Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Wird ein im ganzen vorläufiger Steuerbescheid nach § 100 AO nicht angefochten und werden die Abgaben alsdann nach § 225 AO endgültig festgesetzt, so umfaßt die Anfechtung dieses endgültigen Steuerbescheides auch den vorläufigen Steuerbescheid. Der Senat bestätigt damit das Urteil des RFHofs IV A 133/30 vom 10. September 1930, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1930 S. 430 Nr. 102.

Die Handelsvertragsbestimmungen der 1. und der 2. Anmerkung zu Absatz 2 Unterabsatz 2 der Zolltarifnr. 651 A lassen neben dem Holzstoff bis zu 5 % andere Bestandteile zu. - Deutsch-Finnischer Handelsvertrag vom 24. März 1934, Reichsgesetzbl. II S. 140 ff, 144; Zolltarifnr. 651 A Absatz 2 Unterabsatz 2 und Anm. 1 und 2 dazu Warenverzeichnis 1939 S. 136, Stichwort "Pappen" Teil 2 Absatz 2 und die Anm. 1 und 2 dazu -.

 

Normenkette

AO §§ 225, 100

 

Tatbestand

Auf Antrag des Beschwerdeführers (Bf.) sind am 14. Juni 1949 222,40 dz einer aus österreich eingeführten als "Holzstoffpappe, roh, Klasse C" angemeldeten Ware als "Pappe aus Holzstoff, andere, bei einem qm-Gewicht von 525 g, fest gewalzt, grau" nach Tarifnr 651 A zum Zollsatz von v 4 DM/1 dz zum freien Verkehr abgefertigt und dafür

889,60 DM Zoll + 381,55 DM Umsatzausgleichsteuer 1.271,15 DM Abgaben erhoben worden.

Nach dem danach eingeholten Gutachten der Zolltechnischen Prüfungsanstalt vom 13. Juli 1949 sind die Waren grob gegautschte, einseitig glatte graue Pappen mit über 350 g qm-Gewicht und 0,6 bzw. 0,75 mm Stärke, vorwiegend aus einem Gemisch von mechanisch und chemisch bereitetem Holzstoff unter Beimischung von etwa 5 bis 10 % verschiedener pflanzlicher (Spinnstoff-) Fasern, die keine "zufällige" Verunreinigung darstellen.

Der Steuerbescheid vom 1. August 1949 hat sie daher (nicht als "Feinpappe" des Abs. 1 der Zolltarifnr. 651 A = Nr 1 des Stichworts "Pappen" im Warenverzeichnis 1939 S. 631, mit 8 DM/1 dz zollbar, wie der Bf. meint, sondern) als andere Pappen des Abs. 2 Unterabsatz 2 der Zolltarifnr. 651 A = Nr 2 Absatz 2 des genannten Stichworts auch mit 8 DM/1 dz zollbar, angesprochen, und hat für sie

1.779,20 - 889,60 DM Zoll + 408,25 - 381,55 = 26,70 DM Umsatzausgleichsteuer, zusammen 916,30 DM Abgaben nachgefordert.

Der Bf. hat diesen Steuerbescheid vom 1. August 1949 durch seinen am 26. August 1949 bei dem Hauptzollamt eingegangenen Schriftsatz vom 23. August 1949 angefochten und hat diese Anfechtung durch den Schriftsatz vom 29. September 1949 auf den Steuerbescheid vom 16. Juli (sprich: 14. Juni) ausgedehnt mit dem Antrag, die Waren dem Zollsatz von v 3 DM/1 dz der Zolltarifnr. 651 A zu unterstellen und ihm deshalb 222,40 DM zu viel entrichteten Zoll und die anteilige Umsatzausgleichsteuer, d. h. 381,55 - 374,90 = 6,65 DM, zusammen also 229,05 DM Abgaben zu erstatten.

