Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung hinterzogener Steuern bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens - Steuerhinterziehung durch Gesellschafter einer OHG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hinterzogene Betriebssteuern können bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens an Stichtagen vor der Aufdeckung der Steuerverkürzung grundsätzlich (mangels wirtschaftlicher Belastung) nicht als Betriebsschulden abgezogen werden (Anschluß an BFH-Urteile in BFHE 105, 405, BStBl II 1972, 524, und BFHE 117, 263, BStBl II 1976, 87).

2. Steuerhinterziehungen durch einen von mehreren Gesellschaftern einer OHG zugunsten der Gesellschaft sind nach dem in § 31 BGB enthaltenen allgemeinen Rechtsgedanken der Personengesellschaft (Gesamthand) zuzurechnen.

 

Orientierungssatz

Bei der Vermögensaufstellung i.S.d. BewG handelt es sich --im Gegensatz zur Steuerbilanz-- um eine rein statische Vermögensbilanz. Für ihre Aufstellung gilt das Stichtagsprinzip uneingeschränkt. Am Stichtag noch ungewisse Schwebezustände können --auch wenn sie nach dem Stichtag "aufgehellt" werden-- grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (zur Abgrenzung vgl. BFH-Urteil vom 2.10.1992 III R 54/91 zur ertragsteuerlichen Bildung einer Rückstellung wegen Schadensersatzansprüchen aus strafbaren Handlungen).

 

Normenkette

BewG 1974 § 105 Abs. 1; BGB § 31; BewG 1974 §§ 98a, 103

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und der Beigeladene waren am streitigen Feststellungszeitpunkt (1.Januar 1974) die alleinigen Gesellschafter der Firma H OHG. Der Beigeladene schied im Laufe des 1.Januar 1974 aus der Gesellschaft aus; seitdem führt der Kläger das Unternehmen allein fort.

Die aufgrund einer Selbstanzeige nach dem streitigen Feststellungszeitpunkt eingeleitete Steuerfahndungsprüfung im Jahre 1974 ergab, daß die Gesellschafter der OHG über mehrere Jahre betriebliche Steuern (Umsatz- und Gewerbesteuern) hinterzogen hatten.

Mit dem angefochtenen Bescheid stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) den Einheitswert des Betriebsvermögens der OHG auf den 1.Januar 1974 auf 7 199 000 DM fest, wobei er die aus den Steuerhinterziehungen resultierenden betrieblichen Mehrsteuern für die vor dem streitigen Stichtag endenden Veranlagungs- bzw. Erhebungszeiträume nicht als Schuldposten zum Abzug zuließ.

Die dagegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den angefochtenen Bescheid mit der Maßgabe abzuändern, daß der Einheitswert unter Berücksichtigung zusätzlicher Steuerschulden in Höhe von 261 801 DM ermäßigt werde.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des Klägers ist unbegründet.

1. a) Nach § 105 Abs.1 des Bewertungsgesetzes (BewG) in der für den streitigen Stichtag maßgebenden Fassung vom 26.September 1974 (BGBl I 1974, 2369, BStBl I 1974, 862) sind Schulden aus laufend veranlagten Steuern nur abzuziehen, wenn die Steuern entweder im Feststellungszeitpunkt fällig geworden sind oder für einen Zeitraum erhoben werden, der spätestens im Feststellungszeitpunkt geendet hat. Der Abzug einer Schuld bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens setzt nicht nur deren rechtliche Entstehung, sondern überdies voraus, daß die Schuld am jeweils maßgebenden Stichtag eine wirtschaftliche Belastung darstellt (vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7.Mai 1971 III R 53/70, BFHE 102, 553, BStBl II 1971, 681; vom 10.Mai 1972 III R 83/71, BFHE 106, 96, BStBl II 1972, 688, und vom 18.September 1975 III R 76/74, BFHE 117, 263, BStBl II 1976, 87; Gürsching/Stenger, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 9.Aufl., § 105 BewG Rdnr.13). Eine solche Belastung ist dann anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige (Schuldner) bereits am maßgeblichen Stichtag damit rechnen konnte, daß der Gläubiger die Forderung gegen ihn geltend machen werde.

