Leitsatz (amtlich)

Die Stundung von Einkommensteuervorauszahlungen kann nicht verlangt werden, wenn zur Begründung des Stundungsantrags lediglich vorgebracht wird, dem Steuerpflichtigen stehe ein --vom FA bisher nicht anerkannter-- Vorsteuerüberschuß zu.

 

Orientierungssatz

1. Die Stundung als Art der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes setzt einen entsprechenden Antrag in einem Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung und Einwendungen gegen die Bemessungsgrundlagen der Einkommensteuervorauszahlungen voraus. Als Billigkeitsmaßnahme wegen einer bevorstehenden Steuererstattung kommt die Stundung dann in Betracht, wenn der Gegenanspruch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit besteht und in absehbarer Zeit fällig wird. Das ist dann nicht der Fall, wenn das FA den Vorsteuerabzug ablehnt und die für den Sachverhalt maßgeblichen Rechtsfragen höchstrichterlich noch nicht geklärt sind (vgl. BFH-Rechtsprechung, auch zur Stundung als Ermessensentscheidung).

2. Wird die Festsetzung einer negativen Umsatzsteuerschuld vom FA abgelehnt, ist als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes gegen diesen Bescheid nur ein Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung in bezug auf das Umsatzsteuerschuldverhältnis gegeben (vgl. BFH-Beschluß vom 1.4.1983 V B 37/81).

 

Normenkette

AO 1977 § 222; FGO § 114

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hat in seiner Umsatzsteuervoranmeldung für die Monate Februar bis Juli 1979 einen Vorsteuerüberschuß in Höhe von 59 851,60 DM berechnet. Dieser Steuerberechnung lag die Annahme des Klägers zugrunde, er könne die ihm beim Bau eines Fünffamilienhauses in Rechnung gestellten Umsatzsteuern als nach § 15 Abs.1 Nr.1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) abziehbare Vorsteuerbeträge in Ansatz bringen, da er gemäß § 9 UStG auf die Steuerbefreiung für die Umsätze aus der Vermietung des Gebäudes an einen Zwischenmieter verzichtet hatte. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte dieser Auffassung nicht, sondern setzte im Anschluß an eine Umsatzsteuerprüfung die Umsatzsteuervorauszahlung für die Monate Februar bis Juli 1979 einheitlich auf 0 DM fest. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist.

Mit Schreiben vom 24.November 1979 und vom 6.März 1980 beantragte der Kläger,

die Einkommensteuer 1976 in Höhe von 1 342 DM,

die Einkommensteuervorauszahlung III/1979 in Höhe von 5 500 DM,

die Einkommensteuervorauszahlung IV/1979 in Höhe von 5 500 DM

und die Einkommensteuervorauszahlung I/1980 in Höhe von 4 866 DM

bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Umsatzsteuerrechtsstreits zinslos zu stunden.

