Leitsatz (amtlich)

1. Es liegt allein im Willens- und Entscheidungsbereich des Steuerpflichtigen, ob er durch ein schriftliches Gesuch gerichtlichen Rechtsschutz durch Urteil (Vorbescheid) begehren will oder nicht.

2. Eine Klage ist nur dann ordnungsgemäß erhoben, wenn sie mit einem entsprechenden, erkennbaren Willen des (späteren) Klägers bei der zuständigen Stelle angebracht wird.

2. Der Bundesfinanzhof hat Prozeßtatsachen - ausnahmsweise - auch als Revisionsgericht und ohne Revisions-(Verfahrens-)rüge zu beachten, selbständig zu ermitteln und zu würdigen.

 

Normenkette

FGO § 64 Abs. 1 S. 1, § 65 Abs. 1, § 47

 

Tatbestand

Der Kläger (und Revisionsbeklagte) hatte im Dezember 1964 von einer Baugesellschaft ein Reihenhaus und durch notariell beurkundeten Vertrag vom 9. Steptember 1970 von der politischen Gemeinde ein Garagengrundstück erworben. Den Erwerb des Reihenhauses hatte das FA (Beklagter) gemäß § 1 Nr. 3 des Niedersächsischen Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grunderwerbsteuer (GrESWG) in der Fassung vom 6. Oktober 1958 (BStBl II 1958, 158) von der Besteuerung ausgenommen, den Erwerb des Garagengrundstücks der Grunderwerbsteuer unterworfen.

Der Kläger vertrat im Einspruchsverfahren die Auffassung, es bestehe ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen den beiden Erwerbsvorgängen. Seine von Anfang an gegebene Absicht, eine Garage zu erwerben, habe sich - nach langjährigem Bemühen - erst 1970 verwirklichen lassen. Der Einspruch war erfolglos geblieben. Als Rechtsbehelf gegen die Einspruchsentscheidung war in der Rechtsbehelfsbelehrung die Klage "beim ... Finanzgericht ..." angegeben.

Das FG hob den angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung auf. Der Erwerb des Garagengrundstücks stehe im Zusammenhang mit dem Erwerb des Reihenhauses und sei wegen der einheitlichen Zweckbestimmung ebenfalls von der Besteuerung ausgenommen.

Das FA rügt mit der vom FG zugelassenen Revision einen Verstoß gegen § 47 FGO sowie die Verletzung des § 1 Nr. 5 GrESWG in der Fassung vom 17. Februar 1966 (BStBl II 1966, 81). Das FG habe, so begründet das FA den Verfahrensmangel, ein Schreiben des Klägers vom 25. September 1971, das an die OFD gerichtet war, als Klage angesehen und die Übersendung dieses Schreibens durch die und von der OFD an das FA als rechtzeitigen Eingang des Rechtsbehelfs gewertet. Das FG sei auf die von dem FA als Klage angesehenen und dem FG vorgelegten Schreiben des Klägers an das Niedersächsische Finanzministerium vom 19. Mai und 12. Juni 1972 ebensowenig eingegangen wie auf die Frage der Zulässigkeit der Klage. Auf Grund dieses Verfahrensmangels habe das Gericht die Frage, ob ein Prozeß- oder ein Sachurteil zu ergehen habe, falsch beurteilt.

In materiell-rechtlicher Hinsicht, meint das FA, könne der Erwerbsvorgang wegen Fristablaufs nicht von der Besteuerung ausgenommen werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Die zulässige und begründete Verfahrensrüge (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO; vgl. Urteil des BFH vom 14. Februar 1973 II R 109/71, BFHE 108, 454, BStBl II 1973, 366) des FA greift durch. Das FG hat von sich aus über eine Nichtklage entschieden. Die vom Kläger erhobene Klage, über die das FG jedoch nicht entschieden hat, ist unzulässig.

I.

1. Das Schreiben des Klägers vom 25. September 1971 kann auch bei wohlwollender Auslegung nicht als Klage gewertet werden. Die gegenteilige Auffassung des FG ist rechtsfehlerhaft.

