Leitsatz (amtlich)

Die beschränkte Lohnsteuerpflicht des Schiffspersonals eines unter zypriotischer Flagge fahrenden Schiffes ist gegeben, wenn Schiff und Arbeitsleistung seiner Mannschaft der vollen Verfügungsgewalt eines Inländers unterliegen und der wirtschaftliche Erfolg der mit dem Schiff erbrachten Transportleistungen unmittelbar der inländischen Volkswirtschaft zu dienen bestimmt ist. Der inländische Verfügungsberechtigte kann in diesem Fall als Arbeitgeber für die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer des Schiffspersonals haftbar gemacht werden.

 

Normenkette

EStG § 1 Abs. 2, §§ 38, 49 Abs. 1 Nr. 4, § 50 Abs. 4; LStDV §§ 40, 46

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine in der Rechtsform der KG betriebene Reederei - hatte ihr mit deutschen und ausländischen Seeleuten bemanntes Motorschiff zunächst unter deutscher Flagge im Liniendienst eingesetzt. Da nach ihrer Auffassung wegen der in Deutschland geltenden Bestimmungen und Verträge ein wirtschaftlicher Betrieb des Schiffes unter deutscher Flagge nicht mehr möglich war, übertrug sie es im Mai 1971 auf eine in Zypern ansässige Gesellschaft. An dieser Gesellschaft ist die Klägerin zu 1/3 beteiligt. Das Motorschiff wurde im inländischen Schiffsregister gelöscht und in ein Schiffsregister in Zypern eingetragen.

Im Zusammenhang mit der Übertragung des Schiffes schloß die Klägerin mit der zypriotischen Gesellschaft einen mündlichen Treuhandvertrag mit dem durch einen späteren schriftlichen Vertrag festgelegten Inhalt. Die Vertragschließenden waren sich darüber einig, daß das Schiff nur formal "verkauft" worden sei und das materielle Eigentum bei der Klägerin verbleibe und alle Unkosten im Innenverhältnis zu Lasten der Klägerin gingen. Demzufolge nahm die Klägerin weiterhin die Bereederung des Schiffes vor. Sie wies es in ihrer Bilanz als ein ihr gehörendes Wirtschaftsgut aus. Sie berücksichtigte die Abschreibungen und Unkosten bei ihrem Geschäftsergebnis. Die Entlohnung der Schiffsmannschaft geschah über das inländische Kontor der Klägerin, wo auch die Lohnkonten geführt wurden. Die Lohnzahlungen wurden in den Büchern der Klägerin ausgewiesen. Die zypriotische Gesellschaft erhielt für ihre Treuhandstellung keine besondere Vergütung, sondern nur die Erstattung verhältnismäßig geringfügiger Auslagen.

Bei einer Lohnsteuerprüfung stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) fest, daß die Klägerin seit Mai 1971, dem Zeitpunkt der "Ausflaggung" des Schiffes, für die Seeleute Lohnsteuer nicht mehr einbehalten und abgeführt hatte. Mit besonderem Lohnsteuerhaftungsbescheid hinsichtlich des Schiffspersonals, das in der Bundesrepublik Deutschland nicht zur Einkommensteuer veranlagt wird, verlangte das FA von der Klägerin für die Jahre 1971 und 1972 Lohnsteuer von insgesamt 25 429,35 DM.

Den Einspruch der Klägerin wies das FA mit der Begründung zurück, die Arbeit der Seeleute sei im Inland ausgeübt und auch verwertet worden. Die Arbeitslöhne seien daher der Lohnsteuer zu unterwerfen. In ihrer Klage, mit der sie die Aufhebung des Haftungsbescheids begehrte, machte die Klägerin geltend, bei dem unter fremder Flagge fahrenden Motorschiff handle es sich nicht um ein deutsches Schiff mit der Folge, daß es weder staatsrechtlich noch steuerrechtlich als Inland anzusehen sei. Es fehle auch an einer Verwertung der unselbständigen Arbeit im Inland.

