Leitsatz (amtlich)

Ist die Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, die nicht zu einem Betriebsvermögen gehören, ein Spekulationsgeschäft im Sinn des § 23 EStG, so ist diese Vorschrift auch dann anzuwenden, wenn die veräußerten Anteile eine wesentliche Beteiligung im Sinn des § 17 Abs. 1 EStG darstellen.

 

Normenkette

EStG 1962 §§ 17, 23

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige hat im Jahr 1962, und zwar am gleichen Tage, Geschäftsanteile an der W.-GmbH zum Nominalbetrag von 400 000 DM = 40 v. H. des Stammkapitals mit Anschaffungskosten von 1 913 824 DM erworben und bei Veräußerungskosten von 74 299,35 DM zum Preis von 2 364 000 DM veräußert und dabei einen Gewinn von 375 876,65 DM erzielt. Das FA hat im Einklang mit Abschn. 140 Abs. 2 EStR den Veräußerungsgewinn als Spekulationsgewinn gemäß § 23 EStG erfaßt und nicht den ermäßigten Steuersatz des § 34 EStG unter Anwendung des § 17 EStG (Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung) gewährt. Das FG hat sich der Ansicht des FA angeschlossen. Es führt aus, nach dem EStG 1925 ergebe sich eine solche Auslegung schon aus dem Wortlaut des Gesetzes. Wenn nun die Einkommensteuergesetze ab 1934 den aus dem § 41 EStG 1925 abgeleiteten Begriff des „Ansatz eines Wertes” übernommen hätten, ohne daß sich ein Hinweis oder Grund für eine neue, abweichende Beurteilung solcher Fälle ergäbe, so spreche das dafür, die jetzt gültige Fassung des Abs. 3 des § 23 EStG ebenso wie die entsprechende Vorschrift des § 41 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1925 auszulegen. Deshalb sei auch das FG der Auffassung, daß nach dem EStG 1934 und dem wortgleichen EStG 1962 im Streitfall die Besteuerung sich nach § 23 EStG richte und die Gewährung des begünstigten Steuersatzes nach § 34 EStG ausscheide. Würde man entgegen dieser Auffassung im vorliegenden Fall nicht einen Spekulationsgewinn, sondern einen Gewinn aus der Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung annehmen, dann könnte doch der ermäßigte Steuersatz des § 34 Abs. 1 EStG nicht zur Anwendung kommen, da es sich nicht um eine Zusammenballung von Einkünften mehrerer Jahre handele, die allein die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes rechtfertige.

Mit der Revision macht der Steuerpflichtige geltend, das FG habe zu Unrecht angenommen, bei einem Zusammentreffen von § 23 EStG und § 17 EStG gehe die Anwendung des § 23 EStG vor. Gemäß § 23 Abs. 3 EStG liege ein Spekulationsgeschäft nicht vor, wenn Wirtschaftsgüter veräußert würden, deren Wert bei Einkünften im Sinn des § 2 Abs. 3 Nr. 1–6 EStG anzusetzen sei. § 2 Abs. 3 EStG zähle in ausschließlicher Form die einzelnen Einkunftsarten auf. Inwieweit die einzelnen Einkünfte zu den Einkunftsarten gehörten, bestimme sich gemäß § 2 Abs. 3 letzter Satz EStG nach §§ 1324 EStG Dem § 2 Abs. 3 letzter Satz entsprechend bestimme § 17 EStG, daß zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch die Gewinne aus der Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft zu rechnen seien. § 17 EStG lege also die Zurechnung der Veräußerungsgewinne bei wesentlichen Beteiligungen zu den Einkünften im Sinn des § 2 Abs. 3 Nr. 2 EStG fest. § 23 EStG sei gegenüber § 17 EStG subsidiär. § 23 EStG sei nur ein Ersatztatbestand. Dieser Qualifizierung als Ersatztatbestand sei in der Systematik des Einkommensteuerrechts dadurch Rechnung getragen, daß § 22 (und § 23) EStG nach den §§ 1321 EStG stehe. § 17 EStG gehe also nach der Systematik des Steuergesetzes dem § 23 EStG vor.