Klage ist das Verlangen (der Antrag, das Gesuch) um gerichtlichen Rechtsschutz in Form eines Urteils (Vorbescheids). Sie ist die förmliche Einleitung eines finanzgerichtlichen Verfahrens, das auf den Erlaß einer solchen Entscheidung gerichtet ist. Deshalb ist die Klage mit einem gesetzlich im einzelnen festgelegten Muß- und Sollinhalt (vgl. § 65 Abs. 1 FGO) "bei dem Gericht schriftlich zu erheben" (§ 64 Abs. 1 Satz 1 FGO). Aus ihr muß zu erkennen sein, wer gegen wen und aus welchem Grunde von dem Gericht Rechtsschutz begehrt, und in welchem Umfange dieser beansprucht wird. Ob eine Klage erhoben und damit ein solches Verfahren eröffnet wird, liegt grundsätzlich allein im Willens- und Verfügungsbereich des Steuerpflichtigen. Ihm steht in der Regel die Herrschaft über den Streitgegenstand und damit über das Verfahren im ganzen zu. Er bestimmt mit seiner (im allgemeinen fristgebundenen; § 47 Abs. 1, § 46 Abs. 2 FGO) Klage nicht nur den Beginn des Verfahrens, sondern durch sein Vorbringen und seine Anträge im wesentlichen auch dessen Inhalt und Umfang. Mit der Klageerhebung treten bestimmte prozessuale und materielle Wirkungen ein, die allein durch die Einleitung des gerichtlichen Verfahrens und unabhängig vom Willen des Klägers ausgelöst werden. Die damit verbundenen Folgen und Risiken (z. B. das Kostenrisiko) hat der Kläger zu tragen. Es muß deshalb allein seiner Willensentschließung überlassen bleiben, ob er - durch ein schriftliches Gesuch (§ 64 Abs. 1 FGO) - gerichtlichen Rechtsschutz durch Urteil (Vorbescheid) begehren will oder nicht.

Ein Begehren um Rechtsschutz in diesem Sinne läßt sich dem Schreiben des Klägers vom 25. September 1971 nicht entnehmen. Er hat sein Schreiben nicht an das in der Rechtsbehelfsbelehrung der Einspruchsentscheidung mit richtiger Anschrift genau bezeichnete FG gerichtet, sondern an die zuständige OFD. Diese ist eine Behörde der Finanzverwaltung, kein unabhängiges, von den Verwaltungsbehörden getrenntes Gericht (§ 1 FGO). Der Kläger konnte von dieser Verwaltungsbehörde keinen gerichtlichen Rechtsschutz durch Urteil erwarten und hat dies auch nicht getan. Ein entsprechendes Begehren ist in dem Schreiben des Klägers weder ausdrücklich erwähnt, noch läßt es sich aus dessen Inhalt erkennen (vgl. dazu Beschluß des BFH vom 30. Juni 1967 III B 21/66, BFHE 89, 92, BStBl III 1967, 533). Der Kläger hat keinen auf ein Urteil gerichteten "bestimmten Antrag" (§ 65 Abs. 1 Satz 1 FGO) gestellt, sondern die OFD lediglich gebeten, seine Ausführungen "zu prüfen", ihn "von der Grunderwerbsteuer zu befreien", sowie den "Entscheid vom Finanzamt ..." (gemeint ist die Einspruchsentscheidung) "... als nichtig zu erklären". Dabei hat er, wie mehreren Stellen des Schreibens zu entnehmen ist, nicht nur seinen eigenen Fall dargelegt, sondern sich zugleich für die steuerlichen Belange und Interessen der anderen Käufer von Reiheneigenheimen eingesetzt, denen es ähnlich wie ihm selbst ergangen war. Daß der Kläger mit seinem Schreiben keine gerichtliche Entscheidung erstrebte, ergibt sich besonders deutlich aus dessen letztem Absatz. Darin schlägt der Kläger "als Entgegenkommen" vor, die Steuer auf die Käufer und die Baugesellschaft je zur Hälfte aufzuteilen. Das deutet auf einen mit dem Schreiben erstrebten, vergleichsweisen Steuererlaß hin, den allenfalls die zuständige Verwaltungsbehörde, nicht aber ein Finanzgericht gewähren durfte.

