Leitsatz (amtlich)

Der Grundsatz, daß das Vertrauen des Steuerpflichtigen in dem Fortbestand des geltenden, für ihn günstigeren Rechts in gewissen Grenzen geschützt ist, kann nicht dahin erweitert werden, daß auf einen vom Steuerpflichtigen bereits verwirklichten Sachverhalt späteres, für den Steuerpflichtigen günstigeres Recht angewendet wird.

 

Normenkette

Zolltarif-Verordnung vom 10. Dezember 1965; Erste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 vom 22. Dezember 1965; ZG § 46 Abs. 9 a. F

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ließ am 10. Dezember 1965 Rum der Stelle 22.09 C I b des Deutschen Zolltarifs (DZT) zum freien Verkehr mit anschließender Lagerung in ihrem Zollaufschublager und Branntweineigenlager abfertigen.

In dem am 14. Dezember 1965 ausgegebenen BGBl II Nr. 49, 1605 – mit Anlageband – wurde die Zolltarif-Verordnung vom 10. Dezember 1965 mit dem Deutschen Zolltarif 1966 verkündet. Dieser sah für die den Rum erfassende Stelle 22.09 C I b wie bisher den Satz von 111,35 DM je 100 Liter vor. In der im BZBl vom 18. Dezember 1965 S. 1044 ff. veröffentlichten Begründung der Zolltarif-Verordnung ist u. a. angeführt:

„Soweit bei den Binnenzollsätzen der nach Alt. 14 des EWG-Vertrages zum Ende der zweiten Stufe vorgesehene Stand von 40 v. H. der Ausgangszollsätze noch nicht erreicht ist, wird er zum 1. Januar 1966 auf diese Höhe herabgesetzt. Unverändert bleiben deshalb die Binnenzollsätze, die bereits einen Stand von 40 v. H. oder weniger ihrer Ausgangszollsätze erreicht haben, …”

In der Nr. 36 der von der Klägerin bezogenen Deutschen Weinzeitung vom 21. Dezember 1965 (S. 1093 ff.) wurde darauf hingewiesen, daß verschiedene Zollsätze gegenüber der am 14. Dezember 1965 verkündeten Zolltarif-Verordnung noch weiter gesenkt werden würden, und zwar für Rum auf 74,20 DM je 100 Liter. Mit Wirkung vom 1. Januar 1966 wurde tatsächlich der Zollsatz für Rum auf diesen Betrag gesenkt durch die Erste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 vom 22. Dezember 1965 (BGBl II, 1933 vom 30. Dezember 1965), deren Entwurf im BZBl Nr. 69, 1107 vom 30. Dezember 1965 veröffentlicht wurde.

Die am 10. Dezember 1965 abgefertigten Rummengen lagerte die Klägerin am 15. und 22. Dezember 1965 in ihr Branntweineigenlager um. Sie entrichtete den nach dem Satz von 111,35 DM je 100 Liter berechneten Zoll und die entsprechende Ausgleichsteuer. Bis zum 31. Dezember 1965 verbrauchte die Klägerin etwa 1/5, der Rummenge.

Am 14. Januar 1966 stellte die Klägerin den Antrag, ihr den Zoll und die Ausgleichsteuer für den aus der Abfertigung vom 10. Dezember 1965 noch vorhandenen Rum aus Billigkeitsgründen zu erstatten. Zur Begründung führt sie aus, sie habe auf die Endgültigkeit der am 14. Dezember 1965 veröffentlichten Zolltarif-Verordnung vertraut, die den Zollsatz von 111,35 DM aufrechterhalten habe. Mit der Tatsache, daß durch die am 30. Dezember 1965 veröffentlichte Erste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 der Zollsatz bereits zum 1. Januar 1966 auf 74,20 DM gesenkt werden würde, habe sie nicht rechnen können. Es sei ihr dadurch die Möglichkeit genommen worden, ihr Branntweineigenlager erst nach Ablauf des Jahres 1965 aufzufüllen und gemäß § 46 Abs. 9 ZG a. F. zu beantragen, daß der niedrigere Zollsatz angewendet werde.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt – HZA –)lehnte den Erstattungsantrag durch Verfügung vom 10. Februar 1966 ab. Die hiergegen erhobene Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion (OFD) am 1. Februar 1967 zurück. Diese Entscheidungen hob das Finanzgericht (RG) Rheinland-Pfalz durch Urteil vom 13. Dezember 1971 III 1103/67 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1972 S. 367 – EFG 1972, 367 –) auf. Es verpflichtete das HZA, der Klägerin die begehrten Zoll- und Ausgleichsteuerbeträge zu erstatten und führte zur Begründung aus:

