Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die vom Gesetz Nr. 55 der amerikanischen Militärregierung betroffenen Aktien der I.G. Farbenindustrie AG waren am 21. Juni 1948 verkehrs- und bewertungsfähige Wirtschaftsgüter.

)Diese Aktien stellen keine besondere Gattung von Aktien neben den gewöhnlichen Stammaktien der I.G. Farbenindustrie AG dar.

)Die einheitliche und gesonderte Feststellung des gemeinen Werts der Aktien der I.G. Farbenindustrie AG umfaßt auch die vom Gesetz Nr. 55 betroffenen Aktien.

)Das hinsichtlich dieser Aktien gemäß dem Gesetz Nr. 55 am 21. Juni 1948 bestehende Veräußerungsverbot kann nur bei der Vermögensteuer-Veranlagung bzw. der Veranlagung zur Vermögensabgabe der betreffenden Aktionäre berücksichtigt werden.

 

Normenkette

BewG § 10 Abs. 2, § 9/2, § 10/3, § 9/3, § 13/2, § 11/2, § 69 Abs. 1, §§ 112, 71/2; BewDV § 64; VStVeranlG § 1 Abs. 2, § 9/1

 

Tatbestand

Es handelt sich um die einheitliche und gesonderte Feststellung des gemeinen Werts der Aktien der I.G. Farbenindustrie AG (ß 64 der Durchführungsverordnung zum Bewertungsgesetz - BewDV -). Das Finanzamt hat den gemeinen Wert für je 100 RM des eingezahlten Grundkapitals (Effektivstücke) nach dem Stande vom 31. Dezember 1948 auf 15 DM, für Stücke im Giro-Sammel-Depot auf 10,50 DM festgestellt. Hierbei wurde wegen der damals bei der I.G. Farbenindustrie AG bestehenden besonderen Verhältnisse (Beschlagnahme des Unternehmens, Ungewißheit über sein weiteres Schicksal, Verbot des Börsenhandels) ein Abschlag von 50 v. H. vorgenommen. Gegen den ihm gemäß § 69 Abs. 1 Ziff. 2 BewDV zugestellten einheitlichen Feststellungsbescheid hat der Beschwerdeführer (Bf.) Einspruch eingelegt. Er vertritt die Ansicht, daß die vom Gesetz Nr. 55 der amerikanischen Militärregierung betroffenen I.G. Farben Aktien (die betroffenen Aktien) wegen des für sie bestehenden Handelsverbots keinen gemeinen Wert im Sinne des § 10 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) gehabt hätten und daher nicht von dem einheitlichen Feststellungsbescheid erfaßt werden dürften. In der den Einspruch zurückweisenden Einspruchsentscheidung wurde ausgeführt, daß der Handel in I.G. Farben Aktien in der amerikanischen Zone am 31. Dezember 1948 verboten gewesen sei, in der britischen Zone nur der Börsenhandel. In der französischen Zone hätten ähnliche Verhältnisse wie in der britischen Zone vorgelegen. In Berlin-West sei ein Handelsverbot erst im Februar 1951 von der Kommandantur erlassen worden. In der vorangegangenen Zeit sei der Handel mit I.G. Farben Aktien in Berlin-West zeitweise recht lebhaft gewesen. Im Ausland, z. B. in der Schweiz, habe der Handel in diesen Aktien keinen Beschränkungen unterlegen. Nach den angestellten Ermittlungen habe sich der gesprochene Kurs der I.G. Farben Aktien in der britischen Zone Ende 1948 zwischen 10 und 13 v. H. und in den Jahren 1949, 1950 ständig aufwärts bewegt. In Berlin hätten die Kurse für Girostücke Ende 1948 8 bis 9 v. H. und in 1949 15 bis 24 v. H. betragen. Danach hätten die I.G. Farben Aktien am Stichtag allgemein einen Wert gehabt. Dies müsse auch für die betroffenen Aktien gelten. Sie könnten also nicht aus der einheitlichen Bewertung der I.G. Farben Aktien herausgelassen werden. § 10 Abs. 2 BewG stehe ihrer Bewertung nicht entgegen, da das Handelsverbot des Gesetzes Nr. 55 unter die nicht zu berücksichtigenden ungewöhnlichen oder persönlichen Verhältnisse falle. Im übrigen sei dieses Handelsverbot nur eine vorübergehende Maßnahme gewesen. Der Bf. führt in der Berufung gegen die Einspruchsentscheidung aus, daß die Frage der Ansetzbarkeit der betroffenen Aktien nach den Verhältnisse vom 21. Juni 1948 beurteilt werden müsse. Das Gesetz Nr. 55 enthalte ein absolutes gesetzliches Veräußerungsverbot im Sinne des § 134 BGB. Danach seien die betroffenen Aktien dem Verkehr entzogen und aus diesem Grunde auch nicht bewertungsfähig (Urteil des Reichsfinanzhofs III A 336/34 vom 15. November 1934, Slg. Bd. 37 S. 64, sogenanntes Mausoleumurteil). Im Verhältnis zu den übrigen I.G. Farben Aktien bildeten die betroffenen Aktien eine besondere Aktiengattung. Bei der Entscheidung sei das Stichtagsprinzip streng zu beachten und spätere Ereignisse unberücksichtigt zu lassen. Dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 360/50 U vom 19. September 1951 (Slg. Bd. 55 S. 482, Bundessteuerblatt - BStBl - 1951 Teil III S. 194, sogenanntes Hitlermarkenurteil) sei nicht zu folgen.