Ob das Schreiben des Klägers an die OFD als (förmliche) Dienstaufsichtsbeschwerde gewertet werden kann, kann dahingestellt bleiben; für die Entscheidung des Senats ist insoweit allein erheblich, daß sich daraus kein Begehren um gerichtlichen Rechtsschutz erkennen läßt.

2. Das Schreiben vom 25. September 1971 ist von dem Kläger auch nicht ordnungsgemäß als Klage bei der zuständigen Stelle angebracht worden.

Eine Klage ist grundsätzlich bei dem Gericht zu erheben (§ 64 Abs. 1 FGO). Gemäß § 47 Absätze 2 und 3 FGO genügt es jedoch, wenn eine Klage bei den dort aufgeführten Behörden angebracht wird; in diesen Fällen hat die jeweilige Empfangsbehörde "die Klageschrift ... unverzüglich dem Gericht zu übersenden" (§ 47 Abs. 2 Satz 2 FGO). Die für die Anbringung einer Klage verfahrensrechtlich bedeutsamen Vorgänge und ihre wesentlichen Rechtsfolgen muß der um Rechtsschutz Nachsuchende in seine Willensbildung und -entscheidung aufgenommen haben. Eine Klage vor einem FG kann nur dann als ordnungsgemäß erhoben angesehen werden, wenn sie mit einem entsprechenden, erkennbaren Willen des (späteren) Klägers bei dem Gericht oder bei den in § 47 Absätze 2 und 3 FGO aufgeführten Behörden angebracht wird. Daran fehlt es im Streitfalle.

Die davon abweichende Auffassung des FG beruht auf einem Rechtsirrtum. Diese Auffassung läßt unberücksichtigt, daß es nach der gesetzlichen Regelung nicht Sache des FG ist, eine ordnungsgemäße Klageerhebung von sich aus und ohne eine entsprechende Willensäußerung des Steuerpflichtigen anzunehmen. Das Schreiben des Klägers vom 25. September 1971 ist der Behörde, die den maßgeblichen Verwaltungsakt erlassen hat und damit der Empfangsbehörde im Sinne des § 47 Abs. 2 FGO, ohne einen entsprechenden Willen und ohne Wissen des Klägers zugeleitet worden. Es ist dort nicht als Rechtsbehelf des Klägers, d. h. als dessen Begehren um gerichtlichen Rechtsschutz eingegangen, sondern als eine Eingabe, die - vom Absender eindeutig an die vorgesetzte Behörde gerichtet und von dieser - auf dem Dienstwege der untergeordneten Behörde zur Stellungnahme zugesandt worden ist. Dementsprechend hat das FA das Schreiben auch nicht als Klage angesehen und "... unverzüglich dem Gericht ..." zugehen (§ 47 Abs. 2 Satz 2 FGO) lassen, sondern mit seinem Bericht der vorgesetzten Dienststelle zurückgesandt. Die Mitteilung des FG an den Kläger, seine "Eingabe in der Grunderwerbsteuersache gegen das Finanzamt ..." werde "als Klage gegen den Grunderwerbsteuerbescheid ... geführt", kann eine ordnungsmäßige Klageerhebung nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht ersetzen.

II.

Die Klage, wie sie sich aus den Schreiben des Klägers vom 19. Mai und 12. Juni 1972 ergibt, war wegen Nichteinhaltung der Klagefrist abzuweisen.

Diese Schreiben, in denen der Kläger "eine gerichtliche Entscheidung" wünscht und fordert, "daß das FG diese Sache klärt", enthalten das Begehren um gerichtlichen Rechtsschutz durch das FG. Die damit zusammenhängenden, sich aus den Akten ergebenden Prozeßtatsachen hat der BFH - ausnahmsweise - auch als Revisionsgericht und ohne Revisionsrüge zu beachten, selbständig zu ermitteln und zu würdigen. Die Prüfung ergibt, daß die Klage verspätet erhoben und die Anfechtungsfrist des § 47 Abs. 1 FGO versäumt worden ist. Gründe, die wegen Versäumung dieser Frist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen könnten, liegen nicht vor; eine Wiedereinsetzung muß im übrigen schon an dem Ablauf der dafür gesetzlich festgelegten Fristen (vgl. § 56 Absätze 1 und 2 FGO) scheitern.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72610

BStBl II 1978, 70

BFHE 1978, 437

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