Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerbesteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Gewerbeverlust ist von Amts wegen zu berücksichtigen; es besteht kein Wahlrecht des Steuerpflichtigen, in welchem Jahre er den Verlust geltend machen will. Ist der Verlustabzug in einem Erhebungszeitraum zu Unrecht unterblieben, so ist eine übertragung des Abzuges auf einen späteren Erhebungszeitraum nicht zulässig.

 

Normenkette

GewStG § 10a; AO § 222/1/4

 

Tatbestand

Der Beschwerdegegner (Bg.) hatte 1952 einen auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelten gewerblichen Verlust von 3.315 DM erlitten, woraus sich nach Anwendung der Zurechnungsvorschrift des § 8 Ziffer 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) ein Fehlbetrag von 3.010 DM errechnet hatte. Dieser war bei der Festsetzung des Gewerbesteuermeßbetrages für das Jahr 1953, für das sich ein Gewerbeertrag von 3.482 DM ergab, nicht berücksichtigt worden. Dem Antrage, den Fehlbetrag 1952 bei der Veranlagung für das Streitjahr 1954 zu berücksichtigen, hat das Finanzamt nicht entsprochen. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. In der Fußnote 10 zur Gewerbesteuer-Erklärung 1953, so führt die Einspruchsentscheidung aus, sei darauf hingewiesen worden, daß der Abzug des Gewerbeverlustes besonders beantragt werden müsse. Ein solcher Antrag sei nicht gestellt worden. Der Bg. habe daher sein Antragsrecht, da der Verlustabzug in 1953 in voller Höhe möglich gewesen sei, verloren.

Mit der Berufung hat der Bg. geltend gemacht, aus dem Wortlaut des § 10a GewStG gehe nicht hervor, daß der Verlustabzug schon in dem dem Verlust folgenden Jahre vorzunehmen sei. Vielmehr sei der Vorschrift zwangsläufig zu entnehmen, daß es der Wahl des Steuerpflichtigen überlassen bleibe, in welchem Jahre er den Verlustabzug vornehmen wolle. Im übrigen hätte der Verlustabzug im Jahre 1953 nicht den wünschenswerten steuerlichen Erfolg gebracht, da eine Gewerbesteuer erst bei Gewerbeerträgen ab 1.200 DM in Frage komme.

Das Finanzgericht hat der Berufung stattgegeben und im wesentlichen folgendes ausgeführt: Die Frage, ob der Steuerpflichtige ein Wahlrecht habe, in welchem Jahre er den Verlust geltend machen wolle, sei bestritten. Der Reichsfinanzhof habe dies in dem Urteil IV 115/41 vom 9. April 1941 (Reichssteuerblatt - RStBl - 1941 S. 570), das zwar zu § 10 Abs. 1 Ziff. 4 des Einkommensteuergesetzes - EStG - ergangen sei, dessen Wortlaut aber eine gleiche Auslegung wie die des § 10a GewStG gebiete, verneint. Auch der Bundesfinanzhof habe sich in dem Urteil IV 266/54 U vom 1. Dezember 1955 (Slg. Bd. 62 S. 108, Bundessteuerblatt - BStBl - 1956 III S. 41) der Ansicht des Reichsfinanzhofs angeschlossen. Auf der anderen Seite werde von Oswald, Steuer und Wirtschaft 1949 Sp. 63 (66) und Steuer und Wirtschaft 1951 Sp. 339 (341), sowie von Herrmann-Heuer, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Anm. 6 zu § 10d, ein Wahlrecht bejaht. Die Entscheidung der Frage könne dahingestellt bleiben. Denn nach dem Wortlaut des § 10a GewStG seien die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Abzuges lediglich auf das tatsächliche Unterbleiben des Verlustabzuges bei der Veranlagung für die genannten Steuerabschnitte abgestellt. Es werde kein Unterschied gemacht je nach dem Grund, aus dem der Abzug in den früheren Steuerabschnitten unterblieben sei. Wenn in dem Urteil VI 115/41 vom 9. April 1941 auf die Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 1268/30 vom 8. August 1930 (RStBl 1930 S. 680) verwiesen werde, so bringe diese für die dort vertretene Rechtsauffassung keinerlei Gründe. Der weitere Hinweis des Reichsfinanzhofs (Urteil vom 9. April 1941) auf den Grundsatz der Gerechtigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung spreche eher für die gegenteilige Auffassung. Der Verlustabzug sei eingeführt worden, um dem Steuerpflichtigen einen Ersatz für die Besteuerung nach dem dreijährigen Durchschnitt zu bieten. Dieser Entstehungsgeschichte der Vorschrift werde aber eine Auslegung besser gerecht, die dem Steuerpflichtigen die Abzugsmöglichkeit im Zweit- oder Drittjahre in den Fällen gestatte, in denen der frühere Abzug aus vom Steuerpflichtigen nicht zu vertretenden Gründen unterblieben sei.

