Leitsatz (amtlich)

1. Der III.Senat schließt sich der Rechtsprechung des VI.Senats (Urteile vom 25.März 1983 VI R 275/80, BFHE 138, 343, BStBl II 1983, 453, und vom 9.Dezember 1983 VI R 196/81, BFHE 140, 230, BStBl II 1984, 309) an, daß bei Unterhaltsleistungen an Bewohner der DDR und Berlin-Ost die Bedürftigkeit der Empfänger in der Regel zu unterstellen ist.

2. Auch in diesen Fällen ist die sog. Opfergrenze (vgl. BFH-Urteil vom 4.April 1986 III R 245/83, BFHE 147, 231, BStBl II 1986, 852) zu beachten.

 

Orientierungssatz

Eine Unterhaltsgewährung ist grundsätzlich nur notwendig, wenn die unterhaltene Person unterhaltsbedürftig ist. Die Bedürftigkeit des Zahlungsempfängers hat der Steuerpflichtige nachzuweisen oder glaubhaft zu machen. Bei Barzahlungen ist dabei die Verwendung des Geldes regelmäßig nicht entscheidend. Bei Hingabe von Wirtschaftsgütern hat allerdings eine Prüfung des Unterhaltscharakters zu erfolgen (vgl. Rechtsprechung: BFH, FG Berlin).

 

Normenkette

EStG § 33a Abs. 1 S. 1, § 33 Abs. 2 S. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) machte für die Streitjahre 1973 bis 1976 folgende Unterhaltszahlungen als außergewöhnliche Belastung geltend:

1973 1974 1975 1976

---- ---- ---- ----

DM DM DM DM

an Vater G 1 200 1 200 -- --

an Mutter G 1 200 1 200 3 000 3 000

an Schwester U 1 200 1 200 1 000 1 500

an Schwager J 1 200 1 200 1 000 1 000

an Schwester F

1 200 1 200 1 000 1 500

an Schwager B 1 200 1 200 1 000 1 000

----- ----- ----- -----

zusammen 7 200 7 200 7 000 8 000.

Die Angehörigen lebten in den Streitjahren in der DDR bzw. in Berlin-Ost. Zum Nachweis der Zahlungen legte der Kläger Visabescheinigungen, Zollerklärungen, Fahrkarten und Quittungen seiner Angehörigen über den Empfang der geltend gemachten Beträge vor.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) hielt die Quittungen nicht für ausreichende Zahlungsnachweise und berücksichtigte zunächst lediglich die Pauschbeträge, die die Finanzverwaltung für Ostbesuche vorsah (1973: 420 DM; 1974: 0 DM; 1975: 350 DM; 1976: 530 DM).

Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Im Klageverfahren führte der Kläger zur Bedürftigkeit seiner Angehörigen folgendes aus: Der durchschnittliche Monatsverdienst seines Vaters habe bis zu dessen Tod 591 Mark betragen. Seine nicht erwerbstätige Mutter beziehe seitdem eine Witwenrente von 264 Mark. Das Ehepaar U und J habe zwei Kinder (geboren 1972 und 1976). J verdiene schätzungsweise 650 Mark; U, seine, des Klägers Schwester, sei Hausfrau. Unterlagen könnten nicht beschafft werden, weil sich diese Angehörigen aus Angst weigerten, schriftliche Erklärungen auszuhändigen. West-Kontakte seien nicht erwünscht. Die Eheleute F und B seien kinderlos. Die Einkommensverhältnisse könnten nicht belegt werden, da der Ministerrat den Kontakt schriftlich untersagt habe.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es lehnte die Anerkennung der geltend gemachten Unterhaltszahlungen mit der Begründung ab, daß der Kläger die Bedürftigkeit der Empfänger nicht nachgewiesen habe. Die Vorinstanz ließ offen, ob die Zahlungen tatsächlich geleistet wurden.

Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts.

Er beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung seine Unterhaltszahlungen in vollem Umfang (1973: 7 200 DM; 1974: 7 200 DM; 1975: 7 000 DM; 1976: 8 000 DM) als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen.

Das FA beantragt, Teilbeträge (1973: 1 620 DM; 1974: 1 440 DM; 1975: 1 550 DM; 1976: 1 730 DM) gemäß § 33a Abs.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen und im übrigen die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Aufwendungen für den Unterhalt von Personen, für die ein Anspruch auf Kindergeld nicht besteht, sind unter weiteren Voraussetzungen bis zu einer bestimmten Höhe als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, wenn sie dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwachsen (§ 33a Abs.1 EStG). Zwangsläufigkeit liegt vor, wenn sich der Steuerpflichtige den Aufwendungen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33a Abs.1 i.V.m. § 33 Abs.2 EStG). Eine Unterhaltsleistung ist grundsätzlich nur notwendig, wenn die unterhaltene Person unterhaltsbedürftig ist (BFH-Urteile vom 25.März 1983 VI R 275/80, BFHE 138, 343, BStBl II 1983, 453; vom 10.Juli 1982 VI R 132/80, BFHE 134, 25, BStBl II 1982, 21). Die Bedürftigkeit des Zahlungsempfängers (vgl. § 33a Abs.1 Sätze 2 und 3 EStG) hat der Steuerpflichtige nachzuweisen oder glaubhaft zu machen (BFH-Urteile in BFHE 138, 343, BStBl II 1983, 453; vom 20.Januar 1978 VI R 193/74, BFHE 124, 508, BStBl II 1978, 338).