Mit dem Hinweis auf die geschichtliche Entwicklung könne nicht das Gegenteil bewiesen werden. Im EStG 1925 sei die Regelung eine andere. Von der Erfassung durch die die Spekulationsgewinne regelnden §§ 41 und 42 seien ausdrücklich nur Gegenstände ausgenommen worden, deren Wert bei einer Gewinnermittlung nach §§ 12, 13 EStG 1925 (entsprechend den jetzigen §§ 4 und 5 EStG) oder bei den Einkünften der in § 6 Abs. 1 Nr. 4–7 EStG 1925 (entspricht § 2 Abs. 3 Nr. 4–7 EStG 1962) bezeichneten Art als Einnahme in Ansatz gebracht werden. Die in § 30 Abs. 3 in Verbindung mit § 7 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1925 geregelte Einnahmenüberschußrechnung sei in § 41 EStG 1925 nicht erwähnt. Daraus ergebe sich im Gegensatz zu der Regelung in den Einkommensteuergesetzen seit 1934, daß im EStG 1925 die Erfassung einer Veräußerung als Spekulationsgeschäft den Vorrang gehabt habe.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist unbegründet.

§ 17 EStG 1962 – Veränderung wesentlicher Beteiligungen – regelt die Behandlung bestimmter Vorgänge, die ihrer Art nach als Vermögensverschiebungen innerhalb des privaten Bereichs einzuordnen sind; denn Voraussetzung für die Anwendung der Vorschrift ist gerade, daß die Anteile an der Kapitalgesellschaft Privatvermögen sind und nicht zu einem Betriebsvermögen gehören (ständige Rechtsprechung vgl. das Urteil des RFH VI A 746/35 vom 23. Oktober 1935, RStBl 1936, 201; Abschn. 140 Abs. 1 EStR 1962). Von den in Betracht kommenden Vorgängen begründet § 17 EStG 1962 die Steuerpflicht nur für einen bestimmten Sektor, nämlich für Veräußerungen, bei denen die in § 17 EStG im einzelnen angeführten Voraussetzungen gegeben sind. § 17 EStG stellt also eine Erweiterung des Begriffs „Einkünfte aus Gewerbebetrieb” durch eine Fiktion um bestimmte Tatbestände dar, die an sich als Vermögensverschiebungen innerhalb des Privatvermögens der Einkommensbesteuerung nicht unterliegen würden, bei denen der Gesetzgeber jedoch wegen der Machtposition, die die Veräußerer einnehmen, eine Zurechnung der Veräußerungen zum gewerblichen Sektor für angezeigt hielt. Durch § 17 EStG werden also bestimmte Vorgänge erst neu in die Einkommensbesteuerung hineingebracht. Dabei ist die Abgrenzung der sachlichen wie der zeitlichen Voraussetzungen vom Gesetzgeber nach seinem Ermessen vorgenommen worden; die Umgrenzung der steuerpflichtigen Vorgänge gerade in der Weise, wie sie geschehen ist, kann mit systematischen Überlegungen nicht begründet werden. Es ergibt sich also, daß bei zwei einander sehr ähnlichen Veräußerungsvorgängen unter Umständen der eine nach § 17 EStG zu einer Steuerpflicht führt, der andere nicht. Das wird im Interesse einer einfachen Handhabung und der klaren Voraussehbarkeit der steuerlichen Behandlung in Kauf genommen. Die aus den dargelegten Gründen geschaffene Steuerpflicht wird zudem in der Regel durch Anwendung des § 34 EStG gemildert.

