Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Gewinnschätzung mit Hilfe der Formel des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG

 

Leitsatz (NV)

1. Der Gewinn kann auch anhand der Gewinnermittlungsformel des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG geschätzt werden, sofern die einzelnen Positionen der Formel (Betriebsvermögen am Schluß des laufenden und des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs, Entnahmen, Einlagen) einigermaßen zuverlässig bestimmt werden können. Das Ergebnis muß jedoch in sich schlüssig und wirtschaftlich vernünftig oder möglich sein.

2. Ein Urteilsausspruch, es seien ,,weitere Verbindlichkeiten von . . . DM zu berücksichtigen", ist nicht eindeutig i. S. des Art. 3 § 4 VGFGEntlG.

 

Normenkette

AO 1977 § 162; VGFGEntlG Art. 3 § 4

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb bis 1974 einen Handel mit Spiel-, Schreibwaren und Geschenkartikeln. Danach handelte er mit . . . Er ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich nach § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die anläßlich der Abgabe der Steuererklärung 1973 eingereichte Bilanz zum 31. Dezember 1973 wies ein Minuskapital von 208 142,31 DM aus. Als Verbindlichkeiten waren u.a. ausgewiesen: aus Warenlieferungen 266 519,33 DM, aus Schuldwechseln 15 000 DM, an Bank 49 738,24 DM, an Sparkasse 42 023,76 DM. Anzahlungen an Lieferanten waren mit 82 630 DM aktiviert.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) führte ab 1977 für die Jahre 1973 bis 1975 eine Außenprüfung durch. Der Betriebsprüferin konnten nicht vorgelegt werden: Bestandsverzeichnisse, Kassenbücher, Journale, Hauptabschlußübersichten, Saldenlisten, Wareneingangsbücher und Lohn- und Gehaltsbücher; für 1974/75 auch nicht Sach- und Personenkonten, Lieferanten- und Kundenrechnungen, Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen; für 1975 schließlich auch keine Inventur und keine Bank- und Postscheckauszüge. Sie sah die Buchführung als nicht ordnungsmäßig an und hielt eine Schätzung für angebracht. Sie kürzte den für 1973 erklärten Verlust um 68 233 DM (= 25 % der Aufwendungen abzüglich Wareneinsatz). Für 1974 kam sie durch Gegenüberstellung der Bruttoumsätze laut Voranmel

dungen (117 701 DM) mit den aus vorgelegten Zahlungsbelegen entnommenen Aufwendungen zu einem laufenden Gewinn von 7 517 DM, dem sie einen Betrag von 153 596 DM wegen eines angenommenen Übergangs von der Gewinnermittlung nach § 5 EStG zur Einnahmen-Überschußrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG am 1. Januar 1974 hinzurechnete (aufgerundeter Gesamtgewinn 1974 162 000 DM). Für 1975 errechnete sie einen laufenden Gewinn von 59 030 DM (aufgerundet 60 000 DM). Sie kürzte schließlich die Vorsteuern für 1973 um 2 394,75 DM entsprechend der Kürzung der Betriebsausgaben. Für 1974 und 1975 erkannte sie lediglich Vorsteuern in Höhe von 6 500 und 2 000 DM an; diese Beträge hatte sie den ihr vorgelegten Belegen entnommen.

Das FA folgte zunächst in vollem Umfang der Betriebsprüferin. Es ergingen entsprechende Einkommensteuerbescheide, Gewerbesteuermeßbescheide und Umsatzsteuerbescheide für 1973 bis 1975. Der Kläger legte Einsprüche ein. Das FA entschied über die Einsprüche wie folgt: Einkommensteuer 1973 unzulässig (mangels Beschwer); Einkommensteuer 1974 Verböserung (nach Ankündigung), Wegfall des Übergangsgewinns, aber Erhöhung des laufenden Gewinns auf 216 203 DM (Betriebsvermögen 31. Dezember 1974 laut einer im Schätzungswege erstellten Bilanz 5 666,92 DM, Betriebsvermögen 31. Dezember 1973 wie erklärt ./. 208 142,31 DM abzüglich Rückstellung für die Umsatzsteuernachforderung 1973 2 394,75 DM, keine Entnahmen und Einlagen), Berücksichtigung eines Verlustrücktrags aus 1975 in Höhe von 28 450 DM; Einkommensteuer 1975 Herabsetzung der Einkommensteuer auf null DM, Verlust aus Gewerbebetrieb 52 306 DM (Betriebsvermögen 31. Dezember 1975 ./. 46 638,33 DM, keine Entnahme und Einlagen), rücktragsfähiger Verlust nach Verrechnung mit positiven Einkünften 28 450 DM; Gewerbesteuer 1973 unzulässig (mangels Beschwer), Gewerbesteuer 1974 (Verböserung nach Ankündigung), laufender Gewinn = Gewerbeertrag 216 203 DM; Gewerbesteuer 1975 Herabsetzung des Meßbetrags auf 12 DM (Gewerbeverlust 52 306 DM); Umsatzsteuer 1973 bis 1975 unbegründet.