Der Bg. habe weder nach dem Wortlaut der Bestimmung noch nach der Fassung der Anm. 10 des Vordruckes für die Steuererklärung 1953 damit zu rechnen brauchen, daß der Verlustabzug im erstmöglichen Jahre geltend zu machen sei. Für die Entscheidung des Streitfalles sei weiter bedeutsam, daß der Gewerbesteuer-Meßbescheid 1952 unmittelbar vor der Steuererklärung 1953 abgeheftet gewesen sei, so daß das Finanzamt beim Erlaß des Steuerbescheides für 1953 auf den Verlust des Jahres 1952 hätte aufmerksam werden müssen. Bei dieser Sachlage erscheine es nicht vertretbar, dem Bg. die Abzugsmöglichkeit im Jahre 1954 zu versagen.

Das Finanzgericht weist abschließend noch auf das Urteil des Reichsfinanzhofs I A 41/36 vom 25. Februar 1936 (RStBl 1936 S. 432) und auf die Ausführungen von Zitzlaff in Steuer und Wirtschaft 1941 Sp. 722 und Steuer und Wirtschaft 1951 Sp. 547 hin.

Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) macht der Vorsteher des Finanzamts im wesentlichen folgendes geltend: Durch die Einführung des Verlustabzuges bei der Einkommensteuer bzw. des Gewerbeverlustes bei der Gewerbesteuer werde insoweit die übliche Besteuerung nach dem Periodengewinne aufgehoben und statt dessen eine Art Durchschnittsbesteuerung vorgenommen. Die dem Steuerrecht im übrigen fremde Durchschnittsbesteuerung in diesem Sinne sei aber nur dann noch gegeben, wenn das Ergebnis des Verlustjahres mit dem des unmittelbar folgenden Gewinnjahres gekoppelt werde. Dabei sei es gleichgültig, ob sich dies für den Steuerpflichtigen günstig oder ungünstig auswirke. Wenn das Finanzgericht in dem Wahlrecht des Steuerpflichtigen eine gerechtere Besteuerung erblicke, so könne dem nicht gefolgt werden. Bei der Bejahung eines Wahlrechtes würde man den Steuerpflichtigen, der in einem Jahre einen Verlust erlitten habe, gegenüber anderen Steuerpflichtigen wesentlich günstiger stellen, indem man ihm die Möglichkeit gebe, seine künftig zu versteuernden Gewinne innerhalb des gesetzlichen Zeitraumes willkürlich zu beeinflussen. Aus dem Gesetzeswortlaut ergebe sich im übrigen, daß der Gewerbeverlust nicht nur auf Antrag, sondern von Amts wegen, und zwar auch gegen den Willen des Steuerpflichtigen, zu berücksichtigten sei. Daraus folge aber zwangsläufig, daß kein Wahlrecht bestehen könne.

Die Feststellung des Finanzgerichts, der Steuerpflichtige habe sich für berechtigt halten können, ein Wahlrecht auszuüben, sei ohne Bedeutung. Auch in dem Falle des Urteils des Bundesfinanzhofs IV 266/54 U vom 1. Dezember 1955 habe sich der Steuerpflichtige auf den Wortlaut des § 10 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1950 und die frühere Rechtsprechung berufen können. Nicht durchschlagend seien auch die Ausführungen des Finanzgerichts, daß das Finanzamt bei der Veranlagung für 1953 auf den Verlust 1952 hätte aufmerksam werden müssen. Die Nichtberücksichtigung von Aktenvorgängen, mögen sie im Einzelfalle für den Steuerpflichtigen günstig oder ungünstig sein, erwachse nach Ablauf der Rechtsmittelfrist grundsätzlich für die Beteiligten in Rechtskraft. Es hätte dem Steuerpflichtigen freigestanden, nach Erhalt des Meßbescheides durch Einlegung eines Rechtsmittels den Abzug des Verlustvortrages in 1953 herbeizuführen. Wenn er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht habe, so habe er etwaige Nachteile gegen sich gelten zu lassen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist begründet.

Aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 10a GewStG ergibt sich, worauf das Finanzamt in der Rb. mit Recht hinweist, daß der Gewerbeverlust unabhängig von einem Antrage des Steuerpflichtigen von Amts wegen zu berücksichtigen ist (vgl. nunmehr auch Abschn. 68 Abs. 5 der Gewerbesteuer-Richtlinien - GewStR - 1955). Damit ist aber die Annahme eines Wahlrechtes des Steuerpflichtigen, in welchem Jahre er den Verlust geltend machen will, nicht vereinbar. Auch Zitzlaff, a. a. O., verneint für die entsprechende Vorschrift des einkommensteuerlichen Verlustabzuges das Bestehen eines Wahlrechtes. Nach seinen Ausführungen muß vielmehr das Finanzamt dem Gesetzesbefehl entsprechend den Verlustabzug von Amts wegen im ersten Jahre, soweit dies nach dessen Ergebnis möglich ist, vornehmen. Lediglich für den Fall, daß der Verlustabzug im ersten Jahre, obwohl er möglich gewesen wäre, unterblieben ist, hält Zitzlaff, a. a. O., die Nachholung im folgenden Jahre für zulässig. Dieser Auffassung, der sich das Finanzgericht angeschlossen hat, kann nicht gefolgt werden. Das Gesetz läßt zwar den Verlustabzug insoweit zu, als er nicht in den Vorjahren bereits berücksichtigt worden ist. Diese Wortfassung zwingt aber nicht zu dem Schluß, der Gesetzgeber habe auch diejenigen Fälle einbeziehen wollen, in denen der Verlustabzug in den Vorjahren zu Unrecht unterblieben ist; vielmehr ist dabei nur an die Fälle gedacht, in denen der Verlustabzug nach den Ergebnissen der Vorjahre nicht möglich war. Die gegenteilige Auffassung würde dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung widersprechen und somit zu Ergebnissen führen, die der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann.

Der Senat tritt daher auch für den Gewerbeverlust nach § 10a GewStG dem in seinem Urteil IV 266/54 U vom 1. Dezember 1955 für den einkommensteuerlichen Verlustabzug aufgestellten Grundsatz bei, daß, wenn der Verlust bereits in einem der Vorjahre hätte abgezogen werden können, der Steuerpflichtige für das spätere Jahr die Abzugsmöglichkeit verloren hat. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob sich etwa nach der Lage des einzelnen Falles der Steuerpflichtige zur Ausübung eines Wahlrechtes für berechtigt halten konnte. Ist somit der Verlustabzug für das Vorjahr zu Unrecht unterblieben, so kann dies nicht zu einer übertragung des Abzuges auf das spätere Jahr, sondern allenfalls nur zu einer Berichtigung der Veranlagung für das Vorjahr im Rahmen der Vorschrift des § 222 Abs. 1 Ziff. 4 der Reichsabgabenordnung (AO) führen. Der Umstand, daß der Bg. gegen den Gewerbesteuer-Meßbescheid 1953 kein Rechtsmittel eingelegt hat, steht im vorliegenden Fall einer Berichtigungsveranlagung für diesen Erhebungszeitraum nach der genannten Vorschrift nicht entgegen. Denn es kann bei der gegebenen Sachlage, insbesondere im Hinblick auf die Fassung der Anm. 10 im Vordrucke zur Gewerbesteuer-Erklärung 1953, nicht angenommen werden, daß der Bg. den in der Nichtberücksichtigung des Fehlbetrages aus 1952 liegenden Veranlagungsfehler erkannt hat, so daß hier die Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs III 112/56 U vom 17. August 1956 (Slg. Bd. 63 S. 243, BStBl 1956 III S. 290) nicht zum Zuge kommen.

Bemerkt sei noch, daß der Fehlbetrag aus 1952 auch insoweit nicht beim Gewerbeertrage 1954 berücksichtigt werden kann, als durch den Abzug beim Gewerbeertrage 1953 der Freibetrag von 1.200 DM unterschritten wird. In dem angeführten Urteil IV 266/54 U vom 1. Dezember 1955 hat der Senat für den einkommensteuerlichen Verlustabzug ausgesprochen, daß ein Verlust, dessentwegen der Steuerpflichtige frei veranlagt oder nicht veranlagt worden wäre, insoweit verbraucht sei, als er sich mit den positiven Einkünften gedeckt und insoweit ausgewirkt habe. Dieser Grundsatz muß entsprechend auf den Gewerbeverlust des § 10a GewStG angewandt werden.

Hiernach war die Vorentscheidung wegen Rechtsirrtums aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Da der Steuerausschuß den Abzug des Fehlbetrages aus 1952 beim Gewerbeertrage 1954 im Ergebnis mit Recht versagt hat, war die Berufung des Bg. als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408973

BStBl III 1958, 134

BFHE 1958, 351

BFHE 66, 351

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