Leitsatz (amtlich)

1. Eine natürliche Person, die einen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 1 EStG, § 14 StAnpG) in der Bundesrepublik Deutschland hat, ist hier unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, auch wenn sie einen Wohnsitz in den Niederlanden i. S. des Art. 3 Abs. 1 DBA-Niederlande unterhält.

2. Leistet ein niederländischer Staatsangehöriger, der in der Bundesrepublik Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist, Zahlungen an eine Versicherungsgesellschaft, die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland hat und der hier auch die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb nicht erteilt ist, so sind diese Zahlungen nicht als Sonderausgaben abzugsfähig. Das gleiche gilt für Zahlungen an niederländische Religionsgesellschaften.

 

Normenkette

EStG 1965 § 1 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Nrn. 2, 4, Abs. 3 Nr. 1; StAnpG § 14 Abs. 1; DBA NLD Art. 3, 20 Abs. 3

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der seinen Familienwohnsitz in Rotterdam hatte, bezog ab Januar 1962 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit für eine in Berlin (West) ausgeübte Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer. Er wohnte in Berlin (West) in einem Hotel. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) veranlagte den Kläger als unbeschränkt Steuerpflichtigen zur Einkommensteuer. Der Auffassung des Klägers, daß er auf Grund des Art. 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete vom 16. Juni 1959 - DBA-Niederlande - (BGBl II 1960, 1782, BStBl I 1960, 382) nur beschränkt steuerpflichtig sei, die Einkommensteuer mithin nach § 50 Abs. 4 EStG mit den einbehaltenen Lohnsteuerbeträgen als abgegolten gelte, folgte das FA nicht.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren begehrte der Kläger auch mit seiner zum FG erhobenen Klage, ihn als beschränkt steuerpflichtig anzusehen. Hilfsweise machte er geltend, daß die unbeschränkte Steuerpflicht erst am 9. Januar 1962 begonnen habe, weil er erst zu diesem Zeitpunkt Quartier in einem Hotel in Berlin (West) bezogen habe. Auch in der Zeit vom 22. Dezember bis 31. Dezember 1962 habe er sich nicht in Berlin (West) aufgehalten. Deshalb müsse insbesondere auch eine nach dem 21. Dezember 1962 von ihm bezogene Sonderzahlung in Höhe von (umgerechnet) 27 727,50 DM aus dem Jahreseinkommen ausgeschieden werden. Im übrigen habe diese Sonderzahlung nicht nur das Jahr 1962 betroffen. Er begehrte ferner für den Fall der Annahme einer unbeschränkten Steuerpflicht in der Bundesrepublik Deutschland den Abzug von Ausgaben für Versicherungen (Lebens-, Kranken- und Unfallversicherungen) an niederländische Versicherungsunternehmen sowie den Abzug von Zahlungen an niederländische Religionsgemeinschaften als Sonderausgaben.

Die Klage hatte nur insoweit Erfolg, als das FG davon ausging, daß die unbeschränkte Steuerpflicht des Klägers erst am 9. Januar 1962 begonnen habe. Die unbeschränkte Steuerpflicht folge daraus, daß der Kläger in Berlin (West) einen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe. Die Regeln des innerstaatlichen Rechts über die unbeschränkte Steuerpflicht blieben von der Wohnsitzbestimmung des Art. 3 DBA-Niederlande unberührt. Die unbeschränkte Steuerpflicht habe nicht - wie der Kläger annehme - am 21. Dezember 1962 geendet. Zu diesem Zeitpunkt (Verlassen des Hotels in Berlin [West]) habe es für den Kläger unbestreitbar festgestanden, daß seine inländische Tätigkeit noch nicht beendet sein würde. Er habe also seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort im Inland - wie anzunehmen sei - zu einem Weihnachtsbesuch bei seiner Familie in ähnlicher Weise unterbrochen, wie er dies zuvor an einer Reihe von Wochenenden ebenfalls getan habe. Deshalb sehe das FG auch keine Möglichkeit, die nach diesem Zeitpunkt geleistete Sonderzahlung aus der deutschen Besteuerung herauszunehmen. Der Kläger habe auch nicht dargelegt, daß hinsichtlich dieser Sonderzahlung die Voraussetzungen des § 34 EStG (Verteilung auf mehrere Jahre) vorlägen. Den Abzug der Versicherungsbeiträge und der Zahlungen an die niederländischen Religionsgemeinschaften ließ das FG nicht zum Abzug als Sonderausgaben zu, da dieser Abzug voraussetze, daß es sich um Zahlungen an inländische Versicherungsunternehmen bzw. an inländische Religionsgesellschaften handle.

