Entscheidungsstichwort (Thema)

Gleichzeitiger Konkurs aller Gesellschafter einer GbR; Haftung der Konkursmasse eines Gesellschafters einer GbR wegen Vorsteuerberichtigungsanspruchs gegen GbR

 

Leitsatz (NV)

1. Zum Haftungsanspruch gegen die Konkursmasse eines Gesellschafters einer GbR im Falle des "gleichzeitigen" Konkurses aller Gesellschafter der GbR, wenn nach der Konkurseröffnung ein Vorsteuerberichtigungsanspruch durch die Zwangsversteigerung des zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Grundstücks entstanden ist.

2. Zur Abhängigkeit des Haftungsanspruchs von dem Bestehen des Steueranspruchs gegen die GbR.

 

Normenkette

AO 1977 § 169 Abs. 2 Nr. 2, § 191 Abs. 5 Nr. 1; BGB §§ 133, 718 Abs. 1, § 719 Abs. 1, § 728; KO § 16 Abs. 1, § 58 Nr. 2, § 68

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Konkursverwalter über das Vermögen der ... KG, die 1981 als Kommanditgesellschaft im Handelsregister des Amtsgerichts A eingetragen wurde. Gesellschaftszweck der KG war es, Beteiligungen an Gesellschaften zu erwerben, die Eigentümerinnen von Immobilien sind, um in diesen Gesellschaften die Geschäftsführung zu übernehmen (§ 2 des Gesellschaftsvertrages).

Zu diesem Zweck erwarb die KG 99 v. H. der Gesellschaftsanteile an mehreren Objektgesellschaften, zu denen auch die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts ... (Objektgesellschaft) gehört. 1 v. H. der Gesellschaftsanteile der Objektgesellschaft hielt die ... GmbH mit Sitz in C.

§ 8 des Gesellschaftsvertrages der Objektgesellschaft lautet:

,Kündigt ein Gesellschafter oder ist über das Vermögen eines Gesellschafters das Konkursverfahren oder ein anderes der Schuldenregulierung dienendes Verfahren eröffnet oder die Eröffnung dieses Verfahrens mangels Masse abgelehnt worden, so scheidet der Gesellschafter, in dessen Person das Ereignis eingetreten ist, aus der Gesellschaft aus. Der ausscheidende Gesellschafter hat Anspruch auf Auszahlung eines Auseinandersetzungsguthabens. Das Auseinandersetzungsguthaben entspricht dem Wert seines Anteils am Vermögen der Gesellschaft in der auf den Tag des Ausscheidens zu erstellenden Auseinandersetzungsbilanz ... "

§ 9 des Gesellschaftsvertrages lautet:

,Im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters wird die Gesellschaft nicht aufgelöst, sondern unter den verbleibenden Gesellschaftern fortgeführt. Ist neben dem ausscheidenden Gesellschafter nur noch ein Gesellschafter vorhanden, so wächst das vorhandene Gesellschaftsvermögen dem verbleibenden Gesellschafter als Gesamtrechtsnachfolger an ... "

Die Objektgesellschaft schloß neben anderen Objektgesellschaften einen Darlehensvertrag mit der Bank B in Höhe von 80 Mio DM ab. Im Innenverhältnis entfallen rd. 12 Mio DM auf die Objektgesellschaft. Die Objektgesellschaft verpflichtete sich, an ihrer Immobilie eine Grundschuld in Höhe von 12 Mio DM für die B zu bestellen.

Die Objektgesellschaften vermieteten ihre Objekte an die ... VG. Im Jahre 1984 geriet die VG in Liquiditätsprobleme. Sie war nicht mehr in der Lage, die vereinbarten Mieten zu zahlen. Die Objektgesellschaften konnten deshalb ihren Verbindlichkeiten der B gegenüber nicht mehr nachkommen. Die B kündigte das Darlehen und beantragte die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der KG und der GmbH.

