Leitsatz (amtlich)

Verpflichtungen aus einer Gratifikation, die an die Arbeitnehmer nach Ablauf mehrerer Jahre und unter der Voraussetzung weiterer Betriebszugehörigkeit auszuzahlen ist, müssen vom Arbeitgeber durch eine Rückstellung berücksichtigt werden. Von dem zugesagten Betrag ist ein Abschlag für die Fluktuation und für einen Zinsanteil zu machen.

 

Normenkette

EStG § 6 Abs. 1 Nr. 3; AktG § 156 Abs. 2-4

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) sagte ihren Arbeitnehmern zu Weihnachten 1974 eine einmalige Tantieme in einer Gesamthöhe von 100 000 DM zu. Nach dem Inhalt der allen Arbeitnehmern schriftlich erteilten Einzelzusagen sollte die Vergütung als zusätzliche Honorierung und besondere Anerkennung gezahlt werden. Die Höhe der Tantieme richtete sich nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit und der Höhe des durchschnittlichen Monatsverdienstes im Streitjahr 1974. Die Tantieme sollte am 31. Dezember 1981 ausgezahlt werden. Frühere Zahlungen waren für den Fall der Invalidität oder des Todes des Arbeitnehmers vorgesehen. Kündigte der Arbeitnehmer vor dem Fälligkeitsdatum das Arbeitsverhältnis oder wurde ihm aus wichtigem Grund seitens der Klägerin gekündigt, sollte die Verpflichtung wegfallen. Die Klägerin stellte in der Schlußbilanz für das Streitjahr die Tantiemezusage als sonstige Verbindlichkeit gewinnmindernd mit einem Betrag von 100 000 DM ein.

Im Anschluß an eine Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) die Ansicht, daß die Zusage mit einem abgezinsten und die Fluktuation der Belegschaft berücksichtigenden Betrag anzusetzen sei. Das FA schätzte den Fluktuationsabschlag auf 10 v. H. des Nennbetrages und ließ in seiner Einspruchsentscheidung einen gewinnmindernden Bilanzposten von 62 756 DM zu.

Die Klage hatte Erfolg; nach der Meinung des Finanzgerichts (FG) war der Tantiemebetrag ungeschmälert zu passivieren.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage; das FA hat die Verpflichtung der Klägerin zutreffend bewertet.

1. Die Klägerin mußte für die ihren Arbeitnehmern zugesagten Leistungen eine Rückstellung bilden.

a) Die von der Klägerin freiwillig übernommene und arbeitsrechtlich als Gratifikation zu betrachtende Verpflichtung sollte nach ihrer Gestaltung ein Entgelt für die in der Vergangenheit gezeigte Betriebstreue, für die im Streitjahr erbrachte Arbeitsleistung, aber auch für künftig erwartete Betriebstreue sein. Das wird von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung als Inhalt solcher Zusagen angesehen (Urteile des Bundesarbeitsgerichts -- BAG -- vom 27. Oktober 1978 5 AZR 139/77, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts -- Arbeitsrechtliche Praxis -- AP --, § 611 BGB, Gratifikation Nr. 96, Der Betrieb -- DB -- 1979, 506; vom 13. September 1974 5 AZR 48/74, AP, § 611 BGB, Gratifikation Nr. 84, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1975, 278, DB 1974, 2483). Für eine solche Gratifikation kann, wie im Streitfall geschehen, auch eine Jahresabschlußvergütung verwendet werden (BAG-Urteil vom 21. Februar 1974 5 AZR 302/73, AP, § 611 BGB, Gratifikation Nr. 81, DB 1974, 1169, m. w. N.).

b) Diesem rechtlichen Inhalt der Gratifikation ist bei der Bilanzierung der übernommenen Verpflichtung Rechnung zu tragen. Ob die versprochenen Leistungen Aufwand im Jahr der Zusage oder in den Jahren bis zur Auszahlung bilden, hängt davon ab, ob sie in der Hauptsache ein zurückliegendes oder ein künftiges Verhalten des Arbeitnehmers abgelten sollen; das hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 18. März 1965 IV 116/64 U (BFHE 82, 119, BStBl III 1965, 289) ausgeführt.

Die Beteiligten sind übereinstimmend davon ausgegangen, daß die übernommene Verpflichtung bereits als Aufwand im Zusagejahr zu berücksichtigen ist, auch wenn sie über den Wert dieser Verpflichtung streiten. Das ist vertretbar, weil die Gratifikation nach dem erreichten Arbeitslohn und der Dauer der Betriebszugehörigkeit, also nach Merkmalen der Vergangenheit errechnet wurde, die Auszahlung allerdings von der Betriebstreue in der Zukunft abhing; da es für eine Aufteilung der zugesagten Leistung keine hinreichenden Anhaltspunkte gibt, mußte sie bereits im Streitjahr erfolgsmindernd passiviert werden.

c) Dies hatte mit Hilfe einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu geschehen (§ 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --, § 152 Abs. 7 Satz 1 des Aktiengesetzes -- AktG --), weil der Umfang der zu erbringenden Leistungen im Abschlußzeitpunkt nicht feststand, sondern insbesondere vom Kündigungsverhalten der Arbeitnehmer abhing. Die Verbindlichkeit war jedoch -- anders als im Falle des BFH-Urteils vom 18. Juni 1980 I R 72/76 (BFHE 131, 303, BStBl II 1980, 741) -- bereits in der Vergangenheit verursacht, weil die Voraussetzungen für die Gratifikation im wesentlichen schon im Streitjahr eingetreten waren (vgl. BFH-Urteil vom 20. März 1980 IV R 89/79, BFHE 130, 165, BStBl II 1980, 297).

