Entscheidungsstichwort (Thema)

(Gesonderte Feststellung für die Umsatzsteuer nach Eintritt der Festsetzungsverjährung bei einigen Beteiligten - keine Prüfungspflicht des FA vor Aufforderung zur Abgabe einer Feststellungserklärung hinsichtlich des Verjährungseintritts bei den Beteiligten - Anwendung der VO zu § 180 Abs. 2 AO 1977 für Zeiträume vor ihrem Inkrafttreten)

 

Leitsatz (amtlich)

Eine gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuer kann gemäß § 181 Abs. 5 AO 1977 nach Ablauf der Feststellungsfrist selbst dann durchgeführt werden, wenn bei einigen der Feststellungsbeteiligten bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 10. Dezember 1992 IV R 118/90, BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381).

 

Orientierungssatz

1. Das Gebot der Einheitlichkeit der gesonderten Feststellung steht dem nicht entgegen.

2. Das für die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen zuständige FA ist --zumindest bei der Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuer-- nicht verpflichtet, in jedem Fall vor Aufforderung zur Abgabe einer Feststellungserklärung zu prüfen, ob und inwieweit bei den Beteiligten eines Gesamtobjekts bereits Festsetzungsverjährung hinsichtlich der Folgesteuer der Beteiligten eingetreten ist. Eine diesbezügliche Prüfungspflicht obliegt mithin dem FA nur dann, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß bereits bei allen Beteiligten Festsetzungsverjährung eingetreten ist und eine gesonderte Feststellung daher keinerlei Wirkung mehr entfalten könnte.

3. Die VO zu § 180 Abs. 2 AO 1977 ist für Feststellungszeiträume vor ihrem Inkrafttreten anwendbar (vgl. BFH-Urteil vom 27.1.1994 V R 31/91).

 

Normenkette

AO 1977 § 180 Abs. 2, § 181 Abs. 5, § 180 Abs. 2 V § 1, § 180 Abs. 2 V § 3

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist als Treuhandgesellschaft für eine Vielzahl von Erwerbergemeinschaften und Bauherrengemeinschaften tätig. Mit einem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 27. September 1989 leitete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) hinsichtlich näher bezeichneter Gesamtobjekte das Verfahren zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuer bezüglich bestimmter Jahre im Zeitraum von 1980 bis 1987 ein und forderte die Klägerin als Treuhänderin zur Abgabe entsprechender Erklärungen auf.

Die hiergegen nach erfolglosem Beschwerdeverfahren erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob die Einleitungsverfügung des FA insoweit auf, als sie Feststellungsverfahren für die Jahre 1980 bis 1984 betraf; im übrigen wies das FG die Klage ab. Das FG führte zur Begründung der Klageabweisung aus, das FA sei an sich berechtigt gewesen, das Feststellungsverfahren für den gesamten Zeitraum einzuleiten und die Klägerin als Treuhänderin zur Abgabe der Feststellungserklärungen heranzuziehen. Die Einleitung des Feststellungsverfahrens für die Jahre vor 1985 sei aber ermessensfehlerhaft. Für diese Jahre sei die Feststellungsfrist bereits abgelaufen gewesen, und das FA habe bei seiner Ermessensentscheidung hinsichtlich der Einleitung des Feststellungsverfahrens die Möglichkeit außer Betracht gelassen, daß eine gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für diese Jahre unzulässig gewesen sei, weil in bezug auf einige an den Gesamtobjekten Beteiligte Festsetzungsverjährung vorgelegen habe.

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts (§ 181 Abs. 5 der Abgabenordnung --AO 1977--). Es ist der Auffassung, die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuer sei gemäß § 181 Abs. 5 AO 1977 nach Ablauf der Feststellungsfrist auch dann zulässig gewesen, wenn für manche Beteiligten Festsetzungsverjährung schon eingetreten gewesen sei. Die vom FG angenommene Einschränkung könne dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnommen werden. Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. Dezember 1992 IV R 118/90 (BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381), in dem dieser in einem Verfahren wegen Gewinnfeststellung entschieden habe, die Anwendung des § 181 Abs. 5 AO 1977 bei der gesonderten und einheitlichen Feststellung von Einkünften setze voraus, daß die Festsetzungsfrist hinsichtlich der in Betracht kommenden Folgesteuer noch bei keinem Feststellungsbeteiligten abgelaufen sei, dürfe im Streitfall nicht angewendet werden. Vorliegend gehe es um die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuer. Probleme des Bilanzzusammenhangs und der Bilanzänderung, mit denen die vom BFH im genannten Urteil festgelegte Einschränkung begründet worden sei, und die auch vom FG angesprochen worden seien, könnten sich im Streitfall nicht ergeben. Nur eine gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen durch das Belegenheitsfinanzamt vermöge --soweit Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten sei-- eine gleichmäßige Besteuerung zu gewährleisten.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Entgegen der Auffassung des FG waren die Einleitung des Feststellungsverfahrens und die Aufforderung der Klägerin zur Abgabe der Feststellungserklärungen für die Umsatzsteuer auch insoweit rechtmäßig, als sie die Jahre 1980 bis 1984 betrafen.