Das Amtsgericht A eröffnete im Oktober 1987 das Konkursverfahren über das Vermögen der KG und bestellte den Kläger zum Konkursverwalter. Über das Vermögen der GmbH eröffnete das Amtsgericht C wenige Tage später das Konkursverfahren und bestellte Rechtsanwalt R zum Konkursverwalter.

Mit einer 1988 zustande gekommenen Verwertungsabrede vereinbarten die beiden Konkursverwalter mit der B, die die Zwangsvollstreckung des Grundbesitzes der Objektgesellschaft betrieb, die Modalitäten der Zwangsversteigerung. In der Vereinbarung heißt es u. a.:

,Ob im Falle der Zwangsversteigerung die etwaigen Vorsteuerberichtigungsansprüche des Finanzamts als Massekosten anfallen, erscheint ungewiß. ...

Dies vorausgeschickt, vereinbarten die Parteien was folgt:

1. ...

2. Schuldrechtlich wird die B die Versteigerungserlöse mit ihren Darlehensforderungen verrechnen.

3. Die Konkursverwalter werden die Objekte nach rechtskräftiger Feststellung der Verkehrswerte freigeben, um das Entstehen von Massekosten auszuschließen."

Die beiden Konkursverwalter erklärten Anfang 1989 gegenüber den Komplementären der KG und den Geschäftsführern der GmbH die Freigabe der im Gesamthandseigentum der einzelnen Objektgesellschaften befindlichen Grundstücke.

Der Grundbesitz der Objektgesellschaft wurde am ... 1989 umsatzsteuerfrei zwangsversteigert.

Mit Haftungsbescheid vom ... 1991 nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) den Kläger als Konkursverwalter über das Vermögen der KG im Wege der Haftung gemäß § 191 der Abgabenordnung (AO 1977) für die Umsatzsteuerschuld der Objektgesellschaft in Anspruch. Die Inhaftungnahme bezog sich ausweislich des Haftungsbescheides "ausschließlich auf das o. a. Konkursverfahren (Amtsgericht A Az.: ... ) und die Konkursmasse der KG und hat ausschließlich die Geltendmachung des Haftungsanspruchs für die Umsatzsteuerforderung als Massekosten (§ 58 Nr. 2 der Konkursordnung) in dem Konkursverfahren zum Gegenstand". Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 1995, 545 veröffentlichten Gründen als unbegründet ab.

Hiergegen richtet sich die vom Kläger eingelegte Revision.

Damit rügt er u. a. die rechtsfehlerhafte Anwendung bzw. Nichtberücksichtigung bzw. Verkennung der §§ 58 Nr. 2, 64, 68, 16 Abs. 1; § 1 Abs. 1 der Konkursordnung (KO), des Inhalts des in § 114 KO zugrunde gelegten Freigaberechts des Konkursverwalters, §§ 191, 219 AO 1977 und der §§ 718, 719 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB); §§ 133, 241 BGB. Ferner rügt er die Nichtausschöpfung aller dem Gericht vorliegenden Beweismittel durch nur teilweise und damit inhaltlich verfälschende Bewertung der Verwertungsabrede vom ... 1988 sowie die fehlende Gewährung rechtlichen Gehörs in bezug auf den von den damaligen Vertragsparteien zugrunde gelegten Inhalt von Ziff. 3 der Verwertungsabrede.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Der Senat hält im Ergebnis die Rechtsausführungen der Vorinstanz für zutreffend. Die von der Revision gegen das Urteil des FG geltend gemachten Bedenken greifen nicht durch:

