Entscheidungsstichwort (Thema)

Gerichtskosten etc. als durchlaufende Posten bei einem Rechtsanwalt; ausnahmsweise Bindung des Finanzamts an falsche Rechtsauffassung im vorläufigen Bescheid

 

Leitsatz (NV)

1. Die von den Mandanten geschuldeten und vom Rechtsanwalt verauslagten Gerichtskosten, Zeugengebühren etc. wären bei diesem nur dann keine durchlaufenden Posten i. S. des § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG, wenn sie dieser ohne Abrechnung mit den Mandanten auf eigene Rechnung geleistet hätte.

2. Das Finanzamt kann in besonderen Ausnahmefällen nach Treu und Glauben an eine falsche Rechtsauffassung gebunden sein, die es einer vorläufigen Veranlagung zugrundegelegt hat.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 3 S. 2; AO 1977 § 164; AO § 100 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Rechtsanwalt und Notar. Seinen Gewinn aus selbständiger Arbeit ermittelt er durch Gegenüberstellung der Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG -).

Bis einschließlich 1968 hatte der Kläger die für Mandanten verauslagten und von diesen erstatteten Zahlungen für Gerichtskosten und Zeugen- und Sachverständigengebühren gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 1965 (StÄndG 1965) als durchlaufende Posten bei seiner Gewinnermittlung außer Ansatz gelassen. Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für 1969 vertrat das damals zuständige Finanzamt (FA) die Auffassung, der Kläger müsse die für Mandanten verauslagten Kosten und Gebühren als Betriebsausgaben und deren Erstattung als Betriebseinnahmen behandeln. Demgemäß setzte das Finanzamt A im Einkommensteuerbescheid für 1969 vom 2. Dezember 1971 statt des bisher ermittelten Gewinns aus selbständiger Arbeit in Höhe von 63 147 DM nur einen Gewinn von 16 737 DM an (dabei höhere Betriebsausgaben durch verauslagte Kosten und Gebühren 97 388 DM, höhere Betriebseinnahmen durch Erstattung verauslagter Kosten und Gebühren 52 499 DM).

In der Folgezeit behandelte der Kläger entsprechend einer Aufforderung des Finanzamtes A und unter Verwendung eines ihm hierfür übersandten Formblatts verauslagte Kosten und Gebühren als Betriebsausgaben und erstattete Kosten und Gebühren als Betriebseinnahmen. Auf dieser Grundlage erließ das Finanzamt A gemäß § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) vorläufige Einkommensteuerbescheide für 1970 bis 1973, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Einkommensteuerbescheide für 1974 bis 1976 und entsprechende Umsatzsteuerbescheide für 1971 bis 1976.

Im Jahre 1977 ging die Zuständigkeit für die Besteuerung des Klägers auf ein anderes Finanzamt (FA) über. Dieses ordnete eine Betriebsprüfung beim Kläger für die Jahre 1974 bis 1976 an. Mit Verfügung vom 27. April 1978 erweiterte das FA die Prüfungsanordnung auf die Streitjahre 1970 bis 1973. In seinem Bericht vom 21. Juli 1978 vertrat der Prüfer u.a. die Auffassung, der Kläger habe bei der Ermittlung seiner Gewinne und seiner Umsätze zu Unrecht die für Mandanten verauslagten Kosten und Gebühren als Betriebsausgaben und deren Erstattung als Betriebseinnahmen behandelt.

Das FA folgte dieser Auffassung und erließ am 30. April 1979 u.a. geänderte Einkommensteuerbescheide für 1970 bis 1973 und am 30. Mai 1979 geänderte Umsatzsteuerbescheide für 1972 und 1973.

Die Einsprüche des Klägers, mit denen sich dieser primär dagegen wandte, daß die für Mandanten verauslagten Kosten und Gebühren und deren Erstattung in den Streitjahren 1970 bis 1973 als durchlaufende Posten behandelt werden, wies das FA zurück.