Das FA gewährte dem Kläger die beantragte Stundung "bis zur Erledigung des Rechtsbehelfs gegen die Umsatzsteuerfestsetzung ..., längstens bis 30.6.1980". Den Antrag des Klägers vom 13.Juni 1980, ihm die oben genannten Einkommensteuervorauszahlungsbeträge über den 30.Juni 1980 hinaus sowie zusätzlich die Einkommensteuervorauszahlungen II und III/1980 in Höhe von je 4 820 DM bis zur Entscheidung des Umsatzsteuerrechtsstreits zinslos zu stunden, lehnte das FA dagegen ab.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion (OFD) zurück.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob die Beschwerdeentscheidung der OFD und die Ablehnungsverfügung des FA auf und verurteilte das FA, "über den Stundungsantrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden". Zur Begründung führte das FG aus, die Finanzbehörden hätten bei ihren Entscheidungen über das Stundungsbegehren die Grenzen des Ermessens verkannt. Sie hätten die Reichweite ihres Ermessens irrtümlich als zu gering beurteilt. Entgegen den Ausführungen in der Beschwerdeentscheidung treffe es nicht zu, daß gegen die im angefochtenen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid enthaltene Weigerung, eine negative Steuerschuld festzusetzen, im Stundungsverfahren kein vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden könne. Vorläufiger Rechtsschutz könne verfahrensmäßig nicht nur durch einen Antrag an das Gericht auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (§ 114 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) erreicht werden. Vielmehr müsse die Finanzbehörde einer Verpflichtung, zu deren Erfüllung sie gerichtlich angehalten werden könne, schon von sich aus nachkommen. Die hieraus sich ergebende Pflicht des FA zur Prüfung, ob einem Steuerpflichtigen vorläufiger Rechtsschutz "durch einstweilige Stundung" zu gewähren ist, könne auch im normalen Stundungsverfahren erfüllt werden. Im vorliegenden Fall habe der Kläger mit seinem Stundungsantrag "nichts anderes als vorläufigen Rechtsschutz in bezug auf die verweigerte Festsetzung einer negativen Steuerschuld im angefochtenen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid" begehrt. Deshalb hätte die Finanzverwaltung das Stundungsbegehren des Klägers auch im Hinblick auf diesen von ihm begehrten vorläufigen Rechtsschutz prüfen müssen. - Im übrigen sei die Auffassung der Finanzverwaltung unzutreffend, daß eine Stundung nur dann in Betracht komme, wenn mit der Erstattung einer Steuer derselben Steuerart aller Voraussicht nach zu rechnen sei oder wenn der Steuergläubiger dem Steuerschuldner eine andere Geldleistung in Höhe der Steuerforderung schulde, zu deren Zahlung der Steuergläubiger mit größter Wahrscheinlichkeit verpflichtet sein werde.

Gegen das Urteil des FG legte das FA Revision ein, die das FG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen hatte. Das FA rügt die Verletzung von Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977) und der FGO.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Es haben weder die Voraussetzungen für eine Stundung als Maßnahme des vorläufigen Rechtsschutzes vorgelegen noch war es unter den gegebenen Umständen als ermessenswidrig anzusehen, daß die Finanzbehörden eine Stundung als Billigkeitsmaßnahme abgelehnt haben.

1. Daß eine Stundung unter gewissen Voraussetzungen als eine mögliche Maßnahme zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes anzusehen ist, hat der Bundesfinanzhof (BFH) mehrfach ausgesprochen (Beschlüsse vom 10.April 1975 I B 7/75, BFHE 116, 83, BStBl II 1975, 778; vom 22.September 1976 I B 21/76, Der Betrieb --DB-- 1977, 478, und vom 12.April 1984 VIII B 115/82, BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492). Es hat sich dabei um Fälle gehandelt, in denen vorläufiger Rechtsschutz gegen die Ablehnung der Herabsetzung von Einkommensteuervorauszahlungen begehrt wurde.

Diese Art der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes käme allerdings nur dann in Betracht, wenn der Steuerpflichtige beim FG in einem Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO) einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch Stundung einer Einkommensteuervorauszahlung setzt weiter voraus, daß der Steuerpflichtige gegen die Bemessungsgrundlagen der Einkommensteuervorauszahlungen Einwendungen erhebt. Daran fehlt es, wenn sich ein Steuerpflichtiger gegen einen Einkommensteuervorauszahlungsbescheid mit Gründen wendet, die sich nicht gegen dessen Bemessungsgrundlagen, sondern gegen die Rechtmäßigkeit eines Umsatzsteuerbescheids richten. Derartige Einwendungen kann der Steuerpflichtige nur im Rahmen eines Verfahrens geltend machen, das die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Umsatzsteuerbescheid zum Gegenstand hat. Wird z.B. --wie im Streitfall-- die Festsetzung einer negativen Umsatzsteuerschuld abgelehnt, so ist als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes gegen diesen Bescheid nur ein Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO) in bezug auf das Umsatzsteuerschuldverhältnis gegeben (BFH- Beschluß vom 1.April 1983 V B 37/81, BFHE 135, 413, BStBl II 1982, 515).