Die Berufung wurde als unbegründet zurückgewiesen. Das angefochtene Urteil ist im wesentlichen wie folgt begründet: Das Veräußerungs- und Verfügungsverbot des Gesetzes Nr. 55 schließe die Bewertungsfähigkeit der betroffenen Aktien nicht aus. Bereits am 21. Juni 1948 sei vorauszusehen gewesen, daß mit dem Veräußerungsverbot nicht das letzte Wort in der Angelegenheit der I.G. Farbenindustrie AG gesprochen worden sei. Die Hauptwerke des Unternehmens hätten bereits vor dem Stichtag wieder gearbeitet. Die Absicht einer Enteignung des Unternehmens habe damals nicht bestanden, sondern nur die einer Konzernentflechtung. § 134 BGB stehe der steuerlichen Bewertung der betroffenen Aktien nicht entgegen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Rechtsbeschwerde des Bf.

Für die betroffenen Aktien habe am 21. Juni 1948 kein legaler Markt und kein gewöhnlicher Geschäftsverkehr bestanden. Sie seien als besondere Gattung der I.G. Farben Aktien anzusehen, da sie durch das absolute Veräußerungsverbot des Gesetzes Nr. 55 zu verkehrs- und bewertungsunfähigen Sachen geworden seien. Die gleichmäßige Behandlung beider Aktiengattungen stelle einen Verstoß gegen die Gleichmäßigkeit der Besteuerung dar. Ferner wurden in der Rechtsbeschwerdeinstanz das Problem der Stichtagsbesteuerung und im Zusammenhang damit die am 21. Juni 1948 für die I.G. Farben AG und ihre Aktionäre bestehende rechtliche und wirtschaftliche Lage von beiden Beteiligten eingehend behandelt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung der Rechtsbeschwerde ist von seiten des Vertreters des Bf. insbesondere noch auf folgendes hingewiesen worden: Erst Ende 1948 hätten die Aktionäre der I.G. Farbenindustrie AG erstmalig hoffen dürfen, daß ihnen keine entschädigungslose Enteignung ihrer Aktien drohe. Zuvor sei die allgemeine Auffassung insbesondere auch von seiten der amerikanischen Militärregierung dahin gegangen, daß die I.G. Farben AG wegen der gewollten Zerschlagung des I.G. Farbenkonzerns keinerlei Wert repräsentiert und nur einen leeren Mantel dargestellt habe. Vage Hoffnungen, daß sich die Verhältnisse in Zukunft bessern würden, könnten noch nicht zu einer Bewertbarkeit der Aktien am 21. Juni 1948 führen. Der Vertreter des Finanzamts hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, daß eine Enteignungsabsicht hinsichtlich der I.G. Farben AG oder ihrer Aktionäre am Stichtag nicht bestanden habe. Trotz aller Eingriffe der Besatzungsmächte in das Gefüge des I.G. Farbenkonzerns habe das Unternehmen am Stichtag noch über Vermögen verfügt. Am Stichtag sei auch von dem größten Teil der Werke gearbeitet worden. Es habe damals für die Aktionäre kein Grund zu der Besorgnis bestanden, daß sie im Falle der Auflösung der I.G. Farben AG und der Veräußerung ihres Vermögens für ihre Aktien nicht erhalten würden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde, mit der die Herausnahme der betroffenen Aktien aus dem einheitlichen Feststellungsbescheid beantragt wird, kann nicht zum Erfolg führen.