Das FG wies die Klage mit dem in den EFG 1975, 81, auszugsweise veröffentlichten Urteil ab. Es ging von den Vorschriften über die beschränkte Lohnsteuerpflicht (§ 40 LStDV) aus. Das Motorschiff sei zwar wegen Führung der zypriotischen Flagge kein Inland gewesen. Auch sei die treuhänderische Übereignung an die zypriotische Gesellschaft kein Scheingeschäft. Die auf dem Schiff beschäftigten Seeleute seien aber beschränkt steuerpflichtig gewesen, weil ihre Arbeit im Inland verwertet worden sei (§ 40 Abs. 2 Satz 2 LStDV). Der wirtschaftliche Erfolg dieser Arbeit habe darin bestanden, daß durch den Betrieb des Schiffes Transportleistungen erbracht worden seien, für welche die Klägerin Erlöse erzielt habe. Diese seien unmittelbar - ohne den Umweg über eine fremde Volkswirtschaft (Zypern) zu nehmen - der inländischen Volkswirtschaft zugeflossen. Die zypriotische Volkswirtschaft habe nur unbedeutende Beträge in Form von Gebühren vereinnahmt.

Die beschränkte Steuerpflicht der Seeleute folge weiterhin daraus, daß das Motorschiff trotz der Umflaggung ein "deutsches Schiff" i. S. des § 40 Abs. 2 Satz 3 LStDV geblieben sei. Diese Bestimmung, die die Einkünfte aus nichtselbstündiger Arbeit auf deutschen Schiffen der beschränkten Steuerpflicht unterwerfe, beinhalte einen selbständigen Tatbestand, der nicht an das Flaggenrecht anknüpfe. "Deutsche Schiffe" i. S. dieser Vorschrift seien nicht nur solche, die sich im bürgerlich-rechtlichen Eigentum deutscher - natürlicher oder juristischer - Personen befänden, sondern auch solche, die nach § 11 StAnpG einem Inländer zuzurechnen seien. Das Schiff sei - was nicht bestritten werde - der Klägerin steuerrechtlich zuzurechnen. Sie sei auch hinsichtlich ihrer lohnsteuerlichen Arbeitgeberpflichten so zu behandeln, als stände das Schiff in ihrem Eigentum. § 40 Abs. 6 LStDV - keine Lohnsteuerpflicht bei Arbeitsleistungen von vorübergehender Dauer während des Schiffsaufenthalts in einem ausländischen Hafen - komme hier nicht zum Zuge.

In ihrer Revision rügt die Klägerin die unrichtige Anwendung des § 40 Abs. 2 LStDV. Das FG habe das Motorschiff zu Unrecht als "deutsches Schiff" angesehen. Der Begriff "deutsches Schiff" richte sich nach Flaggenrecht (Art. 27 GG, Flaggenrechtsgesetz vom 8. Februar 1951, BGBl I, 79). Die steuerrechtliche Zuordnung nach § 11 Nr. 2 StAnpG spiele hierbei keine Rolle. Die steuerrechtliche Hoheitsgewalt eines Staates erstrecke sich nicht auf Schiffe und ihre Besatzung, die unter fremder Flagge fahren, vorausgesetzt, daß die Mitglieder der Schiffsbesatzung im Inland weder einen Wohnsitz noch den gewöhnlichen Aufenthalt haben. Infolge seiner "Ausflaggung" habe das Motorschiff die deutsche Flagge nicht mehr führen dürfen. Es habe damit die zypriotische "Staatsangehörigkeit" erworben. § 40 Abs. 2 Satz 3 LStDV, der nur für Schiffspersonal auf deutschen Schiffen gelte, sei daher nicht anzuwenden. Neben diesem speziellen Tatbestand sei für die Anwendung des allgemeineren Verwertungstatbestands des § 40 Abs. 2 Satz 2 LStDV kein Raum. Aber selbst bei Anwendung des Verwertungstatbestands fehle es daran, daß der wirtschaftliche Erfolg der Arbeit der inländischen Volkswirtschaft "unmittelbar" gedient habe. Das FG habe die Unmittelbarkeit rechtsfehlerhaft bejaht, obwohl die zypriotische Gesellschaft zwischengeschaltet gewesen sei. Schließlich scheitere die Haftung der Klägerin daran, daß sie nicht Arbeitgeber der Schiffsbesatzung gewesen sei. Die Arbeitsverträge seien mit der zypriotischen Gesellschaft abgeschlossen worden. Für die Frage der Arbeitgebereigenschaft komme es nicht darauf an, von wem der Arbeitslohn gezahlt werde.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und den Lohnsteuerhaftungsbescheid aufzuheben.

Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Das FG hat zunächst zutreffend die Klägerin als die Arbeitgeberin der auf dem Motorschiff beschäftigten Seeleute angesehen. Die Klägerin haftet demgemäß für die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 3 Satz 2 EStG 1969, § 38 Abs. 4 Satz 2 EStG 1971, § 46 Abs. 1 Satz 2 LStDV). Sie hat ihre Arbeitgebereigenschaft erstmals in der Revisionsinstanz bestritten. Das FG hat zwar den Inhalt der Arbeitsverträge nicht festgestellt. Für den vorliegenden Fall ist aber von Bedeutung, daß die Klägerin die volle Verfügungsgewalt über das Schiff und über die Arbeitsleistung seiner Mannschaft hatte. Sie hat das Schiff bereedert. Nach der sog. Treuhandvereinbarung, die die Veräußerung des Schiffes als reine Formalität bezeichnete, war die zypriotische Gesellschaft verpflichtet, allen Weisungen der Klägerin hinsichtlich des Schiffes, insbesondere hinsichtlich seines Einsatzes, seiner Vercharterung, etwaiger Reparaturen, Versicherungen usw. ohne Widerspruch nachzukommen (§ 5 des Treuhandvertrags). In § 3 des Treuhandvertrags hat sich die Klägerin verpflichtet, die zypriotische Gesellschaft von allen Verbindlichkeiten aus dem Treuhandvertrag freizustellen; alle Kosten, Steuern und Aufwendungen sollten im Innenverhältnis zu Lasten der Klägerin gehen. Die Klägerin konnte als die wirtschaftliche Eigentümerin nach ihrem Gutdünken mit dem Schiff schalten und walten. Sie hat die Seeleute ohne jede Mitwirkung der zypriotischen Gesellschaft entlohnt und - wie sich aus den Feststellungen des FG ergibt - wegen der Arbeitnehmer nichts an die zypriotische Gesellschaft zu zahlen brauchen. Die Seeleute haben allein der Klägerin ihre Arbeitskraft geschuldet; sie standen in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung der Klägerin und waren verpflichtet, ihren Weisungen zu folgen (§ 1 Abs. 3 LStDV). Dem FG brauchten sich Zweifel an der Arbeitgebereigenschaft der Klägerin nicht aufzudrängen.

2. Das FG hat auch zutreffend die Lohnsteuerpflicht der auf dem Motorschiff beschäftigten Besatzungsmitglieder bejaht.

Seeleute, die in der Bundesrepublik Deutschland ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind mit ihren Arbeitslöhnen nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig, gleich, ob sie im Inland oder Ausland ihre Tätigkeit ausgeübt haben. Für diese Arbeitnehmer war die Lohnsteuer auf jeden Fall einzubehalten und abzuführen.

Für die übrigen Seeleute kommen allerdings die Vorschriften über die beschränkte Lohnsteuerpflicht (§ 1 Abs. 2, § 49 Abs. 1 Nr. 4, § 50 Abs. 4 EStG, § 40 LStDV) zum Zuge. Beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer sind mit ihren Arbeitseinkünften steuerpflichtig, wenn die nichtselbständige Arbeit im Inland ausgeübt oder verwertet wird oder worden ist (§ 40 Abs. 1 Satz 2 LStDV). Was unter Ausübung und Verwertung der nichtselbständigen Arbeit im Inland zu verstehen ist, ist in § 40 Abs. 2 Satz 1 und 2 LStDV näher erläutert. Mit den Arbeitseinkünften des Personals auf deutschen Schiffen hat sich der Verordnungsgeber in § 40 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 6 LStDV befaßt. Sie unterliegen der beschränkten Steuerpflicht, soweit nicht unbeschränkte Steuerpflicht gegeben ist; hingegen entfällt die Lohnsteuerpflicht bei einer vorübergehenden Arbeitsleistung ausländischer Arbeitnehmer auf einem deutschen Schiff während des Aufenthalts des Schiffes in einem ausländischen Hafen.

Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob der in § 40 Abs. 2 Satz 3 LStDV verwendete Begriff "deutsches Schiff" i. S. des Flaggenrechts oder in dem Sinn zu verstehen ist, daß es darauf ankommt, ob das Schiff von einer Person oder Personengemeinschaft tatsächlich betrieben wird, die deutscher Hoheitsgewalt unterliegt. Folgt man der Auffassung der Klägerin, daß das Motorschiff wegen Führung der zypriotischen Flagge nicht mehr als "deutsches Schiff" anzusehen ist, ist zwar die Anwendung des § 40 Abs. 2 Satz 3 LStDV ausgeschlossen. Das hindert jedoch nicht die Anwendung der anderen Vorschriften der Abs. 1 und 2 des § 40 LStDV, insbesondere nicht die Anwendung des Verwertungstatbestandes. Abs. 2 Satz 3 dieser Vorschrift hat, wie sich aus den Worten "Auch Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von Schiffspersonal auf deutschen Schiffen ..." ergibt, nicht den Charakter einer Spezialnorm.

Nach § 40 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 LStDV wird die nichtselbständige Arbeit im Inland verwertet, wenn sie zwar nicht im Inland persönlich ausgeübt wird, aber ihr wirtschaftlicher Erfolg der inländischen Volkswirtschaft unmittelbar zu dienen bestimmt ist. Der Verwertungstatbestand knüpft an wirtschaftliche Vorgänge an. Der wirtschaftliche Erfolg der unselbständigen Arbeit seiner Arbeitnehmer muß dem inländischen Arbeitgeber zu dienen bestimmt sein. Der wirtschaftliche Erfolg der Arbeit des Personals eines Seeschiffes besteht nicht darin, daß durch nautische und technische Arbeitsverrichtungen bewirkt wird, daß das Schiff mit seiner Ladung die Entfernungen zwischen den einzelnen Bestimmungshäfen zurücklegen kann. Mit Hilfe der Arbeit der Schiffsbesatzung werden, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, Transportleistungen für fremde Auftraggeber erbracht, für die die Klägerin Erlöse erzielt. Dieser wirtschaftliche Erfolg war auch unmittelbar der inländischen Volkswirtschaft zu dienen bestimmt. Die Würdigung des FG, daß der wirtschaftliche Erfolg der nichtselbständigen Arbeit der Schiffsbesatzung nicht erst einen Umweg über die zypriotische Volkswirtschaft genommen und diese nicht wesentlich daran partizipiert hat, ist nicht zu beanstanden.

Es trifft ferner zu, daß im vorliegenden Fall ein Doppelbesteuerungsabkommen nicht eingreift. Ein Doppelbesteuerungsabkommen mit dem Staat Zypern ist zwar 1974 unterzeichnet worden, die Ratifizierung steht aber noch aus.

Das FG hat zwar keine Ausführungen zu der Frage gemacht, ob es im vorliegenden Fall recht und billig war, die Klägerin als Haftungsschuldner und nicht die Seeleute als die Steuerschuldner unmittelbar für die Lohnsteuer in Anspruch zu nehmen. Es ist jedoch doch in Anbetracht dessen, daß die hier in Rede stehenden Seeleute für die Finanzbehörden nur schwer erreichbar sind, die Inanspruchnahme des Arbeitgebers nicht zu beanstanden. Es ist auch nicht zu erkennen, daß die Klägerin aus einem entschuldbaren Rechtsirrtum heraus den Lohnsteuerabzug unterlassen hat. Zweifel, die sich ihr hinsichtlich der Lohnsteuerpflicht aufdrängen mußten, konnte sie durch eine verbindliche Anrufungsauskunft nach § 56 LStDV klären lassen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72353

BStBl II 1977, 575

BFHE 1978, 94

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