1. Der Kläger meint, das FG habe den Inhalt des Begriffs "Masse" in § 58 Nr. 2 KO verkannt und übersehen, daß § 58 Nr. 2 KO insoweit auf § 1 Abs. 1 KO Bezug nehme. Das Grundstück gehöre nicht zum Vermögen der KG, sondern sei nach § 718 Abs. 1, § 719 Abs. 1 BGB Gesellschaftsvermögen der Objektgesellschaft. Nach § 1 Abs. 1 KO könne es deshalb auch nicht in die Konkursmasse der KG gefallen sein, denn der Konkursbeschlag und die Verfügungsbeschränkung setzten eine dingliche Rechtsbeziehung zwischen Gemeinschuldner und Vermögensgegenstand voraus, die im Streitfall nicht gegeben sei. Bestätigt werde dies auch durch § 16 Abs. 1 KO, der u. a. für Gesamthandsgemeinschaften die ausdrückliche Regelung treffe, daß die Teilung oder sonstige Auseinandersetzung über das Vermögen außerhalb des Konkursverfahrens stattfinde. Außerdem sei die KG mit Eröffnung des Konkursverfahrens über ihr Vermögen nach dem Gesellschaftsvertrag aus der Objektgesellschaft ausgeschieden. Das Vermögen sei damit dem verbliebenen Gesellschafter -- der GmbH -- angewachsen (§ 9 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages) und könne schon deswegen nicht zum Vermögen der KG gehört haben.

a) Die Auffassung des Klägers, ein einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gehörendes Grundstück könne nicht in die Konkursmasse eines Gesellschafters fallen, ist zwar für den Regelfall zutreffend. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jedoch ausgeführt, daß es der wirklichen Rechtslage nicht gerecht werde, diese formale Betrachtungsweise auch auf den Ausnahmefall anzuwenden, daß gleichzeitig über das Vermögen sämtlicher Gesellschafter der GbR das Konkursverfahren eröffnet werde (BGH, Urteil vom 14. Februar 1957 VII ZR 250/56, BGHZ 23, 307). Hierauf stützt sich -- mit eingehender Begründung -- auch das FG, das einen solchen Ausnahmefall hier als gegeben ansieht. Der Senat folgt dieser Rechtsprechung des BGH (vgl. auch Kilger/Schmidt, Konkursordnung, 16. Aufl., § 1 Anm. 2 C b cc; Palandt/Thomas, Bürgerliches Gesetzbuch, 54. Aufl., § 728 Rz. 1; Ulmer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl., § 728 Rz. 3).

b) Die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der KG hat -- entgegen der Auffassung des Klägers -- nicht dazu geführt, daß die KG aus der Objektgesellschaft ausgeschieden ist.

Gemäß § 728 Satz 1 BGB wird die GbR zwar durch die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters aufgelöst. Nach § 728 Satz 2 i. V. m. § 727 Abs. 2 Satz 3 BGB gilt sie jedoch für die Abwicklung ihrer Geschäfte als fortbestehend -- Gesellschaft i. L. -- (Palandt/Thomas, a. a. O., § 730 Rz. 1). Über das Gesellschaftsvermögen findet gemäß § 730 Abs. 1 BGB die Auseinandersetzung unter den Gesellschaftern statt. Der Anteil an der Gesellschaft fällt in die Konkursmasse (BGHZ 23, 307, 314); das Mitwirkungsrecht des Gemeinschuldners als Gesellschafter wird durch den Konkursverwalter ausgeübt. Abweichend von der Regel des § 728 BGB können die Gesellschafter zwar im Gesellschaftsvertrag vereinbaren, daß der in Konkurs gefallene Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheidet und die Gesellschaft zwischen den verbliebenen Gesellschaftern fortgesetzt wird (§ 736 Abs. 1 BGB). Eine solche Vereinbarung enthält auch der Gesellschaftsvertrag für die Objektgesellschaft in seinen §§ 8 und 9.