Während also § 17 EStG die Erweiterung des Bereichs der gewerblichen Einkünfte auf Grund einer Fiktion beinhaltet, ist § 23 EStG 1962 einer der Anwendungsfälle der in § 22 EStG 1962 aufgezählten, von einander sehr verschiedenen „sonstigen Einkünfte”. Hier wird nicht eine Zuordnung zu einer bestimmten Einkunftsart fingiert, sondern nur einer der Anwendungsfälle des § 22 EStG genauer umschrieben. Es dient der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, wenn alle Fälle, in denen die Voraussetzungen des § 23 EStG vorliegen, gleichbehandelt werden und nicht ein Teil von ihnen ausgesondert und anders behandelt wird, weil (zufällig) auch die Voraussetzungen des § 17 EStG gegeben sind. Es entspricht auch der Systematik des EStG, bei einem Steuerfall, der zu den in den §§ 22, 23 EStG primär geregelten Tatbeständen gehört, diesen Vorschriften den Vorrang zu geben gegenüber einer Vorschrift, die das Vorliegen bestimmter Einkünfte nur fingiert, wie das für § 17 EStG zutrifft. Es muß angenommen werden, daß die Sondervorschriften der §§ 22 Nr. 2, 23 EStG die Behandlung aller von ihnen erfaßten Veräußerungsvorgänge abschließend regeln wollten. Es kann nicht als Wille des Gesetzgebers angenommen werden, bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen des § 17 EStG die Anwendung des § 23 EStG ausschließen zu wollen.

Die Reihenfolge der Einkunftsarten in § 2 Abs. 3 EStG 1962 und die sich hieraus ergebende Paragraphenfolge im EStG, die zur Folge hat, daß die Vorschriften über die sonstigen Einkünfte im Sinn des § 2 Abs. 3 Nr. 7 EStG 1962 den Vorschriften über Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 EStG und dem hierzu gehörenden § 17) nachgehen, nötigt nicht zu einer anderen Auslegung. Hieraus kann jedenfalls nicht geschlossen werden, daß die Besteuerung eines Veräußerungsvorgangs nach § 17 EStG derjenigen nach § 23 EStG vorgehen würde.

Diese Auslegung entspricht, worauf das FG zutreffend hinweist, der ständigen Rechtsprechung des RFH zu den dem jetzigen § 23 EStG entsprechenden Vorschriften der §§ 41, 42 der Einkommensteuergesetze vor 1934 und ebenso zu dem § 23 EStG 1934. Der RFH hat schon in den Urteilen VI A 1286/30 vom 13. November 1930 (RStBl 1931, 134) und VI A 929/31 vom 10. Juni 1931 (RStBl 1931, 813) entschieden, daß die Vorschriften über die Besteuerung von Spekulationsgeschäften gegenüber denjenigen über die Besteuerung der Veräußerung wesentlicher Beteiligungen Sondervorschriften darstellen. Den gleichen Standpunkt hat der RFH in den Urteilen VI A 362/37 vom 4. August 1937 (RStBl 1938, 82) und VI 112/41 vom 9. April 1941 (RStBl 1941, 443) zu §§ 23, 17 EStG 1934 eingenommen.

