Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Unter welchen Voraussetzungen steht ein Dauerwohnberechtigter wirtschaftlich einem Eigentümer gleich, so daß er die Sonderabschreibung nach § 7b EStG in Anspruch nehmen kann?

Das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 494/52 U vom 23. April 1953 (BStBl 1953 III S. 171, Slg. Bd. 57 S. 439), in dem ein Dauerwohnberechtigter nicht als wirtschaftlicher Eigentümer angesehen wurde, ist zu § 7b EStG 1950 ergangen. Es ist durch die Neufassung des § 7b EStG 1953 im wesentlichen überholt.

 

Normenkette

EStG § 7b Abs. 4; EStR Abschn. 57/2; EStR Abschn. 57/4; EStR Abschn. 57 Abs. 3; EStR Abschn. 57/5

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Bgin. die Sonderabschreibung nach § 7b EStG zusteht.

Die Wohnungsbau-Gesellschaft mbH (abgekürzt: Eigentümerin), die kraft Erbbaurechts Eigentümerin eines Hauses ist, bestellte dem verstorbenen Ehemann der Bgin. in dem notariell beurkundeten Vertrag vom 13. Januar 1955 ein Dauerwohnrecht nach dem Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht vom 15. März 1951 (BGBl 1951 I S. 175) an einer Wohnung in ihrem Hause. Das Dauerwohnrecht ist im Grundbuch eingetragen; es läuft 99 Jahre entsprechend der Dauer des Erbbaurechts; wird das Erbbaurecht verlängert, so verlängert sich auch das Dauerwohnrecht. Nach dem Vertrag sind an die Eigentümerin ein einmaliger "Kostenbeitrag" von 4.000 DM und ein monatliches "Nutzungsentgelt" von 70 DM zu zahlen, das nach einer "Wirtschaftlichkeitsberechnung" bemessen ist, die Teil des Vertrags ist. Der Vertrag selbst ist nach dem Muster der Entschließung der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium der Finanzen vom 10. März 1953 abgefaßt.

Das Finanzamt ließ die von der Bgin. verlangte Sonderabschreibung nach § 7 b EStG nicht zu, weil die Bgin. nicht wirtschaftliche Eigentümerin der Wohnung sei; der Dauerwohnvertrag entspreche nicht dem Mustervertrag, wie er der Bekanntmachung des Bundesministers für Wohnungsbau vom 4. Oktober 1956 (Bundesbaublatt 1956 S. 615) beigefügt sei. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht gab der Berufung statt. Es berechnete die Sonderabschreibung nach § 7 b EStG mit 3 v. H. der Herstellungskosten von 15.000 DM = 500 DM.

Mit der Rb. bekämpft der Vorsteher des Finanzamts die Annahme des Finanzgerichts, der verstorbene Ehemann der Bgin. sei wirtschaftlicher Eigentümer der Wohnung geworden; die vertraglichen Nutzungs- und Verfügungsbeschränkungen schlössen für den Streitfall wirtschaftliches Eigentum des Dauerwohnberechtigten aus.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Nach § 7 b Abs. 4 EStG 1955 kann ein Dauerwohnberechtigter die Sonderabschreibung in Anspruch nehmen, wenn er wirtschaftlich einem Wohnungseigentümer gleichsteht. In Abschn. 57 Abs. 3 EStR 1955 wird rechtlich zutreffend dargelegt, daß man es nach den Verhältnissen des Einzelfalles beurteilen müsse, ob der Dauerwohnberechtigte wirtschaftlich einem Wohnungseigentümer gleichstehe. Es handelt sich hier weitgehend um eine Frage der tatsächlichen Feststellung. Bei Beurteilung der Frage, ob der Dauerwohnberechtigte in etwa dieselbe Stellung wie ein Wohnungseigentümer hat, müssen wirtschaftliche Gesichtspunkte ausschlaggebend sein. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des § 7 b Abs. 4 EStG. Im bürgerlichen Recht sind Eigentum und Wohnrecht in wesentlichen Punkten verschieden. Wenn der Gesetzgeber trotzdem seit der änderung des § 7 b im EStG 1953 den Eigentümer eines Wohngebäudes, den Eigentümer einer Wohnung und den Dauerwohnberechtigten, der wirtschaftlich einem Eigentümer gleichsteht, für die Sonderabschreibung im wesentlichen gleichbehandelt wissen will, so ergibt sich daraus, daß die bürgerlich-rechtlichen Nuancen dieser Rechtsformen nicht allzu sehr betont werden dürfen.

Bei der Schwierigkeit, die die Abgrenzung des Begriffs "wenn er wirtschaftlich einem Wohnungseigentümer gleichsteht" bietet, kann auch bedeutsam sein, wie die unmittelbar Beteiligten selbst die Sache sehen. Die Vergünstigung nach § 7 b EStG kann nur einem der Beteiligten zustehen, und zwar entweder dem Eigentümer oder dem Dauerwohnberechtigten. Sind diese sich darüber einig, wer von beiden die Vergünstigung in Anspruch nehmen soll, so können die Finanzbehörden in Grenzfällen der Auffassung und dem Willen der beiden Beteiligten Rechnung tragen, wenn offensichtlich kein Mißbrauch beabsichtigt ist.