Der Bf. beruft sich dabei gegenüber dem Gutachten der Zolltechnischen Prüfungsanstalt vom 13. Juli 1949 auf das Schreiben der Evidenzstelle der österreichischen Papier- und Pappenfabriken in Deutschland vom 3. August 1949 und auf das Gutachten der Technischen Hochschule in Wien vom 11. August 1949 und gegenüber dem weiteren Gutachten der Zolltechnischen Prüfungsanstalt vom 21. Dezember 1949 in seinen Schriftsätzen vom 21. Januar und vom 17. März 1950 auf ein weiteres Schreiben der genannten Evidenzstelle vom 14. Februar 1950. Auf den Inhalt der drei Gutachten und der beiden Schreiben wird Bezug genommen.

Die Anfechtungsentscheidung vom 24. März 1950 hat die Anfechtung gegen den Steuerbescheid vom 14. Juni 1949, weil verspätet eingelegt, als unzulässig verworfen und hat die Anfechtung gegen den Steuerbescheid vom 1. August 1949 als unbegründet zurückgewiesen, weil sie die 1. und die 2. Anmerkung zu Absatz 2 Unterabsatz 2 (andere Pappen 8 DM/1 dz) der Zolltarifnr. 651 A wegen des Vorhandenseins wenn auch nur geringer Mengen von Spinnstoff-Fasern für nicht anwendbar erachtet hat.

Die Rechtsbeschwerde vom 29. April 1950, begründet durch den Schriftsatz vom 29. Juli 1950, beantragt unter Vorlage eines Gutachtens des Instituts für Papierfabrikation an der Technischen Hochschule in Darmstadt vom 12. Juni 1950 die Aufhebung der Anfechtungsentscheidung vom 24. März 1950 "in vollem Umfang".

 

Entscheidungsgründe

I. Die Rechtsbeschwerde wendet sich zunächst gegen die Verwerfung der Anfechtung gegen den Steuerbescheid vom 14. Juni 1949. Dieser Steuerbescheid über 889,60 DM Zoll und 381,55 DM Umsatzausgleichsteuer enthält den Vermerk: "Probe zur Untersuchung ... an Zolltechnische Prüfungsanstalt übersandt". Nach der Anfechtungsentscheidung konnte das Zollamt "die tarifliche Beschaffenheit der Ware nicht einwandfrei feststellen, ... behielt sich die endgültige Zollfestsetzung bis zum Eingang des Untersuchungsbefundes vor und unterrichtete von dieser Sachlage den Bf. Danach ist der Steuerbescheid vom 14. Juni 1946 ein vorläufiger Steuerbescheid im Sinne des § 100 der Reichsabgabenordnung (AO) (vgl. Siegert, Zollgesetz, 3. Auflage 1950 Anm. 2 Absatz 2 zu § 86 S. 155). Da dieser Steuerbescheid erst mit dem am 26. August 1949 eingegangenen Schriftsatz angefochten worden ist, das Zollamt aber nach § 225 AO den endgültigen Steuerbescheid schon am 1. August 1949 erlassen hat, durfte der Bf. die ganze Steuerfestsetzung (vgl. Entsch. des RFHofs IV A 133/30 vom 18. September 1930, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1930 S. 430 Nr 102, und I A 216/25 vom 9. Februar 1926, Slg. Bd. 18 S. 269) anfechten. Seine Anfechtung vom 23. August 1949 betrifft daher die gesamte Zollforderung von 1,779,20 DM und die ganze Umsatzausgleichsteuerforderung von 408,25 DM, zusammen also 2.187,45 DM Abgaben. Die Anfechtung gegen den Steuerbescheid vom 14. Juni 1949 ist rechtzeitig eingelegt und durfte nicht als unzulässig verworfen werden. Insoweit war daher die Anfechtungsentscheidung aufzuheben.