Der Kläger erhob Klage u.a. gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide 1970 bis 1973 und die geänderten Umsatzsteuerbescheide 1971 bis 1973. Das Finanzgericht (FG) trennte das Verfahren wegen Einkommen- und Umsatzsteuer 1971 ab und wies im übrigen die Klage ab. Das FA habe mit Recht in den angefochtenen Bescheiden die vom Kläger verauslagten Kosten und Gebühren und deren Erstattung als durchlaufende Posten gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG bei der Gewinnermittlung außer Ansatz gelassen und entsprechende Gewinnkorrekturen vorgenommen.

Mit der Revision beantragt der Kläger, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung der Einkommensteuerbescheide 1970, 1972 und 1973 in der Fassung der Einspruchsentscheidung sowie der Umsatzsteuerbescheide 1972 und 1973 in der Fassung der Einspruchsentscheidung festzustellen, ,,daß die Steuerschuld des Klägers nur in Höhe der ursprünglichen nach §§ 100 Abs. 2 Reichsabgabenordnung, 164 AO 1977 besteht", hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen. Der Kläger rügt Verletzung materiellen Rechts, insbesondere fehlerhafte Anwendung des § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG und einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Wird der Gewinn aus selbständiger Arbeit gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG als Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ermittelt, so sind gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG i.d.F. des StÄndG 1965 Einnahmen und Ausgaben, ,,die im Namen und für Rechnung eines anderen vereinnahmt und verausgabt werden (durchlaufende Posten)", auszuscheiden. Ebenso gehören bei der Umsatzsteuer ,,die Beträge, die der Unternehmer im Namen und für Rechnung eines anderen vereinnahmt und verausgabt (durchlaufende Posten)", nicht zum steuerpflichtigen Entgelt (§ 10 Abs. 1 Satz 4 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -).

Der Vorentscheidung ist darin beizupflichten, daß im Streitfall die Ausgaben des Klägers für die von seinen Mandanten geschuldeten Gerichtskosten und Zeugen- und Sachverständigengebühren (vgl. §§ 49, 68 des Gerichtskostengesetzes - GKG -) und die Zahlungen der Mandanten des Klägers an ihn zur Bestreitung bzw. zum Ausgleich solcher Ausgaben durchlaufende Posten i. S. von § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG (und § 10 Abs. 1 Satz 4 UStG) waren und daher bei der Ermittlung des Überschusses der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung auszuscheiden waren und nicht zur Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer gehörten.

Zu Unrecht wendet die Revision ein, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG (und des § 10 Abs. 1 Satz 4 UStG) seien nicht erfüllt, weil der Kläger die Vorschüsse für Gerichtskosten und Zeugen- und Sachverständigengebühren zwar in fremdem Namen, aber für eigene Rechnung geleistet habe. Die einschlägigen Ausführungen der Revision sind rechtlich nicht schlüssig; sie ergeben nicht, daß der Kläger ,,auf eigene Rechnung" und nicht für Rechnung seiner Mandanten handelte. Ausgaben und Einnahmen auf eigene Rechnung des Klägers wären allenfalls dann gegeben gewesen, wenn der Kläger gegenüber seinen Mandanten überhaupt nicht über die an die Gerichtskasse gezahlten und evtl. von dieser wiedererstatteten Gerichtskosten und Zeugen- und Sachverständigengebühren abgerechnet hätte. So war es, wie die Revision selbst darlegt, gerade nicht. Die Revision führt aus, daß insbesondere wichtige Mandanten ,,Kostenverauslagung und Abrechnung des gesamten Mandats nach Beendigung" verlangt hätten. Daraus ist ersichtlich, daß der Kläger seinen Mandanten gegenüber jeweils über seine Ausgaben für Gerichtskosten und Zeugen- und Sachverständigengebühren im einzelnen Rechnung gelegt hat. Wenn der Kläger bei wichtigen Mandanten jeweils erst nach Beendigung des Mandats abgerechnet hat, so besagt dies lediglich, daß der Kläger in diesen Fällen von seinem Recht auf Vorschußleistung (vgl. §§ 675, 669 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) aus wohlerwogenen Gründen keinen Gebrauch gemacht hat, nicht aber, daß der Kläger auf eigene Rechnung handelte. Ebenso ist für die Frage, ob der Kläger auf eigene Rechnung handelte, unerheblich, ob der Kläger zur Geltendmachung eines etwaigen Erstattungsanspruchs seiner Mandanten gegen die Gerichtskasse dieser gegenüber eine Geldempfangsvollmacht nachweisen muß oder dafür die anwaltschaftliche Versicherung genügt, zum Geldempfang befugt zu sein; in beiden Fällen nimmt der Kläger das Geld in fremdem Namen und für fremde Rechnung entgegen.