Da, falls die KG aus der Objektgesellschaft ausscheiden würde, nur noch ein Gesellschafter vorhanden wäre, ist im Streitfall die Regelung in §§ 8 und 9 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages einschlägig, wonach in diesem Fall das vorhandene Gesellschaftsvermögen dem verbleibenden Gesellschafter als Gesamtrechtsnachfolger anwachsen würde. Das FG hat den Gesellschaftsvertrag dahin ausgelegt, daß diese Regelung im Streitfall nicht zum Zuge kommt. Der Senat ist gemäß § 118 Ab. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an diese Auslegung gebunden, weil der Kläger dagegen keine durchgreifenden Einwände geltend gemacht hat. Willenserklärungen, die ihren Niederschlag in dem Gesellschaftsvertrag gefunden haben, sind grundsätzlich Gegenstand der tatsächlichen Feststellungen durch das FG. Es hat als Tatsachengericht insbesondere zu ermitteln, welchen Inhalt der Vertrag objektiv hat und was die Vertragschließenden subjektiv mit dem Vertrag vereinbaren wollten. An die danach vom FG gefundene Auslegung des Gesellschaftsvertrages ist das Revisionsgericht deshalb grundsätzlich gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Eine Ausnahme von dieser Verbindlichkeit der Auslegung des Vertrages durch das FG für den Senat besteht nur, wenn das FG gegen die Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB), die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 118 Rz. 17 m. w. N.). Dafür, daß ein solcher Verstoß vorliegt, ergeben sich aber keine Anhaltspunkte. Der Umstand, daß das FG sich nicht strikt an den Wortlaut der §§ 8 und 9 des Gesellschaftsvertrages gehalten, sondern diesen nach Sinn und Zweck ausgelegt hat, widerspricht -- entgegen der Auffassung des Klägers -- nicht den §§ 133, 157 BGB. Vielmehr ist über den Wortsinn hinaus auch der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck und die bestehende Interessenlage für die Auslegung eines Vertrages heranzuziehen (Palandt/Heinrichs, a. a. O., § 133 Rz. 18). Dies gilt vor allem dann, wenn sich allein aus dem Wortlaut des Vertrages für den konkreten Fall keine sinnvolle Regelung ergibt.

Im übrigen kann der Zweck der Regelung, wonach im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters das vorhandene Gesellschaftsvermögen dem verbleibenden Gesellschafter als Gesamtrechtsnachfolger anwächst, sinnvollerweise nur darin bestehen, die Fortführung des Unternehmens beim Konkurs eines Gesellschafters zu ermöglichen. Dies ergibt sich deutlich aus § 9 Satz 1 des Gesellschaftsvertrages, der bestimmt, daß die Gesellschaft bei Ausscheiden eines Gesellschafters fortgeführt werden soll. War aber, wie im Streitfall, damit zu rechnen, daß im unmittelbaren Zusammenhang mit der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der KG auch das Konkursverfahren über das Vermögen der anderen Gesellschafterin -- der GmbH -- eröffnet und damit eine Weiterführung des Unternehmens durch sie nicht möglich sein würde, so hat die Bestimmung ihren Zweck verfehlt und kann nicht eingreifen. Der Senat hält es daher auch aus diesem Grunde für richtig, daß das FG im Streitfall nicht die vertragliche, sondern die gesetzliche Regelung des § 728 Satz 2, § 730 BGB angewendet hat, wonach die Objektgesellschaft als Liquidationsgesellschaft mit der KG als Gesellschafterin bis zur Beendigung der Auseinandersetzung fortbesteht.

