Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Steuerfreiheit von Nachtzuschlägen gemäß § 34 a EStG - Begriff "Nachtschicht".

Inanspruchnahme des Arbeitgebers wegen Nichteinbehaltung von Lohnsteuer - Bedeutung wiederholter Prüfungen des Finanzamts zu einer bestimmten Einzelfrage.

 

Normenkette

StAnpG § 2 Abs. 2, § 7 Abs. 3; EStG §§ 34a, 38

 

Tatbestand

Die Bfin., eine KG, betreibt eine Papierfabrik und eine Spinnerei. Streitig ist die Steuerfreiheit von Nachtarbeitszuschlägen, die die Bfin. in den Jahren 1958 bis 1960 ihren in der Spinnerei beschäftigten Arbeitnehmern gezahlt hat. Nach der für diese Zeit maßgebenden Tarifordnung (TO) gilt als Nachtarbeit "die in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr geleistete Tätigkeit"; für Nachtarbeit sind Zuschläge von 50 v. H. zu zahlen, "bei regelmäßiger Schichtarbeit" jedoch nur von 10 v. H. In der Spinnerei ist in drei Schichten gearbeitet worden. In der Nachtschicht (22.00 bis 6.00 Uhr) haben nur Männer gearbeitet. Nach der zwischen der Bfin. und dem Betriebsrat getroffenen Vereinbarung vom 27. Dezember 1955 erhielten die ständigen männlichen Nachtarbeiter ab dem 4. Februar 1957 den Nachtzuschlag von 50 v. H. Die Bfin. hat auf diesen Zuschlag in den Jahren 1958 bis 1960 keine Lohnsteuer einbehalten. In dem ausgestellten Lohnsteuerbescheinigungen hat sie darauf hingewiesen, daß in dem angegebenen Lohn auch ein bestimmter Betrag für Nachtschichtzulagen enthalten sei.

Dieser Sachverhalt wurde dem Finanzamt im Frühjahr 1958 bekannt, als ein Lohnsteuerprüfer die Bfin. zu einer Rückfrage aufsuchte. Einem Angehörigen des Finanzamts war nämlich bei der Bearbeitung der Anträge auf Lohnsteuer-Jahresausgleich aufgefallen, daß bei Arbeitnehmern der Bfin. die Hälfte des Arbeitslohnes steuerfrei belassen war. Im September 1958 nahm derselbe Lohnsteuerprüfer zusammen mit einem anderen eine Prüfung für die Zeit vom 1. August 1955 bis zum 31. August 1958 vor. Dabei wurde die Behandlung der Nachtarbeitszuschläge nicht beanstandet. Im Mai 1959 wurde der Prüfer von der Lohnsteuerstelle gebeten, den Antrag eines Arbeitnehmers der Bfin. auf Lohnsteuer-Jahresausgleich gelegentlich nachzuprüfen. über diese Prüfung fertigte er den folgenden Vermerk: "Der umseitig genannte Arbeitnehmer verrichtet nach den aus den Lohnsteuerunterlagen getroffenen Feststellungen ausschließlich Nachtarbeit (von 22.00 bis 6.00 Uhr). Der Grundlohn wird versteuert, der Zuschlag hingegen mit 50 v. H. steuerfrei gelassen. Dies entspricht den gesetzlichen Bestimmungen. Die Höhe des bescheinigten Zuschlages (2.264,98 DM) erklärt sich aus der Tatsache, daß S. nur Nachtarbeit leistet".

Im Juni 1960 suchte der Prüfer den Prokuristen auf, um einen Termin für eine Lohnsteuerprüfung zu vereinbaren. Hierbei erklärte er, bei der Prüfung solle auch die Steuerfreiheit der Nachtzuschläge auf Veranlassung des Sachgebietsleiters der Lohnsteuerstelle geprüft werden. Daraufhin wurde ihm die TO vorgelegt und die Steuerfreiheit der Nachtzuschläge besprochen. Nach dieser Unterredung behielt die Bfin. vom 4. Juli 1960 ab auf 40 v. H. der Nachtarbeitszuschläge Lohnsteuer ein. Im September/Oktober 1960 führten die beiden Prüfer für die Zeit vom 1. September 1958 bis zum 31. August 1960 wiederum eine Prüfung durch. Sie erklärten nunmehr die Zuschläge von 50 v. H. für voll lohnsteuerpflichtig; für die Zeit vor dem 1. September 1958 sollte aber die Bfin. nicht haftbar gemacht werden, weil ihr Verfahren bei der Lohnsteuerprüfung nicht beanstandet worden sei.

Das Finanzamt erließ daraufhin einen Haftungsbescheid, durch den es die Bfin. wegen der Lohnsteuer auf die streitigen Nachtarbeitszuschläge in Anspruch nahm. Es handelte sich um 14 Arbeitnehmer im Jahre 1958, 32 Arbeitnehmer im Jahre 1959 und 25 Arbeitnehmer im Jahre 1960.

