Leitsatz (amtlich)

1. Die Unterbringung des Kindes eines italienischen Gastarbeiters im Heimatland ist im Rahmen des § 33 a Abs. 2 Satz 3 EStG als zwangsläufig anzusehen, wenn das Kind im schulpflichtigen Alter steht und die Unterbringung erfolgt, um ihm den Besuch einer italienischen Volksschule zu ermöglichen.

2. Wird das Kind im Heimatland bei nahen Angehörigen untergebracht, muß der Steuerpflichtige darlegen und nachweisen, wodurch ihm im Verhältnis zu einer Unterbringung des Kindes in seinem Haushalt in Deutschland Mehraufwendungen entstanden sind.

 

Normenkette

EStG 1971 § 33a Abs. 2 S. 3

 

Tatbestand

Die verheirateten Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind italienische Staatsangehörige. Sie leben seit dem Jahr 1969 in Deutschland und sind beide berufstätig. Ein am 21. März 1964 geborener Sohn ist seit August des Streitjahres 1973 bei der Mutter des Klägers in Italien untergebracht und besucht dort die Schule. Mit ihrer Einkommensteuererklärung begehrten die Kläger zunächst, Unterstützungsleistungen von 756 DM an die Mutter der Klägerin als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Da Zahlungsbelege nur für einen Teilbetrag von 456 DM vorhanden waren, berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das FA) nur diesen Betrag. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das FG stellte nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung fest, daß den streitigen Betrag von 300 DM nicht die Mutter der Klägerin erhalten habe; das Geld sei vielmehr der Mutter des Klägers im August 1973 zum Unterhalt des jüngsten Sohnes mitgebracht worden; außerdem überwiesen die Kläger seither monatlich ca. 200 DM für Kost und Logis des Kindes. Das FG gab der Klage, mit der noch Umzugskosten und Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten geltend gemacht worden waren, deshalb teilweise statt und führte aus: Die Kläger könnten wegen der auswärtigen Unterbringung des jüngsten Sohnes zu Ausbildungszwekken den Freibetrag für auswärtige Unterbringung anteilig für fünf Monate in Höhe von 500 DM beanspruchen. Die auswärtige Unterbringung sei zwangsläufig erfolgt, da das Kind seine Muttersprache nur durch einen Schulbesuch in Italien in Wort und Schrift wirklich erlernen könne. Obwohl der Sohn bei der Großmutter untergebracht sei, erwüchsen den Klägern für seine Unterbringung Kosten von mindestens 1 200 DM jährlich (monatliche Überweisungen, Fahrtkosten u. a. ).

Mit der Revision beantragt das FA, das FG-Urteil aufzuheben und die Einspruchsentscheidung wiederherzustellen. Es trägt vor:

Entgegen der Auffassung des FG seien die Voraussetzungen für den Freibetrag für auswärtige Unterbringung nicht erfüllt, da den Klägern keine zusätzlichen Kosten für Unterkunft und Verpflegung entstanden seien. Die Unterbringung des Kindes in der Heimat bei den Großeltern erfordere nach der Lebenserfahrung keine höheren Aufwendungen, als sie die Eltern selbst hätten. Die Unterbringung sei nicht zwangsläufig, da die Berufsausbildung nicht der entscheidende Anlaß für die auswärtige Unterbringung sei. Bei Gastarbeiterkindern liege der Grund für die Unterbringung im Heimatland regelmäßig darin, daß die Kinder im Land ihrer Familie aufwachsen sollten, um die dortigen Eigenarten und Gepflogenheiten sowie die Lebensweise kennenzulernen. Hinzu komme, daß in vielen Fällen der Lebensunterhalt im Heimatland billiger bestritten werden könne. Nicht die Berufsausbildung, sondern diese persönlichen und privaten Gründe seien in erster Linie der Grund für die auswärtige Unterbringung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet und führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.

1. Das FG geht zutreffend davon aus, daß der Sohn der Kläger im Streitjahr zur Berufsausbildung auswärts untergebracht war. Zur Berufsausbildung i. S. des § 33 a Abs. 2 EStG 1971 gehört bereits der Besuch der Volksschule (vgl. Urteil des BFH vom 10. Februar 1961 VI 182/60 U, BFHE 72, 436, BStBl III 1961, 160). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Schulbesuch in Deutschland oder in einem anderen Land, im Streitfall in Italien, stattfindet. Die Erwägungen des Senats in der Entscheidung VI 182/60 U, daß der Volksschulbesuch als Anfang und damit als Teil einer sich anschließenden weiteren Berufsausbildung zu beurteilen ist, gelten in gleicher Weise für inländische und ausländische Volksschulen ohne Rücksicht auf etwa vorhandene Unterschiede bei Art und Umfang des vermittelten Lehrstoffs.

Entgegen der Auffassung des FA ist die auswärtige Unterbringung auch zwangsläufig erfolgt. Der Senat hat das Merkmal der Zwangsläufigkeit im Rahmen des § 33 a Abs. 2 EStG dann bejaht, wenn die Berufsausbildung der entscheidende Anlaß für die auswärtige Unterbringung ist und dafür vernünftige Gründe vorliegen (Urteil vom 26. Mai 1971 VI R 203/68, BFHE 102, 385, BStBl II 1971, 627). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Entschluß der Kläger, ihr Kind in einer Schule des Heimatlandes Italien unterrichten zu lassen, ist ein aus der Sache einleuchtender Grund für die auswärtige Unterbringung. Es ist das natürliche, im Grundgesetz garantierte Recht der Eltern, ihre Kinder zu erziehen und ihre Schul- und Berufsausbildung zu bestimmen (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG).