Die Beteiligten gehen zutreffend davon aus, daß zwar gemäß § 69 Abs. 1 BewG, § 9 Abs. 1 des Vermögensteuer-Veranlagungsgesetzes (VStVeranlG) Stichtag für die Bewertung von Aktien bei der Vermögensteuerhauptveranlagung 1949 der 31. Dezember 1948 ist, daß jedoch für die hier zu entscheidende Frage der Verkehrs- und Bewertungsfähigkeit der betroffenen Aktien die Verhältnisse am Beginn des 21. Juni 1948 maßgebend sind (ß 1 Abs. 2 VStVeranlG). Auf diesen Zeitpunkt müssen somit alle Untersuchungen abgestellt werden. Es wäre unzulässig und mit dem Stichtagsprinzip, wie der Senat wiederholt ausgesprochen hat, nicht vereinbar, spätere Ereignisse und Umstände auf den Stichtag zurückzuprojizieren. Andererseits ist es jedoch nicht grundsätzlich ausgeschlossen, bei Unklarheiten und Unsicherheit der am Stichtag bestehenden Verhältnisse unter Umständen auch spätere Geschehnisse zur Beurteilung der am Stichtag gegebenen Lage mit heranzuziehen. Im übrigen kommt es im Streitfall auf diese rückschauende Betrachtungsweise nicht entscheidend an. Am 21. Juni 1948 bestand für den I.G. Farbenkonzern und die I.G. Farben Aktionäre folgende Situation: Am 5. Juli 1945 hatte die Militärregierung der US-Zone die Allgemeine Anordnung Nr. 2 zur Durchführung des Gesetzes Nr. 52 der Militärregierung erlassen, durch die das gesamte I.G. Vermögen in dieser Zone beschlagnahmt und seine Leitung und Kontrolle auf die US-Militärregierung übertragen wurde. Die aktienrechtlichen Organe der I.G. und die der Konzerngesellschaften wurden ihrer Funktionen enthoben, die Rechte der Aktionäre auf Wahl der Leitung und Aufsicht über die I.G. Farbenindustrie AG aufgehoben. Bei Ausübung ihrer Befugnisse sollten sich die Kontrollorgane von folgenden Gedanken leiten lassen:

den verwüsteten, nicht feindlichen europäischen Ländern und den Vereinten Nationen Vermögenswerte des Konzerns zur Verfügung zu stellen,

Vermögensteile zu vernichten, die zur Herstellung von Waffen, Munition, Giftgas geeignet waren,

andere Vermögenswerte aufzuteilen bzw. zu beaufsichtigen.