2. Der Kläger rügt ferner, das FG habe zur Unzeit eine ergänzende Auslegung der §§ 8 und 9 des Gesellschaftsvertrages vorgenommen, ohne die möglichen Aufklärungschancen auszuschöpfen. Das FG habe gegen § 139 BGB (richtig wohl § 133 BGB) verstoßen, indem es nicht den wirklichen Willen der Vertragspartner erforscht, sondern den Vertrag teleologisch nach Sinn und Zweck ausgelegt habe. Soweit hierin die Rüge eines Verfahrensfehlers (Verletzung von § 76 FGO) liegt, ist sie nicht ausreichend begründet. Der Kläger hätte zumindest ausführen müssen, weshalb sich dem Gericht über den seiner Auslegung zugrunde gelegten Vertragstext hinaus eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auch ohne entsprechende Beweisanträge des Klägers hätte aufdrängen müssen, welche Beweise das Gericht im einzelnen hätte erheben sollen und weshalb das voraussichtliche Ergebnis der Beweiserhebung zu einer anderen Entscheidung in der Sache hätte führen können (vgl. z. B. Bundesfinanzhof -- BFH --, Beschluß vom 9. Juni 1993 II B 92/92, BFH/NV 1994, 184; Gräber/Ruban, a. a. O., § 120 Rz. 40).

Auch soweit den diesbezüglichen Ausführungen des Klägers die Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO) zu entnehmen sein sollte, weil das FG seine Auslegung des Vertrages nicht mit dem Kläger erörtert habe, ist sie unbeachtlich. Der Kläger hat nicht ausgeführt, was er über das bereits Bekannte hinaus vorgetragen hätte, wenn ihm insoweit rechtliches Gehör gewährt worden wäre (vgl. Gräber/Ruban, a. a. O., § 119 Rz. 13). Im übrigen war das FG aber auch nicht verpflichtet, mit dem Kläger im einzelnen die mögliche Auslegung des Gesellschaftsvertrages entgegen dessen Wortlaut zu erörtern und insoweit das Urteil vorwegzunehmen (vgl. Gräber/von Groll, a. a. O., § 96 Rz. 32; Gräber/Ruban, a. a. O., § 119 Rz. 10 a). Eine Überraschungsentscheidung liegt darin jedenfalls nicht, denn der Kläger mußte damit rechnen, daß das FG die in Betracht kommenden, anerkannten Methoden für die Auslegung des Gesellschaftsvertrages heranzog.

3. Entgegen der Auffassung des Klägers ist das Konkursverfahren "gleichzeitig" im Sinne der hier zugrunde gelegten BGH-Entscheidung (BGHZ 23, 307) über das Vermögen der beiden Gesellschafter der GbR eröffnet worden. Maßgebend für die Beurteilung, ob das Konkursverfahren "gleichzeitig" eröffnet wurde, ist nicht die strenge zeitliche, sondern die wirtschaftliche Betrachtungsweise. Wirtschaftlich steht die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der KG in unmittelbarem Zusammenhang mit der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der anderen Gesellschafterin -- der GmbH --. Der Antrag auf Eröffnung der Konkursverfahren über das Vermögen beider Gesellschafterinnen der Objektgesellschaft wurde zum selben Zeitpunkt und aus den gleichen Gründen gestellt. Die Verfahren wurden lediglich aus nicht im Bereich des Antragstellers oder der Gemeinschuldner liegenden Gründen zu unterschiedlichen Zeitpunkten eröffnet. Die Konkursverfahren sind daher wirtschaftlich als "gleichzeitig" eröffnet anzusehen.

4. Nach Auffassung des Klägers hat das FG verkannt, daß spätestens durch die gemeinsame Freigabeerklärung der Konkursverwalter gegenüber den GbR-Gesellschaftern vor den jeweiligen Zwangsversteigerungen jede irgend geartete Massezugehörigkeit -- wenn sie vorgelegen hätte -- entfallen sei. Das FG habe zum einen das Wesen der modifizierenden Freigabe verkannt und zum anderen bei seiner Sachverhaltswürdigung nicht berücksichtigt, daß der KG trotz (ungeachtet) der Freigabe keine wirtschaftlichen Vorteile aus "Massezugehörigkeit" der Immobilie verblieben seien. Fehlerhaft habe es aus Ziff. 3 der Verwertungsabrede vom ... 1988 darauf geschlossen, daß die Vertragsparteien "der Masse" einen derartigen wirtschaftlichen Vorteil zuweisen wollten; das FG habe Ziff. 5 der Abrede, die gerade Gegenteiliges vorsah, unberücksichtigt gelassen. Wiederum fehlerhaft und ohne die gebotene Sachverhaltsaufklärung habe es die Verwertungsabrede nur anhand der Regelung in Ziff. 3 teleologisch und falsch ausgelegt. Schließlich habe es dem Kläger keine hinreichende Möglichkeit geboten, die richtige Auslegung der Verwertungsabrede vom ... 1988 klarzustellen.