2. Der Vorentscheidung ist auch darin zu folgen, daß das FA weder verfahrensrechtlich noch nach Treu und Glauben gehindert war, in den angefochtenen Steuerbescheiden die Ausgaben des Klägers für die von seinen Mandanten geschuldeten Gerichtskosten und Zeugen- und Sachverständigengebühren und die zur Bestreitung bzw. zum Ausgleich dieser Ausgaben bestimmten Einnahmen als durchlaufende Posten zu behandeln, so wie dies das Gesetz verlangt.

a) Sämtliche ursprünglichen Steuerbescheide, in denen das früher zuständige Finanzamt A die streitigen Ausgaben und Einnahmen fehlerhafterweise als Betriebsausgaben und Betriebseinnahmen berücksichtigt hat, waren gemäß § 100 Abs. 2 AO vorläufig. Auf diese Steuerbescheide waren nach Inkrafttreten der Abgabenordnung (AO 1977) die Vorschriften des § 164 Abs. 2 und 3 AO 1977 anzuwenden (Art. 97 § 9 Satz 3 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -). Das bedeutet u.a., daß das FA diese Steuerbescheide - in gleicher Weise wie nach Inkrafttreten der AO 1977 vorgenommene Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung - uneingeschränkt ändern durfte. Die Bescheide waren ,,allseitig offen für tatsächliche und rechtliche Korrekturen"; das FA durfte sowohl solche Tatsachen berücksichtigen, die ihm bereits bei der ursprünglichen Veranlagung bekannt waren, als auch eine andere als den ursprünglichen Bescheiden zugrunde gelegte Rechtsauffassung vertreten - abgesehen vom hier nicht einschlägigen Sonderfall des § 176 AO 1977 - (s. z. B. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 164 AO 1977 Rz. 8; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung [AO 1977]/Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 164 AO 1977 Anm. 3 a).

Demgemäß kann auf sich beruhen, ob das FA befugt war, die Außenprüfung auf die Jahre 1970 bis 1973 auszudehnen, und ob dem Kläger verwehrt ist, sich auf etwaige Mängel der erweiterten Prüfungsanordnung vom 27. April 1978 zu berufen, weil er diese nicht angefochten hat (vgl. insoweit Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. Juli 1983 I R 210/79, BFHE 139, 221, BStBl II 1984, 285). Denn da sämtliche Steuerbescheide für die Streitjahre gemäß § 100 Abs. 2 AO vorläufig ergangen waren, war das FA - unabhängig von einer Erweiterung der Außenprüfung auf die Jahre 1970 bis 1973 - befugt, diese ursprünglichen Bescheide zu ändern und dabei einen ihm bekannten Sachverhalt rechtlich anders als bisher zu beurteilen. Die Angriffe der Revision gegen die rechtliche Würdigung der Erweiterung der Außenprüfung liegen somit neben der Sache.

b) Der BFH hat allerdings mehrfach ausgesprochen, daß das FA in besonderen Ausnahmefällen nach Treu und Glauben an die Rechtsauffassung gebunden sein kann, die es einer vorläufigen Steuerfestsetzung zugrunde gelegt hat (s. z. B. Urteile vom 1. April 1966 VI 122/64, BFHE 85, 437, BStBl III 1966, 519; vom 7. April 1967 VI R 285/66, BFHE 89, 215, BStBl III 1967, 616). Dieser Entscheidung liegt (unausgesprochen) die rechtliche Erwägung zugrunde, daß unter bestimmten Voraussetzungen das Recht (und die Pflicht) zu einer materiell richtigen Steuerfestsetzung verwirkt sein kann.