Mit seiner Revision rügte der Kläger Verstoß gegen Art. 3, 10, 20 und 22 DBA-Niederlande und gegen § 1, § 49 und § 50 EStG sowie gegen Art. 25 GG. Er beantragt,

1. die Veranlagung zur Einkommensteuer 1962 zurückzunehmen,

2. hilfsweise,

a) die Einmalzahlung in 1962 in Höhe von (umgerechnet) 27 727,50 DM aus der Veranlagung 1962 herauszunehmen, da insoweit § 25 EStG nicht beachtet worden sei,

b) die Verteilung dieser einmaligen Zahlung auf die Jahre 1960, 1961 sowie 1962 vorzunehmen,

c) den Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen an niederländische öffentliche Kassen im Betrag von (umgerechnet) 698 DM zuzulassen,

d) den Abzug von Versicherungsbeiträgen in Höhe von (umgerechnet) 1 795 DM und den Abzug von Beiträgen an Religionsgemeinschaften der Niederlande in Höhe von (umgerechnet) 305 DM zuzulassen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Der Kläger ist auf Grund eines gewöhnlichen Aufenthalts (§ 1 EStG i. V. m. § 14 StAnpG) in der Bundesrepublik Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Dem Kläger ist zwar darin beizutreten, daß Bestimmungen von Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) Bestandteil der staatlichen Rechtsordnung werden und abweichenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen. Dies gilt aber nur, soweit der Regelungsinhalt eines DBA reicht. Ob eine natürliche Person mit Wohnsitz in den Niederlanden und gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist, beurteilt sich ausschließlich nach dem Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts, wie er sich aus § 1 Abs. 1 EStG i. V. m. § 14 StAnpG ergibt. Art. 3 DBA-Niederlande hat diesen Rechtszustand nicht verändert. Dies entspricht der Auffassung, die der erkennende Senat sinngemäß bereits in seinem Urteil vom 13. Oktober 1965 I 410/61 U (BFHE 83, 655, BStBl III 1965, 738) zu der vergleichbaren Rechtslage nach dem Abkommen zwischen dem Deutschen Reiche und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der Erbschaftsteuern vom 15. Juli 1931 (RGBl II 1934, 38, RStBl 1934, 199) dargelegt hat. Die Begriffe Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt in Art. 3 DBA-Niederlande haben nur die Bedeutung von Merkmalen, nach denen sich die Verteilung einzelner Steuergüter auf die beiden Vertragstaaten bestimmt. Im übrigen verändert Art. 3 DBA-Niederlande die Vorschriften des innerstaatlichen Rechts über Art und Höhe der Besteuerung nicht, läßt also auch die innerstaatlichen Vorschriften, die eine unbeschränkte Steuerpflicht begründen, unberührt.

Daß die Niederlande nach Art. 20 Abs. 3 DBA-Niederlande das Recht haben, die Einkünfte in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen, andererseits aber die in der Bundesrepublik Deutschland gezahlte Einkommensteuer nach bestimmten Grundsätzen bei der niederländischen Besteuerung anrechnen müssen, steht dieser Rechtsauffassung nicht entgegen. Art. 20 Abs. 3 DBA-Niederlande regelt nur die Modalitäten, nach denen bei der Besteuerung in den Niederlanden die Doppelbesteuerung vermieden werden soll. Art. 20 Abs. 3 DBA-Niederlande sagt aber ebenfalls nichts darüber, ob die der Bundesrepublik Deutschland nach dem Abkommen zugewiesenen Steuergüter nach den Grundsätzen der beschränkten oder der unbeschränkten Steuerpflicht zu erfassen sind.

2. Auch die Annahme des FG, die unbeschränkte Steuerpflicht des Klägers reiche bis zum 31. Dezember 1962, ist nicht zu beanstanden. Das FG hat in seinem Urteil in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, es habe für den Kläger bei Verlassen des Hotels in Berlin (West) am 21. Dezember 1962 unbestreitbar festgestanden, daß seine inländische Tätigkeit "noch längst nicht beendet sein würde". Aus dieser Feststellung, die der Kläger mit seiner Revision nicht angegriffen hat, und an die das Revisionsgericht daher nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, durfte das FG schließen, daß der Kläger seinen Aufenthalt in Berlin (West) zu jenem Zeitpunkt nur vorübergehend unterbrochen habe. Zu dieser Auffassung konnte das FG ohne Rechtsverstoß gelangen; daß es dazu zwingend kommen mußte, ist nach revisionsrechtlichen Grundsätzen nicht erforderlich. Auf die "Annahme" des FG, die Unterbrechung habe das Ziel gehabt, seine Familie zu besuchen, "wie er dies zuvor an einer Reihe von Wochenenden getan habe", kommt es für die Entscheidung nicht wesentlich an.