Zwar kann der Inhaber eines gewerblichen Betriebes bereits im maßgeblichen Feststellungszeitpunkt grundsätzlich damit rechnen, z.B. infolge einer künftigen Außenprüfung für von ihm zunächst nicht konkret vorausgesehene Steuernachforderungen für spätestens am Bewertungsstichtag endende (Veranlagungs- oder Erhebungs-)Zeiträume in Anspruch genommen zu werden mit der Folge, daß diese (Mehr-)Steuern schon am betreffenden Feststellungszeitpunkt als Schuldposten zu berücksichtigen sind (vgl. z.B. Urteil des Reichsfinanzhofs --RFH-- vom 7.November 1940 III 107/40, RStBl 1941, 63; BFH- Urteile vom 7.September 1962 III 186/59, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1963, 93; vom 21.August 1964 III 341/60, HFR 1965, 132, 133, rechte Spalte; in BFHE 117, 263, BStBl II 1976, 87, 88, linke Spalte). Etwas anderes gilt jedoch in bezug auf solche Steuer(nach-)forderungen, die auf einer Hinterziehung des Steuerschuldners beruhen (vgl. auch RFH-Urteile vom 24.Juni 1937 III A 28/37, RStBl 1937, 798; vom 17.Februar 1938 III 221/37, RStBl 1938, 549; BFH-Urteile vom 4.März 1955 III 211/54 U, BFHE 60, 321, BStBl III 1955, 123; in HFR 1963, 93; vom 13.März 1964 III 225/61 U, BFHE 79, 400, BStBl III 1964, 378, 379; in HFR 1965, 132; vom 1.August 1969 III 69/63, BFHE 97, 90, BStBl II 1969, 750; vom 28.April 1972 III R 111/71, BFHE 105, 405, BStBl II 1972, 524; in BFHE 117, 263, BStBl II 1976, 87). In diesem Fall können vom Betriebsinhaber hinterzogene Steuern an Feststellungszeitpunkten vor Aufdeckung der Steuerhinterziehung in aller Regel nicht als (Betriebs-)Schulden abgezogen werden, weil sie grundsätzlich keine wirtschaftliche Belastung darstellen. Dieses Ergebnis beruht auf der Erwägung, daß Steuerschulden, die der Hinterzieher (Steuerpflichtige) dem FA am Stichtag (bewußt) verheimlicht und auch fernerhin verheimlichen will, bei objektiver Würdigung der Verhältnisse in aller Regel für den Steuerpflichtigen keine (ernst zu nehmende) wirtschaftliche Belastung darstellen, weil er vor der Aufdeckung der Hinterziehung an den jeweiligen Stichtagen nicht damit rechnet, vom FA in Anspruch genommen zu werden (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 105, 405, BStBl II 1972, 524, unter 3.).

Entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht steht diesem Ergebnis nicht das BFH-Urteil vom 2.Oktober 1992 III R 54/91 (BFHE 169, 423, BStBl II 1993, 153) entgegen. Dort hat der III.Senat des BFH in einer Ertragsteuersache entschieden, daß für betriebliche Schadensersatzansprüche aus strafbaren Handlungen Rückstellungen zu bilden seien, wenn mit einiger Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden könne, daß der Steuerpflichtige in Anspruch genommen werde. Die Wahrscheinlichkeit sei gegeben, wenn bis zum Tag der Bilanzaufstellung die den Anspruch begründenden Tatsachen durch Aufdeckung der Tat bekanntgeworden seien.