Etwa entsprechende Anordnungen erließen das französische Oberkommando für die französische Zone und die britische Militärregierung für ihre Besatzungszone. In der sowjetischen Besatzungszone wurde das I.G. Farbenvermögen von der sowjetischen Militärregierung in Verwaltung genommen und ein großer Teil der Betriebe als "Beutebetriebe" geführt. Am 30. November 1945 erging das Kontrollratgesetz Nr. 9 betreffend Beschlagnahme und Kontrolle des Vermögens der I.G. Farbenindustrie, das nach seiner Präambel bezweckte, jede künftige Bedrohung seiner Nachbarn oder des Weltfriedens durch Deutschland unmöglich zu machen, und erklärte, daß die I.G. Farbenindustrie sich wesentlich und in hervorragendem Maße mit dem Ausbau und der Erhaltung des deutschen Kriegspotentials befaßt habe. Das Gesetz sollte der Koordinierung der in den einzelnen Zonen bisher getrennt vorgenommenen Maßnahmen dienen. In Art. IV wurden daher alle Handlungen, die bisher von den Zonenbefehlshabern und ihren Kontrollbeamten im Zusammenhang mit der Beschlagnahme, Verwaltung, Leitung und Kontrolle der I.G. Farbenindustrie AG in ihren Zonen durchgeführt worden waren, genehmigt. Am 29. Januar 1946 trat in der amerikanischen Zone das Gesetz Nr. 55 der amerikanischen Militärregierung über das Verbot von Rechtsgeschäften in Aktien und Schuldverschreibungen und anderen Vermögensinteressen der I.G. Farbenindustrie in Kraft. Nach Art. I sind alle Rechtsgeschäfte in Aktien usw. der I.G. Farbenindustrie AG innerhalb der amerikanischen Zone, einschließlich des Verkaufs, Tausches, der übertragung, Auslieferung, Belastung, Verpfändung, Abtretung, Kompensation, Beleihung, Verfügung oder Versteigerung ohne Rücksicht darauf verboten, ob die hierauf bezüglichen Vereinbarungen vor dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossen worden sind. Niemand darf derartige Rechtsgeschäfte eingehen, noch über derartige Aktien, Schuldverschreibungen usw. verfügen, noch Urkunden, die derartige Rechte betreffen oder nachweisen, zerstören, noch den Besitz, den Gewahrsam oder die Kontrolle darüber aufgeben. Verträge und Vereinbarungen, die in der Absicht abgeschlossen sind, dieses Gesetz zu umgehen oder zu vereiteln, sind verboten. Ausgenommen hiervon ist der übergang von Rechten, der als gesetzliche Folge im Falle des Todes oder sonstwie eintritt. Gemäß Art. II sind alle gegen Art. I verstoßenden Rechtsgeschäfte nichtig. Art. IV trifft Strafbestimmungen. Am 29. / 30. Juli 1948 wurde im Justizpalast Nürnberg das Urteil des Militärgerichts VI der Vereinigten Staaten von Amerika verkündet, durch das die gesamte frühere Leitung der I.G. von der Teilnahme an der Vorbereitung von Angriffskriegen freigesprochen wurde. Im Laufe des Jahres 1948 entschloß man sich auf alliierter Seite, die Entflechtung des I.G. Farbenindustriekonzerns unter deutscher Mitwirkung auszuführen. Auf Grund des Schreibens des Leiters von Bifco (Bipartite I.G. Farben Control Office) vom 30. November 1948 an den Vorsitzenden des Verwaltungsrats für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet wurde der deutsche Fardin-Ausschuß (Bizonal I.G. Farben Dispersal Panel) berufen, dessen Aufgabe die Ausarbeitung von Vorschlägen für die Entflechtung der I.G. sowie für die Behandlung der Gläubiger und Aktionäre und für die Liquidation des Restvermögens sein sollte. Aus der Entwicklung nach dem Stichtag vom 21. Juni 1948 ist auf folgende Ereignisse hinzuweisen. Am 17. August 1950 erließ die Alliierte Hohe Kommission das Gesetz Nr. 35 über die Aufspaltung des Vermögens der I.G. Farbenindustrie AG, das damit begründet wurde, daß die einheitliche Kontrolle und Leitung der in den drei Westzonen gelegenen Vermögenswerte der I.G. Farben AG eine übermäßige Konzentration wirtschaftlicher Macht darstelle. Damit war der im Kontrollratgesetz Nr. 9 angegebene diskriminierende Grund für die Beschlagnahme des I.G. Farbenvermögens fallen gelassen. Zwecks Feststellung der Eigentumsverhältnisse wurden die I.G. Aktionäre am 3. Juli 1951 aufgefordert, ihren Aktienbesitz registrieren zu lassen. Am 20. Juni 1952 wurde das Verbot des Handels mit I.G. Aktien aufgehoben. Auf den Bericht der I.G. Farbenindustrie AG in Liquidation über die Entflechtung und Liquidation, vorgelegt aus Anlaß der ordentlichen Hauptversammlung vom 27. Mai 1955, wird Bezug genommen.