Die Klägerin habe aus Treu und Glauben einen Anspruch auf Erstattung aus Billigkeitsgründen. Die Erhebung von Abgaben verstoße gegen Treu und Glauben, wenn die Verwaltung oder ein Verordnungsgeber dem Staatsbürger gegenüber durch nachhaltiges oder ausdrückliches Verhalten zu erkennen gegeben habe, daß er mit einer gleichbleibenden steuerlichen Belastung bestimmter steuerlich erheblicher Sachverhalte rechnen könne, und der Steuerpflichtige auf Grund dessen ihm steuerschädliche Dispositionen treffe. Das sei hier der Fall.

Der Verordnungsgeber habe durch die unveränderte Übernahme der bisherigen Zollsätze in die Zolltarif-Verordnung (Deutscher Zolltarif 1966) einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe im Urteil vom 10. August 1966 VII 268/63 (BFHE 86, 740, BStBl III 1966, 663) entschieden, daß auch Akte eines Verordnungsgebers einen Vertrauenstatbestand schaffen könnten. Die Besonderheit des vorliegenden Falles bestehe allerdings darin, daß das Vertrauen in das Inkrafttreten und in eine gewisse Dauer einer Verordnung geschützt werden solle, die eine bestehende Belastung aufrechterhalte. Zwar könne grundsätzlich nicht in schutzwürdiger Weise darauf vertraut werden, daß verkündete Rechtsvorschriften in Kraft treten würden und auch fortwirkten, da sonst in weiten Bereichen die Rechtsetzung blockiert wäre. Ein solches Vertrauen könne aber im Einzelfall ausnahmsweise auf Grund besonderer zusätzlicher Umstände schutzwürdig sein.

Es sei an sich schon ein ungewöhnliches Verfahren, daß eine Verordnung in den 18 Tagen vor ihrem Wirksamwerden wieder abgeändert werde. Das sei unvereinbar mit dem Gebot, den Kläger nicht mit Maßnahmen zu überraschen, auf die er sich nicht habe einstellen können. Man könne nicht davon ausgehen, daß der Verordnungsgeber seinerseits von der Entwicklung überrascht worden sei. Denn wenn bereits die nichtamtliche Deutsche Weinzeitung in der am 21. Dezember 1965 erschienenen Nummer auf die dann tatsächlich zum 1. Januar 1966 in Kraft getretenen neuen Zollsätze habe hinweisen können, habe der Verordnungsgeber beim Erscheinen des BGBl vom 14. Dezember 1965 davon wissen müssen, daß weitere Senkungen für die hier streitigen Waren mindestens in Betracht gekommen seien. Dann sei es aber möglich gewesen, entweder die Veröffentlichung der Zolltarif-Verordnung noch zurückzustellen oder in die Veröffentlichung einen unverbindlichen Hinweis einzufügen, daß bei bestimmten Waren evtl. noch mit Veränderungen der Tarifsätze gerechnet werden könne.

