und vom 13. Oktober 1995 IX B 27/95, BFH/NV 1996, 237; zum Verfahren bei der Einspruchsvariante: BFH-Beschlüsse vom 11. Februar 1994 III B 127/93, BFHE 173, 14, BStBl II 1994, 658, und vom 17. August 1995 XI B 124/94, BFH/NV 1996, 220).

Bei Korrektur eines angefochtenen Verwaltungsakts nämlich wird im gerichtlichen Verfahren, anders als im Einspruchsverfahren (§ 365 Abs. 3 AO 1977), der neue Verwaltungsakt nicht "automatisch" Gegenstand des anhängigen Verfahrens, sondern gemäß § 68 FGO nur auf einen entsprechenden (fristgemäß gestellten) Antrag des Rechtssuchenden hin (s. auch § 123 Satz 2 FGO). Diese Regelung gilt nach § 68 Satz 1 FGO in jedem Fall, in dem der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt wird, unabhängig davon, auf welcher gesetzlichen Vorschrift die Korrektur beruht.

Folgeänderungen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 sind hiervon nach der Gesetzesfassung nicht ausgenommen (vgl. die BFH-Urteile vom 18. Dezember 1991 X R 38/90, BFHE 167, 1, BStBl II 1992, 504, und vom 5. Mai 1992 IX R 9/87, BFHE 168, 213, BStBl II 1992, 1040). Das ist auch sinnvoll, weil derartige Korrekturen jedenfalls die formelle Seite des streitbefangenen Folgebescheids, also den Verfahrensgegenstand i. S. des § 68 Satz 1 i. V. m. § 44 Abs. 2 FGO (dazu Gräber, a.a.O., § 68 Rz. 2), und regelmäßig außerdem die Besteuerungsgrundlagen verändern. -- Eine andere, hiervon zu unterscheidende Frage ist es, inwieweit der Kläger bei Folgeänderungen, nachdem er den Antrag nach § 68 FGO gestellt hat, bei der anschließend erforderlichen Anpassung seines Klage begehrens (Gräber, a.a.O., § 68 Rz. 23) sachlichen Beschränkungen (nach § 42 FGO i. V. m. § 351 Abs. 2 AO 1977) unterworfen ist (vgl. dazu Kühn/Hofmann, Kommentar zur AO u. a., 17. Aufl., 1995, § 68 FGO Anm. 3 b; von Groll, Deutsches Steuerrecht 1994, 158, 160). Soweit sich aus der von den Klägern zitierten Kommentarstelle (Gräber, a.a.O., Rz. 12) eine andere Ansicht ergibt, folgt ihr der Senat nicht.

3. Wiedereinsetzung (§ 110 AO 1977, § 56 FGO) kam nicht in Betracht. Zur Versäumung der Einspruchsfrist ist nichts vor getragen oder sonst ersichtlich. Die Ausschlußfrist des § 68 Satz 2 FGO wurde zumindest nicht schuldlos i. S. des § 56 FGO versäumt: Der Prozeßbevollmächtigte, dessen Verhalten sich die Kläger zurechnen lassen müssen (Gräber, a.a.O., § 56 Rz. 6, m. w. N.), hätte die Kommentarstelle nicht dahin verstehen dürfen, es sei -- entgegen der ihm ordnungsgemäß erteilten förmlichen Belehrung (§ 68 Satz 3 FGO) -- nichts zu veranlassen, zumal in der Kommentierung selbst ausdrücklich auf abweichende BFH-Rechtsprechung verwiesen ist (s. Gräber, a.a.O., § 68 Rz. 12 a. E.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 421631

BFH/NV 1997, 184

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