Die Beteiligten sind im Streitfall verschiedener Meinung über die Beurteilung der Aussichten für die I.G. Farbenindustrie AG und ihre Aktionäre am 21. Juni 1948. Nach den am 21. Juni 1948 bestehenden Bestimmungen, insbesondere nach dem Kontrollratgesetz Nr. 9, war das Vermögen der I.G. Farbenindustrie AG beschlagnahmt. Dagegen war keine Enteignung vorgenommen worden. Die von dem Bf. vertretene Auffassung, daß am Stichtag die I.G. Farbenindustrie AG nur ein leerer Mantel ohne jegliche Vermögenssubstanz gewesen sei, und daß die I.G. Farben Aktionäre nicht auf irgendwelche Entschädigung für ihre Beteiligung hätten rechnen können, ist für den Stichtag nicht begründet. Dieses Ergebnis beruht nicht auf der Heranziehung der erst nach dem Stichtag eingetretenen Ereignisse, nicht einmal auf der Zugrundelegung des bald nach dem Stichtag ergangenen Nürnberger Urteils. Maßgebend für die Beurteilung waren lediglich die am 21. Juni 1948 bestehenden rechtlichen Bestimmungen und deren Auswirkungen. Wäre übrigens am Stichtag die I.G. Farben AG tatsächlich nichts als eine Firmenbezeichnung ohne irgendwelche Vermögenssubstanz gewesen, so wäre allgemein für die Bewertung der I.G. Farben Aktien kein Raum gewesen. Dem Bf. ist zuzugeben, daß die Aktionäre der betroffenen Aktien wegen des absoluten Veräußerungsverbots (ß 134 BGB) infolge des Gesetzes Nr. 55 gegenüber den anderen I.G. Farben Aktionären benachteiligt waren. Der Senat vermag jedoch dem Bf. darin nicht zu folgen, daß das Veräußerungs- und Verfügungsverbot des Gesetzes Nr. 55 die betroffenen Aktien zu verkehrs- und bewertungsunfähigen Wirtschaftsgütern und damit zu einer besonderen Aktiengattung der I.G. Farben Aktien gemacht habe. Allerdings kommt dem Gesetz Nr. 55 wegen seiner Herkunft als Besatzungsrecht keine mindere Bedeutung als innerstaatlichen Gesetzen zu. Auch Besatzungsrecht fällt unter § 134 BGB. Es kann auch keine Rede davon sein, daß Besatzungsrecht als Recht vorübergehender Geltungsdauer mindere Bedeutung habe. Jedoch ist es nicht zutreffend, daß ein absolutes Veräußerungsverbot die Sachen, auf die es sich bezieht, ohne weiteres zu verkehrsunfähigen Sachen macht. Das BGB hat die Verkehrsunfähigkeit von Sachen nicht besonders erwähnt. Nach Staudinger (BGB Anmerkung 32 vor § 90) haben gesetzliche Veräußerungsverbote nicht schlechthin Verkehrsunfähigkeit einer Sache zur Folge. In manchen Fällen lasse das Gesetz erkennen, daß die Wirkung seines Verbots nicht ein völliges Entziehen der Sache aus dem Verkehr sein solle. Crome (System I § 85 Note 2) vertritt die Auffassung, daß Veräußerungsverbote und Verkehrsentziehung überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Raape (Das gesetzliche Veräußerungsverbot des Bürgerlichen Gesetzbuches: Berlin 1908 S. 180) führt aus: Der Begriff der Extrakommerzialität beruhe auf der Beobachtung, daß die realen Dinge dieser Welt, die Sachen, um ihrer verschiedenen Eigenschaften willen eine verschiedene rechtliche Behandlung erforderten und daher zwei Gruppen bildeten, von denen die eine in commercio, die andere extra commercium sei. Das Veräußerungsverbot führe nicht zu einer Verkehrsentziehung. Verkehrsentziehung und Veräußerungsverbot seien zwei Kreise, die sich niemals schneiden könnten. Jene schließe dieses nicht in sich, dieses führe nie zu jener. Der Senat ist gleichfalls der Auffassung, daß das Veräußerungs- und Verfügungsverbot des Gesetzes Nr. 55 keine Verkehrsunfähigkeit der betroffenen Aktien herbeigeführt hat. Er vermag daher der vom Bf. vertretenen gegenteiligen Auffassung nicht zu folgen. Es ist auch erkennbar nicht die Absicht des Gesetzgebers des Gesetzes Nr. 55 gewesen, die in Betracht kommenden I.G. Farben Aktien als verkehrsunfähig zu erklären. Daran hatte der Gesetzgeber auch wohl kein Interesse. Hätte er die in seinem Wirkungsbereich befindlichen I.G. Farben Aktien für verkehrsunfähig erklären wollen, so hätte er dies erkennbar zum Ausdruck bringen müssen. Statt dessen enthält das Gesetz aber keine Vorschriften, die sich auf das Wesen der Aktien selbst beziehen, sondern es hat sich auf das an Personen gerichtete Verbot des rechtsgeschäftlichen Verkehrs mit diesen Aktien beschränkt. überdies spricht auch der Schlußsatz von Artikel I des Gesetzes Nr. 55, wonach der übergang von Rechten, der als gesetzliche Folge im Falle des Todes oder sonstwie eintritt, von dem Verbot von Rechtsgeschäften in I.G. Farben Aktien ausgenommen wird, ebenfalls gegen die Annahme des Bf. von der Verkehrsunfähigkeit der betroffenen Aktien. Entfällt somit die Verkehrsunfähigkeit dieser Aktien, so wird auch die Folgerung hinfällig, daß die betroffenen Aktien bewertungsunfähig seien. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Urteil vom 15. November 1934 (Mausoleumurteil) überhaupt für die Bewertungsunfähigkeit der betroffenen Aktien herangezogen werden könnte. Keinesfalls kann dies dann geschehen, wenn die Verkehrsunfähigkeit dieser Aktien, wie im vorstehenden ausgeführt, verneint werden muß. Auf die vom Bf. gegen das Urteil vom 19. September 1951 (sogenanntes Hitlermarkenurteil) vorgebrachten Bedenken einzugehen, ist nicht erforderlich. Die betroffenen Aktien waren hiernach am Stichtag ebenso wie die anderen I.G. Farben Aktien weder verkehrsunfähige noch bewertungsunfähige Sachen. Es ist also nicht so, wie der Bf. in seinem Schriftsatz vom 4. März 1957 (S. 10) behauptet, daß vor dem Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 55 alle I.G. Farben Aktien verkehrsfähige Wirtschaftsgüter gewesen seien, daß das Verbot dieses Gesetzes dann jedoch den betroffenen Aktien bis auf weiteres die Verkehrsfähigkeit geraubt und sie dem Wirtschaftsverkehr entzogen habe.

