Leitsatz (amtlich)

Verzichtet ein Grundstückseigentümer durch schuldrechtlichen Vertrag auf die Einhaltung des gesetzlich vorgeschriebenen Abstandes eines auf dem Nachbargrundstück errichteten Gebäudes von der Grundstücksgrenze, so ist das dafür erhaltene Entgelt nach § 22 Nr. 3 EStG zu versteuern.

 

Normenkette

EStG § 22 Nr. 3

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) eine Entschädigung, welche sie für den Verzicht auf die Einhaltung des vorgeschriebenen Grenzabstandes zu ihrem Grundstück von dem Grundstücksnachbarn erhalten hat, nach § 22 Nr. 3 EStG zu versteuern hat.

Die Klägerin ist Eigentümerin eines gemischtgenutzten, bebauten Grundstücks. Anfang des Jahres 1965 trat der Eigentümer des Nachbargrundstücks an sie mit der Bitte heran, ihn für die geplante Errichtung eines Kaufhauses von der Einhaltung des nach der Hessischen Bauordnung vorgesehenen Mindestabstandes von 6,50 m von der Grundstücksgrenze zu befreien. Die Klägerin verzichtete mit Erklärung vom 29. Juni 1967 gegen Zahlung einer einmaligen Abfindung von 43 000 DM dem Nachbarn gegenüber auf den ihr zustehenden Rechtsanspruch.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) sah zunächst im vorläufigen Einkommensteuerbescheid vom 31. Januar 1969 von der Besteuerung der Abfindung ab. Nach Durchführung einer Betriebsprüfung berichtigte das FA den Steuerbescheid nach § 225 AO und erfaßte die Entschädigung zu 22 v. H. als gewerblichen Gewinn, zu 78 v. H. (33 540 DM) als Einnahmen i. S. von § 22 Nr. 3 EStG.

Die gegen den berichtigten Einkommensteuerbescheid erhobene - sachlich gegen die Besteuerung des Privatanteils der Zahlung gerichtete - Sprungklage blieb erfolglos. Die Vorentscheidung ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1973 S. 430 veröffentlicht. Das FG hat festgestellt, die Entschädigung sei nach der Beweisaufnahme nicht als Ausgleich für entgehende Mieteinnahmen gewährt worden. Bei der Gegenleistung für den Rechtsverzicht handle es sich jedoch um das Entgelt für eine Leistung i. S. von § 22 Nr. 3 EStG. Entgegen der Auffassung der Klägerin liege der Zahlung kein Veräußerungsvorgang zugrunde, der nicht erfaßt werden könnte. Eine derartige Veräußerung setze voraus, daß zwischen dem Leistenden und demjenigen, der etwas dafür bezahle, ein Austauschverhältnis in der Weise bestehe, daß der Vermögenswert auf ihn übertragen werde. Das sei hier nicht der Fall.

Mit der Revision wendet sich die Klägerin gegen dieses Urteil. Sie beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den berichtigten Einkommensteuerbescheid dahin gehend zu ändern, daß die sonstigen Einkünfte auf 372 DM herabgesetzt werden. Das FG habe den Begriff der Leistung i. S. von § 22 Nr. 3 EStG verkannt. Der Rechtsverzicht der Klägerin habe zu einer Verminderung ihres Besitzstandes geführt. Die Folgen der Grenzbebauung kämen wirtschaftlich einem Verlust der eigenen Verfügungsgewalt über die mit dem Eigentum am Grundstück verbundenen Rechte gleich. Die Entschädigung sei ein Ausgleich dafür, daß die Klägerin in ihrer Bewegungsfreiheit für die Ausnutzung ihres eigenen Grundstücks beeinträchtigt werde. Damit liege der Vorgang bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ausschließlich in der Vermögenssphäre und sei nicht steuerbar.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Begriff der Leistung i. S. des § 22 Nr. 3 EStG ein Tun, Unterlassen und Dulden umfaßt, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann und um des Entgelts willen erbracht wird, soweit es sich nicht um einen in der - grundsätzlich nicht steuerbaren - Vermögenssphäre liegenden Vorgang handelt (vgl. zuletzt Urteil des BFH vom 5. August 1976 VIII R 117/75, BStBl II 1977, 27).

Der Klägerin ist zuzustimmen, daß die Vorinstanz den privaten Vermögensbereich zu eng gesehen hat. Der private Vermögensbereich beschränkt sich nicht auf Veräußerungen im eigentlichen Sinne. Er erstreckt sich vielmehr auf andere, einem Veräußerungsvorgang gleichzustellende Vermögensumschichtungen (vgl. im einzelnen BFH-Urteil VIII R 117/75).

Gleichwohl kann die Revision keinen Erfolg haben. Das Entgelt für eine in der Überlassung eines Wirtschaftsgutes des Privatvermögens bestehende Leistung unterliegt dann nicht der Besteuerung nach § 22 Nr. 3 EStG, wenn es nach dem wirtschaftlichen Gehalt der zugrunde liegenden Vereinbarungen im Einzelfall dem Normalbild des Ausgleichs für eine Minderung des eingesetzten Vermögens in seiner Substanz entspricht (vgl. BFH-Urteil VIII R 117/75).

Ob diese Voraussetzungen für die Besteuerung der Abfindung im Streitfall gegeben sind, wird im Schrifttum unterschiedlich beurteilt (bejahend z. B. Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 11. Aufl. 1974, §§ 22, 23 EStG Anm. 66; ablehnend Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 22 EStG Anm. 74 - 75 Stichwort "Grundstücksgeschäfte"). Der erkennende Senat hält die Entscheidung des FG im Ergebnis für zutreffend. Die Klägerin hat nicht - wie im Falle der Verfügung über ein besonders günstiges Mietrecht bzw. einen abtrennbaren Teil dieser Rechtsposition gegen Zahlung einer Abfindung - auf einen selbständig zu beurteilenden Vermögenswert verzichtet. Selbst wenn es sich bei dem Anspruch auf Einhaltung des Grenzabstandes um ein vermögenswertes, subjektiv-öffentliches Recht handelt, läßt sich dieses Recht nicht von dem der Klägerin verbliebenen Eigentumsrecht an ihrem Grundstück lösen. Es ist ein Ausfluß der Eigentümerposition, mit der es untrennbar verknüpft bleibt. Der freiwillige, entgeltliche Verzicht schlägt sich - allenfalls - in der Nutzbarkeit des eigenen Grundstücks nieder. Die Umschichtung von Vermögenswerten tritt in den Hintergrund gegenüber der Nutzung der verbleibenden Substanzwerte. Denn die Klägerin kann durch den schuldrechtlichen Verzicht auf Ausübung ihres Rechts gegenüber dem Nachbarn dieses Recht weder übertragen noch aufgeben. Sie nutzt ihr Eigentum ähnlich wie bei einer Verpachtung. Bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung kann die Abfindung also nicht anders beurteilt werden als das für den Verzicht auf die bestimmte Nutzung eines Grundstücks (BFH-Urteil vom 9. April 1965 VI 82/63 U, BFHE 82, 319, BStBl III 1965, 361) oder das für die Bestellung einer Baulast gewährte Entgelt (BFH-Urteil vom 26. August 1975 VIII R 167/71, BFHE 116, 550, BStBl II 1976, 62).

 

Fundstellen

Haufe-Index 72113

BStBl II 1977, 26

BFHE 1977, 180

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