Die Ausführungen des Klägers geben keinen Anlaß zu Zweifeln daran, daß das FG im Streitfall zu Recht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH (BFH, Urteile vom 20. Juli 1978 V R 2/75, BFHE 126, 84, BStBl II 1978, 684; vom 4. Juni 1987 V R 57/79, BFHE 150, 379, BStBl II 1987, 741; vom 24. September 1987 V R 196/83, BFHE 151, 99, BStBl II 1987, 873; vom 12. Mai 1993 XI R 49/90, BFH/NV 1994, 274; Beschluß vom 13. Mai 1992 V B 9/92, BFH/NV 1992, 846) zu dem Ergebnis gekommen ist, daß die Freigabe erklärung der Konkursverwalter nur eine "modifizierte Freigabe" bewirkt hat.

Eine "echte" Freigabe an die Gemeinschuldner (KG und GmbH) würde nämlich voraussetzen, daß den Gemeinschuldnern das Grundstück zur freien Verfügung überlassen worden wäre (BFH, Urteil in BFH/NV 1994, 274). Diese Voraussetzung ist jedenfalls deshalb nicht erfüllt, weil das Grundstück zum Vermögen der Objektgesellschaft i. L. gehörte und schon deswegen eine freie Verfügung der Gemeinschuldner darüber trotz der Freigabeerklärung der Konkursverwalter nicht möglich war. Denn der Anteil der Gemeinschuldner an der Objektgesellschaft i. L. und die Tatsache, daß auch dieser zur Konkursmasse gehörte, wurde durch die Freigabeerklärung der Konkursverwalter, die sich nur auf die Zugehörigkeit des Grundstücks zur Konkursmasse der Gesellschafterinnen (KG und GmbH), nicht aber auf das Anteilsrecht an der GbR bezog, nicht berührt. Da die Gemeinschuldner wegen der Konkursbefangenheit ihres Anteils an der GbR nicht selbst die Geschäftsführung wahrnehmen konnten, sondern ihr Mitwirkungsrecht nach § 730 Abs. 2 Satz 2 letzter Halbsatz BGB durch die Konkursverwalter wahrgenommen wurde (Palandt/Thomas, a. a. O., § 730 Rz. 2), konnten sie trotz der Freigabeerklärung nicht frei über das Grundstück verfügen.

Im übrigen hat die "Freigabe" auch nicht verhindert, daß der wirtschaftliche Wert des auf Antrag der B zwangsversteigerten Grundstücks der Konkursmasse der KG anteilig zugeflossen ist. Es mag sein, daß der Kläger dies gemeinsam mit dem Konkursverwalter der anderen Gesellschafterin durch die mit der B getroffene Verwertungsabrede verhindern wollte. Dies ist ihm jedoch nicht gelungen.

Aus der Verwertungsabrede ergibt sich, wie das FG festgestellt hat, daß die B ihre Darlehensforderung gegenüber der Objektgesellschaft mit den Versteigerungserlösen verrechnen sollte. Darüber hinaus hat das FG der Verwertungsabrede nichts entnommen. Es hat ihr insbesondere entgegen der Auffassung des Klägers nicht entnommen, daß der Verwertungserlös die Höhe der Konkursforderung der B gegenüber der Konkursmasse der Gesellschafter beeinflußt, sondern rechtlich zutreffend ausgeführt, daß der Zwangsversteigerungserlös der Konkursmasse der KG deswegen zugute komme, weil durch die Anrechnung des Verwertungserlöses auf die Darlehensforderung das Vermögen der GbR und damit auch das zur Konkursmasse der KG gehörige Auseinandersetzungsguthaben in dieser Höhe von der Darlehensforderung der B befreit wurde. Es erübrigt sich daher, auf die Rügen des Klägers hinsichtlich der Auslegung der Verwertungsabrede einzugehen.