Der Einspruch und die Berufung blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht, das den Textilarbeitgeberverband und die Textilgewerkschaft gehört, eine Reihe von Auskunftspersonen vernommen und über die Sache mündlich verhandelt hat, begründete sein Urteil wie folgt: Die Begriffe "Nachtarbeit" und "Schichtarbeit zur Nachtzeit" seien nicht gesetzlich voneinander abgegrenzt; sie seien demnach in dem allgemein gebräuchlichen Sinne zu verstehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, besonders in den Urteilen vom 15. November 1957 - 1 AZR 610/56, Der Betriebs-Berater (BB) 1958 S. 193, Der Betrieb (DB) 1958 S. 311, und vom 20. Mai 1959 - 2 AZR 383/56, BB 1959 S. 812), sei entscheidend, ob die Arbeit in den Nachtstunden eine regelmäßige Belastung des Arbeitnehmers bedeute, die er bei Abschluß und Erfüllung des Arbeitsverhältnisses habe voraussehen können, oder ob der Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen Nachtarbeit nicht habe zu rechnen brauchen. Es sei für den Arbeitnehmer erheblich, ob die Nachtarbeit in seinem Beschäftigungsverhältnis eine voraussehbare sei, so daß er sich darauf einzurichten habe und sich mit den Arbeitskameraden seiner Gruppe gleichmäßig darin teilen könne, oder ob die Arbeit in den Nachtstunden unerwartet verlangt würde. Schichtarbeit sei darum eine Arbeit, die der Arbeitnehmer in der festgesetzten regelmäßigen Arbeitszeit zu leisten habe. Der unterschiedlichen Belastung des Arbeitnehmers bei regelmäßiger Arbeit in der Nachtzeit - Schichtarbeit zur Nachtzeit - und bei unregelmäßiger Arbeit in der gleichen Zeit - Nacharbeit - entspreche es, nur die Nachtarbeit mit dem erhöhten Zuschlag zu vergüten. Nach dieser Rechtsprechung hätten die Arbeitnehmer der Spinnerei zwar zur Nachtzeit, aber in Schichtarbeit gearbeitet. Danach habe ihnen nach § 3 Ziff. 3 TO nur ein Zuschlag von 10 v. H. zugestanden. Die Vereinbarung vom 27. Dezember 1955, nach der die Bfin. einen Zuschlag von 50 v. H. zahle, habe keine "tariflichen Zuschläge" im Sinne des § 34 a EStG bzw. § 32 a LStDV geschaffen. Nach § 4 Abs. 3 des Tarifvertragsgesetzes vom 9. April 1949 (TVG), der auch auf die früheren Tarifordnungen anwendbar sei, sei zwar eine vom Tarifvertrag abweichende änderung zugunsten der Arbeitnehmer zulässig. Eine solche Abweichung für einen einzelnen Betrieb schaffe aber keine allgemein verbindliche Rechtsnorm, die die Tarifpartner binde. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs seien aber nur Zuschläge begünstigt, die auf Grund einer gesetzlichen oder tarifvertraglichen Vorschrift gezahlt würden (z. B. Urteile VI 125/56 U vom 6. September 1957, BStBl 1957 III S. 387, Slg. Bd. 65 S. 403; VI 20/58 U vom 28. Februar 1958, BStBl 1958 III S. 196, Slg. Bd. 66 S. 512, und VI 78/61 vom 9. Februar 1962, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz, § 34 a, Rechtsspruch 13). Als Arbeitgeberin hafte die Bfin. auch für die zu Unrecht nicht einbehaltene Lohnsteuer. Die Inanspruchnahme des Arbeitgebers sei eine in das Ermessen des Finanzamts gestellte Entscheidung. Im Streitfall sei aber eine Ermessensverletzung des Finanzamts nicht gegeben. Die Bfin. habe sich bei der Auslegung des § 3 TO und der Beurteilung der steuerlichen Auswirkungen der Vereinbarung vom 27. Dezember 1955 in einem Rechtsirrtum befunden. Sie hätte jedoch die steuerliche Behandlung der Nachtzuschläge rechtzeitig mit dem Finanzamt klären können. Sie habe auch später den Lohnsteuerprüfern nicht von sich aus die Tarifunterlagen vorgelegt, sondern wiederholt erklärt, die Zuschläge seien nach dem Tarif mit 50 v. H. zu zahlen. Weder die Prüfer noch das Finanzamt hätten eine Auskunft erteilt; die Bfin. sei auch in ihrem Rechtsirrtum nicht durch die Prüfer oder das Finanzamt bestärkt worden. Ob die Prüfer ihre Sorgfaltspflicht verletzt hätten, sei nicht entscheidend. Es verstoße nicht gegen Recht und Billigkeit, wenn das Finanzamt hier, anstatt dreißig verschiedene Arbeitnehmer einzeln in Anspruch zu nehmen, die Bfin. als Arbeitgeberin haftbar gemacht habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb., mit der die Bfin. unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts rügt, muß zur Aufhebung der Vorentscheidungen führen.