Die Kläger konnten ihren Wunsch, dem Kind die Schulausbildung in einer italienischen Schule zuteil werden zu lassen, am zweckmäßigsten durch eine Unterbringung des Kindes in Italien verwirklichen. Auch besteht zwischen dem Zeitpunkt der Unterbringung des Kindes und der Schulausbildung ein so enger zeitlicher Zusammenhang, daß angenommen werden kann, daß dieser Ausbildungszweck bei der Entscheidung der Kläger im Vordergrund gestanden hat. Das Kind der Kläger war bereits im schulpflichtigen Alter, als es bei der Großmutter in Italien untergebracht wurde, und konnte somit seine Schulausbildung alsbald nach der Ankunft in Italien beginnen bzw. fortsetzen. Unter diesen Umständen kann es dahinstehen, ob auch andere Gründe für die Unterbringung mitbestimmend waren.

2. Das Urteil des FG ist jedoch aufzuheben, weil das FG keine nachprüfbaren Feststellungen getroffen hat, ob den Klägern für die auswärtige Unterbringung Aufwendungen erwachsen sind. Der allgemeine Hinweis auf "monatliche Überweisungen, Fahrtkosten u. a." reicht hierfür nicht aus. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats steht einem Steuerpflichtigen bei auswärtiger Unterbringung eines Kindes, für das er einen Kinderfreibetrag erhält, der in § 33 a Abs. 2 Satz 3 EStG genannte Freibetrag von 1 200 DM jährlich in voller Höhe zu, sofern ihm durch die auswärtige Unterbringung überhaupt Aufwendungen erwachsen. Auf die tatsächliche Höhe der Aufwendungen kommt es dann nicht an (vgl. Urteil vom 26. Januar 1962 VI 41/61 U, BFHE 74, 499, BStBl III 1962, 187, und Urteil VI R 203/68). Zu berücksichtigen sind jedoch nur die durch die auswärtige Unterbringung veranlaßten Mehraufwendungen, da die normalen Aufwendungen, die durch den Unterhalt und die Berufsausbildung eines Kindes entstehen, bereits durch den Kinderfreibetrag (§ 32 Abs. 2 EStG) abgegolten werden. In Betracht kommen dabei insbesondere die Kosten der Unterbringung und Verpflegung sowie Fahrtkosten, erhöhte Wäschekosten und ähnliches (vgl. Urteil vom 10. Dezember 1965 VI 121/65 U, BFHE 84, 404, BStBl III 1966, 146, sowie Abschn. 39 b Abs. 7 LStR 1972). An diesen Grundsätzen hält der Senat fest. Soweit in den Entscheidungen vom 2. August 1968 VI R 15/68 (BFHE 93, 241, BStBl II 1968, 740) und vom 10. Juli 1970 VI R 41/68 (BFHE 100, 29, BStBl II 1970, 781) ausgeführt wurde, daß Kosten für wöchentliche Heimfahrten bzw. Besuchsfahrten keine Aufwendungen für die auswärtige Unterbringung seien, galt dies nur für die dort zu entscheidenden Sachverhalte. In beiden Fällen hatte der Dienst- bzw. Lehrherr nämlich die Kosten der Unterkunft und Verpflegung in vollem Umfang getragen. Dadurch war bei den Steuerpflichtigen eine erhebliche Haushaltsersparnis eingetreten. Diese überstieg die vorwiegend geltend gemachten Fahrtkosten, so daß die Steuerpflichtigen im wirtschaftlichen Ergebnis nicht belastet waren.

Bei einem selbständigen Aufenthalt des Kindes an einem auswärtigen Schul- oder Studienort spricht die Lebenserfahrung dafür, daß durch Internatskosten oder Zimmermiete und durch erhöhte Verpflegungskosten Mehraufwendungen entstehen. Im Fall der Unterbringung bei nahen Angehörigen ist dagegen oft davon auszugehen, daß für den Unterhalt des Kindes im wesentlichen der gleiche Aufwand entsteht wie bei der Unterbringung im Haushalt der Eltern, wenn das Kind in die vorhandene Wohnung aufgenommen ist und an der Verpflegung in der Familiengemeinschaft teilnimmt. Wenn die Eltern den Verwandten die ihnen entstehenden zusätzlichen Aufwendungen, insbesondere für Nahrungsmittel, erstatten, handelt es sich in der Regel um die im eigenen Haushalt ersparten, durch den Kinderfreibetrag abgegoltenen normalen Aufwendungen. In diesen Fällen kann auf eine Darlegung und den Nachweis, wodurch im einzelnen gegenüber der Unterbringung im Haushalt der Eltern Mehraufwendungen der Eltern für den Unterhalt ihrer Kinder entstanden sind, nicht verzichtet werden.

Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Der Streitfall wird nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zurückverwiesen, damit es die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen über die den Klägern erwachsenen Aufwendungen treffen kann. Das FG wird zu prüfen haben, ob die von den Klägern an die Großmutter geleisteten, für das Kind bestimmten Zahlungen über die eigene Haushaltsersparnis hinausgehen oder ob den Klägern sonstige zusätzliche Aufwendungen, z. B. durch Fahrt- oder Schulkosten, durch die auswärtige Unterbringung entstanden sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72208

BStBl II 1977, 240

BFHE 1977, 41

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