Der Kläger erhob Klage hinsichtlich Einkommensteuer und Gewerbesteuermeßbetrag 1974 und Umsatzsteuer 1973 bis 1975. Die Klage hatte hinsichtlich Einkommensteuer und Gewerbesteuermeßbetrag 1974 insoweit Erfolg, als das Finanzgericht (FG) das FA anwies, ,,bei der Ermittlung des Gewinns aus Gewerbebetrieb abweichend von der vom Beklagten zu den Einspruchsentscheidungen erstellten Bilanz weitere Verbindlichkeiten von 57 576,08 DM zu berücksichtigen". Hinsichtlich Umsatzsteuer 1973 bis 1975 blieb die Klage erfolglos. Das FG führte aus: Das FA sei wegen der fehlenden Buchführungsunterlagen zur Schätzung berechtigt gewesen. Die Gewinnschätzung 1974 sei jedoch insoweit zu korrigieren, als ,,weitere Verbindlichkeiten von 57 576,08 DM zu berücksichtigen" seien. Der Kläger habe nachgewiesen, daß in dieser Höhe am 31. Dezember 1974 Lieferantenverbindlichkeiten bestanden hätten. Höhere Verbindlichkeiten könnten nicht angesetzt werden. Soweit überhaupt Unterlagen vorgelegt worden seien, gehe aus ihnen nicht hervor, wann die behaupteten weiteren Verbindlichkeiten entstanden seien. Im Hinblick auf das Prozeßverhalten des Klägers bestehe kein Anlaß, von Amts wegen zu ermitteln, ob weitere Verbindlichkeiten bestanden hätten, zumal der Kläger nicht die Anschriften der angeblichen Gläubiger benannt habe. Es bestünden auch keine Bedenken gegen die Vorsteuerkürzungen.

Der Kläger macht mit der Revision geltend: Für 1974 sei nicht ein Gewinn, sondern ein Verlust entstanden. Dem FG seien Unterlagen über Betriebsschulden in Höhe von 166 138,53 DM vorgelegt worden. Es habe ohne ausreichende Begründung lediglich Verbindlichkeiten von 57 576,08 DM anerkannt. Er habe darauf hingewiesen, daß außer den Verbindlichkeiten von 166 138,53 DM weitere Verbindlichkeiten in Höhe von ca. 146 000 DM bestanden hätten. Diese Verbindlichkeiten könnten nunmehr spezifiziert werden. Die Vorsteuerkürzungen seien ungerechtfertigt.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig. Das Verfahren wird, soweit es Umsatzsteuer 1973 bis 1975 betrifft, abgetrennt und an den zuständigen V. Senat abgegeben. Die Revision ist hinsichtlich Einkommensteuer und Gewerbesteuer 1974 begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Die Revision ist zulässig. Entgegen der Annahme des FA ist die Revisionsbegründungsfrist eingehalten. Die Frist ist mehrmals auf Antrag des Klägers durch Verfügung des Senatsvorsitzenden - letztmals bis zum 29. August 1983 - verlängert worden. Hiervon wurde das FA unterrichtet. Die Revisionsbegründungsschrift vom 24. August 1983 ist noch am 29. August 1983 - also rechtzeitig - bei dem Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen.