1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß das FA nach der Verordnung über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 2 der Abgabenordnung vom 19. Dezember 1986 (BGBl I 1986, 2663) --VO zu § 180 Abs. 2 AO 1977-- an sich berechtigt war, die Klägerin zur Abgabe von Feststellungserklärungen für die Jahre 1980 bis 1984 aufzufordern. Der erkennende Senat hat bereits im Urteil vom 27. Januar 1994 V R 31/91 (BFHE 173, 463, BStBl II 1994, 488, unter II.2.) entschieden, daß die VO zu § 180 Abs. 2 AO 1977 für Feststellungszeiträume vor ihrem Inkrafttreten anwendbar ist und auch insoweit die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuer ermöglicht.

2. Das FG hat die Aufforderung des FA zur Abgabe der Feststellungserklärungen für die Umsatzsteuer 1980 bis 1984 zu Unrecht wegen Ermessensfehlgebrauchs als rechtswidrig angesehen. Entgegen der Ansicht des FG war das FA trotz Ablaufs der für die gesonderte Feststellung für diese Jahre geltenden Feststellungsfrist berechtigt, die Klägerin zur Abgabe der Erklärungen aufzufordern.

a) Gemäß § 181 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 kann eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Dies gilt nicht nur für die Steuerfestsetzung des Abzugsjahres, sondern auch für die Steuerfestsetzungen der sog. Folgejahre (§ 15a des Umsatzsteuergesetzes 1980).

Nach Auffassung des Senats setzt die Anwendung des § 181 Abs. 5 AO 1977 bei der gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuer nicht voraus, daß die Festsetzungsfrist hinsichtlich der Umsatzsteuer bei keinem Feststellungsbeteiligten abgelaufen ist (ebenso für die Feststellung von Einkünften Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl., § 181 AO Anm. 4; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 181 Anm. 6; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, Stand: März 1995, § 181 Anm. 23 f.; Baum in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 181 Rz. 11; vgl. auch Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 24. Mai 1994, BStBl I 1994, 302; anderer Ansicht Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 181 AO Tz.4; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 181 AO Anm. 43).

Dies entspricht den im Gesetz genannten Zwecken der einheitlichen und gesonderten Feststellung. Die aufgrund der VO zu § 180 Abs. 2 AO 1977 durchzuführenden gesonderten und einheitlichen Feststellungen sollen gemäß § 180 Abs. 2 AO 1977 nicht nur der Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung bei gleichen Sachverhalten dienen, sondern können auch vorgenommen werden, um das Besteuerungsverfahren zu erleichtern. Der letztgenannte Zweck wird durch die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuer selbst dann erreicht, wenn bei einigen Beteiligten die Festsetzungsfrist für die von ihnen zu entrichtende Umsatzsteuer im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Feststellungsbescheids bereits abgelaufen ist. Die gesonderte Feststellung ermöglicht es der Finanzverwaltung in diesem Fall, zumindest für die anderen Beteiligten die auf diese entfallende Umsatzsteuer aus dem Gesamtobjekt durch ein Finanzamt in einem Verwaltungsakt feststellen zu lassen.

Dem steht das Gebot der Einheitlichkeit der gesonderten Feststellung nicht entgegen. Die einheitliche Wirkung der Feststellung ist unter den erörterten Umständen nicht etwa ausgeschlossen, sondern --aufgrund der bereits eingetretenen Festsetzungsverjährung bei einigen Feststellungsbeteiligten-- lediglich eingeschränkt, was weder dem Gesetz noch der VO zu § 180 Abs. 2 AO 1977 widerspricht. Daß das Gesetz eine eingeschränkte gesonderte Feststellung zuläßt, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 181 Abs. 5 Satz 1 erster Halbsatz AO 1977, wonach eine gesonderte Feststellung nach Ablauf der Feststellungsfrist "insoweit" erfolgen kann, "als ... (sie) für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist". Die VO zu § 180 Abs. 2 AO 1977 sieht in ihrem § 1 Abs. 3 Satz 2 ferner die Möglichkeit vor, die Feststellung auf bestimmte Personen zu beschränken.