2. Die Rückstellung kann nicht mit dem Nennwert der zugesagten Zahlungen bewertet werden.

a) Nach § 156 Abs. 4 AktG ist für eine Rückstellung der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendige Betrag anzusetzen. Steuerrechtlich gelten für die Bewertung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten die allgemeinen Grundsätze für die Bewertung von Verbindlichkeiten (BFH-Urteile vom 19. Januar 1972 I 114/65, BFHE 104, 422, BStBl II 1972, 392; vom 19. Februar 1975 I R 28/73, BFHE 115, 218, BStBl II 1975, 480). Das gilt auch im Streitfall.

Die Sonderregelung des § 6 a EStG über die Bewertung von Pensionsrückstellungen kommt nicht zur Anwendung, obwohl die zugesagten Gratifikationen vorfristig bei Invalidität oder Tod des Arbeitnehmers auszuzahlen waren. Diese Regelung erklärt sich daraus, daß die Gratifikationen auch einen Anreiz für die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses bis zum Zahlungszeitpunkt sein sollten, dieses Ziel aber im Falle des Todes oder der Invalidität des Arbeitnehmers gegenstandslos wurde. Eine Versorgungsregelung liegt in der Zusage nicht.

b) Bei der Bewertung der Rückstellung ist deshalb wie bei der Bewertung von Verbindlichkeiten gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG, § 156 Abs. 2 AktG von dem zur Erfüllung der Verpflichtung erforderlichen Geldbetrag auszugehen (Urteile in BFHE 104, 422, BStBl II 1972, 392; BFHE 115, 218, BStBl II 1975, 480).

Dabei kann nicht unbeachtet bleiben, daß die Klägerin die Gratifikation an solche Arbeitnehmer nicht leisten würde, die vor dem 31. Dezember 1981 das Arbeitsverhältnis aus eigenem Entschluß kündigten oder denen seitens der Klägerin aus wichtigem Grunde gekündigt wurde. Eine solche Beschränkung hat die Rechtsprechung bei einer vom Arbeitgeber freiwillig gewährten Gratifikation grundsätzlich zugelassen (BAG-Urteile vom 25. Februar 1974 5 AZR 225/73, AP, § 611 BGB, Gratifikation Nr. 80, DB 1974, 1341; vom 26. Juni 1975 5 AZR 412/74, AP, § 611 BGB, Gratifikation Nr. 86, DB 1975, 2089); die Klägerin brauchte deswegen nicht mit einer Inanspruchnahme durch die ausgeschiedenen Arbeitnehmer zu rechnen.

Diesem Umstand ist mittels eines Fluktuationsabschlags vom Nennbetrag der zugesagten Zahlungen Rechnung zu tragen; davon ist schon das BFH-Urteil vom 3. Juli 1964 VI 262/63 U (BFHE 81, 225, BStBl III 1965, 83) ausgegangen. Bei der Bemessung dieses Abschlags sind alle betrieblichen Eigenheiten zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 13. November 1975 IV R 170/73, BFHE 117, 367, BStBl II 1976, 142). Das FA hat 10 v. H. vom Nennbetrag der Leistungen abgezogen. Das ist nicht zu beanstanden, da nach dem unwidersprochenen Vortrag des FA die Klägerin die ausgewiesene Verbindlichkeit im Hinblick auf das Ausscheiden von Arbeitnehmern bereits bis zum 31. Dezember 1978 um 16 530 DM ermäßigt hat; daß es sich dabei um eine am 31. Dezember 1974 nicht vorhersehbare Entwicklung handelte, ist nicht vorgetragen.

c) Ebensowenig ist zu beanstanden, daß das FA im Hinblick auf die Zinslosigkeit der Verpflichtung den im Streitjahr zurückzustellenden Betrag weiter vermindert hat.

In der Vergangenheit sind Rückstellungen wie Verbindlichkeiten nach dem Betrag bemessen worden, den der Schuldner zu seiner Verfügung erhalten hatte. In Fällen, in denen der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern für erbrachte Leistungen seinerseits erst in Zukunft zu erbringende Zahlungen zugesagt hatte, ist angenommen worden, daß der Verfügungsbetrag dem Wert der Arbeitsleistung entspreche und mit dem Barwert des Zahlungsversprechens übereinstimme (BFH-Urteil vom 12. März 1964 IV 456/61 U, BFHE 80, 138, BStBl III 1964, 525); dabei mußte sich die Rückstellung im Zeitablauf mit zunehmendem Barwert zu Lasten des Gewinns erhöhen, bis sie schließlich den Erfüllungsbetrag erreichte.