In Abschn. 57 Abs. 4 letzter Satz EStR 1958 wird ausgeführt, daß ein eigentumsähnliches Dauerwohnrecht ohne weitere Prüfung anerkannt werden kann, wenn der Mustervertrag über die Bestellung eines eigentumsähnlichen Dauerwohnrechts (Bundesbaublatt 1956 S. 615) zugrunde gelegt wird. Daraus kann aber nicht mit dem Finanzamt gefolgert werden, daß, wenn der Mustervertrag nicht benutzt wird, die Anwendung des § 7 b EStG für Dauerwohnberechtigte ausgeschlossen sei. Für eine solche Betrachtung bietet das Gesetz keine Grundlage. Der Mustervertrag soll, wie in der Bekanntmachung des Bundesministers für Wohnungsbau vom 4. Oktober 1956 ausdrücklich betont wird, keine verbindliche Wirkung haben; er will vielmehr der Klarstellung der Rechtslage und der Vereinfachung für alle Beteiligten dienen. Es ist darum zweckmäßig, daß, soweit wie möglich, von ihm Gebrauch gemacht wird. Weicht ein Vertrag im Einzelfall vom amtlichen Mustervertrag ab, so muß geprüft werden, ob in den entscheidenden Punkten der Dauerwohnberechtigte eine eigentümerähnliche Stellung hat.

In der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 494/52 U vom 23. April 1953 (BStBl 1953 III S. 171, Slg. Bd. 57 S. 439) ist ausgesprochen, daß der Dauerwohnberechtigte nicht nach § 7 b EStG abschreibungsberechtigt sei, weil er nicht wirtschaftlicher Eigentümer sei. Entscheidend waren dafür, wie das Urteil betont, die Umstände des damaligen Falles. Vor allem aber war in der früheren Entscheidung § 7 b EStG 1950 auszulegen, wonach nur dem Hersteller eines Wohngebäudes die Vergünstigung zustand. Inzwischen ist in § 7 b Abs. 3 und 4 EStG 1953 der Kreis der Abschreibungsberechtigten wesentlich erweitert worden; insbesondere sind auch Dauerwohnberechtigte unter bestimmten Voraussetzungen in den Kreis der Begünstigten einbezogen worden. Insofern ist die Entscheidung IV 494/52 U, a. a. O., überholt.

Im Streitfall konnten die Beteiligten den Mustervertrag des Bundesministers für Wohnungsbau nicht benutzen, weil er zur Zeit des Vertragsschlusses noch nicht bekanntgegeben war. Sie haben, wie damals üblich, das von der Obersten Baubehörde des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen amtlich veröffentlichte Muster unverändert verwendet. Die Eigentümerin wollte im Einvernehmen mit dem Ehemann der Bgin. diesem ein eigentümerähnliches Dauerwohnrecht verschaffen, das zur Inanspruchnahme der Sonderabschreibung des § 7 b EStG berechtigte.

Das Finanzamt legt besonderen Wert darauf, daß der benutzte Mustervertrag in wesentlichen Punkten von dem Mustervertrag des Bundesministers für Wohnungsbau abweicht. Trotz dieser Abweichung haben aber auch nach den Bestimmungen des benutzten Mustervertrags die Dauerwohnberechtigten eine eigentümerähnliche Stellung. Die Dauerwohnberechtigten erstatten der Eigentümerin praktisch die gesamten Baukosten und die laufenden Ausgaben, insbesondere Kapitalzinsen, Instandsetzungskosten und öffentliche Lasten. Der Anspruch der Eigentümerin ist kein Anspruch auf Entgelt für die überlassung der Nutzung einer Wohnung, wie es der Mietzins eines Mieters ist, sondern der Anspruch geht wirtschaftlich auf Erstattung von Auslagen (ß 670 BGB). Zwischen der Eigentümerin und dem Berechtigten besteht also kein typisches Mietverhältnis, sondern mehr ein Auftrags- oder Treuhandverhältnis. Wesentlich ist auch, daß der Vertrag über 99 Jahre läuft und die Vertragsdauer sich unter Umständen sogar noch verlängert; ferner, daß das Recht der Bgin. im Grundbuch eingetragen ist und die Bgin. nach dem Vertrag Rechte hat, die nach Art und Umfang über die typischen Rechte eines Mieters hinausgehen und ihre Rechtsstellung der eines Eigentümers annähern.

Den vertraglichen Beschränkungen, die der Ehemann der Bgin. in der Verfügung über seine dinglichen Rechte und in der Nutzung der Wohnung übernommen hat, mißt das Finanzamt demgegenüber zu große Bedeutung bei. Die Beschränkungen haben den Zweck, auch den anderen Dauerwohnberechtigten die ungestörte Nutzung ihrer Wohnungen zu gewährleisten und die Zahlungsansprüche der Eigentümerin zu sichern. Sie ergeben sich also aus der Natur des Dauerwohnrechts und schließen infolgedessen nicht grundsätzlich aus, daß die Dauerwohnberechtigten eine eigentümerähnliche Stellung haben.

Der Gesetzgeber wollte mit der Erweiterung des Kreises der Abschreibungsberechtigten wirtschaftlich schwächere Kreise, die zur Errichtung von Wohngebäuden oder Eigentumswohnungen nicht in der Lage sind, aber durch den Erwerb grundbuchlich gesicherter und von der Gesetzgebung geschützter Dauerwohnrechte eine ähnliche Stellung wie ein Eigentümer erlangen können, an der Vergünstigung des § 7 b EStG und der damit gewährten staatlichen Finanzierungshilfe teilnehmen lassen. Die mehr formale Beurteilung des Finanzamts ist mit dieser Tendenz des Gesetzes nicht zu vereinbaren, da die Beteiligten einen Mißbrauch offensichtlich nicht beabsichtigt haben. Anmerkung: Die DM-Beträge entsprechen nicht den tatsächlichen Zahlen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409699

BStBl III 1960, 289

BFHE 1961, 108

BFHE 71, 108

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