Die Auslagerungen vom 15. und 22. Dezember 1965 seien für die Klägerin nachteilige Dispositionen gewesen (Hinweis auf Rahn, Treu und Glauben im Zoll- und Verbrauchsteuerrecht, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1965 S. 321, 323 – ZfZ 1965, 321, 323 –; BFH-Urteil vom 19. Januar 1965 VII 22/62 S, BFHE 81, 572, BStBl III 1965, 206). Denn hätte sie gewartet, bis die Zollsenkung zum 1. Januar 1966 in Kraft trat, dann hätte sie gemäß § 46 Abs. 9 ZG a. F. den Antrag stellen können, auf die auszulagernden Waren den neuen, günstigeren Zollsatz anzuwenden.

Mit der Revision macht das HZA geltend: Die Ansicht des FG, für die Klägerin habe nach der bei ihren Dispositionen möglichen Geschäftsübersicht und zumutbaren kaufmännischen Sorgfalt kein Anlaß zu Zweifeln an der Gültigkeit der für die Zeit ab 1. Januar 1966 veröffentlichten Regelung bestanden und der Verordnungsgeber hätte entweder die Veröffentlichung der Zolltarif-Verordnung zurückstellen oder in die Veröffentlichung einen Hinweis auf die Möglichkeit von Tarifsatzänderungen anbringen lassen müssen, sei rechtsirrig und stehe im Widerspruch zum praktizierten Bundesrecht.

Das HZA beantragt sinngemäß, das FG-Urteil insoweit aufzuheben, als es der Klage stattgegeben hat.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie macht sich die Auflassung des FG zu eigen und führt insbesondere aus:

Entscheidend sei hier, daß der Verordnungsgeber mit der Verkündung des Deutschen Zolltarifs 1966 einen Vertrauenstatbestand geschaffen habe, der ihn nach Treu und Glauben verpflichtet habe, darauf hinzuweisen, daß der Deutsche Zolltarif 1966 noch nicht endgültig sei (Hinweis auf Urteile des BGH vom 7. Mai 1956 III ZR 243/54. Neue Juristische Wochenschrift 1956 S. 1234 – NJW 1956, 1234 –, und vom 27. April 1970 III ZR 114/68, Der Betriebs-Berater 1970 S. 823 – BB 1970, 823 –). Zu einem solchen Hinweis sei der Verordnungsgeber auch in der Lage gewesen, weil er der „Deutschen Weinzeitung” vom 21. Dezember 1965 zufolge bereits bei Abschluß der Drucklegung des Deutschen Zolltarifs 1966 gewußt habe, daß dieser nicht in der vorgesehenen Fassung in Kraft treten werde. Der Verordnungsgeber habe unnötigerweise „sehenden Auges” zugelassen, daß der Bürger einen Schaden erleide, der durch einen Hinweis hätte abgewendet werden können. Die Ankündigung der Ersten Änderungsverordnung in der „Deutschen Weinzeitung” vom 21. Dezember 1965 zeige im übrigen, daß der Verordnungsgeber selbst es als notwendig angesehen habe, die Öffentlichkeit über die vorzeitige Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 zu informieren, es aber aus unerfindlichen, nur mit einer Amtspflichtverletzung erklärbaren Gründen unterlassen habe, in hinreichender Weise nach dieser Erkenntnis zu handeln.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und begründet. Daher war das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Durch die mit der Klage angefochtene Verfügung vom 10. Februar 1966 hat das HZA den Antrag der Klägerin, ihr den Zoll und die Ausgleichsteuer für die aus der Abfertigung vom 10. Dezember 1965 noch vorhanden gewesene Rummenge aus Billigkeitsgründen zu erstatten, zu Recht abgelehnt. Deshalb hätte das FG diese Verfügung und die sie bestätigende Beschwerdeentscheidung der OFD nicht aufheben dürfen.