2. Das Verfahren wird, soweit es Umsatzsteuer 1973 bis 1975 betrifft, abgetrennt und an den für Umsatzsteuer zuständigen V. Senat abgegeben. Eine übergreifende Zuständigkeit des erkennenden Senats nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH von 1986, Ergänzende Regelungen I 3, ist nicht gegeben. Es sind keine einheitlich zu entscheidenden Rechtsfragen im Sinne der ersten Alternative der vorstehenden Regelung streitig. Nur der Umsatzsteuerstreit erstreckt sich auf die Jahre 1973 und 1975. Auch hinsichtlich des Jahres 1974 sind unterschiedliche Rechtsfragen streitig. Die Schätzung beruht bei der Umsatzsteuer 1974 auf der Nichtanerkennung von geltend gemachten Vorsteuern (§ 15 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -), bei der Einkommensteuer 1974 und bei der Gewerbesteuer 1974 hingegen auf einem Betriebsvermögensvergleich (§ 5 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG). Bei der Umsatzsteuer 1974 ist im Sinne der zweiten Alternative der angeführten Regelung des Geschäftsverteilungsplans außer der Schätzung wenigstens eine andere umsatzsteuerliche Rechtsfrage streitig. Der Kläger erstrebt, über die von der Betriebsprüferin anhand der Belege festgestellten und anerkannten Vorsteuerbeträge hinaus die Anerkennung von Vorsteuerbeträgen. Sollte er dieses Ziel durch Schätzung erreichen wollen, ist nach der Rechtsprechung des V. Senats, soweit erkennbar, noch nicht abschließend geklärt, unter welchen Voraussetzungen Vorsteuerbeträge geschätzt werden können (Urteil vom 19. Oktober 1978 V R 39/75, BFHE 127, 71, BStBl II 1979, 345). Es läßt sich nicht ausschließen, daß im Hinblick auf Sinn und Zweck des § 15 UStG die allgemeinen Schätzungsregeln des § 162 der Abgabenordnung (AO 1977) verdrängt werden oder abzuändern sind.

3. Hinsichtlich Einkommensteuer und Gewerbesteuermeßbetrag 1974 kann die Vorentscheidung schon aus formellen Gründen keinen Bestand haben. Der von dem FG gewählte Urteilstenor widerspricht § 100 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Danach hat das FG im Falle einer teilweise erfolgreichen Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid oder Steuermeßbescheid die Steuer oder den Meßbetrag selbst festzusetzen.

Das FG hat seinen hiervon abweichenden Ausspruch, ,,weitere Verbindlichkeiten von 57 576,08 DM zu berücksichtigen", möglicherweise auf Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) stützen wollen. Nach dieser Vorschrift kann das FG, falls es den Betrag nicht ohne besonderen Aufwand selbst festsetzen kann und nicht der Kläger oder Beklagte widerspricht, den Verwaltungsakt teilweise aufheben und den aufgehobenen Teil durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß das FA den Betrag aufgrund der Entscheidung errechnen kann. Das FG hat nicht ersichtlich gemacht, daß es nach dieser Vorschrift verfahren wollte. Auch erscheint es zweifelhaft, ob die Voraussetzungen für die Anwendung der Vorschrift vorlagen. Es dürfte kein besonderer Aufwand erforderlich gewesen sein, um die Einkommensteuer und den Gewerbesteuermeßbetrag aus einem um 57 576 DM geminderten Gewinn zu berechnen. Die FG-Akten enthalten keinen Hinweis darauf, daß das FG die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach Art. 3 § 4 VGFGEntlG hingewiesen hat; ohne einen solchen Hinweis ist aber ein Widerspruch nicht denkbar (Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rdnr. 12421). Letztlich kann unentschieden bleiben, ob auf derartige Mängel einzugehen ist oder ob sie unberücksichtigt bleiben müssen, wenn, wie hier, keine Verfahrensrüge erhoben worden ist (Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, a.a.O., Rdnr. 12454 ff.). Die Revisionsinstanz hat jedenfalls von Amts wegen zu prüfen, ob der vom FG gemäß Art. 3 § 4 VGFGEntlG gewählte Tenor so eindeutig ist, daß die Berechnungsanweisung ausgeführt werden kann.

Hieran fehlt es. Wird unterstellt, daß das FG eine gewinnmindernde Einstellung von Verbindlichkeiten in Höhe von 57 576,08 DM in die vom FA erstellte Schätzungsbilanz zum 31. Dezember 1974 gemeint hat, fehlt es zunächst an einer Anweisung, ob die Gewerbesteuerrückstellung 1974 zu ändern ist. Vor allem enthält die Vorentscheidung aber keine Äußerung zu der Frage, ob infolge der Zweischneidigkeit der Bilanz der Verlustrücktrag aus 1975 zu mindern ist oder ob diese Folge nicht eintritt, weil die weiteren Verbindlichkeiten etwa auch in der Bilanz zum 31. Dezember 1975 fortzuführen sind.