Diesen grundlegenden Überlegungen gebührt der Vorrang vor einer Interpretation von Vorschriften des EStG rein nach ihrem Wortlaut. Ihr steht insbesondere auch § 23 Abs. 3 EStG 1962 nicht entgegen. Die Vorschrift bestimmt, daß Spekulationsgeschäfte nicht vorliegen, wenn Wirtschaftsgüter veräußert werden, deren Wert bei Einkünften im Sinn des § 2 Abs. 3 Nr. 1–6 EStG anzusetzen ist. Sie hat ihren Vorläufer in § 41 Abs. 1 Nr. 1 der Einkommensteuergesetze vor 1934. Danach waren „sonstige Leistungsgewinne” Einkünfte aus Veräußerungsgeschäften, es sei denn, daß es sich um Gegenstände handelte, deren Wert bei einer Gewinnermittlung nach §§ 12, 13 (entspricht den jetzigen §§ 4, 5) oder bei Einkünften der in § 6 Abs. 1 Nr. 4–7 bezeichneten Art (entspricht dem jetzigen § 2 Abs. 3 Nr. 4–7) als Einnahme in ansatz gebracht wird. Die Steuerpflicht der Veräußerung wesentlicher Beteiligungen war nicht in den §§ 12 und 13 oder im Anschluß an sie geregelt, sondern in der besonderen Vorschrift des § 30 Abs. 3 EStG 1925 ff. mit der ausdrücklichen Anordnung, daß für die Ermittlung des Gewinns die Überschußrechnung (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1925) galt. Bei dieser handelt es sich um eine Einkommensermittlungsart, die für gewerbliche Einkünfte im übrigen nicht galt; ihre Anwendung auf bestimmte gewerbliche Einkünfte, nämlich die Veräußerung wesentlicher Beteiligungen, mußte deshalb ausdrücklich geregelt werden. Da die Vorschrift des § 30 Abs. 3 in § 41 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1925 ff. nicht erwähnt war, konnte schon unmittelbar aus dem Gesetz entnommen werden, daß der Besteuerung eines Veräußerungsgeschäfts als Spekulationsgeschäft gegenüber der als Veräußerung wesentlicher Beteiligung der Vorrang gebührte.

Das EStG 1934 hat an allen hier in Betracht kommenden Regelungen sachlich (soweit es hier interessiert) nichts geändert. Die den §§ 41, 42 EStG 1925 ff. entsprechenden Vorschriften der §§ 22 Nr. 2, 23 EStG 1962 wurden allerdings in der Fassung verändert. Das gilt insbesondere für § 23 Abs. 3 EStG 1962. Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, daß der Gesetzgeber an der grundsätzlichen Stellung der jeztigen §§ 23 und 17 EStG 1962 zueinander etwas ändern wollte. Wäre das beabsichtigt gewesen, so kann angenommen werden, daß darüber in der ausführlichen Begründung zum EStG 1934 etwas gesagt worden wäre. Das ist nicht der Fall.

§ 23 Abs. 3 EStG 1962 ist sehr weit gefaßt, indem er dem Wortlaut nach die Anwendung des § 23 EStG auf alle denkbaren Fälle ausschließt, in denen der Wert von Wirtschaftsgütern bei einer der Einkunftsarten des § 2 Abs. 3 Nr. 1–6 anzusetzen ist. Mit dieser ungewöhnlich weiten Fassung geht er offenbar über das mit ihm verfolgte Ziel hinaus, indem er auch Fälle umfaßt, von denen sinngemäß anzunehmen ist, daß sie von dieser Vorschrift nicht erfaßt werden sollen. Die Vorschrift bedarf deshalb einer sinngemäßen Auslegung. Diese Auslegung führt zu der Annahme, daß bei Einkünften aus Gewerbebetrieb diese Vorschrift sich, soweit die Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften in Betracht kommt, nur auf solche Einkünfte bezieht, die ihrer Art nach und nicht erst durch die Fiktion des § 17 EStG 1962 gewerbliche Einkünfte sind. Nur die Besteuerung einer sich im Bereich des Betriebsvermögens abspielenden Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft als gewerbliche Einkünfte nach den §§ 15, 16 EStG hat also den Vorrang vor einer Behandlung der Veräußerung als Spekulationsgeschäft, weil der Wert der Anteile bei den (echten) Einkünften aus Gewerbebetrieb anzusetzen ist. Die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen bei wesentlichen Beteiligungen erfolgt nicht auf der Grundlage eines Vermögensvergleichs. Voraussetzung ist vielmehr gerade, daß sich die veräußerten Anteile im Privatvermögen befunden haben. Der Wert wird also bei der Einkunftsermittlung nicht angesetzt. (Im Ergebnis ebenso insbesondere Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 17 EStG Anm. 33; Lademann-Lenski-Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 23 Anm. 2, und Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, § 23 Anm. 2).

 

Fundstellen

Haufe-Index 557414

BStBl II 1970, 400

BFHE 1970, 346

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