Als am 10. Dezember 1965 der Rum auf Antrag der Klägerin zum freien Verkehr abgefertigt und in das Zollaufschublager verbracht wurde, entstand für ihn nach § 35 Abs. 1, § 36 Abs. 3 ZG i. V. m. der Stelle 22.09 C I b des DZT 1965 die Zollschuld zum Satze von 111,35 DM je 100 Liter. Die Verbringung des Rums in das Zollaufschublager hatte nach § 46 Abs. 1 ZG a. P. nur die Wirkung, daß die Zahlung des nach diesem Satze berechneten Zollbetrags für die Dauer der Lagerung aufgeschoben wurde. Da die Klägerin am 15. und 22. Dezember 1965 den Rum aus dem Zollaufschublager entnahm, war für ihn gemäß § 46 Abs. 7 Satz 1 und Abs. 8 Satz 1 ZG a. F. die Zollschuld am dritten Werktag des Monats Januar 1966 fällig. Die Klägerin hat also zu Recht nach der Entfernung des Rums aus dem Zollaufschublager den nach dem Satze von 111,35 DM je 100 Liter berechneten Zoll entrichtet. Das für den Zoll Gesagte gilt gemäß § 15 Abs. 2 UStG 1951 für die Ausgleichsteuer sinngemäß.

Die Klägerin hatte keinen Anspruch darauf, daß das HZA ihr gemäß dem Antrag vom 14. Januar 1966 den Zoll- und Ausgleichsteuerbetrag erstattete, der sich aus der Senkung des Zollsatzes auf 74,20 DM je 100 Liter ergab.

1. Der Antrag verpflichtete allerdings das HZA, die Frage zu prüfen, ob der bei der Abfertigung des Rums am 10. Dezember 1965 der Klägerin erteilte Bescheid nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO zugunsten der Klägerin zu berichtigen sei. Denn die Klägerin hatte den Antrag darauf gestützt, daß sie durch ihr berechtigtes Vertrauen in die vom Verordnungsgeber zunächst vorgesehen gewesene Weitergeltung des bisherigen Zollsatzes die Möglichkeit verloren habe, die wider Erwarten dann doch vom Verordnungsgeber herbeigeführte Senkung des Zollsatzes nach § 46 Abs. 9 a. F. zu einer Minderung ihrer Abgabenbelastung zu nutzen. Diese Begründung zeigte, daß das Erstattungsbegehren der Klägerin auf das Argument gestützt war, die Grundsätze von Treu und Glauben stünden der über den neuen Zollsatz hinausgehenden Abgabenerhebung entgegen, diese sei also insoweit rechtswidrig. Bei dieser Sachlage war es unerheblich, daß die Klägerin nicht eine Erstattung aus Rechtsgründen (vgl. § 151 AO), sondern eine solche aus Billigkeitsgründen begehrte (vgl. BFH-Urteil vom 4. Juli 1972 VII R 103/69, BFHE 106, 268, BStBl II 1972, 806).

Das HZA konnte indessen den Abgabenbescheid vom 10. Dezember 1965 nicht berichtigen, da der Bescheid rechtmäßig war und daran sich durch die am 1. Januar 1966 eingetretene Senkung des Zollsatzes nichts änderte. Diese hätte die am 10. Dezember 1965 entstandene Zoll- und Ausgleichsteuerschuld nach § 46 Abs. 9 ZG a. F., § 15 Abs. 2 UStG 1951 nur dann beeinflussen können, wenn sich der Rum noch im Zollaufschublager befunden und die Klägerin die Anwendung des neuen Zollsatzes beantragt hätte. Das war aber nicht der Fall.

Der Antrag der Klägerin vom 14. Januar 1966, für die in diesem Zeitpunkt noch vorhanden gewesene Restmenge des am 10. Dezember 1965 abgefertigten Rums den Zoll und die Ausgleichsteuer zu erstatten, zeigt, daß die Klägerin so behandelt sein wollte, als ob sie die Entfernung des Rums aus dem Zollaufschublager am 15. und 22. Dezember 1965 unterlassen und nach der am 1. Januar 1966 eingetretenen Senkung des Zollsatzes den Antrag nach § 46 Abs. 9 ZG a. F. gestellt hätte. Das ist weder nach den ausdrücklichen Vorschriften über die Zölle und die Ausgleichsteuer, noch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben möglich.