4. Die Vorentscheidung ist hinsichtlich Einkommensteuer und Gewerbesteuer 1974 auch aus materiellen Gründen aufzuheben. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß das FA zu einer Schätzung des Gewinns 1974 berechtigt war. Es hat ohne Widerspruch des Klägers die Feststellung der Betriebsprüferin übernommen, daß für 1974 außer Inventarunterlagen und Bank- und Postscheckauszügen keine Buchführungsunterlagen oder Aufzeichnungen vorgelegt werden konnten. Der Kläger war als im Handelsregister eingetragener Kaufmann gemäß §§ 1, 5, 38 ff. des Handelsgesetzbuches (HGB), § 160 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) verpflichtet, eine Buchführung auch im Interesse der Besteuerung einzurichten. Die Nichtbeachtung dieser Verpflichtung berechtigte das FA zur Schätzung (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO 1977). Die Schätzung hat sich nach § 5 EStG zu richten. Ein Übergang zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG, wie ihn die Betriebsprüferin ursprünglich auf den 1. Januar 1974 angenommen hatte, kam nicht in Betracht, weil die Buchführungspflicht des Klägers über diesen Zeitpunkt hinaus fortbestand.

5. Das FG konnte sich die Schätzungsmethode des FA laut Einspruchsentscheidung zu eigen machen. Diese Methode beruht auf der Gewinnermittlungsformel des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG, die auch für die Gewinnermittlung des § 5 EStG maßgeblich ist: Gewinn 1974 = Betriebsvermögen 31. Dezember 1974 abzüglich Betriebsvermögen 31. Dezember 1973 zuzüglich Entnahmen 1974 abzüglich Einlagen 1974. Lassen sich diese vier Positionen einigermaßen zuverlässig - wenn auch nur schätzungsweise - bestimmen, bestehen keine Bedenken, den Endbetrag als (geschätzten) Gewinn anzusetzen.

Das FA hat einige Mühe auf die Ermittlung des Betriebsvermögens zum 31. Dezember 1974 verwandt (Kapital 5 666,92 DM), das das FG durch die zusätzliche Passivierung von 57 576,08 DM Verbindlichkeiten verändert hat (Kapital lt. FG ./. 51 909,16 DM); eine gewisse Erhöhung des Kapitals würde eintreten, wenn das FG eine anteilige Auflösung der Gewerbesteuerrückstellung gewollt haben sollte. Als Betriebsvermögen zum 31. Dezember 1973 haben FA und FG die erklärten Bilanzansätze zum 31. Dezember 1973 zugrunde gelegt (Kapital ./. 208 142,31 DM), lediglich ergänzt um eine Rückstellung für die Umsatzsteuernachforderung laut Betriebsprüfung von 2 394,75 DM (berichtigtes Kapital ./. 210 537,06 DM). Entnahmen und Einlagen hat das FA, vom FG unbeanstandet, mit jeweils null DM angesetzt. Hieraus errechnet sich nach der Formel des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG ein Gewinn 1974 von ./. 51 909,16 DM (Betriebsvermögen 31. Dezember 1974) abzüglich ./. 210 537,06 DM (Betriebsvermögen 31. Dezember 1973) zuzüglich Entnahmen null DM abzüglich Einlagen null DM = 158 627,90 DM (ohne die anteilige Auflösung der Gewerbesteuerrückstellung).