3. Da sich somit die unbeschränkte Steuerpflicht des Klägers bis zum 31. Dezember 1962 erstreckt hat, war die Sonderzahlung von (umgerechnet) 27 727,50 DM in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen (§ 25 EStG). Der Vortrag des Klägers über die Bedeutung der Sonderzahlung kann im Revisionsverfahren nicht dazu führen, die Zahlung nach § 34 Abs. 3 EStG auf mehrere Jahre zu verteilen. Das FG hat ausgeführt, der Kläger habe nicht dargelegt, daß für die Sonderzahlung die Voraussetzungen einer Verteilung nach § 34 EStG vorlägen. Dem ist der Kläger im Revisionsverfahren nicht mit einer Verfahrensrüge begegnet. Der Senat ist daher an den vom FG festgestellten Sachverhalt auch insoweit gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).

4. Gegen das Urteil der Vorinstanz können auch insoweit keine Bedenken hergeleitet werden, als das FG für Beiträge, die der Kläger an niederländische Versicherungsunternehmen gezahlt hat, den Abzug als Sonderausgaben versagt hat. Die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Nr. 1 EStG knüpft die Abzugsfähigkeit von Versicherungsbeiträgen an die Voraussetzung, daß dem Versicherungsunternehmen, an das die Zahlungen geleistet wurden, wenn es weder seine Geschäftsleitung noch seinen Sitz im Inland hat, die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb im Inland erteilt ist. Diese den Sonderausgabenabzug einschränkende Vorschrift ist ihrem Wortlaut nach eindeutig. Daß ihre Voraussetzungen vorlägen, behauptet der Kläger nicht. Dieser Rechtszustand führt nicht etwa zu einer Diskriminierung von Niederländern in der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 24 DBA-Niederlande. Die Abzugsfähigkeit von Beitragsleistungen an ausländische Versicherungsunternehmen ist auch für deutsche Staatsangehörige nicht vorgesehen.

5. Gleiches gilt für den Abzug der Beiträge an niederländische Religionsgesellschaften. Gezahlte Kirchensteuern i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG sind Geldleistungen, die von den als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgesellschaften von ihren Mitgliedern auf Grund gesetzlicher Bestimmungen erhoben werden. Es handelt sich um Abgaben an solche Religionsgesellschaften, denen nach Art. 140 GG i. V m. Art. 137 Abs. 6 der Weimarer Reichsverfassung das Recht der Steuererhebung zuerkannt ist (vgl. Urteil des BFH vom 19. August 1969 VI R 261/67, BFHE 96, 458, BStBl II 1970, 11 [13]). Die Anerkennung gezahlter Kirchensteuer als Sonderausgabe kann von diesem innerdeutschen Rechts- und Verfassungszustand nicht gelöst, die Abzugsfähigkeit kann also nicht auf Zahlungen an ausländische Religionsgesellschaften übertragen werden.

Diese Rechtsfolge ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG. Erstmals im Einkommensteuergesetz 1925 vom 10. August 1925 (RGBl I, 189) waren abzugsfähige Sonderleistungen nach § 17 Abs. 1 Ziff. 5 Satz 1 "Steuern an die in Art. 137 der Reichsverfassung genannten Körperschaften, soweit diese Steuern im Steuerabschnitt fällig werden". Bei der Regelung der Sonderausgaben durch das Einkommensteuergesetz 1934 vom 16. Oktober 1934 (RGBl I, 1005) wurden in § 10 Abs. 1 Nr. 3 "Steuern, die von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften erhoben werden (Kirchensteuern)" für abzugsfähig erklärt. Im Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes vom 17. Februar 1939 (RGBl I, 283) wurde § 10 Abs. 1 Nr. 3 gestrichen. Dagegen waren im Gesetz der Militärregierung Deutschland Nr. 64 zur vorläufigen Neuordnung von Steuern vom 20. Juni 1948 mit Anhang vom 22. Juni 1948 (Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets 1948 Nr. 14, Beilage Nr. 4) "bezahlte Kirchensteuern" nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 als Sonderausgaben abzugsfähig. Seitdem wird der Begriff Kirchensteuer unverändert in den Einkommensteuergesetzen verwendet. Es besteht kein Grund zu der Annahme, daß er einen anderen Inhalt haben sollte als den, wie er sich aus seiner Entstehungsgeschichte im Einkommensteuergesetz 1925 über das Einkommensteuergesetz 1934 als gesicherter Rechtsbegriff entwickelt hat (vgl. schon Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, 6. Aufl. 1951, S. 428, die den Begriff "Kirchensteuern" im Kern ebenso definieren wie der BFH im Urteil VI R 261/67).

 

Fundstellen

Haufe-Index 71483

BStBl II 1975, 708

BFHE 1976, 150

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