Aus Treu und Glauben ergibt sich zwar das Gebot, daß im Rechtsverkehr jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teiles angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren Verhalten, auf das der andere vertraut hat, nicht in Widerspruch setzt (vgl. das BFH-Urteil vom 1. Juli 1975 VII R 25/73, BFHE 117, 120). Der Steuerpflichtige steht aber nur mit den Behörden, die das gesetzte Recht ihm gegenüber vollziehen, in einem Rechtsverkehr, nicht jedoch mit den Organen, die das Recht setzen. Deshalb können die Grundsätze von Treu und Glauben im Steuerrecht in aller Regel nur da angewandt werden, wo der Steuerpflichtige und eine Verwaltungsbehörde sich als Partner eines konkreten Rechtsverhältnisses gegenüberstehen (vgl. BFH-Urteil vom 5. März 1964 IV 133/63 S, BFHE 79, 218, BStBl III 1964, 311). Im Urteil vom 29. Juli 1965 V 71/61 S (BFHE 83, 125, BStBl III 1965, 545) hat der BFH allerdings die Auffassung bekundet, der Anwendungsbereich der Grundsätze von Treu und Glauben erstrecke sich auch auf die Rechtsetzung. Ob das auch für das vom FG erwähnte Urteil des erkennenden Senats vom 10. August 1966 VII 268/63 (BFHE 86, 740, BStBl III 1966, 663) gilt, kann dahinstehen. Denn es liegt jedenfalls auf der Hand, daß sich das Rechtsetzungsorgan und der Steuerpflichtige nicht als Partner eines konkreten Rechtsverhältnisses gegenüberstehen und daß deshalb in diesem Bereich der Steuerpflichtige nur verlangen kann, daß sein Vertrauen in die Gültigkeit und den Fortbestand des bisher gesetzten Rechts in gewissen Grenzen geschützt, insbesondere eine bereits erworbene Rechtsposition grundsätzlich nicht durch eine Rechtsänderung entwertet wird. Nur in diesem Sinne hat der BFH im zitierten Urteil V 71/61 S eine Auswirkung der Grundsätze von Treu und Glauben auf dem Gebiet der Steuergesetzgebung bejaht. Der erkennende Senat hat im Urteil vom 12. März 1974 VII R 107/71 (BFHE 112, 319) die Auffassung betont, daß der Steuerpflichtige vom Gesetz- oder Verordnungsgeber nur verlangen kann, sein Vertrauen in die Gültigkeit und den Fortbestand des bisher gesetzten Rechtes in gewissen Grenzen zu schützen. Hieran ist festzuhalten.

Als am 14. Dezember 1965 die Zolltarif-Verordnung verkündet wurde, war die Klägerin bereits durch die Abfertigung vom 10. Dezember 1965 Abgabenschuldnerin nach dem Zollsatz von 111,35 DM. In diese Rechtsposition griff die Zolltarif-Verordnung nicht zu ihrem Nachteil ein. Da die Zolltarif-Verordnung erst am 1. Januar 1966 in Kraft treten sollte, konnte die Klägerin bis dahin keine neue Rechtsposition erlangen. Die Klägerin hatte gegenüber dem Verordnungsgeber insbesondere keinen Anspruch darauf, daß der Zollsatz von 111,35 DM, wie in der Zolltarif-Verordnung vorgesehen, auch nach dem 31. Dezember 1965 gelten werde. Sie war auch nicht durch das Verhalten des Verordnungsgebers gezwungen, den Rum noch vor Ablauf des Jahres 1965 aus dem Zollaufschublager zu entfernen. Der Verordnungsgeber mag zwar durch die am 18. Dezember 1965 veröffentlichte Begründung der Zolltarif-Verordnung die Klägerin in der Überzeugung bestärkt haben, daß mit einer Ermäßigung des Zollsatzes zum 1. Januar 1966 nicht zu rechnen sei. Er hat dies aber nicht ausdrücklich gesagt und die Klägerin im übrigen auch damit nicht gehindert, mit der Auslagerung des Rums bis zum Inkrafttreten der Zolltarif-Verordnung und des Deutschen Zolltarifs 1966 am 1. Januar 1966 zu warten. Der Verordnungsgeber hat also der Klägerin nicht die Möglichkeit genommen, den am 1. Januar 1966 tatsächlich in Kraft getretenen niedrigeren Zollsatz nach § 46 Abs. 9 ZG a. F. in Anspruch zu nehmen.