Selbst wenn, wie der Kläger meint und in Ziff. 5 der Verwertungsabrede zum Ausdruck gebracht worden ist, im Streitfall § 68 KO mit der Folge anwendbar wäre, daß die B ihre Darlehensforderung trotz deren teilweiser Befriedigung durch den Verwertungserlös für das zwangsversteigerte Grundstück im Konkursverfahren der KG in voller Höhe als Konkursforderung geltend machen könnte, wäre der Verwertungserlös für das Grundstück im Konkursverfahren der KG doch insoweit zu berücksichtigen, als die Konkursdividende zusammen mit dem Verwertungserlös die Darlehensforderung nicht übersteigen darf; gegebenenfalls müßte die Konkursdividende entsprechend gekürzt werden (vgl. Kilger/Schmidt, a. a. O., § 68 Anm. 6). Die Anrechnung des Verwertungserlöses auf die Darlehensforderung gegen die Objektgesellschaft i. L. käme daher im Ergebnis auch aus diesem Grunde der Konkursmasse der KG zugute. Der Kläger macht zwar geltend, daß diese Überlegung im Streitfall nicht zum Zuge käme, weil unter Berücksichtigung des erlangten Verwertungserlöses und der möglichen Konkursdividende keine vollständige Befriedigung der B eintreten werde, sie also die quotale Beteiligung an der Masse auf der Basis ihrer ursprünglich bei Konkurseröffnung bestehenden Forderung verlangen könne. Darauf kommt es jedoch für die Frage, ob eine modifizierte Freigabe vorliegt, nicht an; es muß ausreichen, daß überhaupt die rechtliche Möglichkeit einer Berücksichtigung des Verwertungserlöses im Konkursverfahren der KG besteht, unabhängig davon, ob dies im Einzelfall tatsächlich finanzielle Auswirkungen hat. Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Es kann sich auch deshalb bei der "Freigabe" im Streitfall allenfalls um eine modifizierte Freigabe aus der Konkursmasse der KG im Sinne der o. a. Rechtsprechung des BFH handeln.

5. Der Senat vermag dem Kläger auch nicht darin zu folgen, daß ein Haftungsanspruch für die Steuerschulden der Objektgesellschaft i. L. nicht den Massekosten der KG zuzurechnen sei, weil Haftungsverbindlichkeiten ihrem Wesen nach das Einstehen für die Schuld eines Dritten bedeute und dies gerade nicht dem Wesen der Massekosten gemäß § 58 Nr. 2 KO entspreche. Es kann dahinstehen, ob grundsätzlich auch Haftungsansprüche wegen Steuerschulden der GbR (Objektgesellschaft) gegen die Konkursmasse des Gesellschafters (KG) als Massekosten nach § 58 Nr. 2 KO geltend gemacht werden können. Im Streitfall gehörte das Grundstück, wegen dessen Verwertung der Steueranspruch nach den Feststellungen des FG nach Konkurseröffnung gegen die Objektgesellschaft i. L. entstanden war, jedoch (ursprünglich) -- wie oben (1. a) ausgeführt -- zur Konkursmasse der KG und war daraus durch den Kläger nur "modifiziert" freigegeben worden (s. 4.). Deshalb ist der nach der Konkurseröffnung im Zusammenhang mit der Verwertung des Grundstücks entstandene Umsatzsteueranspruch gegen die Konkursmasse der KG den Massekosten i. S. des § 58 Nr. 2 KO zuzurechnen. Das FG hat zutreffend ausgeführt, daß es hierfür keine Rolle spielt, ob der Anspruch steuerrechtlich mit einem Steuerbescheid oder einem Haftungsbescheid durchzusetzen ist. Unerheblich ist auch, daß der Anspruch nicht durch eine Amtstätigkeit des Konkursverwalters, sondern durch die von der B betriebene Zwangsversteigerung des Grundstücks ausgelöst worden ist. Der Wortlaut des § 58 KO gibt -- wie der V. Senat des BFH (Urteile vom 6. Juni 1991 V R 115/87, BFHE 165, 113, BStBl II 1991, 817; vom 24. Juni 1992 V R 130/89, BFH/NV 1993, 201; vgl. auch Urteil in BFHE 126, 84, BStBl II 1978, 684, 685) ausgeführt hat -- nichts dafür her, daß Massekosten i. S. von § 58 Nr. 2 KO nur solche Ausgaben sind, die durch die Amtstätigkeit des Konkursverwalters ausgelöst werden.