§ 156 Abs. 2 und 3 AktG 1965 sieht demgegenüber vor, daß Geldschulden von vornherein mit dem Rückzahlungsbetrag (Erfüllungsbetrag) angesetzt werden und daß die Differenz gegenüber einem niedrigeren Ausgabebetrag (Verfügungsbetrag) als Rechnungsabgrenzungsposten aktiviert werden darf und in diesem Fall erfolgsmindernd abzuschreiben ist. An diese Regelung hat die neuere Rechtsprechung zur Bewertung von Verbindlichkeiten angeknüpft (BFH-Urteile vom 4. März 1976 IV R 78/72, BFHE 121, 318, BStBl II 1977, 380; vom 19. Januar 1978 IV R 153/72, BFHE 124, 320, BStBl II 1978, 262; vom 31. Januar 1980 IV R 126/76, BFHE 130, 372, BStBl II 1980, 491).

Danach ist entscheidend, ob im Erfüllungsbetrag Zinsen enthalten sind, die in der beschriebenen Weise über die Laufzeit der Verbindlichkeit verteilt werden müßten (vgl. BFH-Urteil vom 25. Februar 1975 VIII R 19/70, BFHE 115, 514, BStBl II 1975, 647). Es ist angenommen worden, daß eine aus Anschaffungsgeschäften herrührende Verbindlichkeit, die erst nach geraumer Zeit oder in Raten zu tilgen ist, auch ohne besondere Absprache einen Zinsbetrag enthält (BFH-Urteile vom 25. Juni 1974 VIII R 163/71, BFHE 114, 463, BStBl II 1975, 431; BFHE 115, 514, BStBl II 1975, 647; vom 21. Oktober 1980 VIII R 190/78, BFHE 132, 38, BStBl II 1981, 160). Diese Überlegungen gelten auch, wenn Zahlungen für erhaltene Arbeitsleistungen erst nach geraumer Zeit zu erbringen sind. Es ist davon auszugehen, daß der Arbeitgeber bei alsbaldiger Auszahlung einen geringeren Betrag entrichtet hätte, daß die erst später zu zahlende Summe bei wirtschaftlicher Betrachtung also einen Zinsanteil enthält (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 6 EStG Anm. 1156; Hüttemann, Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung für Verbindlichkeiten, 2. Aufl., 1976 S. 111 f.).

Von diesen Erwägungen ist auch bei der Bemessung von Rückstellungen für zugesagte Gratifikationen auszugehen. Auch hierbei ist im Falle längeren Zahlungsaufschubs ein Zinsanteil zu berücksichtigen (Eifler, Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung für Rückstellungen, 1976 S. 120). Dabei kann offenbleiben, ob die Rückstellung in Anlehnung an § 156 Abs. 3 AktG den geschätzten Erfüllungsbetrag wiedergeben muß und der Zinsbetrag aktiv abzugrenzen ist oder ob der Rückstellungsbetrag im Zeitablauf auf den Erfüllungsbetrag zu erhöhen ist; unterschiedliche Gewinnauswirkungen ergeben sich daraus im Streitjahr nicht.

Der Senat setzt sich mit dieser Auffassung nicht in Gegensatz zu den BFH-Urteilen vom 27. November 1968 I 162/64 (BFHE 94, 383, BStBl II 1969, 247) und in BFHE 115, 218, BStBl II 1975, 480. Darin ist die Berücksichtigung von Zwischenzinsen bei der jährlichen Zuführung von geschätzten Beträgen zu einer Rückstellung für spätere Sachleistungen abgelehnt worden; wie bei einer Rückstellung für Geldleistungen verfahren werden soll, ist jedoch insbesondere im Urteil in BFHE 94, 383, BStBl II 1969, 247 offengelassen worden.

Auch auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung bewendet es damit beim Ergebnis der Urteile in BFHE 80, 138, BStBl III 1964, 525, und in BFHE 81, 225, BStBl III 1965, 83, die das FA seiner Berechnung zugrunde gelegt hat. Es ist dabei von einem Zinssatz von 5,5 v. H., nicht aber vom marktüblichen höheren Zinssatz am Bilanzstichtag ausgegangen; da sich bei Anlegung des marktüblichen Zinses eine geringere Rückstellung und Gewinnminderung ergeben hätte, die Klägerin aber das Gegenteil erstrebt, kann dahinstehen, ob dieses Verfahren sachgerecht ist (vgl. dazu BFHE 130, 372, BStBl II 1980, 491). Für drei Arbeitnehmer hat das FA eine geringere Abzinsung angenommen, weil sie vor dem vorgesehenen Auszahlungstermin in den Ruhestand treten und damit die Gratifikation erhalten würden; auch das ist nicht zu beanstanden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74757

BStBl II 1983, 753

BFHE 1984, 154

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