Wie der Senat in seinem Grundsatzurteil vom 14. September 1978 IV R 89/74 (BFHE 126, 130, BStBl II 1979, 121) mit eingehender Begründung entschieden hat, setzt der Tatbestand der Verwirkung neben dem bloßen Zeitmoment (zeitweiliges Untätigwerden des Anspruchsberechtigten) nicht nur ein bestimmtes Verhalten des Anspruchsberechtigten voraus, das den Verpflichteten darauf vertrauen läßt, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Vertrauenstatbestand). Hinzukommen muß auch eine ,,Vertrauensfolge"; der Steuerpflichtige muß im Vertrauen auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs bestimmte Maßnahmen oder Vorkehrungen getroffen oder unterlassen haben, die für ihn die Entrichtung der nachträglich doch noch festgesetzten Steuer wegen der damit verbundenen Nachteile billigerweise nicht mehr zumutbar erscheinen lassen. Das tatbestandliche Erfordernis einer solchen ,,Vertrauensfolge" erschließt sich notwendig aus dem Zweck des Rechtsinstituts der Verwirkung, den Steuerpflichtigen davor zu schützen, daß ihm erhebliche Nachteile entstehen, die nicht entstanden wären, wenn das FA den Steueranspruch rechtzeitig (richtig) geltend gemacht hätte.

Im Streitfall ist dem Kläger zuzugeben, daß das ursprünglich zuständige Finanzamt A mit der rechtlich offensichtlich fehlerhaften Aufforderung, die für Mandanten verauslagten und von diesen erstatteten Gerichtskosten und Zeugen- und Sachverständigengebühren nicht als durchlaufende Posten zu behandeln, einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat. Gleichwohl ist das Recht zur materiell richtigen Steuerfestsetzung nicht verwirkt, weil es an einer Vertrauensfolge fehlt. Das FG hat zu Recht verneint, daß dem Kläger durch das fehlerhafte Verhalten des früher zuständigen Finanzamt A Nachteile entstanden sind oder noch entstehen, die eine materiell richtige Besteuerung und die damit verbundene Steuernachzahlung billigerweise als unzumutbar erscheinen lassen. Hätte das Finanzamt A bereits bei den ursprünglichen Veranlagungen für die Streitjahre die zutreffende Auffassung vertreten, daß durchlaufende Posten vorliegen, die außer Ansatz bleiben würden, hätte der Kläger die nunmehr nachzuzahlenden Steuerbeträge bereits erheblich früher entrichten müssen. Demgegenüber macht die Revision lediglich geltend, der Kläger werde zur Finanzierung der Steuernachzahlungen Bankkredite aufnehmen und dafür Zinsen zahlen müssen. Darin können jedoch keine Nachteile gesehen werden, die die nachträgliche richtige Steuerfestsetzung und Steuernachzahlung billigerweise als unzumutbar erscheinen lassen. Dies folgt schon daraus, daß den Steuernachzahlungen für die Streitjahre, die der Kläger in der Revisionsbegründung für die Zwecke der Streitwertermittlung mit rd. 12 500 DM errechnet hat, ausweislich der Feststellungen des angefochtenen Urteils wegen der Gewinnminderungen für die Prüfungsjahre 1974 bis 1976 erhebliche Erstattungen gegenüberstehen. Hinzu kommt, wie das FG zu Recht hervorgehoben hat, daß dem Kläger aus der fehlerhaften Sachbehandlung des FA insofern ein beträchtlicher Steuervorteil erwachsen ist, als er für das Jahr 1969 statt des zutreffenden Gewinns von 63 147 DM lediglich einen Gewinn von 16 737 DM versteuern mußte. Dieser Steuervorteil ist dem Kläger endgültig verblieben, weil das FA die Veranlagung für 1969 nicht mehr geändert hat (und offensichtlich ohne Zustimmung des Klägers nicht ändern konnte) und weil das FA in den Folgejahren jeweils die gesamten von Mandanten geleisteten Zahlungen für vom Kläger verauslagte Gerichtskosten und Gebühren als durchlaufende Posten außer Ansatz gelassen hat, insbesondere also auch Erstattungen für in früheren Jahren als Betriebsausgaben abgezogene Auslagen.

Danach erleidet der Kläger keine Nachteile, die eine zutreffende Besteuerung in den Streitjahren billigerweise als unzumutbar erscheinen lassen.

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Fundstellen

Haufe-Index 413724

BFH/NV 1986, 215

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