6. Schließlich ist der Haftungsbescheid auch nicht -- wie der Kläger meint -- deswegen rechtswidrig, weil gegen den Steuerschuldner kein wirksamer Steuerbescheid ergangen ist und ersichtlich auch nicht mehr ergehen soll oder wegen Verjährung nicht mehr ergehen kann.

a) Die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners setzt nicht voraus, daß die Steuerschuld gegen den "Erstschuldner" (wirksam) festgesetzt wurde (vgl. BFH, Urteile vom 28. Februar 1973 II R 57/71, BFHE 109, 164, BStBl II 1973, 573; vom 1. Dezember 1987 VII R 206/85, BFH/NV 1988, 477; sowie Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Februar 1987 8 C 25.85, BStBl II 1987, 475, 477; Tipke/Kruse, Abgabenordnung- Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 191 AO 1977 Rz. 3 b).

b) Der Haftungsanspruch ist auch nicht durch ein etwaiges Erlöschen des zugrundeliegenden Steueranspruchs durch Verjährung (§ 47 AO 1977) gegenstandslos geworden.

aa) Zwar kann ein Haftungsanspruch wegen der Akzessorietät der Haftung grundsätzlich nicht mehr geltend gemacht werden, wenn der zugrundeliegende Steueranspruch verjährt ist (§ 191 Abs. 5 Nr. 1 AO 1977). Da der Haftungsschuldner für fremde Schuld einzustehen hat, setzt seine Inanspruchnahme voraus, daß der Primäranspruch bei Erlaß des Haftungsbescheides noch besteht (BFH, Urteile vom 17. Oktober 1980 VI R 136/77, BFHE 131, 449, BStBl II 1981, 138, 140; vom 5. November 1992 I R 41/92, BFHE 170, 204, BStBl II 1993, 407; Beschluß vom 24. Januar 1989 VII B 188/88, BFHE 155, 497, BStBl II 1989, 315). Dies war am ... 1991 zum Zeitpunkt, an dem der Haftungsbescheid erging, der Fall, weil die nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 geltende vierjährige Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuerschulden des Jahres 1988 in diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war.

bb) Unbeachtlich ist, ob der Steueranspruch nach Erlaß des Haftungsbescheides verjährt ist. Darauf kommt es nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 191 Abs. 5 Nr. 1 AO 1977 nicht an, weil nach dieser Vorschrift die Verjährung des Steueranspruchs nur den Erlaß eines Haftungsbescheides hindert, nicht aber die Rechtmäßigkeit des innerhalb der Festsetzungsfrist für den Steueranspruch erlassenen Haftungsbescheides berührt (vgl. BFH, Urteil in BFHE 170, 204, BStBl II 1993, 407, 409 f.; Koch/Halacinsky, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 191 Rz. 10).

 

Fundstellen

Haufe-Index 421082

BFH/NV 1996, 379

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