Dieses Ergebnis ist, wie eine Plausibilitätskontrolle anhand anderer Betriebsmerkmale zeigt, weder in sich schlüssig noch wirtschaftlich vernünftig oder möglich (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1984 VIII R 195/82, BFHE 142, 558, BStBl II 1986, 226). Abgesehen von der lebensfremden Unterstellung, daß der Kläger, dem keine anderen Mittel zur Verfügung standen, 1974 (und auch 1975) keine Entnahmen getätigt haben soll, kann der Kläger den angenommenen Gewinn nicht aus laufender Betriebstätigkeit erzielt haben. Der Kläger soll nach der Darstellung der Betriebsprüferin, die FA und FG unbeanstandet gelassen haben, 1974 einen Nettoumsatz von lediglich 106 037 DM erzielt und Betriebsausgaben von 110 183 DM getätigt haben. Bei dieser Ausgangslage muß der angenommene Gewinn größtenteils mit Hilfe außerordentlicher Erträge erzielt worden sein. Außerordentliche Erträge in einer Höhe von über 150 000 DM können nach dem vom FA und FG zugrunde gelegten Bilanzbild nur aus dem Wegfall von Verbindlichkeiten entstanden sein. Die Verbindlichkeiten aus Warenlieferungen minderten sich buchmäßig von 183 889,33 DM (31. Dezember 1973, unter Verrechnung mit den Anzahlungen an Lieferanten) auf 57 576,08 DM (31. Dezember 1974, FG-Urteil). Wechselverbindlichkeiten (15 000 DM) und Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten (91 762 DM) fielen gänzlich fort. Der Wegfall der Verbindlichkeiten in Höhe von 233 075,25 DM mag zu einem gewissen Anteil auf Tilgungen zurückzuführen sein, wenn unterstellt wird, daß die am 31. Dezember 1973 vorhandenen und in der Schätzungsbilanz zum 31. Dezember 1974 weggefallenen Aktivwerte (z. B. Kundenforderungen) - ggf. nach vorheriger Verwertung - zur Tilgung verwandt worden sind. Es verbleibt aber auch dann dabei, daß 1974 nach dem Bilanzbild laut FA und FG Verbindlichkeiten von mehr als 150 000 DM tilgungsfrei - also gewinnwirksam - weggefallen sein müssen: ein vom FG nicht erklärtes und nach Sachlage auch nicht erklärbares Ergebnis, es sei denn, es würden im zweiten Rechtsgang außergewöhnliche bisher nicht erkennbare Umstände festgestellt.

Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Das FG wird im zweiten Rechtsgang prüfen müssen, ob die bisherige Schätzung in schlüssiger Weise aufrechterhalten werden kann. Falls es diese Möglichkeit verneint, wird es zu prüfen haben, ob die Steuerfestsetzungen mit Hilfe eines anderen Schätzungsverfahrens - ggf. teilweise - aufrechterhalten werden können; denn die Schätzungsbefugnis dem Grunde nach bleibt unberührt. Sollte sich das FG zu einem neuen Schätzungsverfahren entschließen, wird es dieses in Grundzügen entwickeln und den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung geben müssen. Denkbar wäre im Streitfall beispielsweise - unabhängig von der bisherigen Schätzungsmethode - eine Rohgewinnschätzung nach Richtsätzen anhand des von der Betriebsprüferin festgestellten Wareneingangs (BFH-Urteil vom 18. Oktober 1983 VIII R 190/82, BFHE 139, 350, BStBl II 1984, 88). Bei der Umrechnung auf den Wareneinsatz müßte auf die Einwendungen des Klägers zur Warenbestandsbewertung 31. Dezember 1974 eingegangen werden. Zu berücksichtigen wäre auch, daß der Kläger seinen früheren Handel mit Spiel-, Schreibwaren und Geschenkartikeln im Laufe des Streitjahres aufgegeben hat. Soweit ersichtlich, bestehen nur für diesen Gewerbezweig Richtsätze.

6. Das FG wird im Hinblick auf die Einkommensteuerfestsetzung 1974 wegen eines möglichen Verlustrücktrags auch die Ergebnisermittlung für 1975 überprüfen müssen. Sollte es für 1974 zu einem anderen als dem bisherigen Schätzungsverfahren kommen, dürfte sich empfehlen, dieses Verfahren auch auf die Ergebnisermittlung 1975 zu übertragen. Sollte es bei dem bisherigen Schätzungsverfahren bleiben, wird das FG in Rechnung zu stellen haben, daß ein zusätzlicher Ansatz von Verbindlichkeiten in der Schätzungsbilanz zum 31. Dezember 1974 nicht zwangsläufig zu einer Minderung eines Verlustes für 1975 führt. Sind die Verbindlichkeiten in der Bilanz zum 31. Dezember 1975 als Passiven fortzuführen, hat die zusätzliche Passivierung zum 31. Dezember 1974 keine Auswirkung auf das Ergebnis 1975.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414553

BFH/NV 1986, 722

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