Die betroffenen Aktien waren auch keine besondere Aktiengattung innerhalb der gesamten Aktien der I.G. Farben AG. Das wirtschaftliche Bedürfnis hat dazu geführt, in der Satzung einer AG die Einführung verschiedener Aktiengattungen, d. h. von Aktien ungleichen Inhalts (Rangs), zu gestatten. Die Verschiedenheit des Inhalts besteht allgemein in der Gewährung von Vorrechten irgendwelcher Art. Doch kann die Verschiedenheit des Inhalts auch in Nachteilen gegenüber der normalen Berechtigung bestehen, und es können auch Vorrechte mit Nachteilen verbunden werden, wie bei Vorzugsaktien ohne Stimmrecht. Nur die Satzung einer AG kann verschiedene Aktiengattungen vorsehen und muß die besondere Berechtigung festlegen (Baumbach-Hueck, Aktiengesetz, 8. Aufl. § 11 Anmerkung 2 A, C). Es steht außer Zweifel, daß die betroffenen I.G. Farben Aktien handelsrechtlich nicht als besondere Aktiengattung angesprochen werden können. Das verkennt auch der Bf. nicht. Er vertritt jedoch die Auffassung, daß die betroffenen Aktien eine besondere Gattung im Sinne des Bewertungsgesetzes darstellten. Im § 71 Abs. 2 BewG ist von Aktiengattungen die Rede. Nach dieser Vorschrift ist der Bundesminister der Finanzen ermächtigt, wenn für eine Gattung von Aktien eines Unternehmens ein Steuerkurs festgesetzt ist, Bestimmungen über die Bewertung anderer Aktiengattungen desselben Unternehmens zu treffen. Es mag sein, daß insoweit der Bundesminister der Finanzen über den handelsrechtlichen Begriff der Aktiengattung hinausgehen kann und auch hinausgegangen ist. Der Bf. weist jedenfalls (Schriftsatz vom 4. März 1957 S. 34) nicht mit Unrecht auf § 62 Abs. 1 Ziff. 2 BewDV hin, wonach die Vorratsaktien als besondere Aktiengattung angesehen werden, obwohl sie aktienrechtlich nicht unter den Begriff "besondere Aktiengattung" fallen. Daraus folgt aber nicht, daß die betroffenen Aktien, deren Verkehrs- und Bewertungsfähigkeit entgegen der Auffassung des Bf. durch das Gesetz Nr. 55 nicht beeinträchtigt worden ist, nun als besondere Aktiengattung angesprochen werden könnten. Hiernach ist die einheitliche und gesonderte Feststellung des gemeinen Werts der Aktien der I.G. Farbenindustrie AG vom Finanzamt mit Recht vorgenommen worden. Dem Begehren des Bf. auf Ausklammerung der vom Gesetz Nr. 55 betroffenen Aktien konnte nicht stattgegeben werden. Gegen die Höhe der Bewertung sind vom Bf. keine Einwendungen erhoben worden. Bedenken bestehen insoweit auch nicht. Die Rechtsbeschwerde mußte daher zurückgewiesen werden.