Der Senat vermag insbesondere der Auffassung der Klägerin nicht zuzustimmen, der Verordnungsgeber sei verpflichtet gewesen, bei der Veröffentlichung des Deutschen Zolltarifs 1966 auf die Möglichkeit hinzuweisen, daß dieser noch vor seinem Inkrafttreten geändert werde. Diese Möglichkeit war für die interessierten Wirtschaftskreise aus der Zeitspanne zwischen der Verkündung und dem Inkrafttreten des Deutschen Zolltarifs 1966 sowie aus der Tatsache ersichtlich, daß Zollsätze allgemein einem raschen Wandel unterworfen sind. Die im BZBl vom 18. Dezember 1965 veröffentlichte Begründung zum Deutschen Zolltarif 1966 bezog sich nur auf dessen ursprüngliche Passung, mußte also nicht dahin verstanden werden, daß mit einer Änderung vor dem Inkrafttreten nicht mehr zu rechnen sei. Selbst wenn daher der Verordnungsgeber schon vor der Verkündung des Deutschen Zolltarifs 1966 wußte, daß dieser in der ursprünglichen Fassung nicht in Kraft treten werde, konnte er sich darauf beschränken, die Erste Änderungsverordnung vor dem 1. Januar 1966 zu verkünden. Das Verlangen der Klägerin läuft im Grunde darauf hinaus, daß der Verordnungsgeber die Pflicht gehabt habe, sie so zu belehren, daß sie keinen Schaden hätte nehmen können oder gar einen höheren Nutzen hätte erzielen können, als das bei der noch gültigen Rechtslage hätte geschehen können. Das ist aber nicht die – auch kaum erfüllbare – Aufgabe des Verordnungs-(Gesetz-)gebers.

2. Nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AO können Abgaben erstattet werden, wenn ihre Einbehaltung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Vorschrift bietet die Möglichkeit, auch in den Fällen, in denen die Erhebung der Abgaben dem Gesetz, also auch den Grundsätzen von Treu und Glauben, entspricht, sachlichen und persönlichen Besonderheiten, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine den Abgabenbescheid nicht ändernde Korrektur des Abgabenbetrages insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (vgl. das zitierte BFH-Urteil VII R 103/69). Die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang eine entrichtete Abgabe nach § 131 AO aus Billigkeitsgründen zu erstatten ist, liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Eine solche Entscheidung kann gerichtlich nur dahin nachgeprüft werden, ob die Behörde die Grenzen ihres Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in zweckwidriger Weise Gebrauch gemacht hat (§ 102 FGO; Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603).

Im vorliegenden Falle kann ein solcher Ermessensfehler nicht festgestellt werden. Es ist nicht zu beanstanden, daß das HZA das Vorliegen eines sachlichen Billigkeitsgrundes mit der Begründung verneinte, der für die Klägerin durch das Vertrauen auf die Weitergeltung des Zollsatzes von 111,35 DM eingetretene Nachteil gehöre zum kaufmännischen Risiko. Es kann nicht Zweck des § 131 AO sein, die Folgen betrieblicher Dispositionen zu beseitigen, die ein Steuerpflichtiger freiwillig getroffen hat. Persönliche Billigkeitsgründe waren nicht erkennbar.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514743

BFHE 1976, 317

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