II. Die Rechtsbeschwerde bekämpft die Auffassung der Vorinstanz, daß selbst der geringste Zusatz von Spinnstoff-Fasern die Anwendung der Vertragzollsätze auf die vorgelegte Ware ausschließe. Sie beruft sich dabei auf das nachträglich beigebrachte Gutachten des Instituts für Papierfabrikation an der Technischen Hochschule in Darmstadt vom 12. Juni 1950 und auf die ständige übung der Jahre 1948 bis 1950 in den verschiedensten Gebieten der Bundesrepublik, wo in mindestens 12 Fällen Pappen der eingeführten Art mit v 4 DM/1 dz verzollt worden seien.

Der Rechtsbeschwerde ist der Erfolg nicht zu versagen, allerdings nicht wegen der zuletzt genannten übung, da diese kein Recht schaffen kann. Streitig ist allein, ob die eingeführten Pappen dem autonomen Zollsatz von 8 DM/1 dz für "andere" Pappen des Abs. 2 Unterabsatz 2 der Zolltarifnr. 651 A = Teil 2 des Stichworts "Pappen" im Warenverzeichnis 1939 S. 631 zu unterstellen oder ob und welchen der Vertragssätze von 4 DM/1 dz der 1. oder von 3 DM/1 dz der 2. Anmerkung zu Absatz 2 Unterabsatz 2 der Zolltarifnr. 651 A = Anm. 2 zu dem genannten Absatz 2 beim Stichwort "Pappen" im Warenverzeichnis sie zuzuweisen sind.

Die genannten beiden Anmerkungen geben den bezüglichen Wortlaut des Tarifs A "aus Zolltarifnr. 651 A" des deutsch-finnischen Handelsvertrags vom 24. März 1934, Reichsgesetzbl. II S. 140 ff, 144 (Verordnung vom 27. März 1934, Reichsgesetzbl. II S. 139) wieder. Erläuterungen zu diesen Vertragsbestimmungen stehen nicht zur Verfügung. Die beiden Anmerkungen betreffen die "anderen" Pappen (Absatz 2 Unterabsatz 2 der Zolltarifnr. 651 A), d. h. die, die nicht unter Absatz 1 und unter Absatz 2 Unterabsatz 1 fallen. Die 1. Anmerkung behandelt diese Pappen ohne Unterschied, ob sie aus mechanisch bereitetem Holzstoff = Holzschliff oder ob sie aus chemisch bereitetem Holzstoff = Holzzellstoff bestehen. Für sie gilt der Zollsatz von v 4 DM/1 dz.

Die 2. Anmerkung trennt die Pappen, die lediglich aus Holzschliff bestehen und

die Pappen, die neben Holzschliff höchstens 15 % Holzzellstoff enthalten.

Beide Pappenarten müssen von zwischenstaatlich vereinbarten Zeugnissen begleitet sein (für österreich vgl. Erlaß des Reichsministers der Finanzen Z 1400 - 2364 II vom 31. Oktober 1934, Reichszollbl. 1934 S. 648; für sie gilt der Zollsatz von v 3 DM/1 dz.

Die Vorinstanzen haben die Anwendung der beiden Vertragssätze abgelehnt, weil in den Pappen (nicht einmal beabsichtigte, sondern durch die Verwendung von Altstoff zwangsläufig verursachte) geringfügige "Beimengungen" von Spinnstoff-Fasern enthalten waren. Diese Auffassung wird durch die Vertragsbestimmungen des deutsch-finnischen Handelsvertrags nicht gedeckt: Diese lassen die Absicht einer so engen Auslegung an keiner Stelle erkennen, und wenn auch Handelsvertragsbegünstigungen grundsätzlich eng ausgelegt werden sollen, so ist damit einer zu engen Auslegung nicht das Wort geredet. Insbesondere wird diese hier nicht etwa durch das Wort "lediglich" in der 2. Anmerkung bedingt, weil dadurch, wie oben gezeigt, die in der 1. Anmerkung unterschiedslos zusammengefaßten "anderen" Pappen des Abs. 2 Unterabsatz 2 getrennt werden sollen in Pappen, die lediglich = allein aus Holzschliff bestehen, und in solche, die neben Holzschliff auch Holzzellstoff enthalten. Diese Rechtslage haben die Vorinstanzen verkannt. Der Steuerbescheid vom 1. August 1949 und der ihn betreffende Teil der Anfechtungsentscheidung vom 24. März 1950 waren daher ebenfalls aufzuheben.