Darüber, ob den Aktionären, deren Aktien vom Gesetz Nr. 55 betroffen sind, wegen ihrer Benachteiligung gegenüber den andern Aktionären eine steuerliche Erleichterung gewährt werden kann, ist nicht im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Feststellung des gemeinen Werts der I.G. Farben Aktien zu entscheiden. Hierüber muß bei der Vermögensteuer-Veranlagung (Vermögensabgabe-Veranlagung) der einzelnen Aktionäre entschieden werden. Auf das Urteil des Reichsfinanzhofs III 137/41 vom 19. Februar 1942 (Reichssteuerblatt - RStBl - 1942 S. 476) wird Bezug genommen. In Anwendung der Grundsätze dieses Urteils auf den hier vorliegenden Sachverhalt erscheint es dem Senat angemessen, daß den Aktionären der vom Gesetz Nr. 55 betroffenen I.G. Farben Aktien bei ihrer persönlichen Steuerveranlagung ein gewisser Wertabschlag von dem gemeinen Wert der I.G. Farben Aktien zugebilligt wird. Der Wert des Streitgegenstands ist vom Senat in Erwägung der Auswirkung der Sache auf die Vermögensabgabe nach dem Lastenausgleichsgesetz für das gesamte Rechtsmittelverfahren auf 10 % des gemeinen Werts der hier in Betracht kommenden Aktien von 4.200 DM, somit auf 420 DM festgestellt worden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408807

BStBl III 1957, 295

BFHE 1958, 157

BFHE 65, 157

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