Steuerbilanz sowie Handelsbilanz einerseits und Vermögensaufstellung i.S. des BewG andererseits verfolgen unterschiedliche Zwecke. Zweck der Steuerbilanz ist es primär, den periodengerechten Gewinn zu ermitteln. Die Steuerbilanz ist deshalb keine statische Vermögensbilanz, sondern berücksichtigt auch dynamische Gesichtspunkte. Über den Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz (vgl. § 5 Abs.1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) finden das die Handelsbilanz beherrschende Vorsichtsprinzip und folglich das sog. Imparitätsprinzip Eingang in die Steuerbilanz. Das Imparitätsprinzip gebietet es, schon bei bloßer Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden (vgl. Beisse, Gläubigerschutz - Grundprinzip des deutschen Bilanzrechts in: Festschrift für Karl Beusch, 1993, S.77, 83 f.). Demgegenüber handelt es sich bei der Vermögensaufstellung i.S. des BewG in der für den streitigen Feststellungszeitpunkt geltenden Fassung um eine rein statische Vermögensbilanz. Für ihre Aufstellung gilt das Stichtagsprinzip uneingeschränkt. Am Stichtag noch ungewisse Schwebezustände können --auch wenn sie nach dem Stichtag "aufgehellt" werden-- grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (vgl. auch §§ 4 ff. BewG). So können die in dem vom Kläger für seine Auffassung herangezogenen BFH-Urteil in BFHE 169, 423, BStBl II 1993, 153 behandelten Rückstellungen für Schadensersatzverpflichtungen aus unerlaubter Handlung bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens nur dann berücksichtigt werden, wenn der Steuerpflichtige bereits am Stichtag dafür in Anspruch genommen wurde oder bereits zu diesem Zeitpunkt ernsthaft mit einer solchen Inanspruchnahme rechnen konnte (vgl. auch Rössler/Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 15.Aufl., § 103 BewG Rdnr.57).

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist das FG zu Recht davon ausgegangen, daß die hier streitigen hinterzogenen Betriebssteuern bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der OHG auf den 1.Januar 1974 nicht als Schuldposten abgezogen werden können.

Zwar stellen die in Rede stehenden Steuernachforderungen "Schulden aus laufend veranlagten Steuern" dar, die "für einen Zeitraum erhoben werden, der spätestens im Feststellungszeitpunkt geendet hat" (§ 105 Abs.1 Nr.2 BewG). Jedoch stellten sie am maßgeblichen Stichtag für die OHG bzw. ihre Gesamthänder als Steuerschuldner keine wirtschaftliche Belastung im oben (II. 1. a) beschriebenen Sinne dar. Denn sie beruhten nach den für den Senat bindenden, nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des FG (§ 118 Abs.2 der Finanzgerichtordnung --FGO--) auf Steuerhinterziehungen der Gesellschafter der OHG. Das FA hatte am streitigen Stichtag von diesen Hinterziehungsvorgängen keine Kenntnis. Im Hinblick auf die bewußte Verschleierung der wahren steuererheblichen Sachverhalte und mangels Vorliegens besonderer Umstände brauchten die OHG und deren Gesellschafter aus objektiver Sicht am streitigen Stichtag nicht damit zu rechnen, daß die Taten entdeckt und die Steuernachforderungen geltend gemacht würden.

Entgegen der Ansicht des Klägers spielt es keine Rolle, daß die OHG als Steuerschuldnerin der Umsatzsteuer bzw. die Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit als Steuerschuldner der Gewerbesteuer für die Erhebungszeiträume vor 1974 mit den einzelnen Gesellschaftern als Steuerhinterzieher nicht bzw. nicht vollständig identisch waren. Ebensowenig kommt es darauf an, ob die beiden Gesellschafter der OHG (Kläger und Beigeladener) die Steuerhinterziehungen zugunsten der Gesellschaft bzw. der Gesamthand im strafrechtlichen Sinne gemeinschaftlich --als Mittäter-- begangen haben, ob der eine als Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe) des anderen fungierte oder ob der eine die Taten jeweils ohne Mitwirken des anderen --mit oder ohne dessen Wissen-- beging. Diese Umstände sind lediglich für die strafrechtliche Beurteilung der Taten relevant, haben indessen auf die hier allein rechtserhebliche Frage, ob die hinterzogenen Beträge am streitigen Feststellungszeitpunkt zu einer wirtschaftlichen Belastung der OHG führten, keinen Einfluß.