Wenn das Finanzgericht die Nachtarbeitszuschläge nur in Höhe von 10 v. H. für steuerfrei hält, so ist das rechtlich zutreffend. Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts entspricht aber die Inanspruchnahme der Bfin. als Arbeitgeberin nicht der Billigkeit.

Die Bestimmung der TO, daß für Nachtarbeit Zuschläge von 50 v. H. zu zahlen sind, "bei regelmäßiger Schichtarbeit" jedoch nur 10 v. H., muß man mit dem Finanzgericht dahin verstehen, daß Schichtarbeit zur Nachtzeit nicht Zuschläge von 50 v. H., sondern nur 10 v. H. rechtfertigt. Das Finanzgericht hat für die Abgrenzung von Schichtarbeit und Nachtarbeit entsprechend den vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsätzen auf die Regelmäßigkeit und Voraussehbarkeit abgestellt. Wenn die Bfin. meint, Schichtarbeit setze nur voraus, daß für den Arbeiter ein turnusmäßiger Wechsel stattfinde, so ist dem nicht zuzustimmen. "Schichtarbeit" besagt nur, daß in Schichten gearbeitet wird. In Schichten arbeitet aber auch, wer immer wieder der gleichen Schicht angehört. Daß ein Arbeiter, der ständig der Nachtschicht angehört, mehr belastet sei als ein Arbeiter, der nur abwechselnd nachts arbeitet, läßt sich nicht allgemein sagen. Man könnte vielleicht sogar umgekehrt die Wechselschicht als belastender ansehen, weil der Wechsel Umstellungsschwierigkeiten verursacht.

Dem Finanzgericht ist auch darin beizutreten, daß die Vereinbarung vom 27. Dezember 1955 die Zuschläge nicht in voller Höhe steuerfrei macht. Die Regelung des § 34 a EStG ist zwar, wie der Senat in dem Grundsatzurteil VI 50/61 S vom 22. Juni 1962 (BStBl 1962 III S. 376, Slg. Bd. 75 S. 302) entschieden hat, nicht verfassungswidrig; sie kann aber nach dem Urteil VI 162/62 S vom 25. Oktober 1963 (BStBl 1964 III S. 11, Slg. Bd. 78 S. 27) nur auf "tarifvertragliche" Zuschläge angewandt werden (vgl. auch das Urteil VI 78/61 vom 9. Februar 1962, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1962 S. 263). Vereinbarungen zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmern oder mit der Betriebsvertretung der Arbeitnehmer sind keine "tarifvertraglichen" Vereinbarungen, auch wenn sie nach dem Tarifvertrag zulässig sind, weil sie die Arbeitnehmer günstiger stellen.

Dem Finanzgericht ist jedoch nicht darin zu folgen, daß das Finanzamt durch die Inanspruchnahme der Bfin. sein Ermessen richtig gehandhabt habe. Das Finanzgericht führt zwar zutreffend aus, daß der Arbeitgeber sich in Zweifelsfällen über seine Pflichten vergewissern müsse, und daß hier Umstände dafür sprächen, daß der Bfin. Zweifel hätten kommen müssen. Zutreffend ist auch, daß ein Arbeitgeber, wenn sein Verfahren bei einer Prüfung nicht beanstandet wird, sich nicht ohne weiteres darauf "verlassen" darf, daß sein Verfahren einwandfrei ist. Anders liegt es nur, wenn die Zweifelsfrage in dem Bericht in einem bestimmten Sinn erörtert ist. Der Streitfall zeigt aber die Besonderheit, daß der Punkt, auf den es ankommt, nicht bloß einmal gelegentlich einer Prüfung erörtert worden, sondern ausdrücklich Gegenstand wiederholter Prüfungen gewesen ist. Unter diesen Umständen durfte der Prüfer sich nicht nur auf die Angaben der Bfin. über die tarifvertragliche Regelung verlassen. Bei der Haftung des Arbeitgebers ist im Rahmen von Recht und Billigkeit (ß 2 Abs. 2, § 7 Abs. 3 StAnpG) auch in Betracht zu ziehen, ob das Finanzamt alles ihm Zumutbare getan hat, um die richtige Einbehaltung der Lohnsteuer zu erreichen. Es ist aber nicht auszuschließen, daß die Bfin. durch die wiederholten Prüfungen in ihrer unrichtigen Rechtsauslegung bestärkt worden ist. Feststellungen, die auf eine Täuschungsabsicht der Bfin. schließen ließen, hat das Finanzgericht nicht festgestellt. Die Akten bieten dafür auch keinen Anhalt.

Das angefochtene Urteil war daher wegen unrichtiger Anwendung des § 38 EStG, § 2 Abs. 2 und § 7 Abs. 3 StAnpG aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Dem Senat erschien es zweckmäßig, unter Aufhebung auch der Einspruchsentscheidung die Sache an das Finanzamt zur endgültigen Festsetzung des Haftungsbetrags zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411568

BStBl III 1965, 355

BFHE 1965, 301

BFHE 82, 301

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