Dieser Auffassung steht das Urteil des IV.Senats in BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381 (zur Nichtanwendung durch die Finanzverwaltung s. BMF in BStBl I 1994, 302) nicht entgegen. Der IV.Senat hat seine in dem Urteil entwickelte Ansicht, wonach die Anwendung des § 181 Abs. 5 AO 1977 bei der einheitlichen Feststellung voraussetzt, daß die Festsetzungsfrist hinsichtlich der in Betracht kommenden Folgesteuern noch bei keinem Feststellungsbeteiligten abgelaufen ist, ausdrücklich auf die gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften beschränkt. Er hat überdies seine Entscheidung mit Hinweisen auf das ertragsteuerliche Schrifttum begründet, das sich mit bilanzrechtlichen und bilanztechnischen Problemen bei der Änderung von Gewinnfeststellungsbescheiden über gemeinschaftlich erzielte Einkünfte mehrerer Personen auseinandersetzt.

Derartige Probleme bestehen bei der gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuer nicht. Die Umsatzsteuer kann durchaus gegenüber den am Gesamtobjekt Beteiligten unterschiedlich festgesetzt werden. Soweit sich der Gesamtbetrag der abziehbaren Vorsteuerbeträge ändert und sich die Änderung nur noch bei der Umsatzsteuerfestsetzung einiger Beteiligter auswirken kann, berührt dies die bereits unabänderbaren Umsatzsteuerfestsetzungen anderer Beteiligter nicht.

Der erkennende Senat kann sich schließlich auf die Gesetzesmaterialien berufen. Der Finanzausschuß des Deutschen Bundestages ging bei der Beratung des Entwurfs der AO 1977 nur hinsichtlich der unterbliebenen gesonderten Feststellung von Gewinneinkünften davon aus, daß diese lediglich dann nachgeholt werden kann, wenn die Festsetzungsfrist für die Steuern, die von der gesonderten Feststellung abhängen, für alle Beteiligten noch nicht abgelaufen ist (Bericht und Antrag des Finanzausschusses, BTDrucks 7/4292, S.34, zu § 181).

b) Da die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen nach der VO zu § 180 Abs. 2 AO 1977 --wie dargelegt-- insbesondere auch zur Erleichterung des Besteuerungsverfahrens dient, ist das für die Feststellung zuständige FA --zumindest bei der Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuer-- nicht verpflichtet, in jedem Fall vor Aufforderung zur Abgabe einer Feststellungserklärung zu prüfen, ob und inwieweit bei den Beteiligten eines Gesamtobjekts bereits Festsetzungsverjährung hinsichtlich der Folgesteuer der Beteiligten eingetreten ist. Die gegenteilige Ansicht würde dem Zweck des Feststellungsverfahrens widersprechen. Eine diesbezügliche Prüfungspflicht obliegt mithin dem FA nur dann, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß bereits bei allen Beteiligten Festsetzungsverjährung eingetreten ist und eine gesonderte Feststellung daher keinerlei Wirkung mehr entfalten könnte.

c) Das FA hat demnach im Streitfall bei der Aufforderung der Klägerin zur Abgabe der Feststellungserklärungen zu Recht nicht berücksichtigt, daß die gesonderte und einheitliche Feststellung der Bemessungsgrundlagen für die Umsatzsteuer bei einigen Beteiligten wegen bereits eingetretener Festsetzungsverjährung möglicherweise keine Wirkung entfalten konnte. Anhaltspunkte dafür, daß das FA hätte in Betracht ziehen müssen, hinsichtlich aller oder jedenfalls einiger der Gesamtobjekte sei bereits bei allen Beteiligten Festsetzungsverjährung eingetreten, sind den Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils nicht zu entnehmen.

3. Da das FA die Klägerin mithin in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zur Abgabe der Feststellungserklärungen aufgefordert hat, waren das zum gegenteiligen Ergebnis kommende FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1995, 89

BFHE 178, 297

BFHE 1996, 297

BB 1995, 2310 (L)

DB 1995, 2405-2406 (LT)

DStR 1995, 1795 (KT)

DStZ 1996, 159-160 (KT)

HFR 1996, 63-64 (L)

StE 1995, 712 (K)

StRK, R.21 (LT)

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