Zu Unrecht beruft sich die Revision in diesem Zusammenhang auf die in früheren Urteilen des BFH und der FG vertretene Ansicht, daß das Abzugsverbot in bezug auf hinterzogene Steuern nach seinem Grundgedanken nur für den steuerunehrlichen Steuerschuldner selbst gelte, nicht aber dann eingreife, wenn z.B. ein im Betrieb des Steuerschuldners tätiger Angestellter die Tat ohne Wissen des Steuerschuldners begangen habe (vgl. z.B. BFH-Urteil in HFR 1963, 93, rechte Spalte; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.April 1965 I 160/64, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1965, 412; FG Münster, Urteil vom 27.September 1990 III 7094/86 EW, EFG 1991, 235). Denn das Verhältnis des (persönlich haftenden) Gesellschafters zu seiner Personenhandelsgesellschaft bzw. zur Gesamthand ist zivil- wie steuerrechtlich anders zu qualifizieren als das Verhältnis des Betriebsinhabers zu seinem Angestellten. Der (persönlich haftende) Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft ist dessen Organ i.S. des § 31 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und des darin zum Ausdruck gelangten allgemeinen Rechtsgedankens (vgl. z.B. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2.Aufl., § 10 IV 2). Hiernach ist rechtswidrig-schuldhaftes Verhalten des Organs dem Verband zivilrechtlich als Eigenverschulden zuzurechnen (Karsten Schmidt, a.a.O., § 10 IV 1). Des weiteren sind die Kenntnis oder Unkenntnis und die Gut- oder Bösgläubigkeit auch nur eines Vertretungsorgans nach herrschender zivilrechtlicher Auffassung der juristischen Person bzw. der Gesamthand zuzurechnen (Karsten Schmidt, a.a.O., § 10 V 1 und 2, m.w.N.). Dieses Zuordnungsprinzip muß als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens auch im Steuerrecht und damit auch im vorliegenden Streitfall Beachtung finden. Sind aber Verhalten und Kenntnis auch nur eines Gesellschafters der OHG (Gesamthand) zuzurechnen, so ist die Gesellschaft (Gesamthand) nicht als "steuerehrliche" Steuerschuldnerin im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung anzusehen. Daran vermag auch nichts der Umstand zu ändern, daß der in § 31 BGB zum Ausdruck gelangte Rechtsgedanke und die beschriebenen Zurechnungsgrundsätze nicht für das Strafrecht gelten (Karsten Schmidt, a.a.O., § 10 IV 5). Denn --anders als die Revision meint-- besitzt das (grundsätzliche) Abzugsverbot in bezug auf hinterzogene Steuern nicht den Charakter einer strafähnlichen Sanktion kriminellen Unrechts, sondern stellt allein die zwangsläufige Folge des bewertungsrechtlichen Grundsatzes dar, daß nur solche Schulden vermögensmindernd berücksichtigt werden dürfen, die bereits am Bewertungsstichtag eine (ernsthafte) wirtschaftliche Last bedeuten. Aus demselben Grund ist es für die Entscheidung des Streitfalles ohne Belang, daß die Gesellschafter wegen ihrer Selbstanzeige für ihre Taten Straffreiheit erlangt haben (vgl. auch BFH- Urteil in HFR 1965, 132, 134).

 

Fundstellen

Haufe-Index 64874

BFH/NV 1994, 18

BStBl II 1994, 216

BFHE 173, 82

BFHE 1994, 82

BB 1994, 274

BB 1994, 274-276 (LT)

DB 1994, 359 (L)

DStR 1994, 243 (KT)

HFR 1994, 251-252 (LT)

StE 1994, 80 (K)

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