Die Sache ist spruchreif. Die 2. Anmerkung mit dem 3 DM-Vertragzollsatz ist allerdings nicht anwendbar, weil die Pappen nicht lediglich aus Holzschliff (1. Teil), sondern aus Holzschliff und aus Holzzellstoff (2. Teil) bestehen, der letztere aber über 15 % beträgt. In dieser Hinsicht ist der Vorentscheidung (S. 6 vorletzter Absatz) beizutreten. Danach darf nur die Vertragsbestimmung der 1. Anmerkung mit dem Zollsatz von v 4 DM/1 dz, und zwar unter Beachtung der bei jeder Verzollung zu beobachtenden Vorschriften, angewendet werden. Einen Anhalt bietet die 9. Vorbemerkung zum Warenverzeichnis, die zwar von mechanischen Gemengen spricht, hier aber nicht außer acht gelassen werden darf (vgl. Entsch. des RFHofs IV A 205/28 vom 12. September 1928, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1928 S. 415 Nr. 147). Nach Absatz 1 Satz 2 dieser 9. Vorbemerkung bleiben Bestandteile, deren Menge unerheblich ist, außer Betracht, und als unerheblich sind nach Satz 3 Bestandteile anzusehen, deren probe- oder schätzungsweise ermitteltes Gewicht nicht mehr als 5 % des Gesamtgewichts ausmacht. Nach dem Gutachten der Zolltechnischen Prüfungsanstalt vom 13. Juli 1949 hat das Gewicht der Pflanzenfasern "schätzungsweise" 5 bis 10 % betragen. Das Gutachten der Technischen Hochschule in Wien vom 11. August 1949 (das hierbei nicht als Zeugnis im Sinne der 2. Anm. zu Absatz 2 Unterabsatz 2 der Zolltarifnr. 651 A herangezogen wird), bemißt dieses Gewicht bei 90 % gemischten Papierabfällen und 10 % ungebrauchtem Zellstoff auf unter 1 %, die "nur aus hadernhaltigen Papierabfällen bestehen können". Das Gutachten der Technischen Prüfungsanstalt vom 21. Dezember 1949 führt die geringe, wenn auch "nicht ganz unwesentliche" Beimengung anderer pflanzlicher Fasern (Baumwolle, Jute, Hanf und dergl.) auf die vorwiegende Verwendung von Altstoffen (Altpapier) bei der Herstellung der Pappen zurück, die "naturgemäß ganz verschiedenartiges Fasernmaterial und dieses in ganz ungleichmäßiger Verteilung" enthalten, "so daß einzelne Präparate fast keine Beimengung, andere aber eine solche von 5 % und mehr an anderen (Spinnstoff-) Fasern enthalten".

Unter diesen Umständen sind die in der Pappe enthaltenen Pflanzenfasern bei durchschnittlich nicht über 5 % unerheblich und deshalb unbeachtlich. Da danach auf die Pappen die Vertragsbestimmung der 1. Anm. zu Abs. 2 Unterabsatz 2 der Zolltarifnr. 651 A anzuwenden ist, waren die Pappen mit v 4 DM/1 dz zu verzollen, wie es der 1. Steuerbescheid vom 14. Juni 1949 ausgesprochen hat.

Da der Bf. die Pappe mit v 3 DM/1 dz verzollen will, die Vorinstanz von ihm 8 DM/1 dz gefordert hat und er nach dem Vorstehenden v 4 DM/1 dz schuldet, wird um 8 - 3 = 5 DM/1 dz, d. h. um 1,145,35 DM Abgaben gestritten, wobei der Bf. mit 1/5 unterliegt und mit 4/5 obsiegt.

Danach war, wie geschehen, zu erkennen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 307 AO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407165

BStBl III 1951, 18

BFHE 1952, 44

BFHE 55, 44

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