2. Der VI.Senat des BFH hat in seinem Urteil in BFHE 138, 343, BStBl II 1983, 453 (ebenso im Urteil vom 9.Dezember 1983 VI R 196/81, BFHE 140, 230, BStBl II 1984, 309) entschieden, bei Unterhaltsleistungen an Bewohner der DDR sei die Bedürftigkeit der Empfänger in der Regel zu unterstellen. Dieser Rechtsprechung, die die von der Finanzverwaltung bisher vertretene Rechtsauffassung bestätigt hat (nunmehr koordinierter Ländererlaß vom 1.April 1985, BStBl I 1985, 202), haben sich der IX.Senat des BFH in seinem Urteil vom 16.Juli 1985 IX R 1/78 (BFH/NV 1985, 33) und überwiegend auch das Schrifttum (z.B. Richter, Finanz-Rundschau --FR-- 1984, 11; Erhard, Der Betrieb --DB-- 1984, 1319; Nissen, Rechts- und Wirtschaftspraxis --RWP--, Aktuelle Information Steuerrecht, Sg.1.3, 661 - Anm.; Gericke in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 33a Anm.10; Sunder-Plassmann in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 14.Aufl., § 33a EStG Anm.35; Frost in Frotscher, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 33a Anm.35) angeschlossen. In seiner Entscheidung in BFHE 138, 343, BStBl II 1983, 453 hat sich der VI.Senat bereits eingehend und überzeugend mit den von der Gegenmeinung (vgl. insbesondere Urteil des FG Berlin vom 26.Oktober 1983 VI 119/83, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1984, 403; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 5.Aufl., § 33a Anm.2 e; Rössler, Deutsche Steuerzeitung/Ausgabe A --DStZ/A-- 1983, 482) vorgebrachten Argumenten auseinandergesetzt. Da sich seit dieser Grundsatzentscheidung die tatsächlichen Verhältnisse nicht grundlegend verändert und neue zusätzliche Gesichtspunkte, die eine abweichende Entscheidung rechtfertigen könnten, nicht ergeben haben, schließt sich der erkennende Senat der vom VI.Senat vertretenen Rechtsauffassung an.

3. Das FG ist von einer anderen Rechtsmeinung ausgegangen. Da im Streitfall keine Anhaltspunkte für einen außergewöhnlichen Sachverhalt ersichtlich sind, hätte es nach den vorstehenden Ausführungen die Bedürftigkeit der Empfangspersonen unterstellen müssen. Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif, so daß sie gemäß § 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an das FG zurückzuverweisen ist.

Das FG wird nunmehr insbesondere Feststellungen zu treffen haben, nach denen beurteilt werden kann, ob der Kläger die angegebenen Beträge tatsächlich gezahlt hat. Entgegen der Auffassung des FA ist bei Barzahlungen die Verwendung des Geldes regelmäßig nicht entscheidend; eine Prüfung, ob die Aufwendungen Unterhaltscharakter haben (Hinweis auf Urteil in BFHE 138, 343, BStBl II 1983, 453, m.w.N.), hat allerdings zu erfolgen, wenn Wirtschaftsgüter hingegeben werden (insoweit ebenso: Urteil des FG Berlin vom 11.Juni 1980 VI 332/79 --rechtskräftig--, EFG 1981, 22).

Außerdem wird das FG zu prüfen haben, ob die Aufwendungen dem Kläger zwangsläufig erwachsen sind (§ 33 Abs.2 EStG). Eine Unterhaltspflicht entfällt, wenn der Kläger bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande war, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts noch anderen Personen Unterhalt zu gewähren (§ 1603 Abs.1 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 4.April 1986 III R 245/83 (BFHE 147, 231, BStBl II 1986, 852) dürfen Unterhaltsleistungen im allgemeinen nur insoweit als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, als sie in einem angemessenen Verhältnis zum Nettoeinkommen des Leistenden stehen und diesem nach Abzug der Unterhaltsleistungen noch die angemessenen Mittel zur Bestreitung des Lebensbedarfs für sich sowie ggf. für seine Ehefrau und seine Kinder verbleiben. Bei der Berechnung dieser sog. Opfergrenze ist Tz.2.5.2 des Schreibens des Bundesministers der Finanzen vom 27.Juli 1984 IV B 6 - S 2352 - 16/84 (BStBl I 1984, 402) als zutreffende norminterpretierende Verwaltungsregelung zu beachten. Die Grundsätze im Urteil in BFHE 147, 231, BStBl II 1986, 852, die zu den Unterhaltsleistungen der Gastarbeiter entwickelt wurden, gelten gleichermaßen für Unterhaltsleistungen an Bewohner der DDR und Berlin-Ost (vgl. auch BFH-Urteil vom 16.Juli 1985 IX R 1/78, BFH/NV 1985, 33).

 

Fundstellen

Haufe-Index 61496

BStBl II 1987, 238

BFHE 148, 476

BFHE 1987, 476

BB 1987, 601

BB 1987, 601-601 (ST)

DB 1987, 919-920 (ST)

DStR 1987, 268-268 (ST)

HFR 1987, 294-295 (ST)

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