Die Auffassung des FG, die Finanzverwaltung habe bei der Entscheidung über das Stundungsbegehren des Klägers die Reichweite ihres Ermessens verkannt, weil sie die Möglichkeit einer Stundung als Mittel der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes außer Betracht gelassen habe, ist hiernach unzutreffend.

2. Die Ablehnung der vom Kläger begehrten Stundung durch die Finanzbehörden kann auch insoweit nicht beanstandet werden, als es um die Gewährung der Stundung als einer Maßnahme der Billigkeit ging.

a) Als Billigkeitsmaßnahmen werden Stundungen nach der Vorschrift des § 222 AO 1977 gewährt. Hiernach können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise stunden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint.

Die Entscheidung über einen Stundungsantrag ist --wie das FG insoweit zutreffend angenommen hat-- eine Ermessensentscheidung (BFH-Beschluß vom 5. und 13.Mai 1977 VII B 9/77, BFHE 122, 28, BStBl II 1977, 587). Die Finanzbehörden müssen deshalb nach pflichtgemäßem Ermessen prüfen, ob die Einziehung der Steuer eine erhebliche Härte für den Steuerpflichtigen darstellt. Dabei ist zwischen dem Interesse des Steuergläubigers an einer vollständigen und gleichmäßigen Steuererhebung und dem Interesse des Steuerpflichtigen an einem Aufschub der Fälligkeit der Steuerzahlung abzuwägen.

Die Zahlung einer Steuer kann eine erhebliche Härte darstellen, wenn der Steuerpflichtige in Kürze mit einer Steuererstattung rechnen kann, ohne daß die Möglichkeit einer Aufrechnung besteht (vgl. BFH-Urteil vom 6.Oktober 1982 I R 98/81, BFHE 138, 1, BStBl II 1983, 397, m.w.N.). Eine nur ungewisse Aussicht auf Erstattung der Steuer genügt dabei nicht. Um die Verpflichtung zur Steuerzahlung bei Fälligkeit als erhebliche Härte zu werten, muß der Gegenanspruch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestehen und in absehbarer Zeit fällig werden (vgl. BFH-Beschluß vom 29.November 1984 V B 44/84, BFHE 142, 418). Nur in einem solchen Fall könnte die Ablehnung der Stundung als eine rechtswidrige Überschreitung der Ermessensgrenzen anzusehen sein (BFHE 138, 1, BStBl II 1983, 397).

b) Im Streitfall kann sich der Kläger auf das Bestehen solcher Gegenansprüche nicht berufen. Er hat zwar einen Anspruch auf Festsetzung eines Vorsteuerüberschusses geltend gemacht. Im Rahmen einer bei ihm durchgeführten Umsatzsteuerprüfung hat das FA jedoch die Auffassung vertreten, die vom Kläger geltend gemachten Vorsteuerbeträge aus den Baurechnungen könnten nicht zum Abzug zugelassen werden, weil die Einschaltung eines Zwischenmieters unter den gegebenen Umständen als Gestaltungsmißbrauch i.S. des § 42 AO 1977 anzusehen sei. Die Rechtsfragen, die für die Beurteilung eines solchen Sachverhalts einschlägig sind, waren damals durch die Rechtsprechung des BFH noch nicht geklärt (vgl. nunmehr das Urteil vom 15.Dezember 1983 V R 169/75, BFHE 140, 354, BStBl II 1984, 388 und andere nachfolgend erlassene Entscheidungen), so daß jedenfalls nicht mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit mit der Auszahlung der geltend gemachten Vorsteuerabzugsbeträge zu rechnen war.

Da auch persönliche Gründe für eine Stundung der Einkommensteuervorauszahlungen nicht vorlagen, kann die Weigerung der Finanzbehörden, diese Vorauszahlungsbeträge zu stunden, nicht als ermessenswidrig angesehen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61049

BStBl II 1985, 449

BFHE 143, 397

BFHE 1985, 397

BB 1985, 1454-1454 (L)

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